Nicaraguakanal: Jahrhundertwerk oder Desaster?
Herr Professor Meyer, warum kommt man auf die Idee, einen Kanal durch Nicaragua zu bauen, wenn es nur wenig südlich bereits einen durch Panama gibt – der zudem ausgebaut wird?
Axel Meyer: Das ist eine berechtigte Frage, denn ökonomisch ist das nicht nachvollziehbar. Allein die Vorinvestitionen machen bereits 40 Milliarden Dollar für einen bis zu 300 Kilometer langen Kanal aus, den man drei bis vier Tage durchfahren muss. Der Panamakanal ist zwar weiter südlich, doch dafür ist die Fahrtzeit durch die nur knapp 80 Kilometer lange Wasserstraße wesentlich kürzer.
Dennoch bestehen ernsthafte Pläne?
Es liegt nahe, dass es sich auch um geopolitische Beweggründe handelt, weshalb die Chinesen diese Route öffnen wollen.
Hegen die Investoren Befürchtungen, dass die USA selbst heute noch zu viel Einfluss auf die Betreiber des Panamakanals nehmen könnten?
China gehört zu den größten Abnehmern venezolanischen Erdöls, und beide Staaten sind eng miteinander befreundet. Es erscheint also logisch, dass sich die Volksrepublik sichere Alternativen sucht, auch wenn der Panamakanal heute nicht mehr unter US-amerikanischer Aufsicht steht, sondern Panama gehört.
Erscheint ein Kanal durch Nicaragua angesichts der schwierigen geologischen und hydrologischen Bedingungen überhaupt möglich?
Die Dimensionen sind kaum vorstellbar: Der Panamakanal gilt als Jahrhundertwerk der Ingenieure. Seine bisherigen Schleusen benennen eine ganze Schiffsgrößenkategorie. Und alles, was nicht durchpasst, bezeichnet man als Post-PanMax-Klasse – für die nun die Schleusen und die Wasserstraße ausgebaut werden, damit auch die größten Frachter und Tanker Zentralamerika passieren können. Mit dem Nicaraguakanal verhielte es sich kaum anders. Die Wasserstraße soll beispielsweise an der Pazifikküste an der Mündung des Rio Brito beginnen – einem besseren Bach. Die Route führt auch durch den Nicaraguasee, der an vielen Stellen flacher als 15 Meter ist; er müsste also ausgebaggert werden, denn Post-PanMax Schiffen haben einen Tiefgang von mehr als 18 Metern. Dazu muss die Strecke hügeliges bis gebirgiges Gelände mit schwierigem Untergrund queren.
Zu der Vereinbarung zwischen dem Staat Nicaragua und der Hongkonger HKND-Gruppe (HK Nicaragua Canal Development Investment Company) gehören auch Abbaurechte für Rohstoffe, die unterwegs gefunden werden, sowie Pläne zur Errichtung von Industrieanlagen und Häfen. Könnte der Kanal nicht ein Vorwand für Schürflizenzen sein?
Die hätte es wahrscheinlich auch billiger gegeben. Politisch ist kaum durchschaubar, was hier alles dahintersteckt. Böse Zungen im Land sagen, dass sich China ein ganzes Land für 40 Milliarden Dollar kauft. Wichtigster Rohstoff sind eigentlich fruchtbare Böden, die beispielsweise für den Kaffeeanbau genutzt werden. Und in gewissem Umfang gibt es auch Golderze. Aber das ist wohl nicht entscheidend. Worüber ich mir besonders Sorgen mache, ist die Tatsache, dass die HKND-Gruppe schon vorab von allen Folgekosten ökonomischer und ökologischer Schäden freigesprochen wird. Das ist wohl einmalig. Außerdem darf die Firma selbst die Umweltgutachten erstellen und einholen, nicht, wie sonst international üblich bei solchen Megaprojekten, unabhängige Fachleute.
Wer profitiert im Land von dem Projekt?
Jeder versucht hier etwas von dem Kuchen abzukommen – sowohl die sandinistische Regierung als auch die christlich-demokratische Opposition. Und der Bevölkerung wird natürlich versprochen, dass es viele Arbeitsplätze während des Baus und des Betriebs des Kanals geben wird. Das juristische Konstrukt des Vertrags, so wurde es mir erklärt, ist derart angelegt, dass sich die reichsten Familien des Landes über Jahrzehnte hinaus ihren Reichtum sichern können: Der Staat hat wohl keine Handhabe auf die Art und Weise, wie dort Geld im Rahmen des Kanalbaus investiert wird. Das Geld fließt also vermutlich auch zum Teil in private Hände.
Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung? Immerhin würden durch das Infrastrukturprojekt auch zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen.
Viele Menschen, mit denen wir gesprochen haben, sind diesbezüglich vorsichtig optimistisch, aber auch ein bisschen zynisch eingestellt. Aber viele Fischer am Nicaraguasee äußerten uns gegenüber auch große Bedenken wegen des Kanals, den sie als Bedrohung ihrer Lebensweise und ihres Einkommens sehen.
Wie steht die indigene Bevölkerung an der Karibikküste dem Kanalprojekt gegenüber?
Mein Kollege Jorge Huete-Pérez von der Universidad Centroamericana in Managua berichtete, dass von dieser Seite bereits 30 Klagen gegen den Regierungsbeschluss eingegangen seien. Sie beschwerten sich unter anderem, dass sie bislang noch überhaupt nicht konsultiert worden waren.
Es stehen verschiedene Routen zur Debatte.
Ja, es kamen zum Beispiel Überlegungen auf, den Kanal an der Südgrenze des Landes entlang des San-Juan-Flusses entlangzuführen. Das Nachbarland Costa Rica hat dagegen sein Veto eingelegt, da das Südufer des Flusses zu seinem Territorium gehört. In gewisser Weise wäre das die logischste Route, denn der San Juan ist ein relativ großer Fluss, über den Cornelius Vanderbilt ab 1848 Goldsucher von der US-amerikanischen Ostküste nach Kalifornien brachte – und so sehr reich wurde: Dieser See- und Landweg war schneller und sicherer als die Strecke quer durch die USA.
Welche wäre denn ökologisch die am wenigsten schädliche?
Der San-Juan-Weg wäre rein hydrologisch die beste Option, die Regionen nördlich des Flusses gehören allerdings zu den ökologisch wertvollsten und intaktesten des Landes. Noch weiter nördlich schließen sich aber ebenfalls zahlreiche Naturschutzgebiete und Biosphärenreservate an.
Was steht auf dem Spiel?
Im Osten Mittelamerikas soll eigentlich ein Korridor aus Schutzgebieten von Mexiko bis Panama die Wanderung großer Landsäugetiere ermöglichen, etwa von Jaguaren, Tapiren und anderen Arten. Das ist jetzt schon nicht mehr intakt, auch im dünn besiedelten Osten Nicaraguas wird immer mehr Wald illegal abgeholzt für Viehweiden oder um das Holz nach Asien zu exportieren. Dennoch sind viele Gebiete auch noch gut bewaldet, und die gilt es zu erhalten. Der Kanalbau könnte die Zerstörung dagegen beschleunigen, weil er Menschen anlockt und diese Gegenden erst zugänglich macht, denn es gibt jetzt noch keine Straße, die bis an die Karibikküste in Nicaragua geht.
In Panama hat aber doch der Kanal die Erhaltung des Regenwaldes gefördert, so dass in der Kanalzone noch Regenwald wächst, während er außerhalb bereits abgeholzt wurde.
Das ist richtig: Der Regenwald hält die Wasserversorgung des wichtigen künstlichen Gatun-Sees aufrecht und verhindert dessen Verschlammung. Dieses Argument wird auch in Nicaragua vorgebracht: Um die Wasserstraße ausreichend mit Wasser zu versorgen, müsste eigentlich jetzt schon damit begonnen werden, an Teilen der Strecke wieder aufzuforsten. Das kann man hoffen.
Angesichts der politischen und demografischen Verhältnisse in Nicaragua erscheint dies aber unwahrscheinlich.
Wegen des Bevölkerungswachstums sind in den letzten drei Jahrzehnten viele Regionen dicht besiedelt worden. Dort wächst heute kaum ein Baum mehr. Auch mein Arbeitsgebiet, die Kraterseen im westlichen Nicaragua, zeigt das: Die Hänge rund um die Gewässer sind mittlerweile oft dicht besiedelt, gerodet, das Wasser wird als Müllkippe missbraucht und so weiter.
Wäre nicht eine Entwicklung von unten wie in Costa Rica ein nachhaltigeres Wirtschaftsmodell? Dort setzt man unter anderem stark auf Ökotourismus und erhält Wälder großflächig?
Nicaragua ist deutlich ärmer als Costa Rica. Ein Kanalbau verspricht dann in kürzerer Zeit mehr Gewinn – das ist natürlich verlockend. Dazu kommt, dass China sehr viel weniger Scheu hat, ein derartiges Projekt zu stemmen, als westliche Staaten.
Sie gehen also sicher davon aus, dass der Nicaraguakanal kommt? Schließlich scheiterten schon mehrere Ansätze in der Vergangenheit.
Hinter der HKND stehen wohl auch die chinesische Regierung und staatliche chinesische Unternehmen wie die Chinese Railroad Company. Mein Eindruck ist daher, dass die Volksrepublik selbst hinter diesem Projekt steht und nicht nur eine private Firma. Dieser Kanal soll also gebaut werden – koste es, was es wolle. China hat einen langen Atem und tiefe Taschen und denkt strategisch weit in die Zukunft. Das zeigen ja auch die riesigen Landkäufe und Investitionen in Afrika und Teilen Lateinamerikas, denn es gilt auf Jahrzehnte sicherzustellen, dass 1,3 Milliarden Menschen zu essen haben werden.
Was befürchten Sie für Ihre Arbeit vor Ort?
Ich mag das Land und die Leute sehr. Es sind sehr freundliche Menschen und das Land wunderschön, man kann ihnen nur alles Gute wünschen. Einer meiner Doktoranden soll nun den Status quo der Fischarten im Osten Nicaraguas und im Nicaraguasee erfassen – einen historischen Schnappschuss, um zu sehen, was vor dem Kanal vorhanden war. Ich forsche seit den 1980er Jahren dort. Und es macht mich sehr traurig zu sehen, was in den letzten Jahrzehnten verloren ging und was für die nächste Generation an Biologen noch übrig sein wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
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