Das große Hungern
Nicht ohne Grund trägt die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen FAO den lateinischen Satz Fiat Panis (zu deutsch: es werde Brot) in ihrem Logo. Denn wir haben ein Problem und es wird täglich größer. Die Weltbevölkerung wächst und mit ihr der globale Hunger. Die Lebensmittelproduktion muss bis 2050 um mindestens 70 Prozent steigen, um bis dahin weitere 2,3 Milliarden Menschen ernähren zu können, rechnet die FAO vor.
Gleichzeitig benötigt die Wirtschaft zukünftig mehr und mehr Flächen für die eigene Produktion. Die chemische Industrie und die Pharmaindustrie nutzen vielfach schon heute Pflanzen als Ausgangsmaterial für ihre Produkte. Denn Pflanzen sind nicht nur Nahrungs- oder Futtermittel, sondern dienen mittlerweile als Kohlenstoffquelle, in der ein Teil der Sonnenenergie gespeichert ist. Und die kann als Treibstoff nützlich sein oder als Ausgangsstoff für Medikamente und andere Chemikalien. Die Biosprit-Debatte der vergangenen Monate – Stichwort "Teller oder Tank" – war erst der Anfang. Die Folge ist ein Interessenkonflikt zwischen Welthunger auf der einen und versiegenden Rohstoffen auf der anderen Seite.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Klimawandel ebenso wie weitere Umweltsünden des Menschen die Ackerbauflächen langfristig schrumpfen lassen. Der Weltklimarat (IPCC) schreibt in seinem Bericht aus dem Jahr 2007, dass der Meeresspiegel im Zuge des Klimawandels bereits im vergangenen Jahrhundert um 1,7 Meter angestiegen sei. Und das, obwohl die globale Durchschnittstemperatur seit 1950 gerade einmal um 0,6 Grad gestiegen ist.
Prognosen über den zukünftigen Anstieg des Meeresspiegels und des damit einhergehenden Landverlusts sind zwar mit Vorsicht zu genießen. Aber der Trend scheint klar: von Überschwemmung bedrohte Küstengebiete, Landflucht ins Landesinnere und Versalzung des Grundwassers. Es wird eng für den Acker, und die Erträge pro Fläche müssen in Zukunft gewaltig steigen.
Segensreiche Inzucht?
Der Trick: Inzuchtlinien, die sich über Generationen nur mit sich selbst bestäuben. Das Ergebnis sind Pflanzen, die durch die Inzucht degeneriert sind. Sie sind schwachwüchsig und die Erträge gering. Kreuzt man aber zwei solcher Inzucht-Linien, entstehen Hybriden, die extrem hohe Erträge liefern.
Aktuell forscht neben Deutschland vor allem China an der Hybrid-Technik. "Die Hälfte der chinesischen Reisfelder sind mittlerweile mit Hybridsorten bepflanzt – mit Mehrerträgen von über 30 Prozent", erzählt Melchinger. Der Effekt beruht auf der Heterosis. Dahinter verbirgt sich das Phänomen, dass zwei degenerierte Pflanzeneltern aus zwei verschiedenen Inzuchtlinien besonders kräftige Nachkommen hervorbringen.
Das hat direkte Auswirkungen auf die Erträge: Während Saatgutunternehmen mit gewöhnlichen Methoden Ertragszuwächse von jährlich etwa 1,5 Prozent erreichen, erhält der Bauer mit der Hybridtechnologie auf einen Schlag eine um rund ein Viertel höhere Ernte. "Die Heterosis kommt einem Quantensprung in der Züchtung gleich", urteilt Melchinger daher. Denn für einen solchen Züchtungserfolg benötige man normalerweise mindestens 20 Jahre.
Hybriden an der Front
Dabei sei das Wissen um die positive Wirkung der Heterosis keineswegs neu: Die ersten Hybriden kamen bereits 1928 in Amerika auf den Markt. Wenige Jahre darauf folgte eine Dürreperiode. In dieser Zeit hätten die Hybriden erstmals bewiesen, dass sie gewöhnlichem Saatgut deutlich überlegen seien, erklärt Melchinger weiter. Die Spezialsaat soll im Zweiten Weltkrieg sogar kriegsentscheidend gewesen sein, berichtet der Genetiker. Mit ihrer neuen Technik hätten die Amerikaner Überschüsse produzieren können, um so die damals verbündete UdSSR mit Nahrungsmitteln zu unterstützen.
Im Detail können sich Forscher noch nicht erklären, warum die Hybriden besonders hohe Erträge bringen. "Früher war man der Auffassung, dass es einzelne Heterosis-Gene gäbe, die vielleicht auch geklont werden könnten", erklärt Melchinger. Die Suche habe sich als Sackgasse herausgestellt. „Die Gene in Pflanzen agieren als Systeme, die mehr sind als deren Summe aller Einzelteile.“
Dank mathematischer Modelle und neuer Computersoftware können Wissenschaftler solche Systeme mittlerweile simulieren. "Statt herumzuprobieren, können wir heute mit Hilfe der Modelle Heterosis-Prozesse voraussagen und gezielt nutzen." Denn der Heterosis-Bonus stellt sich nicht automatisch ein. Für die Züchtung neuer Hybriden entwickeln die großen Saatzuchtfirmen für jede Elternseite jährlich jeweils 10.000 Inzucht-Linien.
Durch Kreuzung lassen sich damit theoretisch 100 Millionen Hybriden erzeugen. Von diesen kann natürlich nur ein Bruchteil angebaut und getestet werden. "Anhand der Genomanalyse können der Elternstämme könne wir die Hybriden mit den besten Eigenschaften vorhersagen und gezielt herstellen", so Melchinger. Dadurch sind auch robustere Pflanzensorten möglich. In Zukunft können so Sorten gezüchtet werden, die beispielsweise mit weniger Wasser oder höheren Temperaturen zurecht kommen.
Überlebensstrategie Heterosis
Die Heterosis sei eine wichtige Überlebensstrategie für viele Wildpflanzen, die man sich zu Nutze machen könne, meint Melchinger. "Kulturpflanzen auf dem Feld sind verwöhnt und wurden für optimale Bedingungen gezüchtet", so der Genetiker.
Wildpflanzen hingegen müssten mit Dürren zurechtkommen oder sich mit Krankheitserregern herumschlagen – also unter widrigen Bedingungen klar kommen. Hybriden seien daher nicht nur zur Ertragssteigerung gut, sondern auch um die Pflanzenwelt für den Klimawandel fit zu machen. Dies sei eine große Chance für Entwicklungsländer, die besonders unter den Folgen der Treibhausgas-Emissionen zu leiden haben, erklärt Melchinger.
Stellt sich die Frage, weshalb nicht alle Pflanzen auf diesen "Evolutions-Boost" zurückgreifen. Bei der Fremdbefruchtung sind immer mehrere Pflanzen für eine Befruchtung notwendig. Stehen keine Sexualpartner zur Verfügung, ist es für manche Pflanzenarten von Vorteil, sich selbst zu befruchten. Solche Selbstbefruchter sind etwa Weizen und Reis. Bei ihnen ist eine Befruchtung somit stets garantiert. Der Preis ist der Verzicht auf die Heterosis.
Hybridsamen für den afrikanischen Acker
Beim Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), der die grüne Gentechnik kritisch sieht, begrüßt man die Rückbesinnung auf traditionelle Züchtungsmethoden. Die Hybridzüchtung komme ohne grüne Gentechnik aus, so die NABU-Referentin für Agrogentechnik Steffi Ober, und es seien auch keine negativen Einflüsse auf die Umwelt zu erwarten. Allerdings hält sie Hybriden nur bedingt für die sogenannten Länder der Dritten Welt geeignet. "Hybriden sind eine viel versprechende Zuchtmethode, die besonders für die industrielle Landwirtschaft geeignet ist", sagt Ober.
Hierzulande, wo die Landwirtschaft hoch subventioniert sei, lohne sich der erhöhte Geldeinsatz. Anders sähe es zum Beispiel in Afrika aus: Ober plädiert für eine Weiterentwicklung "samenfester Sorten", die in einem vernünftigen Verhältnis von Kapitaleinsatz beim Anbau und Ertrag stünden. Unter samenfesten Sorten versteht sie Saatgut, das von den Landwirten nachgebaut werden kann. Damit ist gemeint, dass die Bauern aus den angebauten Pflanzen wieder fruchtbare Samen für die nächste Aussaat gewinnen können. Hybriden gehören allerdings nicht dazu, da bei der jeweils folgenden Pflanzen-Generation der zusätzliche Heterosis-Effekt wieder halbiert wird.
Bauern müssen also für jede Aussaat neue Samen nachkaufen. Landwirte in den Entwicklungsländern könnten so in eine massive Abhängigkeit von den großen Saatgutkonzernen getrieben werden, befürchtet Ober. Damit drohe ihnen durch Hybriden eine ähnliche Gefahr wie durch gentechnisch veränderte Pflanzen: Diese sind nämlich häufig nicht mehr in der Lage sich fortzupflanzen.
"Im ersten Moment hört es sich gut an, wenn sich Kulturpflanzen nachbauen lassen", sagt der Zuchtleiter Inland bei der KWS, Walter Schmidt. Allerdings gibt er zu bedenken: Wenn die Bauern nicht jedes Jahr neues Saatgut kauften, sei auch kein Geld für Züchtung da. Als Beispiel nennt er den Weizen, der in Deutschland aktuell zu etwa 60 Prozent von den Bauern selbst nachgebaut werde. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Weizen für Saatgutunternehmen nicht rentabel ist und sich Forschung nicht auszahlt.
"In den USA haben sich in den vergangenen 50 Jahren die Erträge von Weizen und Sojabohne etwa verdoppelt. Beides sind Selbstbefruchter, die man nachbauen kann", erklärt der Wissenschaftler. "Beim Hybridmais, den man nicht ohne Ertragseinbußen nachbauen kann, haben sie sich im gleichen Zeitraum hingegen verfünffacht. Hätten die Landwirte auch beim Weizen jährlich Saatgut kaufen müssen, so wie sie es beim Mais getan haben, und wären die Mehrerträge für Pflanzenzüchtung investiert worden, so hätte der Weizen heute vermutlich ein ähnliches Ertragsniveau wie der Mais", gibt Schmidt zu bedenken.
"In Anbetracht von Millionen hungernder Menschen sind die Versäumnisse ein Verbrechen an der Menschheit", folgert der Forscher aus seiner Annahme. Zumindest besäße die Menschheit heute eine völlig andere Lebensmittelversorgung, wären mehr Gelder in die "konventionelle" Züchtung der Selbstbefruchter gesteckt worden.
Gentechnik oder konventionelle Züchtung?
Jeder Euro kann natürlich nur einmal ausgegeben werden. Stellt sich also die Frage, wieviel Geld man für Gentechnologie und wie viel man für die konventionelle Züchtung, zu der auch die Hybridforschung gehört, ausgeben sollte. "Der Löwenanteil eines Züchtungsbudgets muss in die konventionelle Züchtung fließen", urteilt Schmidt. Eine Konkurrenz zwischen Gentechnologie und Züchtungsforschung sieht er jedoch nicht. "Die Gentechnik wird auf die eigentliche Populationszüchtung drauf gesattelt", erklärt der Wissenschaftler. Die Populationszüchtung sei langfristig unentbehrlich und Gentechnik ein Extra, das am Ende noch dazukomme. Die eigentliche Mehrleistung sei aber der Züchtung geschuldet, bekräftigt der Biologe.
Welche Methoden und Technologien sich am Ende auch immer durchsetzen, die drohende Nahrungsmittelkrise zwingt die Agrartechnik zum Umdenken. Viel Zeit bleibt nicht. Denn ideologische Debatten und erbittert geführte Grabenkämpfe füllen keine Mägen.
Dominik Rösch studiert Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt.
Gleichzeitig benötigt die Wirtschaft zukünftig mehr und mehr Flächen für die eigene Produktion. Die chemische Industrie und die Pharmaindustrie nutzen vielfach schon heute Pflanzen als Ausgangsmaterial für ihre Produkte. Denn Pflanzen sind nicht nur Nahrungs- oder Futtermittel, sondern dienen mittlerweile als Kohlenstoffquelle, in der ein Teil der Sonnenenergie gespeichert ist. Und die kann als Treibstoff nützlich sein oder als Ausgangsstoff für Medikamente und andere Chemikalien. Die Biosprit-Debatte der vergangenen Monate – Stichwort "Teller oder Tank" – war erst der Anfang. Die Folge ist ein Interessenkonflikt zwischen Welthunger auf der einen und versiegenden Rohstoffen auf der anderen Seite.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Klimawandel ebenso wie weitere Umweltsünden des Menschen die Ackerbauflächen langfristig schrumpfen lassen. Der Weltklimarat (IPCC) schreibt in seinem Bericht aus dem Jahr 2007, dass der Meeresspiegel im Zuge des Klimawandels bereits im vergangenen Jahrhundert um 1,7 Meter angestiegen sei. Und das, obwohl die globale Durchschnittstemperatur seit 1950 gerade einmal um 0,6 Grad gestiegen ist.
Prognosen über den zukünftigen Anstieg des Meeresspiegels und des damit einhergehenden Landverlusts sind zwar mit Vorsicht zu genießen. Aber der Trend scheint klar: von Überschwemmung bedrohte Küstengebiete, Landflucht ins Landesinnere und Versalzung des Grundwassers. Es wird eng für den Acker, und die Erträge pro Fläche müssen in Zukunft gewaltig steigen.
Segensreiche Inzucht?
Da lassen Prognosen von Genetikern aufhorchen: "Erntezuwächse um 30 bis 70 Prozent – und das ohne Gentechnik" hält Albrecht Melchinger, Professor für angewandte Genetik und Pflanzenzüchtung an der Universität Hohenheim, bei vielen Kulturpflanzen für möglich. Doch wie soll das funktionieren? Das Zauberwort lautet Hybridzüchtung.
Der Trick: Inzuchtlinien, die sich über Generationen nur mit sich selbst bestäuben. Das Ergebnis sind Pflanzen, die durch die Inzucht degeneriert sind. Sie sind schwachwüchsig und die Erträge gering. Kreuzt man aber zwei solcher Inzucht-Linien, entstehen Hybriden, die extrem hohe Erträge liefern.
Aktuell forscht neben Deutschland vor allem China an der Hybrid-Technik. "Die Hälfte der chinesischen Reisfelder sind mittlerweile mit Hybridsorten bepflanzt – mit Mehrerträgen von über 30 Prozent", erzählt Melchinger. Der Effekt beruht auf der Heterosis. Dahinter verbirgt sich das Phänomen, dass zwei degenerierte Pflanzeneltern aus zwei verschiedenen Inzuchtlinien besonders kräftige Nachkommen hervorbringen.
Das hat direkte Auswirkungen auf die Erträge: Während Saatgutunternehmen mit gewöhnlichen Methoden Ertragszuwächse von jährlich etwa 1,5 Prozent erreichen, erhält der Bauer mit der Hybridtechnologie auf einen Schlag eine um rund ein Viertel höhere Ernte. "Die Heterosis kommt einem Quantensprung in der Züchtung gleich", urteilt Melchinger daher. Denn für einen solchen Züchtungserfolg benötige man normalerweise mindestens 20 Jahre.
Hybriden an der Front
Dabei sei das Wissen um die positive Wirkung der Heterosis keineswegs neu: Die ersten Hybriden kamen bereits 1928 in Amerika auf den Markt. Wenige Jahre darauf folgte eine Dürreperiode. In dieser Zeit hätten die Hybriden erstmals bewiesen, dass sie gewöhnlichem Saatgut deutlich überlegen seien, erklärt Melchinger weiter. Die Spezialsaat soll im Zweiten Weltkrieg sogar kriegsentscheidend gewesen sein, berichtet der Genetiker. Mit ihrer neuen Technik hätten die Amerikaner Überschüsse produzieren können, um so die damals verbündete UdSSR mit Nahrungsmitteln zu unterstützen.
Im Detail können sich Forscher noch nicht erklären, warum die Hybriden besonders hohe Erträge bringen. "Früher war man der Auffassung, dass es einzelne Heterosis-Gene gäbe, die vielleicht auch geklont werden könnten", erklärt Melchinger. Die Suche habe sich als Sackgasse herausgestellt. „Die Gene in Pflanzen agieren als Systeme, die mehr sind als deren Summe aller Einzelteile.“
Dank mathematischer Modelle und neuer Computersoftware können Wissenschaftler solche Systeme mittlerweile simulieren. "Statt herumzuprobieren, können wir heute mit Hilfe der Modelle Heterosis-Prozesse voraussagen und gezielt nutzen." Denn der Heterosis-Bonus stellt sich nicht automatisch ein. Für die Züchtung neuer Hybriden entwickeln die großen Saatzuchtfirmen für jede Elternseite jährlich jeweils 10.000 Inzucht-Linien.
Durch Kreuzung lassen sich damit theoretisch 100 Millionen Hybriden erzeugen. Von diesen kann natürlich nur ein Bruchteil angebaut und getestet werden. "Anhand der Genomanalyse können der Elternstämme könne wir die Hybriden mit den besten Eigenschaften vorhersagen und gezielt herstellen", so Melchinger. Dadurch sind auch robustere Pflanzensorten möglich. In Zukunft können so Sorten gezüchtet werden, die beispielsweise mit weniger Wasser oder höheren Temperaturen zurecht kommen.
Überlebensstrategie Heterosis
Grundsätzlich kommt die Heterosis bei allen Pflanzenarten vor, die sich vegetativ – also ungeschlechtlich – fortpflanzen. Dies trifft auf etwa 70 Prozent aller Pflanzen zu. Daneben ist die Heterosis besonders stark bei solchen Pflanzenarten ausgeprägt, die sich durch Fremdbefruchtung vermehren, darunter Mais, Roggen, Zuckerrüben und die Sonnenblume.
Die Heterosis sei eine wichtige Überlebensstrategie für viele Wildpflanzen, die man sich zu Nutze machen könne, meint Melchinger. "Kulturpflanzen auf dem Feld sind verwöhnt und wurden für optimale Bedingungen gezüchtet", so der Genetiker.
Wildpflanzen hingegen müssten mit Dürren zurechtkommen oder sich mit Krankheitserregern herumschlagen – also unter widrigen Bedingungen klar kommen. Hybriden seien daher nicht nur zur Ertragssteigerung gut, sondern auch um die Pflanzenwelt für den Klimawandel fit zu machen. Dies sei eine große Chance für Entwicklungsländer, die besonders unter den Folgen der Treibhausgas-Emissionen zu leiden haben, erklärt Melchinger.
Stellt sich die Frage, weshalb nicht alle Pflanzen auf diesen "Evolutions-Boost" zurückgreifen. Bei der Fremdbefruchtung sind immer mehrere Pflanzen für eine Befruchtung notwendig. Stehen keine Sexualpartner zur Verfügung, ist es für manche Pflanzenarten von Vorteil, sich selbst zu befruchten. Solche Selbstbefruchter sind etwa Weizen und Reis. Bei ihnen ist eine Befruchtung somit stets garantiert. Der Preis ist der Verzicht auf die Heterosis.
Hybridsamen für den afrikanischen Acker
Beim Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), der die grüne Gentechnik kritisch sieht, begrüßt man die Rückbesinnung auf traditionelle Züchtungsmethoden. Die Hybridzüchtung komme ohne grüne Gentechnik aus, so die NABU-Referentin für Agrogentechnik Steffi Ober, und es seien auch keine negativen Einflüsse auf die Umwelt zu erwarten. Allerdings hält sie Hybriden nur bedingt für die sogenannten Länder der Dritten Welt geeignet. "Hybriden sind eine viel versprechende Zuchtmethode, die besonders für die industrielle Landwirtschaft geeignet ist", sagt Ober.
Hierzulande, wo die Landwirtschaft hoch subventioniert sei, lohne sich der erhöhte Geldeinsatz. Anders sähe es zum Beispiel in Afrika aus: Ober plädiert für eine Weiterentwicklung "samenfester Sorten", die in einem vernünftigen Verhältnis von Kapitaleinsatz beim Anbau und Ertrag stünden. Unter samenfesten Sorten versteht sie Saatgut, das von den Landwirten nachgebaut werden kann. Damit ist gemeint, dass die Bauern aus den angebauten Pflanzen wieder fruchtbare Samen für die nächste Aussaat gewinnen können. Hybriden gehören allerdings nicht dazu, da bei der jeweils folgenden Pflanzen-Generation der zusätzliche Heterosis-Effekt wieder halbiert wird.
Bauern müssen also für jede Aussaat neue Samen nachkaufen. Landwirte in den Entwicklungsländern könnten so in eine massive Abhängigkeit von den großen Saatgutkonzernen getrieben werden, befürchtet Ober. Damit drohe ihnen durch Hybriden eine ähnliche Gefahr wie durch gentechnisch veränderte Pflanzen: Diese sind nämlich häufig nicht mehr in der Lage sich fortzupflanzen.
Bei der KWS Saat AG ist man sich dieses Problems bewusst. Das in Einbeck ansässige Unternehmen ist weltweit in über 70 Ländern tätig und forscht bereits seit Mitte der 1950er Jahre an der Hybridzüchtung. Entsprechend umfangreich sind die Erfahrungen im Umgang mit der Züchtungsmethode.
"Im ersten Moment hört es sich gut an, wenn sich Kulturpflanzen nachbauen lassen", sagt der Zuchtleiter Inland bei der KWS, Walter Schmidt. Allerdings gibt er zu bedenken: Wenn die Bauern nicht jedes Jahr neues Saatgut kauften, sei auch kein Geld für Züchtung da. Als Beispiel nennt er den Weizen, der in Deutschland aktuell zu etwa 60 Prozent von den Bauern selbst nachgebaut werde. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Weizen für Saatgutunternehmen nicht rentabel ist und sich Forschung nicht auszahlt.
"In den USA haben sich in den vergangenen 50 Jahren die Erträge von Weizen und Sojabohne etwa verdoppelt. Beides sind Selbstbefruchter, die man nachbauen kann", erklärt der Wissenschaftler. "Beim Hybridmais, den man nicht ohne Ertragseinbußen nachbauen kann, haben sie sich im gleichen Zeitraum hingegen verfünffacht. Hätten die Landwirte auch beim Weizen jährlich Saatgut kaufen müssen, so wie sie es beim Mais getan haben, und wären die Mehrerträge für Pflanzenzüchtung investiert worden, so hätte der Weizen heute vermutlich ein ähnliches Ertragsniveau wie der Mais", gibt Schmidt zu bedenken.
"In Anbetracht von Millionen hungernder Menschen sind die Versäumnisse ein Verbrechen an der Menschheit", folgert der Forscher aus seiner Annahme. Zumindest besäße die Menschheit heute eine völlig andere Lebensmittelversorgung, wären mehr Gelder in die "konventionelle" Züchtung der Selbstbefruchter gesteckt worden.
Gentechnik oder konventionelle Züchtung?
Jeder Euro kann natürlich nur einmal ausgegeben werden. Stellt sich also die Frage, wieviel Geld man für Gentechnologie und wie viel man für die konventionelle Züchtung, zu der auch die Hybridforschung gehört, ausgeben sollte. "Der Löwenanteil eines Züchtungsbudgets muss in die konventionelle Züchtung fließen", urteilt Schmidt. Eine Konkurrenz zwischen Gentechnologie und Züchtungsforschung sieht er jedoch nicht. "Die Gentechnik wird auf die eigentliche Populationszüchtung drauf gesattelt", erklärt der Wissenschaftler. Die Populationszüchtung sei langfristig unentbehrlich und Gentechnik ein Extra, das am Ende noch dazukomme. Die eigentliche Mehrleistung sei aber der Züchtung geschuldet, bekräftigt der Biologe.
Welche Methoden und Technologien sich am Ende auch immer durchsetzen, die drohende Nahrungsmittelkrise zwingt die Agrartechnik zum Umdenken. Viel Zeit bleibt nicht. Denn ideologische Debatten und erbittert geführte Grabenkämpfe füllen keine Mägen.
Dominik Rösch studiert Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt.
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