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Menschwerdung: Der Wurzel der Menschheit ein Stückchen näher?

Heidelberg. Der Stammbaum des Menschen wird immer komplizierter – nun sogar an seiner Wurzel. "Spektrum der Wissenschaft" berichtet in seiner September-Ausgabe über das unglaubliche Forscherglück des südafrikanischen Paläoanthropologen Lee Berger, der mehrere bemerkenswert vollständige Skelette, verschiedene Kieferfragmente sowie bisher mindestens einen Schädel einer bisher unbekannten späten Vormenschenart, Australopithecus sediba genannt, gefunden hat.
Ein neuer Urahn?

Nun ist ein Streit darüber entbrannt, an welche Stelle in unserem Stammbaum – besser gesagt Stammbusch – diese Spezies gehört. Denn sie vereint auf überraschende Weise alte und neue Merkmale: Zum Beispiel lange Arme und Kletterhände mit einer vermutlich geschickten Hand, ein ausgesprochen kleines Gehirn mit einer auffallenden Stirnrinde oder den kleinen Kopf mit einem trotzdem ziemlich modern gebauten Becken. Nichts davon scheint zusammen zu passen, nicht einmal die Knochen in der Ferse. Nach Bergers Ansicht könnte die Art an der Wurzel der Menschheit stehen. Dann wäre die Gattung Homo vielleicht gar nicht im Osten, sondern im Süden Afrikas entstanden.

Zum Hintergrund: In der Septemberausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" berichtet die Autorin des Artikels, Kate Wong, von ihrer Reise zu den Forschern nach Johannesburg und zum Fundort, einem ehemaligen kleinen Steinbruch in der Nähe anderer berühmter Fossilstätten. An dieser Stelle waren die Hominiden vor zwei Millionen Jahren vermutlich in ein tiefes Loch gestürzt und in der unterirdischen Höhle bald von Schlammmassen begraben worden.

Paläoanthropologen Lee Berger spannt derzeit Forscher aus aller Welt zur Untersuchung ein. Inzwischen hat eine Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sogar Zahnsteinreste von Australopithecus sediba analysiert und hieraus Rückschlüsse auf den Speiseplan ziehen können. Bergers Team erwartet, im Gestein der Höhle bald weitere Fossilien aufzuspüren. Durchleuchtungen lassen sie schon erkennen.

Aber wohin gehört die neue Art? Nach Bergers Ansicht könnte sie an der Wurzel der Menschheit stehen oder ihr zumindest sehr nahe sein. Dann wäre die Gattung Homo vielleicht gar nicht im Osten, sondern im Süden Afrikas entstanden. Einige Forscher halten dagegen: Diese Spezies sei dafür mit zwei Millionen Jahren zu jung. Zu ihrer Zeit habe es die Menschengattung Homo längst gegeben – es sei denn, Australopithecus sediba hätte seine urtümlichen Merkmale in Rekordzeit abgelegt. Denn der Homo erectus, der uns körperlich schon weitgehend glich, lebte bereits vor 1,8 Millionen Jahren. Doch selbst wenn die neue Spezies nicht zu den menschlichen Vorfahren zählen sollte, gibt sie Aufschluss über unerwartete Evolutionsmuster an unserer Wurzel. Und das ist spannende Wissenschaft von Anfang an.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, September 2012
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