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Anwendungen II: Peilstation in der Westentasche

Von der Lokalisierung eines Unfalls bis zur Restaurantempfehlung – Handy-Ortung soll es möglich machen.


Unfall mit Schwerverletzten, schicken Sie Feuerwehr und Notarzt!" Ein Notruf per Handy kann Leben retten. Um die Helfer gezielt zum Unfallort zu lenken, sollen die Mobilfunkbetreiber in den USA ab diesem Monat ihre Kunden auf 125 Meter genau orten können. Europäische Gesetzgeber dürften in den kommenden Jahren vergleichbare Auflagen erlassen.

Not- und Pannenhilfe sind die eine Seite der Medaille "Handy-Ortung", auf der anderen stehen jede Menge nützliche "lokale und personalisierte Dienste". Wo finde ich in meiner Nähe einen Schallplattenladen? Wo ein gutes China-Restaurant, einen Friseur? Wie entwickelt sich das Wetter an meinem momentanen Aufenthaltsort? Und natürlich: Wie komme ich um den Stau herum, vor dem mich mein Handy gerade gewarnt hat? Zu solchen praktischen Hinweisen kommt der Nutzen etwa für Logistikunternehmen, die jederzeit die Handys ihrer Fahrer und damit deren Standort lokalisieren können.

Manches kann schon der derzeitige Funkstandard GSM: Anhand der Kennung der Basisstation, die das Handy-Signal weiterreicht, der "Cell-ID", ermittelt beispielsweise Viag Interkom die Position des Besitzers mit einer Genauigkeit, die der Maschenweite des Netzes entspricht. In Ballungsräumen stehen die Stationen in Abständen von etwa 300 Metern, in ländlichen Gebieten sind es bis zu 35 Kilometer.

Das sind aber nur Best-Case-Werte für die Ortung, denn es kommt durchaus vor, dass ein Mobiltelefon beispielsweise aufgrund von Abschattungen oder Reflexionen der Signale nicht von der nächstliegenden Antenne versorgt wird. Das künftige engere Netz der UMTS-Antennen wird die Genauigkeit zwangsläufig verbessern, insbesondere wenn das Handy in Innenstädten mit bis zu sechs Basisstationen Kontakt aufnimmt – die Position ergibt sich dann aus dem Schnittpunkt der Versorgungsgebiete; Techniker sprechen von der "Enhanced Cell-ID". Die höhere Bandbreite der UMTS-Signale – fünf Megahertz gegenüber 200 Kilohertz bei GSM – ermöglicht ebenfalls eine genauere Ortung. Je größer die Bandbreite, desto schärfer ist nämlich der Anstieg der Signale und desto weniger werden sie durch das überlagerte Rauschen verschmiert. Im Idealfall gelingt so eine Lokalisierung auf wenige Meter genau.

Weil bei UMTS größere Datenpakete schnell transferiert werden können, lassen sich aber noch anspruchsvollere Verfahren mit höherem Datenaufwand zur Positionierung einsetzen. Beispielsweise kann man aus der Laufzeit der Signale auf den Abstand zwischen Sender und Empfänger schließen. Die Genauigkeit, mit der die Laufzeit bestimmt werden muss, ist allerdings erheblich: Zehn Meter Ortsunterschied entsprechen 30 Nanosekunden Laufzeitdifferenz. Auch der Abfall der Signalamplitude lässt Rückschlüsse zu, etwa nach der Faustformel "Je länger die Signale unterwegs sind, desto stärker werden sie gedämpft".

Doch jedes Objekt in der Nähe des Telefons verfälscht sie bereits, inklusive dem Nutzer selbst. Deshalb müssten zumindest mehrere Messungen gemittelt werden. Die erreichbare Genauigkeit liegt dabei bei bestenfalls 70 Metern. Schließlich wäre es auch möglich, über Richtantennen die Ankunftswinkel der Datenpakete von verschiedenen Sendern zu verwenden und über Triangulation seinen Ort zu bestimmen. Doch bei allen drei Verfahren stören Wettereinflüsse und Reflexionen, verlässliche Werte gibt es nur bei freier Sicht auf mehrere Sender.

Zum Glück steht die Abhilfe schon parat: Eine als "Enhanced Observed Time Difference" (E-OTD) bezeichnete Methode misst nicht die Laufzeit, sondern die Laufzeitdifferenzen der Signale von mindestens drei Basisstationen; das Mobiltelefon muss dazu zwar technisch aufgerüstet, aber nicht aufwändig mit diesen Stationen synchronisiert werden. Denn die Gangunterschiede der Senderuhren werden durch zusätzliche Eichstationen korrigiert, die sich in bekannten Abständen von den Sendern befinden. Sie messen den Gangunterschied der Senderuhren. Damit kann ein Zentralrechner die vom Handy gemeldeten Zeitdifferenzen korrigieren.

Auf diese Weise lässt sich der Standort im UMTS-Netz auf 20 Meter genau eruieren. Damit immer Kontakt zu mehreren Sendern besteht, müssen die Netzbetreiber aber in die Infrastruktur investieren. "Das Netz der Basisstationen muss etwa um den Faktor Drei feinmaschiger werden", erklärt Prof. Bernd Eissfeller von der Universität der Bundeswehr in München, "das kostet hier zu Lande pro UMTS-Netz etwa zwei bis vier Milliarden Euro. Zusätzlich brauchen wir rund 7000 Eichstationen, gleich 50 bis 70 Millionen Euro".

Eine Alternative bietet die Kopplung mit dem Global Positioning System (GPS). Seit letztem Jahr stehen die Signale der zugehörigen amerikanischen Satelliten auch dem zivilen Nutzer weltweit unkodiert und zum Nulltarif zur Verfügung. GPS bietet eine Ortung auf etwa zehn Meter genau, vorausgesetzt auf mindestens drei der 24 Satelliten ist die Sicht frei. Mobile GPS-Receiver können aus den Laufzeiten der Satellitensignale ihre Position berechnen, was aber Minuten dauert und energieintensiv ist. Praktikabler ist das "Assisted GPS", bei dem fest installierte GPS-Receiver die Gangunterschiede der Satellitenuhren und atmosphärische Einflüsse korrigieren.

Das erste GSM-Handy mit eingebautem GPS-Chip brachte kürzlich die finnische Firma Benefon auf den europäischen Markt. Kaum größer als ein herkömmliches Mobiltelefon kann es dem Outdoor-Freak jederzeit die Position nennen und dank eingespeicherter Landkarten den Weg weisen. Sollte er dennoch verloren gehen, sendet es auf Knopfdruck ein "SOS" mit Angabe der Position. Europa plant derzeit ein eigenes, zivil kontrolliertes Navigationssystem namens GALILEO.

"Auf lange Sicht werden die Netzbetreiber die drei standardisierten Verfahren Cell-ID, E-OTD und Assisted GPS miteinander kombinieren", prognostiziert Stefan Kühn, Product Manager bei Siemens. Zunächst wird es allerdings wohl nur die erstgenannte Technik für jedermann geben. Der große Aufwand für eine Weiterentwicklung wird sich erst dann lohnen, wenn genügend Kunden für die neue Welt des Findens – und Gefunden-Werdens – zu begeistern sind.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2001, Seite 84
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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