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Marsforschung: Europas schwerer Weg zum Mars

Das Sondenziel "Mars" ist ungebrochen populär: Europa will dort mit "ExoMars" forschen, und Russland möchte dabei helfen. Weil die Mission aber immer teurer wird, steht sie nun vor dem Aus.
Exomars

Wenn Jean-Jacques Dordain, Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, kokettieren möchte, dann sagt er gerne: "Es ist einfach, Dinge allein zu bewältigen, aber es ist schwer, sie in Kooperation mit anderen umzusetzen." Der Franzose, dessen tägliche Aufgabe darin besteht, die widerstrebenden Interessen von 19 Mitgliedsländern unter einen Hut zu bringen, lächelt dann schelmisch hinter den kleinen Gläsern seiner Hornbrille. Derzeit dürfte Dordain allerdings wenig zu lachen haben – und der Grund sind ausgerechnet die Unwägbarkeiten internationaler Kooperationen.

ExoMars heißt das Projekt, das Europas Raumfahrtmanagern zunehmend Sorgen bereitet. Ursprünglich als rein europäische Marslandung geplant, drohte die unbemannte Mission schnell am Geld zu scheitern: Die ESA-Staaten konnten sich nicht auf eine gemeinsame Finanzierung einigen. Die Amerikaner sollten aushelfen, zogen sich aber – nachdem die Missionspläne festgezurrt waren – überraschend zurück. Jetzt will Russland einspringen. Das nötige Geld haben die Europäer allerdings noch immer nicht beisammen.

Nach vielen Vertröstungen hat ExoMars vor Kurzem offenbar eine letzte Galgenfrist erhalten: Nach Informationen des Fachblatts "Space News International" soll die Entscheidung der ESA-Gremien nun in Kürze fallen: am 14. Juni 2012. "Es geht nur noch darum, ob wir die Mission machen oder stoppen", sagt Jean-Jacques Dordain.

ExoMars reiht sich damit in eine imposante Riege von Projekten ein, bei denen die Europäer von ihren amerikanischen Partnern zuletzt im Stich gelassen wurden: Ein internationales Röntgenobservatorium – gestrichen. Ein gemeinsames Satellitentrio zur Suche nach Gravitationswellen – gestrichen. Ein unbemannter Flug ins Jupitersystem – beschlossen, als abgespeckter europäischer Alleingang im Jahr 2022.

"Die finanzielle Situation hat es uns einfach nicht erlaubt, weitere Flaggschiff-Missionen zu starten", verteidigt sich Charles Bolden, Chef der US-Raumfahrtbehörde NASA: Der eigene Mars-Rover Curiosity, das geplante Raketensystem für Flüge zu den Asteroiden und das finanziell völlig aus dem Ruder gelaufene James-Webb-Weltraumteleskop hätten ihm keine andere Wahl gelassen, als die Notbremse zu ziehen. Kein Geld, keine neuen Missionen. "Ist Amerika deshalb unzuverlässig? Ich würde meinen, Nein, aber ich bin auch befangen", sagt Bolden.

ExoMars-Rover: Ein flüchtiger Entwurf? | Die ExoMars-Mission ist seit der ersten Projektvorstellung mehrfach verändert und überarbeitet worden. Derzeit möchte die ESA unter Beteiligung von Russland – und der NASA – 2016 und 2018 zum Roten Planeten fliegen. Am Ende soll auch ein europäischer Rover durch den Marssand rollen.

Anfang Mai ist der ehemalige Spaceshuttle-Kommandant extra nach Berlin geflogen, um während eines Raumfahrt-Symposiums für Vertrauen unter den Partnern zu werben. Und Bolden hatte eine klare Botschaft im Gepäck: Gerade in Zeiten knapper Kassen komme der internationalen Zusammenarbeit eine immer größere Bedeutung zu. Die einzelnen nationalen Raumfahrtvisionen müssten aufeinander abgestimmt werden und zu bemannten sowie unbemannten Gemeinschaftsprojekten führen. Künftig sollten sich die Europäer daran sogar mit missionskritischen Komponenten beteiligen – etwas, das ihnen bislang streng verwehrt war.

"Die USA müssen bei solchen Missionen nicht immer die Führungsrolle beanspruchen", sagt Bolden in Berlin. "Uns reicht es, wenn wir von den Erfahrungen unserer Partner profitieren können." Für die stolze amerikanische Raumfahrt wäre das eine Revolution. Für die Ingenieure, die an den zuletzt gestrichenen Kooperationsprojekten gearbeitet haben, mag es wie Hohn klingen.

Für ExoMars kommt es definitiv zu spät.

Die Situation ist verfahren: Als Europas Raumfahrtminister im Jahr 2005 die Mission beschließen, soll sie rund 600 Millionen Euro kosten und vor allem die technische Machbarkeit einer Landung auf dem Mars demonstrieren. Drei Jahre später wird daraus eine komplette Mission – mit einem Orbiter in der Mars-Umlaufbahn, mit Landesonden, mit einem Rover. Die ESA-Mitgliedsländer verständigen sich darauf, dass das Unterfangen eine Milliarde Euro kosten darf. Als es darum geht, diese Summe bereitzustellen, kommen allerdings nicht mehr als 850 Millionen Euro zusammen. Deshalb überredet Dordain die Amerikaner, sich an ExoMars zu beteiligen. Zwei Raketen und die Hälfte des Rovers will die NASA beisteuern – bis sich Bolden Ende 2011 als großer Bremser betätigt.

Stattdessen zeigen die Russen Interesse, die im November mit dem Versuch gescheitert waren, eine eigene Sonde zum Marsmond Phobos zu schicken. "Wir haben keine Sekunde damit verloren, die Russen überzeugen zu müssen", sagt Jean-Jacques Dordain. "Sie sind sehr motiviert." Noch sind die Partner allerdings damit beschäftigt, eine gute technische Basis für das Projekt zu finden. Die Zeit drängt: 2016 öffnet sich das nächste realistische Startfenster zum Roten Planeten, dann müssen der Orbiter und die erste Landesonde fertig sein. Zwei Jahre später soll dann der Rover folgen.

Sicher ist bereits jetzt, dass ExoMars abermals teurer werden wird. Die Russen bestehen darauf, in das Landegerät eine Radionuklidbatterie einzubauen, die Strom aus der Energie des radioaktiven Zerfalls gewinnt. Mit ihrer Hilfe kann die Sonde ein Jahr lag auf dem Mars durchhalten und nicht – wie bislang geplant – nur einige Tage. Allerdings muss dafür das thermische Konzept des Raumfahrzeugs neu geplant werden.

Noch schwieriger wird es im Jahr 2018: Die Europäer haben keinerlei Erfahrung damit, einen Rover auf einem fernen Planeten abzusetzen. Bereits der Versuch, mit einer stationären Sonde namens Beagle 2 auf der Marsoberfläche zu landen, endete 2003 in einem Desaster. Bei ExoMars sollte daher die NASA diese Aufgabe übernehmen. Jetzt müssen die Europäer selbst ran.

Mindestens 1,2 Milliarden Euro wird die Mission nun kosten – 40 Prozent mehr, als bislang eingesammelt sind. Deutschland hat bereits klargemacht, dass es keinen zusätzlichen Cent beisteuern wird. "Wir stehen zu unserer Zusage und unterstützen die Mission, aber wir sehen keine positive Entwicklung", sagt Johann-Dietrich Wörner, Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Auch England und Frankreich haben sich zuletzt geweigert, mehr Geld zuzuschießen. Die Italiener, größter "ExoMars"-Unterstützer in der ESA, würden zwar gerne mehr geben, stecken aber tief in der Finanzkrise.

Andere Ideen sind gefragt, und Jean-Jacques Dordain zeigt sich durchaus kreativ. "Das Geld muss nicht zwangsläufig von den einzelnen Mitgliedsstaaten kommen, wir können auch versuchen, auf unser Wissenschaftsprogramm zurückzugreifen", sagt Dordain in Berlin. Zum Wissenschaftstopf tragen alle ESA-Länder automatisch mit ihren Mitgliedsbeiträgen bei; Dordain hat formell allerdings keinen Zugriff darauf. "Space News International" spekuliert daher, dass er die Russen überreden könnte, sich an Europas geplanter Jupitermission mit einer Rakete und einer Landesonde zu beteiligen. Das gesparte Geld würde dann ins ExoMars-Programm fließen. Auch die Abteilung für Technologieentwicklung könnte ein paar Euros beisteuern. Offensichtlich denkt Dordain sogar daran, den Neubau des ESA-Hauptquartiers um zwei Jahre zu verzögern – alles wegen einer gescheiterten Kooperation.

Keine einzige dieser Ideen wird genug Geld abwerfen, um ExoMars doch noch auf Kurs zu bringen. In der Summe könnte es aber knapp reichen. Jean-Jacques Dordain hat in der Vergangenheit jedenfalls bewiesen, dass er über großes diplomatisches Geschick verfügt, dass er Allianzen schmieden und Geld genau dort auftreiben kann, wo es niemand vermutet.

Gut möglich, dass es Dordain ist, der zuletzt lacht.

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