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Lexikon der Biologie: Gravitationsbiologie

ESSAY

Eberhard Horn

Gravitationsbiologie

Geschichte

Gravitationsbiologie setzt sich mit dem Einfluß der Schwerkraft (Gravitation; vgl. Infobox 1 ) auf den belebten Organismus auseinander. Der Beginn gravitationsbiologischer Forschung kann auf das Jahr 1806 datiert werden, als physiologische Experimente an Pflanzen durchgeführt wurden, mittels Klinostaten die Bedeutung der Schwerkraft für das Wachstum von Wurzel und Sproß (Sproßachse) zu prüfen. Ende des 19. Jahrhunderts folgten Klinostaten-Untersuchungen an tierischen Zellen zur Bedeutung der Gravitation für die Ebenen der ersten Zellteilungen (Cytokinese). Die Nutzung ballistischer Flüge begann 1948. Affen, Hunde und Mäuse nebst tierischen und pflanzlichen Kleinorganismen wurden so der Schwerelosigkeit für die Dauer von bis zu 30 Minuten ausgesetzt. Der erste mehrtägige Aufenthalt eines Tieres in der Schwerelosigkeit gelang den Russen. Die Hündin „Laika“ wurde am 3. November 1957 an Bord des Erdsatelliten Sputnik 2 für eine Woche der Schwerelosigkeit ausgesetzt, bevor sie wegen fehlender Rückkehrmöglichkeiten verstarb. Mit Beginn des Gemini- und Apollo-Programms nutzten die Amerikaner bemannte Raumflüge für biologische Experimente, die über das Skylab-Programm zum Shuttle Transport System (STS) mit Ergänzung durch das von Europa entwickelte Raumlabor Spacelab ( vgl. Abb. 1 ) führte. Der russischen bemannten Raumfahrt stand neben unbemannten Satelliten zwischen 1987 und 1999 die Raumstation Mir für biologische Vorhaben zur Verfügung. Weltraummissionen haben in der Regel eine internationale Beteiligung, selbst wenn die wissenschaftliche Führung nicht den Amerikanern oder Russen obliegt, sondern anderen Nationen, wie bei den beiden deutschen Missionen D-1 (STS-61A, 1985) und D-2 (STS-55, 1993) oder der japanischen Mission Spacelab-J (STS-47, 1992). Ab 2004 wird biologische Forschung auf der Internationalen Raumstation ISS ( vgl. Abb. 2 ) weitergeführt werden, mit deren Bau 1998 begonnen wurde.
Auf die biologischen Experimente wirkt keine wirkliche Schwerelosigkeit ( vgl. Infobox 2 ) ein. Bei den genutzten Flughöhen von 300 bis 500 km besteht wegen der Erdnähe eine Restbeschleunigung von ca. 5·10–5g (wobei g die Erd- oder Fallbeschleunigung an der Erdoberfläche = 9,80665 m/s2 bedeutet). Hinzu kommen transiente Beschleunigungen durch Bewegungen der Mannschaft und Maschinen (ca. 10–2 bis 10–3g) sowie durch Korrekturzündungen der Triebwerke (ca. 10–4 bis 10–6g). Man hat vereinbart, diesem komplexen Gravitationsfeld den Begriff Mikrogravitationg) zuzuweisen.

Wissenschaftliche Begründung

Alle Organismen auf unserer Erde erfahren während ihres Lebens eine Schwerkraft, die sich in der Erd- oder Fallbeschleunigung von ca. 9,81 m/s2 widerspiegelt. Diese Kraft wirkt sich nicht nur auf den sichtbaren Organismus aus, sondern auch auf seine Bestandteile, seine Organe und Zelleinschlüsse bis hin zu membrangebundenen Strukturen (Membran). Sie bedingt das Gewicht des Körpers (Körpergewicht), Sedimentation und Reibung sowie Thermik und Konvektion. Zu den biologischen Funktionskreisen, die einen Schwerkraftbezug unmittelbar erkennen lassen, gehören der Schweresinn, Gleichgewichtssinn (Gleichgewichtsorgane) und Haltungssinn, Bewegungen, die der Schwerkraft entgegengerichtet sind, um Stabilität zu erhalten (Biomechanik), sowie die Orientierung der Pflanzen während ihres Wachstums (Gravitropismus, Tropismus). Es ist zu unterscheiden, ob Schwerkraft allgemein Einfluß auf den Organismus nimmt, oder ob sie zu seiner individuellen Integrität und Stabilität notwendig ist. Der erste Aspekt kann auf der Erde durch Exposition von Organismen unter Hypergravitation geprüft werden. Die Notwendigkeit der Schwerkraft für die Integrität des biologischen Organismus und seiner Bildung kann dagegen nur durch seine Exposition in Bedingungen getestet werden, in denen der Schwerereiz ausgeschaltet ist (Schwereentzug, Schwere-Deprivation). Das Fachgebiet Gravitationsbiologie ist daher eng an die Fortschritte der Raumfahrt gebunden.

Methoden der Erzeugung oder Simulation von Mikrogravitation

Um in erdgebundenen Versuchen Hinweise über die Bedeutung der Schwerkraft für den Organismus zu gewinnen, wird simulierte Mikrogravitation genutzt. Sie baut auf 2 Prinzipien auf. 1) Durch konstante oder zufallsverteilte Lageänderungen des Organismus läßt man den Schwerevektor – statistisch gesehen – gleich häufig aus allen Richtungen auf den Organismus einwirken (Horizontal- und Zufalls-Klinostat; vgl. Abb. 3b ). So wird zwar die Orientierungsfähigkeit des Organismus in Bezug auf die Richtung der Schwerkraft aufgehoben, niemals aber die Schwerkraft selbst. 2) Die schwerkraftbedingte Gewichtskomponente wird durch Gegengewichte oder eine Aufhängung, durch eine horizontale Lagerung des Organismus (Bett-Lagerung) oder durch Dichteerhöhungen des umgebenden Mediums reduziert. Echte Mikrogravitation wird durch einen freien Fall aus großen Höhen (Fallturm, Ballonabwürfe;vgl. Infobox 2 ) oder während Parabolflügen in Flugzeugen oder Raketen erzeugt. Hierbei treten 4,5 s bis 30 min lange Mikrogravitations-Perioden auf, die für kurzdauernde biologische Reaktionen genutzt werden können. Mikrogravitation von Stunden bis Monaten Dauer wird nur während bemannter oder unbemannter Orbitalflüge erzeugt. Bemannte Raumflüge bieten den Vorteil, Astronauten in ein Experiment eingreifen oder unter Mikrogravitation präparative Arbeiten ausführen zu lassen.

Experimental-Hardware

Experimente werden in Satelliten und „Raumschiffen“ in speziellen Racks untergebracht (z.B. Anthrorack, Cognilab, Physiolab für medizinische Experimente; Biolabor, Biorack für biologische Experimente). In ihnen sind neben der Standardausrüstung, wie Spritzen, Kanülen, Meßsonden usw., experimentspezifische Apparaturen nebst deren elektronischer Steuerung sowie Tier- und Pflanzenhälterungen ( vgl. Abb. 3a ) untergebracht. Daneben gibt es Großgeräte für Untersuchungen am Vestibularsystem (Augenbewegungsgerät, Linearschlitten, Zentrifuge; vgl. Abb. 3c ) und Kreislaufsystem (Unterdrucksack). Racks für gravitationsbiologische Experimente verfügen aus Sicherheitsgründen über eine Handschuhkammer (glovebox, abgeschlossene Kammer mit ausstülpbaren Handschuhen), um beim präparativen Arbeiten eine Kontamination des Raumlabors mit Versuchsbestandteilen zu vermeiden. Biorack, das erfolgreichste und bei 6 Missionen eingesetzte Experimentalrack, wurde von der Europäischen Raumfahrtbehörde (ESA) entwickelt. Standard-Hardware wie z.B. für Biorack die Typ-I- und Typ-II-Container stehen zur Verfügung, an welche die spezifischen Experimente (Anlagen zur Zellfusion, Miniaquarien, Wachstumskammern usw.) angepaßt werden müssen ( vgl. Abb. 4a , vgl. Abb. 4b ). Biologische Racks verfügen über eine 1 g-Referenzzentrifuge, mit der im Orbit die Erdschwere simuliert werden kann. So kann die spezifische Wirkung der Mikrogravitation auf den Organismus von durch Raumstrahlung bedingten Effekten getrennt werden.

Grundlegende Beobachtungen

Zellbiologie: Das Hauptanliegen zellbiologischer Forschung (Cytologie) unter Weltraumbedingungen ist neben der Grundlagenforschung die Entwicklung von Methoden, um den physiologischen Status des Astronauten zu erkennen. Die zellbiologischen Arbeiten haben gezeigt, daß schwerkraftbedingte Kräfte offensichtlich ausreichen, um auf der zellulären Ebene (Zelle) bedeutende physiologische und morphologische Veränderungen hervorzurufen. Unbekannt ist, wie diese sehr schwachen mechanischen Kräfte in chemische Reaktionen umgesetzt werden.
Verschiedene Zellen besitzen spezifische Organellen, die als Statolithen wirken und so die Schwereperzeption (Graviperzeption) vermitteln (Einzeller Loxodes). Dies gilt auch für die Wurzelspitzenzellen mit ihren Amyloplasten. Von anderen sind die kompartimentierten Massenverhältnisse bekannt, die eine Schwereperzeption ermöglichen (Euglena [Euglenophyceae], Paramecium [Pantoffeltierchen]) und zu typischen ionalen Verschiebungen über die Zell-Membran und damit zur Aktivierung von Cilien oder Flagellen führen. Tatsächlich verlieren solche Zellen ihre Orientierungsfähigkeit in der Schwerelosigkeit ( vgl. Abb. 5 ). In allen anderen Zellen, die eine Sensitivität gegenüber der Schwerkraft besitzen, können bis heute nur Hypothesen über die Mechanismen der Schwereperzeption geäußert werden. Darunter ist auch das Cytoskelett (Zellskelett). Eine Rolle spielt möglicherweise eine feste „Verdrahtung“ des Cytoskeletts mit der extrazellulären Matrix. Hierfür wurde der Begriff Tensegrität („tensegrity“) geschaffen, der sich zusammensetzt aus „tensional“ (= Spannungs-) and „integrity“ (= Ganzheit). Die Grundidee ist hierbei, daß mechanische Signale (zu denen auch nicht-schwereabhängige gezählt werden müssen) mit anderen Umgebungssignalen zusammengefaßt und in eine biochemische Antwort über kraftabhängige Änderungen in der Gerüstgeometrie und der molekularen Mechanik umgesetzt werden. Bei der Erklärung von mikrogravitationsbedingten Wirkungen auf einzelne Zellen muß immer berücksichtigt werden, daß es sich möglicherweise um unspezifische Effekte handeln kann – bedingt durch die unter Schwerelosigkeit fehlenden Konvektionsströme und die dadurch erleichterte Kompartimentierung des Zellplasmas und seiner Organellen.
Zu solchen Zelltypen ohne spezifische Rezeptoren, die eine Mikrogravitation-Empfindlichkeit zeigten, gehören neben den beim Aufbau des Skeletts beteiligten Osteoblasten auch die T-Lymphocyten. Normalerweise werden sie durch mitogene Substanzen (Mitogene) aktiviert. Sie verlassen ihr G0-Ruhestadium und kommen über die G1-, S- und G2-Phase zur Mitose (Farbtafel). Diese Proliferation ist unter Mikrogravitationsbedingungen bis um 80% reduziert. Diese dramatische Wirkung der Schwerelosigkeit auf das Immunsystem wurde erstmals während der ersten Spacelab-Mission SL-1 (STS-9, 1983) beobachtet – bei der auch interessante Erkenntnisse über die Proteinkristallisation unter Mikrogravitationsbedingungen gewonnen wurden – und mehrfach bei späteren Missionen bestätigt. Die Schwächung des Immunsystems geht nicht auf eine mangelnde Bildung von Cytokinen wie den Interleukinen, Interferonen oder dem Tumor-Nekrosis-Faktor zurück. Bekannt ist dagegen, daß der Mikrogravitation ausgesetzte Lymphocyten unter der Behandlung mit mitogenen Substanzen nur 3% der Thymidinmenge (Thymidin) aufnehmen, welche von den 1 g-Bodenkontrollen aufgenommen wird.

Skelettmuskel: Schon innerhalb von 5 Tagen Aufenthalt in Mikrogravitation kommt es zu einer 5- bis 10%igen Atrophie gewichtstragender Muskeln (Muskulatur, quergestreifte Muskulatur) und einer Abnahme der Muskelkraft (Muskelkontraktion). Simulationsversuche mittels Bettruhe-Technik und Tierversuchen erbrachten ähnliche Befunde. Die Atrophie ist begleitet von einer Abnahme der Proteinsynthese und der Aktivität der Succinat-Dehydrogenase innerhalb der Muskelzellen, nicht aber von einer Änderung des Proteinabbaus. Verantwortlich wird auch eine reduzierte neuronale Aktivierung infolge des verringerten vestibulären Tonus gemacht. Gleichzeitig verschieben sich die kontraktilen und enzymatischen Eigenschaften der Muskeln von dem langsamen, oxidativen hin zu dem schnellen, glykolytischen Typ. Die Readaptation nach Beendigung der belastungsfreien Periode erstreckt sich über Wochen. Bewegungs- und Kraftübungen der Raumfahrer (Laufrad, Expander usw.) können diese morphologischen und physiologischen Veränderungen nicht aufhalten. Daher wird nach präventiven Maßnahmen auch im pharmakologischen und physiologischen Bereich gesucht.

Stützapparat: Schwereentzug während Raumflügen löst bei Astronauten und Wirbeltieren (Ratten, Hund, Molch) trotz Bewegungstrainings in gewichts- und nicht gewichtstragenden Knochen Osteoporose aus ( vgl. Abb. 6A ). Das Ausmaß hängt von der Länge des Mikrogravitation-Aufenthalts ab und erreichte bei russischen Missionen nach 184 Tagen 19,8% Verlust an Knochen. Ähnliches wird durch Simulationsversuche, wie lange Bettruhe oder Gewichtsentlastung, erreicht. Hinzu kommt eine Verschlechterung der mechanischen Eigenschaften der Knochen und ein dadurch erhöhtes Bruchrisiko (Biomechanik). Die Demineralisierungen (Demineralisation) der Knochen gehen nach Ende eines Raumflugs nur außerordentlich langsam zurück. Der Netto Calcium-Verlust (Calcium) des Knochens wird durch geringere Calcium-Absorption und erhöhte Calcium-Ausscheidung verursacht. Während der Entwicklung unter Mikrogravitation ist die Mineralisierung der Knochen erheblich reduziert ( vgl. Abb. 6B ). Allgemein verändern Osteoblasten in der Schwerelosigkeit Zellmorphologie und Kernarchitektur und reduzieren ihr Wachstum. Entsprechend nimmt in ihnen die Aktivität biochemischer Prozesse, die zur Knochenbildung führen, ab (Reduktion von Typ-I- und Typ-II-Kollagen und mRNA-Spiegel von Osteocalcin sowie verzögerte Reifung der Proteinkomponenten).

Kardiovaskuläres System: Das kardiovaskuläre System (Herz-Kreislauf-System) ist verantwortlich für die Verteilung von Sauerstoff, Nährstoffen und Abbaustoffen im Körper. Beim Menschen ist es an die aufrechte, zweifüßige Körperhaltung (aufrechter Gang, Bipedie, Gehen) angepaßt. Dies bedingt eine starke Einflußnahme der Schwerkraft auf seine Stabilität, was durch die Untersuchungen an Astronauten unter Mikrogravitation bestätigt wird. Erste sichtbare Wirkung ist die Aufblähung des Kopfes und des Halses, die durch eine kopfwärts gerichtete Flüssigkeitsverschiebung infolge des fehlenden, nach unten gerichteten hydrostatischen Drucks entsteht (Pausbacken-Kopf). Gleichzeitig verlieren die Beine innerhalb der ersten 24 Stunden mehr als 10% ihres Volumens infolge eines Volumenverlustes der tiefen Beinvenen.
Der zentralvenöse Druck, der beim Eintritt des Bluts in das rechte Atrium bestimmt wird, beträgt normalerweise 4 bis 7 mmHg; unter Mikrogravitation nimmt er jedoch auf 2 mmHg ab (Blutdruck). Dagegen steigert das Herz sein Ausschlagsvolumen, ohne seine Schlagfrequenz (Herzfrequenz) zu ändern. Innerhalb von 7 bis 10 Tagen normalisieren sich diese Werte fast wieder, allerdings bleibt eine Restabweichung bestehen. Die Gründe liegen in der Verminderung des Plasmavolumens (Blutvolumen), einer durch die Adaptationsprozesse modifizierten autonomen Kontrolle des kardiovaskulären Systems, und den unverändert anhaltenden Änderungen in der Verteilung der Körperflüssigkeit wegen des fehlenden stabilisierenden Faktors Schwerkraft (französische Experimente an Bord von Saljut-7, 1982, sowie Experimente während der deutschen Weltraummission D-2, 1993).
Die Regulation des Blutdrucks (Blutdruckregulation) ändert sich ebenfalls unter Mikrogravitation. Ein höheres Schlagvolumen hebt den systolischen Blutdruck an; der arterielle Blutdruck nimmt während der ersten Tage ab. In die Kontrolle des Kreislaufs greifen im Carotissinus gelegenene Barorezeptoren (Pressorezeptoren) ein. Barorezeptoren befinden sich in zwei Arterien des Körpers, zum einen im Aortenbogen, zum anderen in den Halsschlagadern. Sie messen ständig den Blutdruck und greifen rasch regulierend in die Herzschlagfrequenz ein, wenn sich der Blutdruck verändert. Ihre Leistungsfähigkeit ist während eines Flugs abgeschwächt. Eine arterielle Druckänderung, die auf der Erde eine Schlagfrequenz einer bestimmten Höhe bedingt, löst unter Schwerelosigkeit eine geringere Antwort aus. Trotz dieser Änderungen ist der Kreislauf (Blutkreislauf) während eines Raumflugs in sich stabilisiert. Unregelmäßigkeiten treten nur bei besonderen Belastungen, wie z.B. einem Ausstieg aus dem Raumschiff in den Weltraum ( vgl. Abb. 7 ), auf.
Die Atmung ist durch eine 15%ige Abnahme des Atemvolumens (Atemminutenvolumen), aber gleichzeitig auch durch einen 15%igen Anstieg der Atemfrequenz gegenüber Erdbedingungen gekennzeichnet. Diese Änderungen normalisieren sich innerhalb einer Woche. Die CO2-Konzentration (Kohlendioxid) zu Ende der Ausatmung (Alveole, Atemmechanik, Blutgase, Exspiration) ist normal, wenn der CO2-Pegel innerhalb des Raumschiffs normal ist.
Eine wesentliche Beeinträchtigung erfahren Raumfahrer nach Beendigung des Raumflugs. Bei 70% von ihnen besteht eine Unfähigkeit, den Blutdruck stabil zu halten und für länger als 5 bis 10 min aufrecht zu stehen (orthostatische Intoleranz). Das Ausmaß dieser Anfälligkeit ist variabel und hängt von der Dauer des Flugs und interindividuellen Empfindlichkeiten ab. Hinzu kommt eine geringe Belastungsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit auf zu absolvierende Versuche. Nach Flügen von bis zu einem Monat Dauer findet eine Erholung innerhalb eines Tages statt; bei längeren Flügen verlängert sich diese Zeit. Diese Beobachtungen, die schon nach den ersten Weltraumflügen gemacht wurden, führten zur Entwicklung von Übungsprogrammen, die während eines Raumflugs zu erledigen sind (Fahrrad; Krafttraining). Der Erfolg solcher Maßnahmen ist nicht sicher, weswegen in amerikanischen Programmen im Gegensatz zu russischen solche Übungen nicht zwingend vorgeschrieben sind. Der Tatbestand aber, daß fehlende Schwerkraft solche Nachwirkungen hervorruft, führte zu anderen technischen Entwicklungen. Ein Weg ist die von der Deutschen Raumfahrtbehörde (DLR) entwickelte Unterdruckkammer (Lower Body Negative Pressure Device, LBNP), durch die eine Erdanziehung durch die künstliche Erzeugung eines Unterdrucks von 10 bis 50 mmHg in der unteren Körperhälfte vorgetäuscht werden soll.

Vestibuläres System
, Gleichgewichtssinn und Raumorientierung: Weltraumflüge sind für die Untersuchung solcher Systeme geeignet, bei denen der sensorische Eingang von der Schwerkraft abhängt, wie beim Gleichgewichts- und Lagesinn (Kinästhesie, Bewegungslernen), der Bewegungs- (Bewegung) und Haltungskontrolle und der Wahrnehmung der Raumkonstanz. Bis auf eine Zunahme der Anzahl synaptischer Kontaktstellen in den Macula-Haarzellen und eine Reduktion GABA-erger Projektionen des Cerebellums (Kleinhirn) auf die Vestibularkerne (vestibuläres System) ändert sich bei Mikrogravitation-exponierten Ratten morphologisch wenig in der vestibulären Sinnesbahn. Dennoch kann das Macula-System unter Mikrogravitation seine Empfindlichkeit steigern (physiologische Aktivität des 8. Hirnnervs [Statoacusticus] beim Austernfisch [Opsanus tau;Foschfische], statischer vestibulookularer Reflex beim Barsch Oreochromis mossambicus; Lageempfindung bei Astronauten).
Bei Bewegungen im schwerelosen Raum entfällt der stabilisierende Einfluß der Oben-unten-Differenzierung. Zusätzlich ändern sich wegen des Wegfalls der Schwere die Trajektorien von Fall- oder Flugbewegungen anderer Objekte. Die Geschwindigkeit eines angestoßenen und sich parallel zur Körperachse einer Person bewegenden Objekts ist unter Schwerelosigkeit konstant; auf der Erde dagegen fällt dieser Gegenstand mit wachsender Geschwindigkeit. Änderungen der zentralnervösen Vorausberechnung beim Abschätzen dieser Bewegungen (Prädiktion) sind die Folge. Zusätzlich nimmt die Genauigkeit zielgerichteter Bewegungen im Orbit ab, wenn sie mit der gleichen Geschwindigkeit wie auf der Erde erledigt werden. Die Analyse der Mechanismen prädiktiver und zielorientierter Leistungen unter Schwerelosigkeit ist zur Entwicklung geeigneter Trainingsmethoden für das Arbeiten im Orbit erforderlich.

Entwicklung sensorischer, neuronaler und motorischer Systeme: Die Schwerkraft nimmt Einfluß auf frühe Phasen während der Embryonalentwicklung wie etwa die Ausbildung der dorsoventralen Polarität (dorsoventrale Achse, dorsoventale Musterbildung) direkt nach der Befruchtung. Unter Mikrogravitation bildet sich allerdings die Zell-Polarität normal aus. In einzelnen Fällen bleiben morphologische Änderungen während der Entwicklung, wie etwa die Verdickung des Blastocoeldaches (Xenopus laevis, afrikanischer Krallenfrosch) oder eine beschleunigte Zell-Proliferation (Großhirnrinde von Mäusen), ohne Einfluß auf die weitere Entwicklung. In anderen Fällen kann es zu bedeutenden Änderungen kommen, wie z.B. zur Ausbildung um so einfacherer Muster der motorischen Endverzweigungen an Fasern gewichtstragender Muskeln, je länger der Raumflug dauerte, oder zur Vermehrung der Zahl von Statoconien (mechanische Sinne) in der Statocyste (Schnecke Biomphalaria glabrata; SchwertträgerXiphophorus helleri). Die während der Spacelab-Ära möglichen Mikrogravitation-Expositionszeiträume erlauben jedoch noch keine Aussage über die Beständigkeit dieser Veränderungen. Bei der Entwicklung schwerkraftabhängiger Verhaltensweisen ( vgl. Abb. 8 ) sind artspezifische Unterschiede bekannt. Während der postembryonalen Entwicklung verursacht Mikrogravitation eine Zunahme (Fisch Oreochromis) oder Abnahme (Xenopus laevis) der Empfindlichkeit des statischen vestibulookularen Reflexes; sie bleibt bei dem dem vestibulookularen Reflex analogen kompensatorischen Kopfrollen der Grillen dagegen unverändert ( vgl. Abb. 9 ). Demgegenüber nimmt die Empfindlichkeit eines Neurons, das in dieses Verhalten der Grille integriert ist, während des Schwereentzugs ab.
Seit den Untersuchungen von T.N. Wiesel und D.H. Hubel zur Reizdeprivation am visuellen System ist die Existenz kritischer Phasen in der postembryonalen Entwicklung sensorischer, neuronaler und motorischer Systeme bekannt. Kritische Perioden lassen sich erkennen, wenn die Morphologie sowie die physiologische und perzeptorische Leistung des betroffenen Systems nach Ende der Entzugsperiode getestet werden. Die Exposition in Mikrogravitation bei mehrtägigen Raumflügen während der postembryonalen Entwicklung von Tieren bietet die Möglichkeit, den Deprivationsansatz auch beim Schweresinn zu nutzen. Selbst wenn die Zahl der bisher untersuchten Entwicklungsstadien für ein abschließendes Urteil zu gering ist, kann von der Existenz kritischer Entwicklungsperioden für schwereabhängige Verhaltensweisen, wie etwa dem statischen, vestibulookularen Reflex (Oreochromis, Xenopus) oder dem reflektorischen Umdrehen aus der Rücken- in die Bauchlage (Ratte), ausgegangen werden.

Anpassung an Mikrogravitation und Rückanpassung an die normale Erdschwere: Die Anpassungskinetik an die Bedingungen der Mikrogravitation (μg-Adaptation) ist organspezifisch. Am schnellsten adaptiert das vestibuläre System an einen Mikrogravitation-spezifischen Sollwert, gar nicht dagegen das Skelettsystem und sein Calcium-Metabolismus (Calciumstoffwechsel), so daß es sich auf einen pathologischen Zustand hin bewegt ( vgl. Abb. 10 ). Die Anpassung folgt nicht immer einer Sättigungskennlinie, sondern kann über den typischen Mikrogravitations-Sollwert hinausschießen. Ist diese Übersteuerung zu stark, treten für einige Tage klinische Symptome auf, z.B. Raumkrankheit bei einer Übersensitivierung des vestibulären Systems. Die physiologische Rückanpassung nach einem Raumflug an die Erdschwere (1g-Readaptation) führt mit Ausnahme osteoporotischer Erscheinungen zu einer vollständigen Normalisierung, selbst während der postembryonalen Entwicklung. Auch diese Zeitspannen sind organ- und artspezifisch und reichen von Stunden bis hin zu mehreren Wochen.

Pflanzen: Studien an Pflanzen betreffen 3 große Themenkreise: 1) den Anbau unter Weltraumbedingungen, um genügend viele Pflanzen für Experimente und zur Ernährung von Astronauten zur Verfügung zu haben ( vgl. Infobox 3 ), 2) die Entwicklung, das Wachstum und den Stoffwechsel sowie 3) die Orientierungsreaktionen bezüglich des Schwerevektors (Gravitropismus bei Mehrzellern, Gravitaxis bei Einzellern).
Entwicklung, Wachstum und Stoffwechsel: Pflanzen unter Schwerelosigkeit zur Entwicklung und Fruchtbarkeit zu bringen, wird durch 2 physikalische Faktoren behindert, die eine mangelhafte Ernährung verursachen, 1) die fehlende Konvektion, wodurch wegen des Ausbleibens von Luftströmungen die zur Photosynthese erforderliche CO2-Versorgung und die Transpiration reduziert wird, und 2) das Bestreben des Wassers, sich unter Schwerelosigkeit nicht gleichmäßig im Raum zu verteilen, was eine ungleiche Sauerstoffverteilung und somit eine Verschlechterung der Wurzelbelüftung bedingt. Bei erfolgreicher Samenbildung unter Schwerelosigkeit, was bei Arabidopsis (Schmalwand) und Brassica rapa (Kohl) gelang, waren die Pflanzen der F1-Generation (Filialgeneration) kleiner als diejenigen, die aus auf der Erde gewonnenen Samen aufwuchsen. Weitere Mikrogravitation-bedingte Beeinträchtigungen umfaßten chromosomale Abnormalitäten in den Wurzelzellen, eine mangelnde Regenerationsfähigkeit der Kappenzellen von Wurzeln und ein modifiziertes Stärke/Zucker-Verhältnis. Hinderlich für das Wachstum ist auch Ethylen, das sich unter Mikrogravitationsbedingungen in Zuchtkammern anreichert.
Gravitropismus: Die Ausrichtung einer vielzelligen Pflanze bezüglich des Schwerevektors wird Gravitropismus (früher: Geotropismus) genannt. Der Stamm wächst negativ, die Wurzel positiv gravitropisch. Eine Lageänderung der Pflanze löst eine korrigierende Wachstumsreaktion aus. Gravitropismus ist die am intensivsten untersuchte physiologische Leistung der Pflanzen. Erdgebundene Versuche mittels Klinostaten führten zu Hypothesen über die dem Gravitropismus zugrundliegenden Mechanismen, die aber erst durch die unter Mikrogravitationsbedingungen durchgeführten Experimente bewiesen werden konnten. – Bei der gravitropischen Orientierung laufen mehrere Schritte hintereinander ab. Der Erkennung der durch die Schwerkraft gegebenen Referenzrichtung (Perzeptionsphase) folgt über biochemische oder strukturelle Veränderungen (Transduktions- und Translokationsphase) die Umsetzung in die Reaktion, die sich als ein ungleiches Längenwachstum von um den Sproß oder die Wurzel angeordneten Zellen äußert (Reaktionsphase). In einigen Pflanzen wie der Grünalge Chara (Characeae) oder dem Moos Ceratodon laufen diese Prozesse in einer einzelnen Zelle ab. Bei Höheren Pflanzen stärken die unter Mikrogravitation durchgeführten Versuche die Hypothese, daß die Sedimentation der Amyloplasten in den Zellen der Wurzelspitze der entscheidende Perzeptionsmechanimus ist. Unter Mikrogravitation bleibt diese Sedimentation aus ( vgl. Abb. 11B ). Es ist noch unklar, ob sedimentierende Amyloplasten mit intrazellulären Strukturen, wie z.B. dem endoplasmatischen Reticulum, interagieren müssen oder ob durch ihre Lageveränderung Spannungen in dem Cytoskelett auftreten, die sich auf die Plasmamembran übertragen. Eine Schwereempfindlichkeit der Wurzelspitzen besitzt auch eine stärkelose Mutante von Arabidopsis. Es ist daher nicht auszuschließen, daß auch die Sedimentierung anderer Zellorganellen zur Schwereperzeption beiträgt, allerdings mit unterschiedlicher Wichtung. Das Rhizoid der Grünalge Chara, eine einzelne Zelle, die die Alge im Boden verankert, nutzt die Sedimentation von Bariumsulfat-haltigen Vesikeln (Statolithen). Durch diese Sedimentation wird in der gegenüberliegenden Zellwand ein verstärktes Wachstum induziert und so das zum Erdmittelpunkt gerichtete Wachstum ermöglicht. Die Wachstumssteigerung beruht darauf, daß Vesikel mit Zellwandmaterial durch die Statolithen am Einbau gehindert werden und darum verstärkt auf der gegenüberliegenden Zellflanke entladen werden. Diese Statolithen werden durch ein Netz von Actinfilamenten, dessen Zugkräfte der Schwere entgegenwirken, 10–30 μm von der Spitze des Rhizoids entfernt gehalten. Unter Mikrogravitation kommt es daher zu einer weiteren Abstandsvergößerung dieser Statolithen von der Rhizoidspitze ( vgl. Abb. 11A ). Während bei dem einzelligen Rhizoid die Amyloplasten durch einfache Verdrängung ein ungleiches Zellwachstum erzeugen, wird bei vielzelligen Pflanzen der Druck der Amyloplasten gemessen und führt zu einer Polarisierung der gereizten Zellen. Die primären Reizwahrnehmungen leiten den Transduktionsprozeß ein, der in den Perzeptionszellen ein biochemisches Signal induziert, das zu dem Ort der Reaktion geleitet wird (Translokation). Bei Höheren Pflanzen ist dieses Signal wahrscheinlich das Pflanzenhormon Auxin, denn Auxin-Inhibitoren (Auxinantagonisten) blockieren sowohl im Sproß wie auch in der Wurzelspitze eine gravitropische Reaktion. Die Reaktionsphase schließlich ist durch einen asymmetrischen Gradienten von Auxin gekennzeichnet mit mehr Auxin auf der unten liegenden Seite. Bemerkenswert ist, daß Auxin im Sproß eine wachstumsfördernde Wirkung besitzt und somit ein Aufrichten des Sprosses bedingt, während es in der Wurzelspitze das Wachstum hemmt und dadurch ein Abknicken der Wurzelspitze nach unten ermöglicht. Dieser Unterschied geht auf eine unterschiedliche Auxinempfindlichkeit des Gewebes zurück – Auxinkonzentrationen, die im weniger empfindlichen Sproß noch eine Verstärkung des Wachstums bewirken, sind in der empfindlicheren Wurzel schon überoptimal und rufen eine Hemmung des Zellwachstums hervor.

Protozoen: Protozoen (Einzeller) sind eukaryote Zellen (Eucyte) und eignen sich besonders für die Analyse intrazellulärer Mechanismen bei Orientierungsreaktionen (Orientierungsbewegungen). Die Orientierungsreaktion gegenüber dem Schwerevektor wird bei ihnen als Gravitaxis bezeichnet. Die bei ihnen realisierten Mechanismen lassen 2 Typen erkennen, den Statolithen-Typ (Müllersche Vesikel bei Loxodes) und den Plasmadichte-Typ (Paramecium, Euglena). Die Unterscheidung ergibt sich aus Untersuchungen, nach denen Loxodes in einem Medium mit gleicher Dichte wie das Plasma normale Gravitaxis zeigt, während Paramecium und Euglena orientierungslos wurden. Unter Mikrogravitation verlieren dagegen beide Typen die Fähigkeit zur Gravitaxis ( vgl. Abb. 5 ). Gemein sind ihnen auch die Beteiligung von Ionenkanälen der Zellmembran, die niedrige Schwelle von etwa 10% der normalen Erdschwere zur Auslösung der Geotaxis sowie das Fehlen von Anpassungserscheinungen (z.B. durch Empfindlichkeitssteigerungen, vgl. vestibuläres System von Wirbeltieren) an die Mikrogravitationsbedingungen.

Geschlossene, ökologische Lebenserhaltungssysteme

Leben im Weltraum erfordert die Schaffung von Lebenserhaltungssystemen ( vgl. Infobox 3 ), die gegen den umgebenden Raum abgeschlossen sind. Das Raumschiff selbst ist solch ein System ebenso wie die Kammern für jede Tier- und Pflanzenhaltung. Wegen der Kürze und Erdnähe aller bisherigen Flüge und ihrer Experimente war ausreichende Nahrungsmenge zu Beginn des Flugs vorhanden oder wurde, wie bei der Mir, durch Versorgungsschiffe nachgeliefert. Solche ökologisch offenen Systeme sind für interplanetare Flüge sowie wegen der Wirtschaftlichkeit bei erdnahen Flügen von mehr als 2,6 Jahre Dauer unzureichend. Die Nahrungsproduktion muß dann in einem in sich vollkommen abgeschlossenen, ökologischen Lebenserhaltungssystem erfolgen, in dem ein stabiles Gleichgewicht zwischen Produzenten und Konsumenten besteht. Zu dieser Stabilität tragen Mensch, Tier, Pflanze und Mikroorganimus gleichermaßen bei. Die notwendige Energie stammt aus dem Weltraum. Das Biosphären-Projekt von Arizona (Biosphäre 2) zeigte allerdings, wie schwer die Etablierung einer inneren Stabilität ist.
Das einzige geschlossene, ökologische Lebenserhaltungssystem, das bisher im Weltraum getestet wurde, ist das CEBAS-Modul (Closed Equilibrated Biological Aquatic System), ein von der deutschen Weltraumbehörde DLR entwickeltes, sich selbst-stabilisierendes Frischwasser-Habitat von 8,6 l Volumen. In ihm bilden Fische (Schwertträger Xiphophorus helleri), Schnecken (Biomphalaria glabrata) und Mikroorganismen als Verbraucher sowie Pflanzen (Hornblatt Ceratophyllum demersum [Hornblattgewächse]) und Algen als Produzenten eine Lebensgemeinschaft. Wasserqualität, Temperatur, Sauerstoffkonzentration und Lichtbedingungen werden elektronisch überwacht. Jede Art erfüllt 2 Aufgaben: sie ist sowohl integraler Bestandteil zur Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts als auch Versuchsorganismus für die gravitationsbiologische Grundlagenforschung. – Die Entwicklung von Großsystemen dieser Art muß Technologien des Wasser-, Nährstoff- und Gas-Recyclings einbeziehen. Zusätzlich ist eine Dauerhaltung geeigneter Pflanzen über Generationen unabdingbar, denn neben der Nahrungsproduktion sorgen Pflanzen für die Wasser- und Luftreinigung. Die Anbaufläche, die zur Versorgung eines Astronauten benötigt wird, wird auf etwa 10 m2 geschätzt. Die Methoden des Pflanzenanbaus im Weltraum hat man noch nicht im Griff, da nicht immer Samen gebildet werden. Gute Haltungsmöglichkeiten bestehen für Algen; ihre Nutzung als Nahrung scheitert jedoch an geeigneten Zubereitungsarten. Neben technischen Problemen ist die Kontamination durch chemische Abbauprodukte (Ethylen) eine der Hauptursachen des geringen Ertrags. Bis 1997 führte die amerikanische Weltraumbehörde NASA Projekte zur Entwicklung von Kultivierungsmethoden und von Lebenserhaltungssystemen in dem CELSS-Programm (Closed Ecological Life Support System Program) durch und setzte dabei unterschiedlich große Kultivierungskammern (Minitron Plant Life Support System) ein. 1997 wurden CELSS und die nicht-biologischen Programme zur Entwicklung von Lebenserhaltungssystemen zu dem ALS-Programm (Advanced Life Support Program) zusammengefaßt, um die technischen Probleme zu überwinden.

Zukunft gravitationsbiologischer Forschung – Die Eroberung des Weltraums

Nach Beendigung der erfolgreichen Apollo-Mond- und Spacelab-Programme ist die Nutzung der Internationalen Raumstation ISS ein weiterer Meilenstein in der Eroberung des Weltraums. Biologische und medizinische Forschung auf ISS bereiten 2 Großprojekte vor: 1) den Marsflug und damit den ersten Langzeitflug in den Weltraum hinein und 2) den Weltraumtourismus, der mit dem Wechsel zum 3. Jahrtausend in den USA, Japan und Europa zunehmendes Interesse weckte. In ihm wird ein wirtschaftliches Potential im Multi-Milliarden-Bereich gesehen, während der Flug zum Mars als öffentliche Angelegenheit betrachtet wird mit einem jährlichen Kostenbedarf von 2,6 Milliarden Dollar. Beide Großvorhaben erfordern Grundlagenforschung über die Wirkung von Kurz- und Langzeitexposition auf Organismen. Aus biologischer Sicht kann ein kurzer Aufenthalt im Weltraum im Umfeld des Tourismus problematischer sein als ein langer während eines interplanetaren Fluges, da langsame Adaptationsprozesse aktiviert, aber nach Rückkehr des Touristen zur Erde nicht zu Ende geführt werden. Die Folge sind nachhaltige physiologische Beeinträchtigungen.
Ein Flug zum Mars und damit seine „Eroberung“ ist aus biologischer Sicht wenig verständlich, da ein freies Leben auf seiner Oberfläche wegen der fehlenden Atmosphäre unmöglich ist. Inwieweit er sich wirtschaftlich nutzen läßt, ist heute nicht zu sagen. Es gibt 2 Gründe, diesen Vorstoß in das All zu wagen: 1) die Beantwortung der Frage nach Lebensformen im All überhaupt (vgl. fossile Bakterien, die in dem Mars-Meteoriten ALH84001 nachgewiesen worden sein sollen – was aber nicht unumstritten ist; extraterrestrisches Leben), und 2) die Herausforderung an den Menschen, diese Aufgabe zu bewältigen und Mars und andere Planeten zu erobern. Nach erfolgreicher Durchführung von mehreren Marsflügen wird seine weitere Eroberung von einer kleinen, bemannten Basisstation, einem künstlichen Ökosystem, ausgehen. Studien zur Frage, wie sich die nur 0,4 g starke Gravitation auf den Organismus auswirkt, können während Parabolflügen und unter Nutzung der auf ISS installierten Großzentrifuge durchgeführt werden. Daneben gewinnt bei der Vorbereitung eines Marsflugs die Analyse sozialer Strukturen unter Extrembedingungen zunehmend an Bedeutung. Neben technischen Problemen wird in dem mehrmonatigem Zusammenleben von Menschen auf engstem Raum (Dichtestreß) ein großes Gefahren-Risiko gesehen, für dessen Beherrschung im Vorfeld von Langzeitflügen die geeigneten Methoden entwickelt werden müssen. Erfahrungen aus Expeditionen in Extrembereiche (Polarzone, Hochgebirge, Tiefsee; Extrembiotope) fließen in diese Forschung ein. Biologische Forschung zur grundsätzlichen Realisierbarkeit von Leben unter Weltraumbedingungen beinhalten auch die Einflüsse des Vakuums, der solaren UV- und der allgemeinen Raumstrahlung sowie der Wirkung extremer Temperatursprünge. Hilfestellung gibt die Forschung an Modell-Lebensformen, die solchen Extrembedingungen Widerstand leisten (kosmische Strahlung) wie etwa Bakterien heißer Quellen (Hydrothermalquellen) oder anaerobe Mikrobensysteme wasserführender Basaltschichten, die ihre lebenserhaltende Energie aus geochemischen Prozessen gewinnen. Solche Organismen können leben, auch wenn das Leben auf der Erdoberfläche ausgelöscht wäre; sie sind somit Modell-Kandidaten für ein Leben auf dem Mars. Geobiophysik.

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Abb. 1: Bild des Space-Shuttle (Orbiter), in der Bildmitte (Aufdruck esa) das eigentliche bemannte Laboratorium (Spacelab), rechts davon eine Palette (geöffnet)



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Abb. 2: Die ca. 420 t schwere Internationale Raumstation ISS nahm im Herbst 2000 die ersten Astronauten für einen mehrmonatigen Aufenthalt auf und soll 2004 fertiggestellt sein.



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Abb. 3: Experimentelle Methoden, die im Bereich der Gravitationsbiologie unentbehrlich sind. a Ein gekammertes, aber in sich geschlossenes Lebenserhaltungssystem (CEBAS), in dem Fische unterschiedlichen Alters, Pflanzen, Schnecken und Mikroorganismen eine Lebensgemeinschaft bilden, die weitgehend selbsterhaltend ist. Dieses System flog auf 3 Shuttle-Missionen während der Jahre 1998 bis 2001. b Zufalls-Klinostat, mit dem auf der Erde Schwerelosigkeit mit Bezug auf das Ausschalten ihrer Richtungskomponente simuliert werden kann. cZentrifuge, mit der lineare Beschleunigungen und Winkelbeschleunigungen erzeugt werden. Beide Reizformen sind notwendig, um die Leistungen des Vestibularsystems und die zugrundliegenden Mechanismen zu erforschen. Ein der hier abgebildeten Zentrifuge ähnliches Modell flog 1998 während der Neurolab-Mission im All.



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Abb. 4: Biorack-Typ-I-Container mit auf ihr Innenvolumen angepaßten Teilgeräten für verschiedene Experimente. Der Typ-I-Container ist ein Standard-Experimentträger mit den Außenmaßen 91×58×24 mm. Nahezu alle in Biorack geflogenen Experimente, die Zellkulturen bis hin zu Frosch- und Fischjunge nutzten, mußten an diese Größe angepaßt werden.
aKultivierungskammern für Zelluntersuchungen zusammen mit einer Darstellung der Dichtungen und Einzelkammern, bMiniaquarium zum Transport von kleinen Wassertieren zusammen mit dem für einen optimalen Luftaustausch angepaßten Typ-I-Container.



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Abb. 5: Verlust der Orientierungsfähigkeit von Pantoffeltierchen (Paramecium) unter den Bedingungen der Mikrogravitation (während zweier ballistischer Raketenflüge durchgeführte Experimente). Negative Geotaxis unter 1 g-Bedingungen vor dem Flug (a, d), 1 s nach Mikrogravitationsbeginn (b, e; durch die Rotation der Rakete verursachte Restorientierung) und 80 s nach Mikrogravitationsbeginn (c, f; keine geotaktische Vorzugsrichtung erkennbar).



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Abb. 6: Das Erscheinungsbild der Osteoporose und seine Entstehung unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit. A Ein osteoporotisches (oben) und ein normales Knochenbild (unten). B Mangelhafte Mineralisierung des Knochens, der sich (a) aus einem Rudiment 4 Tage lang unter Schwerelosigkeit entwickelte (c), im Vergleich zu einem unter 1 g-Bedingungen gewachsenen Knochen (b) aus einem gleichartigen Rudiment. Der geringere Umfang an Mineralisierung des unter Mikrogravitation gewachsenen Knochens ist an dem kleineren dunklen Fleck, die mineralisierte Diaphyse, erkennbar.



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Abb. 7: „Weltraumspaziergang“ des Astronauten Bruce McCandless (1984).



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Abb. 8: Kompensatorische Kopf- und Augenbewegungen bei passiven Lageänderungen. Eine Seitwärtsrolle um den Winkel γ löst eine Augen- oder Kopfbewegung um den Winkel α in die Gegenrichtung aus. Die Beziehung zwischen γ und α ist in der Regel sinusförmig.
Oben: Der statische vestibulookulare Reflex, der durch die Reizung des Maculaorgans im Utriculus des häutigen Labyrinths von Wirbeltieren ausgelöst wird. Unten: Die kompensatorische Kopfbewegung von Grillen, die durch Reizung der kolbenförmigen Sensillen auf den Cerci des Abdomens ausgelöst wird. Ein ähnliches Verhalten zeigen auch andere Insekten. Die Buchstaben geben die verschiedenen Referenzlinien an: B = Augenbecherrand, L, R = linkes, rechtes Auge, H = Kopfhochachse, T = Thoraxhochachse, V = Raumvertikale.



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Abb. 9: Raumlageabhängige kompensatorische Kopf- und Augenbewegungen nach Beendigung eines mehrtägigen Raumflugs von Grillen, Fischen und Amphibien, die sich zum Startbeginn noch im Embryonalstadium befanden. In der Regel besteht zwischen der Stärke der kompensatorischen Bewegung und der Größe des Rollwinkels eine sinusförmige Beziehung. Bei der Grille (Hausgrille, Heimchen, Acheta domesticus) wird der kompensatorische Kopfreflex nicht beeinflußt. Bei Fischen (Oreochromis mossambicus) verstärkt sich der vestibulookulare Reflex, erkennbar an der stärkeren Auslenkung der Sinusfunktion. Beim Krallenfrosch (Xenopus laevis) wird der vestibulookulare Reflex abgeschwächt, erkennbar an der geringeren Auslenkung der sinusähnlichen Reflexkennlinie.



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Abb. 10: Anpassungskinetiken verschiedener Organsysteme an die Bedingungen der Schwerelosigkeit. Ausgangspunkt ist der Zustand unter Erdschwere (1 g-Sollwert). Die Anpassungsmechanismen können aufgrund ihrer Dynamik zu einem kurzfristigen Überschreiten einer kritischen Schwelle führen, wodurch pathologische Zustände ausgelöst werden. Bei der Anpassung des Vestibularsystems kann auf diese Weise vorübergehend die Raumkrankheit hervorgerufen werden.



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Abb. 11: Verlagerung der Statolithen in pflanzlichen Zellen in der Schwerelosigkeit. A Spitze des Rhizoids der Armleuchteralge Chara 187 s vor sowie 122 s und 394 s nach Beginn der Schwerelosigkeit. B Schnitte der Statocystenzellen von Linsenwurzeln vor sowie nach 13-, 29-, 46- und 122-minütiger oder mehrtägiger Schwerelosigkeit, auf denen die zunehmend gleichförmige Verteilung der Amyloplasten (a; = Statolithenstärke) innerhalb der Zelle mit zunehmender Dauer der Mikrogravitation sichtbar wird. Die Orientierung der Wurzel wird aus der Lage der proximalen (pw), longitudinalen (lw) und distalen Zellwand (dw) ersichtlich. N = Zellkern.

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