Interview: "Wir leben in goldenen Zeiten für die marine Mikrobiologie"
Frau Prof. Dubilier, Sie sind spezialisiert auf die Erforschung unterschiedlicher Symbiosen zwischen Bakterien und Meerestieren. Gab es schon während ihres Studiums eine besondere Fragestellung, die das nach sich zog?
Nicole Dubilier: Das hatte mit dem Studium nichts zu tun, sondern mit meinem Doktorvater, Olav Giere. Er arbeitete an darmlosen Würmern, die symbiontische Bakterien hatten. Und wir beschlossen damals gemeinsam, dass ich für meinen Postdoc molekularbiologische Methoden erlerne, um die symbiontischen Bakterien dieser Würmer zu charakterisieren. Dafür bin ich dann nach Harvard gegangen, weil es da eine Wissenschaftlerin gab, Colleen Cavanaugh, die darauf spezialisiert war. So begann ich, auf dem Gebiet der Symbioseforschung zu arbeiten.
Sie haben das Rätsel gelöst, wie es sein kann, dass Lebewesen in der Tiefsee an weit voneinander entfernt gelegenen "Oasen" leben, ohne dass es vorstellbar schien, wie sie an diese Plätze gelangen konnten. Welche Entdeckung machten Sie und Ihr Team, und wie kam es dazu?
Das habe ich nicht wirklich in dem Sinne gelöst. Es wurde schon lange vermutet, dass es so genannte stepping stones oder Trittsteine in Form von kleineren heißen Quellen gibt, die die Besiedlung der Oasen erleichtern. Wir haben allerdings auf einer Ausfahrt genau solche kleineren Quellen gefunden. Dazu haben wir noch nichts publiziert, wir haben nur eine Pressemitteilung herausgegeben. Unsere eigene Entdeckung ist, dass es um große heiße Quellen sehr viele kleinere in der Nähe geben kann. Wenn diese kleinen Quellen sich entlang des Rückens – so nennt man die Spreizungszone – ziehen, dann wäre das ein Weg, wie die Tiere sich verbreiten könnten. Aber ich habe das Rätsel nicht gelöst, sondern es ist eine Hypothese, für die ich mehr Indizien gesammelt habe.
Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2014 wird am 12. März von der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen und geht an vier Wissenschaftlerinnen und sieben Wissenschaftler. Sie erhalten jeweils bis zu 2,5 Millionen Euro. Damit gehört der Leibniz-Preis weltweit zu den höchstdotierten Forschungsauszeichnungen.
Auch die drei weiteren Preisträgerinnen Irmgard Sinning, Brigitte Röder und Artemis Alexiadou sprachen aus diesem Anlass über ihre Forschung und ihre Pläne mit dem Preisgeld. Lesen Sie diese Interviews bei AcademiaNet.
Wie wichtig sind neue technische Hilfsmittel?
Technische Hilfsmittel haben auf meinem Gebiet viele neue Möglichkeiten eröffnet, auch wenn diese ohne eine gute Fragestellung nichts nützen. Es gibt zwei Gebiete, auf denen technische Hilfsmittel für meine Forschung unerlässlich sind. Einmal in der Tiefsee, wo wir Instrumente haben – wir nennen das In-situ-Instrumente – mit denen wir wirklich in der Tiefsee arbeiten können. Wir haben aber auch Tauchroboter, die erst seit den 1960er Jahren für Forschungszwecke eingesetzt werden können. Ohne diese Tauchroboter, die ursprünglich für die Marine entwickelt wurden, hätten wir die heißen Quellen nie entdeckt.
Das ist das eine, der technische Fortschritt im Meer. Das andere ist die Molekularbiologie, die es uns ermöglicht, diese bakteriellen Symbionten, die wir nicht kultivieren können, zu beschreiben. Das ist ein Riesenfortschritt, denn fast 99 Prozent der Mikroorganismen sind nicht kultivierbar. Von daher leben wir in goldenen Zeiten für die marine Mikrobiologie.
Oft wird beklagt, dass Wissenschaft ab einer gewissen Karrierestufe nur noch aus Verwaltungsaufgaben und Managementherausforderungen besteht. Wie sehen Sie das als Expeditionsleiterin des großen deutschen Forschungsschiffs "Meteor"? Ist Expeditionsleitung vielleicht einer der wenigen Bereiche, in denen Managementqualitäten direkt der eigenen Forschung nützlich sein können?
Also auf jeden Fall macht es irre Spaß, wenn man Forschungsleiterin ist. Vor allem, wenn man endlich auf dem Schiff ist und man das umsetzen kann, was man an Leitungsaufgaben hat. Das heißt, man sagt zum Beispiel, wir werden heute nicht in dieses Gebiet fahren, sondern in ein anderes, weil das spannender sein könnte. Auch wenn solche Entscheidungen natürlich gemeinsam mit den 25 bis 28 anderen Wissenschaftlern, die an Bord sind, erarbeitet werden.
Ich würde sagen, dass man als Max-Planck-Wissenschaftler sowieso recht luxuriös lebt, weil die Anzahl der Verwaltungs- und Managementaufgaben relativ gering ist. In der Wirtschaft wird Führungskräften früh beigebracht, wie man managt; man lernt, wie man mit Leuten umgeht, wie man mit ihnen ihre Leistung bespricht und wie man seine Zeit möglichst effektiv einteilt. Im akademischen Bereich soll man das alles einfach so können. Die meisten Leute sind aber Wissenschaftler geworden, weil sie sich eher vor Managementaufgaben scheuten.
Was ist das für ein Gefühl, an Bord "die Chefin" zu sein?
Das ist eigentlich ein sehr befriedigendes Gefühl, weil man ja häufig Jahre auf so eine Ausfahrt hingearbeitet hat, und dann findet sie endlich statt! Und wenn dann gutes Wetter ist, wenn man die Arbeit machen kann, wenn das Tauchboot tauchen kann, nichts kaputt geht und man sieht, dass man auch alle Wissenschaftler an Bord zufrieden stellt – das ist ja die Hauptaufgabe als Forschungsleiterin, dass alle ihre Proben bekommen, dass nicht eine Gruppe bevorzugt wird, dass rund um die Uhr gearbeitet werden kann – wenn das alles klappt und man dann auch noch neue Entdeckungen macht, dann ist das der Grund, weshalb man diesen Beruf macht.
"Ich hoffe, dass Tiefseebergbau so teuer bleibt, dass der Ertrag nicht im Verhältnis zum Erlös steht."
Das Interesse an der Tiefsee hat in den letzten Jahren durch die Entdeckung der Wunderwelt an tierischen Lebensformen, aber auch durch das gestiegene Bewusstsein, was da im Dunkeln alles noch auf Entdeckung wartet, sehr zugenommen. Teilen Sie die Auffassung, dass es wichtig ist, möglichst viele Informationen über die Lebewesen der Tiefsee zu ermitteln, um sie in Zukunft schützen zu können?
Ja, auf jeden Fall. Der Tiefseebergbau, unter anderem der Abbau von Manganknollen und von Schwermetallen an Hydrothermalquellen, ist ein großes Thema. Von daher finde ich es sehr wichtig, sehr viel über die Organismen in diesen Lebensräumen zu lernen, in denen ein solcher Abbau stattfinden soll. Dies ist die Grundlage dafür, das Leben in der Tiefsee wirklich zu schützen und Schutzgebiete ausweisen zu können und um sagen zu können: "Hier ist der Abbau vielleicht noch verträglich." Meine persönliche Meinung ist, dass ich mir kaum vorstellen kann, wie Tiefseebergbau im großen Umfang keinen Einfluss auf den ihn umgebenden Lebensraum haben soll. Ich hoffe, dass Tiefseebergbau so teuer bleibt, dass der Ertrag nicht im Verhältnis zum Erlös steht.
Wir gratulieren zum Erhalt des Leibniz-Preises, der eine große wissenschaftliche Anerkennung bedeutet. Was bedeutet er Ihnen persönlich und welchen Gestaltungsspielraum erhält Ihre Forschung dadurch?
Es ist eine unglaubliche Anerkennung der Forschung, die ich zusammen mit meiner Gruppe gemacht habe. Das ist mir ganz wichtig – dass ich nicht allein geforscht habe, sondern dass ich ein unglaublich gutes Team hatte und habe! Was den Gestaltungsspielraum angeht – der ist einfach traumhaft. Zum Beispiel habe ich jetzt die Möglichkeit, kurzfristig Muscheln aus dem Golf von Mexiko zu bekommen, ohne einen Antrag schreiben zu müssen. Dafür habe ich Tauchtage eines amerikanischen Forschungsboots, der "Nautilus", gebucht, unter der Leitung von Bob Ballard, der die "Titanic" auf dem Meeresgrund gefunden hat. Das Boot kostet zusammen mit dem Tauchroboter etwa 40 000 Dollar pro Tag. Ich habe drei Tauchtage gekauft, weil ich damit die Wahrscheinlichkeit erhöhe, an die für mich wichtigen Proben zu kommen. Zusätzlich entstehen erhebliche Nebenkosten für An- und Abreise, Transport unserer Ausrüstung sowie Hafennutzung. Diesen Luxus hätte ich mir so kurzfristig und ohne Antrag nicht leisten können.
Dann würde ich sehr gerne unsere Forschung besser visuell darstellen, so dass auch Nichtwissenschaftler unsere Fragestellungen und Ergebnisse verstehen können. Mir schweben zum Beispiel Videos vor, um die Symbionten in den Wirten zu visualisieren, mit Animationen, welche die Wechselwirkung zwischen den Partnern darstellen. Damit könnte ich den Menschen, die mir diese Forschung durch ihre Steuern ermöglicht haben, zeigen, wofür die Gelder verwendet werden. Meine Hoffnung ist, dass ich damit etwas zurückgeben könnte von dem, was ich bekommen habe.
Was würden Sie einer Nachwuchswissenschaftlerin raten, die unsicher ist, ob ihr Forschungsinteresse und ihre Ansätze für eine wissenschaftliche Karriere tragen?
Erstens muss man die Leidenschaft entdecken. Man muss in sich hineinhorchen und sich fragen: Macht mir das wirklich Spaß? Das wäre das eine. Das andere kommt von Sheryl Sandberg, die das Buch "Lean In" geschrieben hat. Es gibt ein Video auf TED.com, und der dritte Punkt ihrer Thesen dort ist "Don't step on the break". Ich glaube, das ist bei vielen Frauen das Problem, dass sie schon vorauseilend sagen: "Na, das mache ich mal lieber nicht, weil das später vielleicht nicht mit einer Familie zu vereinbaren ist." Wenn ich mir ansehe, wie meine Postdocs das hinbekommen, mit ihren kleinen Kindern und ihrem Beruf, dann bin ich stolz darauf und denke, das geht doch. Da muss man ihnen Mut machen und den Raum dafür geben, und dann klappt das auch!
Haben Sie einen Leitsatz, der Ihnen bei schwierigen Entscheidungen als Selbstermunterung dient?
Ich habe viele Leitsätze. Einer davon ist, dass man nicht aus dem Misserfolg heraus etwas aufgeben sollte. Das kann ich vielleicht an einem Beispiel erklären: Unser Sohn hat früher Hockey gespielt, und er wollte mehrmals aufhören, aber immer nur, nachdem er besonders schlecht gespielt hatte oder seine Mannschaft ein Spiel verloren hatte. Ich habe ihm gesagt: "Du darfst aufhören, aber nicht aus einem negativen Gefühl heraus. Wenn Du mal besonders gut gespielt hast, oder ihr habt ein Spiel gewonnen, und Du möchtest immer noch aufhören, dann ist es gut so." Dieser Leitsatz hilft mir, schwierige Zeiten zu überstehen. Sich selbst den Freiraum zu lassen, dass man mit etwas aufhört, finde ich wichtig. Diese Freiheit, sich auch mal umentscheiden zu können – aber nicht aus dem Negativen, sondern aus dem Positiven heraus!
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