Israel: Auszug aus Ägyptens Archiven
Bislang kannten Ägyptologen nur eine einzige Erwähnung Israels. Die Entdeckung einer zweiten, deutlich älteren wirft Fragen auf: Fand der Exodus doch statt?
Geht es nach einem Team deutscher Bibelarchäologen, lagert im Berliner Ägyptischen Museum eine lange übersehene, mausgraue Kostbarkeit. Auf einem verwitterten Granitblock haben sich in Hieroglyphenschrift drei Namen erhalten – zwei sind gut lesbar, der dritte an den entscheidenden Stellen zerbröselt. Doch die Forscher sind überzeugt: Er lautet "Israel".
Haben sie Recht, steht der Erforschung der Geschichte Palästinas eine "schwer zu toppende Sensation" ins Haus, meint Stefan Wimmer, Ägyptologe von der Universität München: Nicht nur weil man bislang überhaupt nur eine einzige solche Inschrift kannte, sondern auch weil das Relief in einer Zeit entstanden sein musste, in der man glaubte, dass Israel noch gar nicht existierte.
Die Art und Weise wie die Ägypter die drei fein säuberlich nebeneinander angeordneten Namen festhielten, gibt den entscheidenden Hinweis auf das Alter der Inschrift. Fest steht: In dem Jahrhundert, in dem man die ersten Israeliten in Kanaan vermutete, wurde längst nicht mehr so geschrieben wie auf dem Block im Berliner Museum. Die archaische Schreibung ist mindestens zwei Jahrhunderte zu alt für die herkömmliche Chronologie.
Die zwei Stelen
Die richtet sich nach der anderen bekannten Erwähnung Israels aus altägyptischer Zeit: Sie stammt aus der Regierungszeit des Pharaos Merenptah und wurde in etwa um das Jahr 1200 v. Chr verfasst. "Israel ist verwüstet, seine Saat ist nicht mehr", verkündet der Pharao. Und nicht nur Israel: Auch zahlreiche Nachbarn aus dem syrisch-palästinensischen Gebiet bekamen die eiserne Faust des Ägypterkönigs zu spüren, glaubt man der martialischen Inschrift.
Diese kurze Erwähnung auf der 1896 gefundenen Stele gab der Archäologie einen wichtigen Anhaltspunkt zur Datierung der Geburtsstunde Israels. Wenn das Volk im Jahr 1200 v. Chr. vernichtet werden konnte, musste es freilich bereits existiert haben. Die Mehrheit der Wissenschaftler einigte sich schließlich darauf, dass ein Volk namens "Israel" kurz vor Merenptah die Bühne betrat – vermutlich während der Regierung von dessen Vater Ramses II.
Verschiedene Szenarien erklären die Entstehung des Volks zum Beispiel aus bereits ortsansässigen Stämmen. Dass hingegen Proto-Israeliten aus ägyptischer Gefangenschaft auszogen und sich nach langer Wanderschaft in Kanaan zu einem israelischen Volk zusammenschlossen, wie die Bibel berichtet, galt für die Mehrheit der Bibelwissenschaftler als unwahrscheinlich.
Denn nimmt man die biblische Erzählung für bare Münze, und sucht nach Hinweisen auf einen solchen Exodus und die anschließende Landnahme, wird man in den Jahren vor 1200 v. Chr. nicht fündig: Was Archäologen über die Umstände im damaligen Palästina herausfanden, deckt sich nicht oder jedenfalls kaum mit den Schilderungen im Alten Testament. Von stark befestigten Städten ist dort die Rede, die die Flüchtlinge vom Einzug in ihr Gelobtes Land abhielten. Erst als auf göttliche Intervention hin die Mauern Jerichos in sich zusammenstürzten, konnten die Israeliten die Stadt einnehmen, heißt es beispielsweise im 6. Buch Josua. In Grabungen fand sich jedoch nichts davon – nicht einmal Mauern gab es rund um Jericho. Auch andere Schilderungen, wie die Gefangenschaft in Ägypten oder die Königsherrschaft Davids und Sauls, lassen sich nicht mit den archäologischen Befunden in Einklang bringen, wie vor allem der israelische Archäologe Israel Finkelstein von der Universität Tel Aviv in seinem einflussreichen, 2001 erschienenen Buch "Keine Posaunen vor Jericho" darlegte [1].
Öffentlichkeit für das Berliner Relief
Doch mit Wiederentdeckung der Berliner Inschrift im Jahr 2001 bekamen plötzlich alternative Szenarien Aufwind. Der Ägyptologe und Schriftexperte Manfred Görg bemerkte als Erster, dass der Name als "Israel" gelesen werden könnte. Auch dass die Inschrift aus einem – nach Sicht des vorherrschenden Modells – viel zu frühen Jahrhundert zu stammen schien, fiel dem heute emeritierten Professor für Alttestamentliche Theologie an der LMU München auf. Doch seine zeitgleich mit Finkelsteins Buch in "Biblische Notizen" veröffentlichte Studie bekam nur wenig Aufmerksamkeit. [2].
Seit 1913 befindet sich das Relief mit der Inventarnummer 21687 im Besitz des Ägyptischen Museums. Der eifrige Antikensammler und Archäologe Ludwig Borchardt (1863-1938), der dem Museum auch die Büste der Nofretete verschaffte, hatte es bei einem ägyptischen Händler erworben. Entsprechend wenig ist über Fundumstände und genaue Herkunft bekannt. Den Darstellungen zufolge hat der Block, bei dem es sich wahrscheinlich um ein Podest handeln dürfte, einen ähnlichen Hintergrund wie die Merenptah-Stele: Die drei Namen sind jeweils mit dem Bild eines Gefangenen versehen – wahrscheinlich wurden auch hier Kriegszüge des Pharaos verewigt.
Schon einmal hatte Görg das Relief in Augenschein genommen. In seiner Doktorarbeit 1975 interpretierte er die Aufzeichnung allerdings noch nicht als "Israel". Nun, rund 30 Jahre später, tat er sich mit dem Bibelarchäologen Peter van der Veen von der Universität Mainz und dem Heidelberger Ägyptologen Christoffer Theis zusammen. Weitere Untersuchungen des Reliefs wurden unternommen. Van der Veen, Theis und Görg fotografierten die Inschrift unter besonderen Lichtverhältnissen und pausten deren Struktur mit Alufolie ab, um an den zerstörten Stellen noch Hieroglyphenüberreste ausfindig zu machen. Gemeinsam veröffentlichten sie Ende 2010 Görgs These samt weiterer Untersuchungen erneut – diesmal auf Englisch, in der Hoffnung, so auf ein größeres Publikum zu stoßen [3].
Übersetzungsschwierigkeiten
Stoff für Diskussionen gibt es dennoch: So wie im lateinischen Alphabet für eine originalgetreue Wiedergabe etwa arabischer Städtenamen Buchstaben fehlen, mussten ägyptische Schreiber improvisieren, wenn sie Namen wie "Israel" notierten. Das Altägyptische verfügte über kein eindeutiges "L" und verwendete stattdessen eines von mehreren möglichen "R"-Zeichen. Hinzu kommen weitere Transkriptionsregeln und -gewohnheiten, die sich zudem im Lauf der Zeit immer wieder änderten. Am Ende rekonstruierten Görg und Kollegen eine Schreibung, die man vereinfacht als "I-schra-il" wiedergeben könnte.
Aber haben sie damit Recht? Der Alttestamentler und Nahostarchäologe James Hoffmeier von der Trinity Evangelical Divinity School in Deerfield (US-Bundesstaat Illinois) hatte sich seinerzeit gegen Görgs Deutung ausgesprochen und den Namen als "Ir-schalir", beziehungsweise in Varianten mit l/r-Vertauschungen gelesen. Sein Hauptkritikpunkt richtete sich gegen den Laut "sch": Würde es sich tatsächlich um eine Erwähnung des biblischen Volks handeln, wäre ein "s" zu erwarten – und kein "sch".
In ihrer neuen Veröffentlichung haben die Wissenschaftler diesen Vorwurf zu entkräften versucht. Überlieferte Beispiele würden zeigen, dass "zum einen die Aussprache mit 'sch' durchaus in einigen Dialekten verbreitet war", erklärt van der Veen, "und zum anderen wissen wir nicht, auf welchen Umwegen der ägyptische Schreiber von dem Namen erfahren hat” – womöglich las der Ägypter zum ersten Mal in akkadischen Texten davon, also in einer dritten, wiederum anders verschrifteten Sprache. Kurzum: Dass "Israel" auf der Merenptah-Stele mit "s" geschrieben wurde, bedeutet nicht, dass dies für alle anderen Erwähnungen auch gelten müsste.
Die Ägyptologen- und Alttestamentlerszene sehen sie auf ihrer Seite: "Wir haben mit vielen Experten auf dem Gebiet gesprochen, und niemand hat das kritisiert", sagt van der Veen. Sein Münchner Kollege Stefan Wimmer bestätigt das: "Die Identifizierung mit Israel ist seriös und solide. Es kommt hinzu, dass es keinerlei einleuchtende Alternativen gibt, mit denen der Name in diesem Kontext denn sonst zu verbinden sei."
Denn dass der Pharao, der die Inschrift in Auftrag gab, den Sieg über ein Gehöft mit zum Verwechseln ähnlich klingendem Namen notieren ließ, sei wenig wahrscheinlich, meint auch van der Veen: "Sieht man sich die beiden anderen Namen an, haben wir es hier offensichtlich mit Hauptfeinden Ägyptens zu tun." Für diese Gegend komme daher nur das in der Bibel erwähnte Volk in Betracht.
Wann entstand die Israel-Inschrift?
Doch der eigentliche Knackpunkt ist das Alter des Reliefs. Die eigentümliche Schreibweise lässt den Forschern nur zwei Interpretationen offen: Entweder der Schreiber bediente sich – aus welchen Gründen auch immer – einer damals schon archaischen Schreibung. Oder aber der Schreiber stammte noch aus einer Zeit, als das von ihm gewählte Transkriptionsverfahren gang und gäbe war: der frühen 18. Dynastie, also den Jahren 1540 bis 1400 v. Chr. Genau das glauben van der Veen, Görg und ihre Kollegen. Doch leider gibt es keine naturwissenschaftlichen Datierungsverfahren, die den Fall eindeutig entscheiden könnten. Was bleibt sind einzig Plausibilitätsargumente.
Finkelstein und andere Vertreter des herkömmlichen Modells hatten die Merenptah-Stele aus dem Jahr 1200 v. Chr. als Datierungsfixpunkt gewählt und ausgehend von diesem Datum vergeblich nach archäologischen Hinweisen gesucht. "Doch auf der Merenptah-Stele steht überhaupt nichts, was darauf schließen lässt, dass das Volk kurz vorher entstanden ist", sagt van der Veen. Verschiebt man hingegen das archäologische Suchfenster um mindestens zwei Jahrhunderte nach vorn auf das Alter der Berliner Inschrift, fügt sich für van der Veen und Kollegen Puzzleteil an Puzzleteil.
Biblische Zeiten
"Wir können zwar immer noch nichts definitiv beweisen", sagt der Forscher. "Aber im 16. Jahrhundert v. Chr., das heißt am Ende der Mittleren Bronzezeit, ähnelte die Situation sehr stark der biblischen Erzählung von der Landnahme. Wir haben dort die letzte Befestigung der Stadt Jericho, die durch ein Erdbeben zerstört wird, und wir sehen Zerstörungen bei anderen Städten, die im Buch Josua erwähnt werden." Auch in Ägypten habe es zuvor gesellschaftliche und politische Entwicklungen gegeben, die in der Bibel Widerhall finden. "Hätte man sich darauf konzentriert, hätte man durchaus sagen können: Das steckt hinter den biblischen Geschichten."
Das bestätigen auch Kritiker der "Frühdatierung": Wenn der Exodus irgendeinen wahren Kern haben kann, dann nur wenn Auszug und Landnahme deutlich früher stattfanden. Nur hatte sich der Mainstream eben auf eine spätere Periode als Geburtsstunde Israels geeignet, folglich passte nichts zueinander. Dass das Alte Testament selbst eine Datierung angab und den Exodus auf 1450 und die Landnahme auf kurz vor 1400 v. Chr. verlegte, war dann eher Zeichen für seine historische Unzuverlässigkeit als Anlass zum Umdenken.
Ob nun, auf Grund der Analysen von van der Veen, Theis und Görg ein solches Umdenken stattfindet, ist offen. "Die Ägyptologie hat auf unsere Veröffentlichung mit erstaunlich wenig Kritik reagiert", sagt van der Veen, "sondern sie eher dankend zur Kenntnis genommen."
Der Grund für die Zurückhaltung könnte in der politischen Dimension des Problems liegen: Die Befürchtung in den Ruf eines bibeltreuen Fundamentalisten zu geraten oder von der israelischen religiösen Rechten – die ihren Anspruchs auf das "Gelobte Land" durch die alttestamentarische Überlieferung legitimieren will – vor den Karren gespannt zu werden, ist bei manchen Forschern groß. Legitime akademische Fragestellungen geraten so schnell in Misskredit oder werden gänzlich ausgeklammert.
Dass sich die Fachkollegen bald einigen werden über Alter und Bedeutung der Berliner Inschrift, glaubt van der Veen jedenfalls nicht. Ohne lange Debatten gehe es eben in der Ägyptologie fast nie ab: "Nachdem Sir Flinders Petrie 1896 die Merenptah-Stele gefunden hatte, diskutierte die Fachwelt ganz 30 Jahre lang darüber, ob dort nun Israel steht oder nicht."
Haben sie Recht, steht der Erforschung der Geschichte Palästinas eine "schwer zu toppende Sensation" ins Haus, meint Stefan Wimmer, Ägyptologe von der Universität München: Nicht nur weil man bislang überhaupt nur eine einzige solche Inschrift kannte, sondern auch weil das Relief in einer Zeit entstanden sein musste, in der man glaubte, dass Israel noch gar nicht existierte.
Die Konsequenzen einer solchen Deutung wären weit reichend. Alles müsste neu überdacht werden: Wie das israelische Volk entstand, wann seine ersten großen Könige lebten. Und auch die Frage nach der Faktizität der biblischen Exodus-Erzählung wäre berührt – vielleicht hat die Geschichte über die Flucht der Israeliten doch einen wahren Kern.
Die Art und Weise wie die Ägypter die drei fein säuberlich nebeneinander angeordneten Namen festhielten, gibt den entscheidenden Hinweis auf das Alter der Inschrift. Fest steht: In dem Jahrhundert, in dem man die ersten Israeliten in Kanaan vermutete, wurde längst nicht mehr so geschrieben wie auf dem Block im Berliner Museum. Die archaische Schreibung ist mindestens zwei Jahrhunderte zu alt für die herkömmliche Chronologie.
Die zwei Stelen
Die richtet sich nach der anderen bekannten Erwähnung Israels aus altägyptischer Zeit: Sie stammt aus der Regierungszeit des Pharaos Merenptah und wurde in etwa um das Jahr 1200 v. Chr verfasst. "Israel ist verwüstet, seine Saat ist nicht mehr", verkündet der Pharao. Und nicht nur Israel: Auch zahlreiche Nachbarn aus dem syrisch-palästinensischen Gebiet bekamen die eiserne Faust des Ägypterkönigs zu spüren, glaubt man der martialischen Inschrift.
Diese kurze Erwähnung auf der 1896 gefundenen Stele gab der Archäologie einen wichtigen Anhaltspunkt zur Datierung der Geburtsstunde Israels. Wenn das Volk im Jahr 1200 v. Chr. vernichtet werden konnte, musste es freilich bereits existiert haben. Die Mehrheit der Wissenschaftler einigte sich schließlich darauf, dass ein Volk namens "Israel" kurz vor Merenptah die Bühne betrat – vermutlich während der Regierung von dessen Vater Ramses II.
Verschiedene Szenarien erklären die Entstehung des Volks zum Beispiel aus bereits ortsansässigen Stämmen. Dass hingegen Proto-Israeliten aus ägyptischer Gefangenschaft auszogen und sich nach langer Wanderschaft in Kanaan zu einem israelischen Volk zusammenschlossen, wie die Bibel berichtet, galt für die Mehrheit der Bibelwissenschaftler als unwahrscheinlich.
Denn nimmt man die biblische Erzählung für bare Münze, und sucht nach Hinweisen auf einen solchen Exodus und die anschließende Landnahme, wird man in den Jahren vor 1200 v. Chr. nicht fündig: Was Archäologen über die Umstände im damaligen Palästina herausfanden, deckt sich nicht oder jedenfalls kaum mit den Schilderungen im Alten Testament. Von stark befestigten Städten ist dort die Rede, die die Flüchtlinge vom Einzug in ihr Gelobtes Land abhielten. Erst als auf göttliche Intervention hin die Mauern Jerichos in sich zusammenstürzten, konnten die Israeliten die Stadt einnehmen, heißt es beispielsweise im 6. Buch Josua. In Grabungen fand sich jedoch nichts davon – nicht einmal Mauern gab es rund um Jericho. Auch andere Schilderungen, wie die Gefangenschaft in Ägypten oder die Königsherrschaft Davids und Sauls, lassen sich nicht mit den archäologischen Befunden in Einklang bringen, wie vor allem der israelische Archäologe Israel Finkelstein von der Universität Tel Aviv in seinem einflussreichen, 2001 erschienenen Buch "Keine Posaunen vor Jericho" darlegte [1].
Öffentlichkeit für das Berliner Relief
Doch mit Wiederentdeckung der Berliner Inschrift im Jahr 2001 bekamen plötzlich alternative Szenarien Aufwind. Der Ägyptologe und Schriftexperte Manfred Görg bemerkte als Erster, dass der Name als "Israel" gelesen werden könnte. Auch dass die Inschrift aus einem – nach Sicht des vorherrschenden Modells – viel zu frühen Jahrhundert zu stammen schien, fiel dem heute emeritierten Professor für Alttestamentliche Theologie an der LMU München auf. Doch seine zeitgleich mit Finkelsteins Buch in "Biblische Notizen" veröffentlichte Studie bekam nur wenig Aufmerksamkeit. [2].
Seit 1913 befindet sich das Relief mit der Inventarnummer 21687 im Besitz des Ägyptischen Museums. Der eifrige Antikensammler und Archäologe Ludwig Borchardt (1863-1938), der dem Museum auch die Büste der Nofretete verschaffte, hatte es bei einem ägyptischen Händler erworben. Entsprechend wenig ist über Fundumstände und genaue Herkunft bekannt. Den Darstellungen zufolge hat der Block, bei dem es sich wahrscheinlich um ein Podest handeln dürfte, einen ähnlichen Hintergrund wie die Merenptah-Stele: Die drei Namen sind jeweils mit dem Bild eines Gefangenen versehen – wahrscheinlich wurden auch hier Kriegszüge des Pharaos verewigt.
Schon einmal hatte Görg das Relief in Augenschein genommen. In seiner Doktorarbeit 1975 interpretierte er die Aufzeichnung allerdings noch nicht als "Israel". Nun, rund 30 Jahre später, tat er sich mit dem Bibelarchäologen Peter van der Veen von der Universität Mainz und dem Heidelberger Ägyptologen Christoffer Theis zusammen. Weitere Untersuchungen des Reliefs wurden unternommen. Van der Veen, Theis und Görg fotografierten die Inschrift unter besonderen Lichtverhältnissen und pausten deren Struktur mit Alufolie ab, um an den zerstörten Stellen noch Hieroglyphenüberreste ausfindig zu machen. Gemeinsam veröffentlichten sie Ende 2010 Görgs These samt weiterer Untersuchungen erneut – diesmal auf Englisch, in der Hoffnung, so auf ein größeres Publikum zu stoßen [3].
Dabei untermauerten sie die frühere Analyse Görgs mit einem weiteren Befund: Bei einer übersehenen Einkerbung dürfte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um die Krallen eines Geiers handeln. Von dieser am stärksten zerstörten Hieroglyphe hatte der Münchner Forscher zunächst nur den Schnabel ausmachen können, entsprechend unsicher war seine darauf aufbauende Lesung. Nun ist das Forscherteam davon überzeugt: Das letzte kritische Schriftzeichen sei identifiziert und die Frage nach dem Rohtext geklärt. Auch die beiden anderen Namen lassen sich eindeutig lesen: "Kanaan" und "Aschkelon" sind beides Ortsbezeichnungen aus der Gegend des heutigen Israel. Die geografische Zusammenstellung passt also bestens ins Bild, das sich die Forscher machten.
Übersetzungsschwierigkeiten
Stoff für Diskussionen gibt es dennoch: So wie im lateinischen Alphabet für eine originalgetreue Wiedergabe etwa arabischer Städtenamen Buchstaben fehlen, mussten ägyptische Schreiber improvisieren, wenn sie Namen wie "Israel" notierten. Das Altägyptische verfügte über kein eindeutiges "L" und verwendete stattdessen eines von mehreren möglichen "R"-Zeichen. Hinzu kommen weitere Transkriptionsregeln und -gewohnheiten, die sich zudem im Lauf der Zeit immer wieder änderten. Am Ende rekonstruierten Görg und Kollegen eine Schreibung, die man vereinfacht als "I-schra-il" wiedergeben könnte.
Aber haben sie damit Recht? Der Alttestamentler und Nahostarchäologe James Hoffmeier von der Trinity Evangelical Divinity School in Deerfield (US-Bundesstaat Illinois) hatte sich seinerzeit gegen Görgs Deutung ausgesprochen und den Namen als "Ir-schalir", beziehungsweise in Varianten mit l/r-Vertauschungen gelesen. Sein Hauptkritikpunkt richtete sich gegen den Laut "sch": Würde es sich tatsächlich um eine Erwähnung des biblischen Volks handeln, wäre ein "s" zu erwarten – und kein "sch".
In ihrer neuen Veröffentlichung haben die Wissenschaftler diesen Vorwurf zu entkräften versucht. Überlieferte Beispiele würden zeigen, dass "zum einen die Aussprache mit 'sch' durchaus in einigen Dialekten verbreitet war", erklärt van der Veen, "und zum anderen wissen wir nicht, auf welchen Umwegen der ägyptische Schreiber von dem Namen erfahren hat” – womöglich las der Ägypter zum ersten Mal in akkadischen Texten davon, also in einer dritten, wiederum anders verschrifteten Sprache. Kurzum: Dass "Israel" auf der Merenptah-Stele mit "s" geschrieben wurde, bedeutet nicht, dass dies für alle anderen Erwähnungen auch gelten müsste.
Die Ägyptologen- und Alttestamentlerszene sehen sie auf ihrer Seite: "Wir haben mit vielen Experten auf dem Gebiet gesprochen, und niemand hat das kritisiert", sagt van der Veen. Sein Münchner Kollege Stefan Wimmer bestätigt das: "Die Identifizierung mit Israel ist seriös und solide. Es kommt hinzu, dass es keinerlei einleuchtende Alternativen gibt, mit denen der Name in diesem Kontext denn sonst zu verbinden sei."
Denn dass der Pharao, der die Inschrift in Auftrag gab, den Sieg über ein Gehöft mit zum Verwechseln ähnlich klingendem Namen notieren ließ, sei wenig wahrscheinlich, meint auch van der Veen: "Sieht man sich die beiden anderen Namen an, haben wir es hier offensichtlich mit Hauptfeinden Ägyptens zu tun." Für diese Gegend komme daher nur das in der Bibel erwähnte Volk in Betracht.
Wann entstand die Israel-Inschrift?
Doch der eigentliche Knackpunkt ist das Alter des Reliefs. Die eigentümliche Schreibweise lässt den Forschern nur zwei Interpretationen offen: Entweder der Schreiber bediente sich – aus welchen Gründen auch immer – einer damals schon archaischen Schreibung. Oder aber der Schreiber stammte noch aus einer Zeit, als das von ihm gewählte Transkriptionsverfahren gang und gäbe war: der frühen 18. Dynastie, also den Jahren 1540 bis 1400 v. Chr. Genau das glauben van der Veen, Görg und ihre Kollegen. Doch leider gibt es keine naturwissenschaftlichen Datierungsverfahren, die den Fall eindeutig entscheiden könnten. Was bleibt sind einzig Plausibilitätsargumente.
Und die zu liefern, fällt van der Veen nicht schwer. Seit Jahren schon feilt der Archäologe gemeinsam mit Forschern wie John Bimson vom Trinity College in Bristol an einer alternativen Sicht der Dinge. Einer, die sich in vielerlei Hinsicht mit der alttestamentarischen Überlieferung decken würde. Der überraschend alte Block könnte zum Schlussstein ihres Theoriengebäudes werden, demzufolge es tatsächlich einen "Auszug aus Ägypten" gegeben hat, wenn auch deutlich früher als angenommen – vielleicht um das Jahr 1500 v. Chr.
Finkelstein und andere Vertreter des herkömmlichen Modells hatten die Merenptah-Stele aus dem Jahr 1200 v. Chr. als Datierungsfixpunkt gewählt und ausgehend von diesem Datum vergeblich nach archäologischen Hinweisen gesucht. "Doch auf der Merenptah-Stele steht überhaupt nichts, was darauf schließen lässt, dass das Volk kurz vorher entstanden ist", sagt van der Veen. Verschiebt man hingegen das archäologische Suchfenster um mindestens zwei Jahrhunderte nach vorn auf das Alter der Berliner Inschrift, fügt sich für van der Veen und Kollegen Puzzleteil an Puzzleteil.
Biblische Zeiten
"Wir können zwar immer noch nichts definitiv beweisen", sagt der Forscher. "Aber im 16. Jahrhundert v. Chr., das heißt am Ende der Mittleren Bronzezeit, ähnelte die Situation sehr stark der biblischen Erzählung von der Landnahme. Wir haben dort die letzte Befestigung der Stadt Jericho, die durch ein Erdbeben zerstört wird, und wir sehen Zerstörungen bei anderen Städten, die im Buch Josua erwähnt werden." Auch in Ägypten habe es zuvor gesellschaftliche und politische Entwicklungen gegeben, die in der Bibel Widerhall finden. "Hätte man sich darauf konzentriert, hätte man durchaus sagen können: Das steckt hinter den biblischen Geschichten."
Das bestätigen auch Kritiker der "Frühdatierung": Wenn der Exodus irgendeinen wahren Kern haben kann, dann nur wenn Auszug und Landnahme deutlich früher stattfanden. Nur hatte sich der Mainstream eben auf eine spätere Periode als Geburtsstunde Israels geeignet, folglich passte nichts zueinander. Dass das Alte Testament selbst eine Datierung angab und den Exodus auf 1450 und die Landnahme auf kurz vor 1400 v. Chr. verlegte, war dann eher Zeichen für seine historische Unzuverlässigkeit als Anlass zum Umdenken.
Ob nun, auf Grund der Analysen von van der Veen, Theis und Görg ein solches Umdenken stattfindet, ist offen. "Die Ägyptologie hat auf unsere Veröffentlichung mit erstaunlich wenig Kritik reagiert", sagt van der Veen, "sondern sie eher dankend zur Kenntnis genommen."
Der Grund für die Zurückhaltung könnte in der politischen Dimension des Problems liegen: Die Befürchtung in den Ruf eines bibeltreuen Fundamentalisten zu geraten oder von der israelischen religiösen Rechten – die ihren Anspruchs auf das "Gelobte Land" durch die alttestamentarische Überlieferung legitimieren will – vor den Karren gespannt zu werden, ist bei manchen Forschern groß. Legitime akademische Fragestellungen geraten so schnell in Misskredit oder werden gänzlich ausgeklammert.
Dass sich die Fachkollegen bald einigen werden über Alter und Bedeutung der Berliner Inschrift, glaubt van der Veen jedenfalls nicht. Ohne lange Debatten gehe es eben in der Ägyptologie fast nie ab: "Nachdem Sir Flinders Petrie 1896 die Merenptah-Stele gefunden hatte, diskutierte die Fachwelt ganz 30 Jahre lang darüber, ob dort nun Israel steht oder nicht."
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