Verhaltensforschung: Die Verwandtschaft zählt
Große Tümmler (Tursiops truncatus) lotsen bei der Nahrungssuche vor allem Familienmitglieder zu schwer zugänglichen oder reichhaltigen Nahrungsquellen. Dies haben Jennifer Lewis und Kollegen von der Florida International University in den Florida Keys beobachtet, dem drittgrößten tropischen Korallenriff der Welt. Die Delfine bilden Kleingruppen, die sich innerhalb von Stunden oder Tagen wieder auflösen oder aus wechselnden Mitgliedern neu bilden. Dabei waren Tiere, die einem Anführer zu einer Nahrungsquelle folgten, überdurchschnittlich oft mit diesem verwandt.
Die Forscher untersuchten Delfine in Paaren oder Gruppen, in denen ein Tier die Führung übernahm, während die anderen ihm nachschwammen. Vom Schiff aus beobachteten die Wissenschaftler das Verhalten der Großen Tümmler auf Futtersuche und identifizierten dabei die einzelnen Individuen. Zudem entnahmen sie den Delfinen eine Gewebeprobe unterhalb der Schwanzflosse und analysierten ihre DNA. Dabei fanden die Autoren heraus, dass Große Tümmler, die ihre Artgenossen anführten, überdurchschnittlich häufig mit diesen verwandt waren. In Gruppen, in denen kein Tier eindeutig die Leitung übernahm, traf dies nicht zu. Erkennen können Große Tümmler ihre Angehörigen nach Ansicht der Forscher anhand von charakteristischen Lauten.
Nahrungssuche im Lebensraum rund um die Florida Keys erfordert gute Ortskenntnisse und Erfahrung. Unpassierbare Riffe trennen die seichten Korallenbecken, in denen sich Fische, die Beute der Delfine, tummeln. Auch aus den verschlungenen Mangrovenwäldern gibt es nur wenige Ein- und Ausgänge. Kennt sich ein Delfin besonders gut aus, kann er als Informationsquelle für Artgenossen dienen, die ihm nachschwimmen. Der Vorteil für die nachfolgenden Tiere ist offensichtlich: sie finden leichter zu profitablen Nahrungsquellen und bewegen sich sicherer durch die Riffe. Das altruistische Verhalten der Anführer ist vermutlich durch einen indirekten Nutzen motiviert. Indem die Leittiere ihre Angehörigen unterstützen, erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Erbgut weitergegeben wird. Oft verhalten sich die geführten Tiere im Anschluss auch weniger aggressiv und teilen ihr Territorium eher. Seinen Verwandten zu helfen, ist also auch bei Delfinen ein verbreiteter und für beide Seiten nützlicher Habitus.
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