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Klimaforschung: "Dramatisierte Darstellung"

Vor dem Weltklimagipfel in Kopenhagen schlagen die Wogen hoch zwischen Forschern, Skeptikern und Politikern. spektrumdirekt sprach deshalb mit Hans von Storch, dem Direktor des Instituts für Küstenforschung am GKSS-Forschungszentrum und Professor am KlimaCampus der Universität Hamburg.
Schützenswerter Planet

Herr von Storch, demnächst beginnt die Weltklimakonferenz in Kopenhagen. Einige Ihrer Kollegen nahmen dies zum Anlass, eine gleichnamige, sehr drastische Diagnose zu veröffentlichen, nach welcher der Klimawandel rascher voranschreitet und drastischer ausfallen wird als bislang befürchtet: Steht es wirklich so schlimm um unser Klima?

Die Lage ist auf alle Fälle ernst. Aber in dem Bericht wird suggeriert, dass alles schon bekannt sei, worüber tatsächlich noch spekuliert wird. Die methodische Kritik richtet sich hauptsächlich darauf, dass von relativ kurzen Zeiträumen auf wesentlich längere geschlossen wird. Ein Jahrzehnt allein ist jedoch nicht besonders geeignet, um langfristige Klimaentwicklungen zu beurteilen.

Hans von Storch | Hans von Storch ist einer der renommiertesten Klimaforscher Deutschlands und Direktor des Instituts für Küstenforschung am GKSS-Forschungszentrum und Mitglied des Klima-Exzellenzzentrums CLISAP an der Universität Hamburg. Er war als einer der Leitautoren am 3. Sachstandsbericht des IPCC beteiligt und wirkte als einer der Hauptautoren am 5. IPCC-Bericht mit. Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den Folgen des Klimawandels sowie möglichen Anpassungsstrategien.
Welche Zeiträume müssten denn dann herangezogen werden?

Um gute Aussagen treffen zu können, braucht man 30 Jahre, wenn nicht mehr. Klimaveränderungen setzen sich zusammen aus einem Anteil, der von Treibhausgasen ausgeht, und einem anderen Anteil, der auf natürliche Schwankungen zurückgeht – und diese wechseln in Zeiträumen von Jahrzehnten. Und so erklären wir uns auch die gegenwärtige Phase, in der die Erwärmung nicht weiter voranschreitet. Diese Stagnation, wie sie manche nennen, "beunruhigt" deshalb auch ganz und gar nicht, denn derartige Episoden kommen klimatisch gesehen immer wieder vor. Es sollte darum eine grundsätzliche Ansicht in der Klimaforschung sein, dass man nicht zu sehr auf kurze Reihen setzen darf.

Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Homogenität der Daten: Über die verschiedenen Jahre brauchen wir vergleichbare Zahlen. Wir können nicht zwischen verschiedenen Quellen hin und her springen. Das aber wurde zumindest in einem Fall gemacht mit den Daten, die kürzlich aus der Climatic Research Unit (CRU) der University of East Anglia an die Öffentlichkeit gekommen sind – der "trick", der erwähnt wurde. Trick bedeutet, dass man verschiedene Daten mischt und die Signale so zusammensetzt, dass sie das gewünschte Ergebnis liefern.

In der Diagnose ist unter anderem von einem Meeresspiegelanstieg um ein bis zwei Meter die Rede: eine Zahl, die vom PIK (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Anm. d. Red.) stammt. Hier existieren erhebliche Gegenmeinungen, die von einem weniger drastischen Anstieg ausgehen. Doch diese werden in dem Bericht nicht vermittelt. Das Ganze hat deshalb den Geruch einer für politische Zwecke dramatisierten Darstellung.

Ohnehin scheint es, dass die Töne in der Diskussion zum Klimaschutz in den letzten Jahren schriller wurden: Ausdruck der Verzweiflung der Wissenschaft, dass zu wenig getan wird?

Das stimmt. Ich würde mich freuen, wenn Sie nicht sagen würden "die Wissenschaft", sondern "der schrillen Wissenschaftler". Es drängt sich in der öffentlichen Meinung immer der Eindruck auf, dass alles, was das PIK sagt, gleichbedeutend ist mit dem, was die Wissenschaft sagt. Das PIK spricht aber nicht für alle, es spricht nur für sich – auch wenn seine Meinungen und Deutungen in den Medien dominieren. Die Öffentlichkeit nimmt allerdings zunehmend wahr, dass das PIK nur einen Teil der Forscher vertritt.

Der Kopenhagen-Bericht unterstreicht dies jetzt, denn darin sind auch nur einige wenige Wissenschaftler vertreten. Und diese stellen ihre Diagnose für politische Zwecke. Wissenschaftliche Aussagen sollten aber nicht Politik machen, sondern die Hintergründe der gegenwärtigen Klimaveränderungen beschreiben und aufklären.

Vor ein paar Jahren haben mein Kollege Nico Stehr und ich schon bemängelt, dass die Aussagen immer weiter zugespitzt werden, um die Dramatik zu erhalten. Das ist einerseits verständlich, denn Medien benötigen diese Dramatik, um ihre Geschichte zu erzählen: Wenn man stets das Gleiche berichtet, hört ja irgendwann keiner mehr zu. Deshalb übertreibt man manche Aussagen immer wieder mal ein bisschen, doch das schadet am Ende mehr, als es nützt. Wir beobachten dies gerade wieder mit der Kopenhagen-Diagnose: Das PIK hat die Schraube wieder ein Stückchen weiter gedreht und erhält entsprechend die öffentliche Aufmerksamkeit.

Sie vertreten in der Klimadiskussion gemäßigtere Töne. Warum vernehmen wir Meinungen wie die Ihre seltener in der breiten Öffentlichkeit?

Ich denke, das liegt an der Dynamik der Medien selbst. Dramatisierende sind ebenso wie die radikal verneinenden Darstellungen in ihrer polarisierenden und aufregenden Art viel besser geeignet, Aufmerksamkeit und Interesse zu finden. Medienerfolg hat ja viel zu tun mit Unterhaltung, und nur eingeschränkt mit Information oder abwägender Diskussion. Das soll jetzt keine Medienschelte sein, nur eine Beschreibung von Wirklichkeit.
Hat in den letzten Jahren eine Art Ideologisierung mancher Klimaforscher stattgefunden?

Ja, sicher. Es gibt Wissenschaftler, die fordern, dass Frau Merkel dieses oder jenes politisch tun müsse. Hier wird von einigen verkannt, dass der Willensbildungsprozess in Deutschland ein demokratischer ist und nicht nur auf dem vermeintlich oder tatsächlich besseren Wissen beruht.

In diesem Zusammenhang sind die am Anfang bereits erwähnten gehackten E-Mails und Datensätze aus England vielleicht von Interesse. Ist an den Vorwürfen, die den Klimaforschern im Rahmen des veröffentlichten Materials gemacht werden, etwas dran?

Eines kann man wohl schon sagen: Wirklich gefälscht wurde nicht. Es ist nicht an den Zahlen gedreht oder Datenmassage betrieben worden. Die Beteiligten haben allerdings ein Kartell gebildet, zu dem auch maßgeblich die Autoren der Kopenhagen-Diagnose zählen – etwa Michael Mann oder Stefan Rahmstorf. Ein Kartell, um die eigenen Ansichten gegen andere durchzusetzen. Und das ist in höchstem Maße unwissenschaftlich, denn Wissenschaft ist per se offen, und das vorliegende "Geschäftsmodell" lässt sich damit nicht vereinbaren.

Wie muss man dann den Begriff "trick" verstehen, der in einer Mail erwähnt wurde?

Dieses Wort bedeutet nicht, dass gefälscht wurde. Vielmehr wurde eine Abwägung getroffen, wie die vorhandenen Daten eingesetzt und zusammengeführt werden, um zu einem stimmigen Ergebnis zu kommen. Anschließend lässt man eigentlich diese Resultate durch Diskussion und Nachprüfung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft kritisch nachfragen, doch dies hat man hier wohl nicht gemacht. Hier liegt das eigentliche Versagen.

Die Daten hätten also tatsächlich anderen zur Verfügung gestellt werden müssen?

Verständlicherweise gibt man neue Daten nicht sofort an andere Wissenschaftler weiter, weil man sie zuerst selbst auswerten möchte. Nach einiger Zeit sollten sie aber schon herausgerückt werden, damit auch andere damit arbeiten können – selbst wenn diese einem nicht immer unbedingt "wohlgesinnt" sind und Fehler finden wollen. Doch Fehler machen wir alle einmal – genauso, wie wir manche Einschätzungen treffen, die man auch anders interpretieren könnte, und die vielleicht große Folgen haben.

Ich bin überzeugt davon, dass die Skeptiker ein paar kleine Fehler finden würden, wenn das CRU die gesamten Daten herausgäbe. Aber das Gesamtbild, dass es einen Klimawandel gibt, würde sich nicht ändern. Dass diese Herausgabe noch nicht geschehen ist, hat etwas von einer Rumpelstilzchenreaktion oder einem trotzigen Kind: Manche wollten nicht, dass bestimmte Leute das Material bekommen, weil sich diese in der Vergangenheit kritisch zu Resultaten aus den Datensätzen geäußert hatten.

Bräuchte die Klimaforschung eine größere Transparenz?

Für die Glaubwürdigkeit unserer Wissenschaft ist die Nachprüfbarkeit elementare Voraussetzung. Dies ist aber ausgehebelt worden, und diese Blockade muss weg. Ich betone nochmals, dass deswegen nicht die Ergebnisse falsch sind. Zur Methodik gehört es aber, dass Offenheit hergestellt wird.

Befremdlich war Außenstehenden außerdem der bisweilen etwas ruppige Ton, der in den veröffentlichten Mails angeschlagen wurde.

Das darf man nicht zu ernst nehmen. Ich bin sicherlich kein Chorknabe, aber ich schreibe schon so, wie ich rede. Bei einem der Kollegen war das weniger konsistent: Er schreibt viel gröber, als er redet. Da spricht einer, dem ich eigentlich vertraut hatte, in einer Art über mich, wie ich es nicht erwartet hätte. Wenn man unter Forschern Vorbehalte hat, sollte man diese auch demjenigen gegenüber offen äußern. Das empfand ich menschlich als enttäuschend. Aber keiner kann verlangen, dass Klimaforscher menschlich überzeugender sein müssen als andere Personen.

Welche Konsequenzen müssen aus diesem Vorfall nun gezogen werden?

Es ist ein Schaden entstanden an der Glaubwürdigkeit der sozialen Einrichtung Wissenschaft: Die Gesellschaft hält sich die Forschung als eine Art Dienstleistung, und sie erwartet im Gegenzug, dass sie eine gute Deutung komplexer Vorgänge wie Schweinegrippe oder Klima erhält – und nicht politische Entscheidungen von uns.

Die betroffenen Personen müssen deshalb die geforderte Offenheit wiederherstellen. Sollte zudem der Eindruck entstanden sein, dass bestimmte Wissenschaftler den Begutachtungsprozess korrumpiert haben – unabhängig davon, ob das nun stimmt oder nicht –, so sollten diese an den entsprechenden Verfahren vorerst nicht mehr teilnehmen und am IPCC-Bericht mitwirken. In der Politik hieße dies "Verantwortung übernehmen". Und das ist nun auch hier gefordert: Entsprechende Forscher sollten aus diesen Gremien zurücktreten und nicht mehr über andere Arbeiten urteilen.

Außerdem empfehle ich dringend, dass das CRU von sich aus alles von Belang publiziert. Ansonsten könnte der Schrecken immer weitergehen und die Hacker scheibchenweise neues Material nachliefern. Eine Veröffentlichung würde die Diskussion beenden.

Im Zuge dieser Datenaffäre findet mehrfach das Journal "Climate Research" Erwähnung, dessen Chefredakteur Sie auch kurzzeitig waren, bevor Sie zurückgetreten sind. Was war vorgefallen?

Einer der Artikel, der im Zusammenhang mit den CRU-Daten als nicht akzeptabel dargestellt wird, wurde in meinen Augen nicht so begutachtet, wie es professionell geboten gewesen wäre. In der öffentlichen Debatte kamen anschließend sehr viele Fragen auf, die bereits im Begutachtungsprozess hätten gestellt werden müssen: Das Publikationsverfahren war also unzureichend. Ich wollte deshalb sicherstellen, dass dies zukünftig nicht mehr vorkommt, und dies ebenfalls öffentlich machen. Dagegen hatte aber der Herausgeber etwas. Daher bin ich auf eigenen Entschluss ausgeschieden.

Besonders heiße Diskussionen entbrennen immer wieder bezüglich der so genannten Hockeyschläger-Kurve von Michael Mann, die über einen Zeitraum von 1000 Jahren einen besonders starken Temperaturanstieg in den letzten Jahrzehnten zeigt: Welche Bedeutung hat sie für die Klimaforschung heute?

Das Diagramm findet sich beispielsweise in der Kopenhagen-Diagnose und wird also immer noch verwendet. Unsere Kritik daran bezog sich aber wiederum nicht auf die Aussage, sondern auf die angewandte Methodik. Diese Veröffentlichung, die damals die Debatte über den Hockeyschläger wieder eröffnet hat, wurde auch in den CRU-Mails besprochen. Einer der Schreiber hat tatsächlich versucht, einen Gutachter unserer Arbeit zu beeinflussen – und zwar negativ. Das fand ich äußerst bemerkenswert. Allerdings ziehe ich auch den Hut vor dem jungen Mann, der diesem Einfluss widerstanden hat.

Mit neueren Daten und Methoden wurde der "Hockeyschläger" reproduziert. Was ist von diesen Resultaten zu halten?

Das ist sehr fraglich und wird behauptet von Michael Mann und Co. Sie beherrschen mit ihrer kartellartigen Aufstellung die öffentlich wahrgenommene Diskussion, und derartige Aussagen landen folglich unwidersprochen in der Öffentlichkeit. Die wissenschaftliche Debatte dazu läuft momentan jedoch ganz intensiv.

Nach eigenen Angaben stehen Sie selbst häufiger in der Kritik von beiden Seiten, von "Klimaskeptikern" und "Klimaschützern": Wie kommt das?

Ich würde sie nicht Klimaschützer nennen – eher "Alarmisten". Beide haben eine gemeinsame Eigenschaft: Sie sind wertegetrieben und interessiert nur an bestimmten Aussagen. Die einen reden die ganze Zeit von einer "linken Verschwörung" und "Kommunisten", die die Weltregierung wollen, um die amerikanische Wirtschaft zu ruinieren. Und die anderen argumentieren, dass der Klimawandel eine ernste Sache sei und dies die Gelegenheit, die Welt entscheidend zu verbessern und mit den Ressourcen vernünftig umzugehen. Im Extremfall schießen zwei ideologische Linien gegeneinander.

Jemand wie ich, der als Wissenschaftler rational argumentieren möchte – wenn du dies tust, bekommst du das und umgekehrt –, gerät deshalb zwischen die Fronten. Ich verweigere mich, mir vorher zu überlegen, ob meine Ergebnisse einer politischen Sache dienen. Ich bin kein "Weltverbesserer", Skeptiker und Alarmisten denken dies hingegen von sich selbst.

Auch wenn Sie sich selbst nicht als Weltverbesserer sehen: Haben Sie trotzdem Empfehlungen für den Klimagipfel?

Als normaler Hamburger Bürger hätte ich gerne ein Ergebnis, das wirksam ist, und das nicht nur aus heißer Luft besteht, sondern realistisch umgesetzt werden kann. Es muss anerkennen, dass Emissionen so stark verringert werden, dass der Klimawandel nicht zu drastisch ausfällt. Gleichzeitig müssen wir massive Anstrengungen unternehmen, dass mit dem Ausmaß der Erderwärmung, die sich nicht mehr vermeiden lässt, vernünftig umgegangen wird – in Hamburg wie in Schanghai oder andernorts.

Wird es der Menschheit gelingen, den Klimawandel in einigermaßen verträgliche Bahnen zu lenken?

Wir können ihn vermindern, selbst wenn ich nicht glaube, dass wir das gewünschte Zwei-Grad-Celsius-Ziel einhalten können. Von meiner Grundhaltung her bin ich ein optimistischer Mensch: Wenn Herausforderungen da sind, ergeben sich auch neue Lösungen. Gerade was technische Entwicklungen angeht, werden wir vieles sehen, wovon wir jetzt noch keine konkrete Vorstellung haben. Alles zusammen wird am Ende zu einem Happy End führen, wobei ich nicht weiß, wann es genau eintreffen wird – sicherlich nicht so schnell, wie es sich viele wohl wünschen.

Herr von Storch, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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