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Energie: Kernkraftwerk für jedermann

Steht die Kernenergie vor einer großen Wiederkehr? Minireaktoren für den Hinterhof sollen sauber und sicher Strom produzieren.
Kernkraftwerk
Vor 50 Jahren nahm Deutschland sein erstes Versuchskernkraftwerk in Kahl in Betrieb. Seitdem wurden die Kontroversen um die Energie aus dem Atom nicht geringer – im Gegenteil: Zum Unmut vieler Menschen hat die gegenwärtige Bundesregierung nun die Laufzeiten der deutschen Atommeiler um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert, an dem von ihren Vorvorgängern beschlossenen langfristigen Atomausstieg hält sie aber vorerst weiter fest. Andere Staaten rüsten sogar noch weiter auf und bauen neue Reaktoren.

Um diese Nachfrage weiter zu steigern, erweitern einige Technologiekonzerne ihr Angebot im Bereich Kernkraft und setzen nun auch verstärkt auf Anwendungen im Low-Budget-Segment. Ihre Zielgruppe sind abseits gelegene Gemeinden, Minen, Forschungsstationen oder Entwicklungsländer. Sie wollen sich dazu ein Dilemma im gegenwärtigen Energiemix zu Nutze machen: Energie aus regenerativen Quellen ist oft noch teuer und technisch nicht immer ausgereift oder hat unerwünschte ökologische Nebenwirkungen. Fossile Brennstoffe wiederum sind endlich, ihre größten Vorkommen verteilen sich auf eine relativ kleine Anzahl von Ländern, was die Gefahr von Monopolen birgt – und ihr Preis steigt. Zudem gilt es den CO2-Ausstoß trotz des weltweit dramatisch ansteigenden Energiebedarfs zu reduzieren, damit die Menschheit den Klimawandel nicht noch weiter anheizt. All dies macht die Kernkraft in den Augen mancher Forscher und Politiker wieder durchaus attraktiv.

Kernenergie vor dem Comeback?

Weltweit befinden sich aktuell 61 offiziell bei der Internationalen Atomenergiebehörde gemeldete Reaktoren im Bau, davon 24 in China und 6 in der Europäischen Union, die mit den gegenwärtig laufenden Meilern eines gemein haben: Sie erzielen marktfähige Energiepreise über ihre Größe. Ihre Kapazitäten liegen grundsätzlich bei mehren 100 oder 1000 Megawatt (MW) elektrischer Leistung, so dass sich die enormen Investitionen in Bau und Sicherheit über die Laufzeit rentieren.

Kernkraftwerk | Auch wenn Deutschland – vorerst – weiter den Ausstieg aus der Kernenergie betreibt, so setzen andere Nationen doch auf die Technologie. Neue Reaktoren sind unter anderem in China, Indien, Brasilien, Frankreich, Finnland, Slowakei, Russland, Südkorea und auch den USA geplant.
Diesen Ansatz soll nun eine Neuentwicklung brechen und damit neue Kundschaft erschließen: der Kleinstreaktor mit einer Leistung von weniger als 100 Megawatt – ein technologisches Meisterwerk, an dem gleich mehrere Konzerne wie Toshiba, Hyperion Power Generation und NuScale Power gerade fieberhaft arbeiten.

Der Aufwand lohnt sich allerdings nur, wenn die Firmen diese Reaktormodule später in Serie fertigen können. Ein Markt dafür existiert jedenfalls: John Deal, Geschäftsführer von Hyperion, schätzt den weltweiten Bedarf auf eine halbe Million Kleinstreaktoren. Über 150 Bestellungen aus verschiedenen Ländern lägen Hyperion bereits vor, so Deal. Und mit einem angestrebten Preis von rund 50 Millionen Dollar ist ein Hyperion-25-MW-Modul ein Schnäppchen verglichen mit den mehrere Milliarden Dollar hohen Konstruktionskosten für ein herkömmliches Großkraftwerk.

http://www.youtube.com/watch?v=cCttsg-l5j8
© NuScale Power
Minireaktor
Vor Ort entsteht praktisch kein Aufwand: Das etwa zwei Meter hohe und 1,5 Meter im Durchmesser umfassende "Hyperion Power Module" wird vollständig versiegelt per Lastwagen angeliefert und braucht nur noch vergraben und angeschlossen zu werden. Sieben bis zehn Jahre soll das Reaktormodul dann planmäßig Strom liefern, bevor der Hersteller es dann wieder komplett abholt und neu bestückt. Der Nutzer muss sich also nicht um die radioaktiven Abfälle kümmern.

Flexible Standortwahl

Ausgesprochen attraktiv sind solche "Kernkraftbatterien" für all jene, die keinen leichten Zugriff haben auf billige, verlässliche Energieversorgung. Die potenzielle Klientel reicht von entlegenen Forschungsstationen oder Minen und Industrieanlagen bis hin zu Ballungszentren in Entwicklungsländern. Letztere sehen sich mit einem rasant steigenden Stromverbrauch konfrontiert und könnten nun Modul für Modul die Energieversorgung aufbauen, ohne gleich die riesigen Investitionen für ein großes Kraftwerk stemmen zu müssen. Interesse bekunden zudem Rumänien und Tschechien: Ihre maroden Stromnetze könnten unter der Last eines leistungsstarken Kraftwerks zusammenbrechen; die dezentrale Stromerzeugung über kleine Reaktoren würde die bestehende Infrastruktur hingegen weit weniger belasten.

Ein erster Prototyp soll bald in der weitab von der Zivilisation gelegenen Ortschaft Galena in Alaska stehen. Sie ist nicht an das amerikanische oder kanadische Stromnetz angeschlossen und daher auf lokale Energieversorgung angewiesen. Hier will nun Toshiba seinen ersten 4S-Reaktor installieren – 4S für "super-safe, small and simple". Noch im Lauf dieses Jahres werde die Zulassung in den USA beantragt, kündigte Firmensprecher Keisuke Ohmori gegenüber der Business Week im Mai an. Einen problemlosen Verlauf der nötigen Zertifizierungsverfahren vorausgesetzt, könnte die Konstruktion des 4S in Galena eventuell schon 2014 beginnen. Der Reaktor liefert dann etwa 30 Jahre lang bei einer Leistung von zehn Megawatt genügend Strom für rund 8000 Haushalte.

Doch derartige Projekte stoßen natürlich nicht überall auf Gegenliebe – auch wenn sich die Hersteller bemühen, mögliche Fehlerquellen auszuschließen. So verzichten sie beispielsweise auf notorisch anfällige Komponenten: Das NuScale-Design etwa kommt völlig ohne Pumpen aus, weil schlichte Konvektion die Maschine ausreichend kühlt. Toshibas 4S-Pumpe wiederum funktioniert elektromagnetisch und damit ohne bewegliche Teile. Zudem sorgt die komplette Versiegelung der "Batterien" dafür, dass radioaktives Material selbst bei Störfällen kaum austreten kann.

Wer garantiert die Fehlerfreiheit?

Wer aber kann davon ausgehen, dass ein erster Prototyp über 30 Jahre hinweg fehlererfrei arbeitet? Besonders die dem 4S zu Grunde liegende Kühltechnik stößt bei der Union of Concerned Scientists auf Kritik. "[Toshiba] unterstellt, dass natriumgekühlte Reaktoren erprobt und zuverlässig sind. In Wirklichkeit handelt es sich dabei zwar um eine erprobte, aber verworfene Technologie", sagt David Lochbaum, Leiter des Nuclear-Safety-Projekts. Und selbst wenn die Kleinstreaktoren einwandfrei funktionieren und irgendwann vom Hersteller wieder abgeholt oder zumindest der Brennstoff ausgetauscht wird: Was geschieht mit dem zweifellos anfallenden radioaktiven Müll? Momentan stehen nur die bereits bekannten, umstrittenen und letztlich meist unbefriedigenden Möglichkeiten wie Zwischenlagerung oder Wiederaufbereitung zur Auswahl.

Hyperion Power Generation | Schematischer Aufbau eines kleinen, 70 Megawatt starken Kernreaktors, der in abgelegenen Regionen Strom und Wärme erzeugen soll. Bis zu 4000 Anlagen möchte der Hersteller davon verkaufen, die erste soll 2013 in Betrieb gehen.
Mittelfristig könnte sich dies jedoch durch eine kleine Revolution ändern: Terrapower, eine in großem Umfang von Bill Gates mitfinanzierte Firma, hat eine alte Idee weiterentwickelt, die sie jetzt in Kooperation mit Toshiba auch für die Kleinreaktoren zur Reife bringen will. Die Reaktoren sollen ohne angereichertes Uran auskommen und vielleicht sogar abgereichertes Uran zur Energiegewinnung nutzen. Simulationen mit Supercomputern deuten an, dass sich Kettenreaktionen auch ohne angereicherten Brennstoff in Gang halten lassen. Dadurch stünde plötzlich nicht nur das Hundertfache an spaltbarem Material zur Verfügung, es wäre sogar möglich, heutigen Atommüll zumindest teilweise als Brennstoff zu verwenden.

Die aktuellen Entwicklungen deuten jedenfalls profunde Veränderungen in der Energiegewinnung durch Kernspaltung an. Die wichtigste Einstiegshürde – die gigantischen Konstruktionskosten für ein ausgewachsenes Kernkraftwerk – könnte bald drastisch abgesenkt werden. Auf der anderen Seite macht diese Entwicklung Gesetzesänderungen nötig, denn künftig kann im Fall der Kleinreaktoren nicht mehr der Betreiber, sondern der Hersteller des Kraftwerks für den radioaktiven Abfall verantwortlich sein. Da dieser aber vielleicht bald selbst zu wertvollem Brennstoff wird, entschärft sich wiederum das Problem der Endlagerung. Viele Umweltschützer wird der Kleinreaktor für jedermann aber wohl dennoch sehr beunruhigen: Neben generellen Zweifeln an der Technik befürchten sie vor allem, dass schlecht gesicherte Kleinstreaktoren unterm Stadtpark hervorragende Ziele für Terroristen abgeben, die Störfälle verursachen oder radioaktives Material stehlen könnten. Ein Antwort darauf steht vorerst noch aus.

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