Publikationswesen: "Die Internet-Kultur sickert in die Wissenschaft ein"
"Open Access", sagt Bora Zivkovic, "ist nur eine Phase eines Prozesses, der die Wissenschaftskommunikation insgesamt verändern wird." Er sollte es wissen, denn als Community Manager bei PLoS ONE, dem derzeit erfolgreichsten Open-Access-Journal, ist er direkt an diesen Veränderungen beteiligt. PLoS, die 2001 gegründete Public Library of Science, finanziert sich über Stiftungsgelder und Gebühren ihrer Autoren und stellt alle Beiträge frei im Netz zur Verfügung.
Während in Deutschland noch über den Bestandsschutz des gedruckten Werks philosophiert wird, bereiten sich internationale Verlage auf die Zeit nach seiner Abschaffung vor. "Der nächste Schritt besteht darin, dass die Zeitschriften ganz aufhören, ihre Artikel auf Papier zu drucken", sagt Zivkovic. Dazu würden sie schon die ökonomischen Realitäten zwingen: "Denn die größten Ausgaben im Verlagsgeschäft haben nichts mit dem Inhalt zu tun. Die Druckvorbereitungen, der Druck selbst, das Papier, die Tinte, die Lastwagen und Fahrer, das Vertriebssystem, all das kostet enorm viel Geld."
Wegweisend in der Branche
Deshalb arbeiten auch Wissenschaftsverlage fleißig an der neuen digitalen Welt mit. Elsevier etwa, mit Hauptsitz in Amsterdam, entwickelt derzeit eine weitgehend papierfreie Publikationsform. Die "Veröffentlichung der Zukunft", so der Titel des Projekts ("Article of the Future"), ist ganz an den technischen Möglichkeiten und Erfordernissen des Internets ausgerichtet: Die einzelnen Artikelteile sind übersichtlich nebeneinander angeordnet, Video- und Audiodateien gleichberechtigt eingebunden und alle über Hyperlinks verknüpft. Auch Leserkommentare erhalten natürlich einen eigenen Bereich.
Andere Branchengrößen wie die britische Nature Publishing Group sind noch weiter. Zwar sind ihre Fachzeitschriften weiterhin auf Papier erhältlich, doch unter dem Dach der Marke hat sich bereits ein breites Spektrum an auf Wissenschaftlern zugeschnittenen Online-Diensten und Communities etabliert, das in der Branche als wegweisend gilt.
All das bedeutet nicht das Ende gedruckter Veröffentlichungen. "Der Druckprozess verlagert sich einfach vom Produzenten zum Konsumenten“, sagt Zivkovic. Dieses Muster sehe man in vielen Industrien: "Es ist wie im Supermarkt. Da packt man seine Waren in den Einkaufswagen und fährt damit zur Kasse. Vor 50 Jahren hätte im selben Supermarkt jemand für uns die Waren aus dem Regal geholt.“
"Ein Arzt im Tschad kann sich das nicht leisten"
Dass die gegenwärtigen Entwicklungen über kurz oder lang dazu führen werden, dass sich Open Access im wissenschaftlichen Publikationswesen durchsetzt, davon ist der Biologe überzeugt. "Wenn alles online verfügbar ist, dann ist es nur natürlich, dass alles in irgendeiner Weise auch frei verfügbar wird. Ein Arzt im Tschad, der mehr über die Symptome seines Patienten und die mögliche Therapie herausfinden will, kann sich nicht erlauben, 60 Dollar pro Artikel zu bezahlen, bis er endlich gefunden hat, was er sucht. Der Druck der Konsumenten auf die Zeitschriften, die Inhalte frei zur Verfügung zu stellen, wird stark wachsen.“
Kommt es tatsächlich so weit, wird sich das Geschäftsmodell der Verlage gravierend verändern. Durch die Digitalisierung fallen Druck- und Vertriebskosten weg, die den Löwenanteil des Zeitschriftenpreises ausmachen. Die verbleibenden Kosten jedoch müssen durch andere Einnahmequellen gedeckt werden. "Open-Access-Zeitschriften haben verschiedene Möglichkeiten, ihre Kosten zu decken und nutzen meist mehrere gleichzeitig.“ Die derzeit bekannteste Möglichkeit, nämlich die Autoren selbst für die Publikation zahlen zu lassen, nutzt nur ein kleiner Teil der Anbieter, darunter PLoS.
Nach eigenen Angaben erlässt das Blatt Autoren gegebenenfalls auch die Gebühren, um Hürden für weniger zahlungskräftige Forscher und Institutionen zu verringern. Dadurch drohen zwar Interessenkonflikte bei den Herausgebern und auch bei den Gutachtern könnte der Eindruck entstehen, Artikel, für die nicht gezahlt wurde, seien weniger wert. Damit dies nicht geschieht, gilt laut Zivkovic die Regel: "Wofür gezahlt wurde, weiß nur der Buchhalter."
Open Access jedenfalls hat sich in der Publikationslandschaft etabliert. Beispielsweise besteht ein Open-Access-Modell darin, wissenschaftliche Veröffentlichungen zum einen bei einem Verlag einzureichen, später aber etwa auf der Institutshomepage kostenfrei zugänglich zu machen. Inzwischen hat dieser "grüne Weg" auch offizielle Weihen erhalten: Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde schreibt vor, dass alle von ihr finanzierten Forschungsarbeiten binnen zwölf Monaten öffentlich einsehbar sein müssen. Doch auch der "goldene" Open Access wächst: Inzwischen sind etwa 4000 Zeitschriftentitel kostenfrei im Internet erhältlich, Tendenz steigend, und erfreuen sich großer Nachfrage. Dies hat sicherlich nicht nur praktische Gründe: "Es ist die Internet-Kultur, die in die Wissenschaft einsickert", sagt Zivkovic. Viele betrieben das kostenfreie Einstellen ihrer Inhalte ins Netz auch als politischen und ideologischen Akt. Zugleich gelte: "Wer im Internet für etwas bezahlt, erwartet, dass es absolut fantastisch, absolut notwendig und absolut einzigartig ist.“
Druck macht, wer die Daten unbedingt braucht
Langfristig schwerer wiegen wohl allerdings die praktischen Gründe für Open Access. Viele Forschungszweige sind bereits auf breiten Zugriff zu digitalen Daten angewiesen. "Druck machen zum Beispiel die Leute, die Physikalische Chemie oder Bioinformatik betreiben und unglücklich sind, dass ihre Suchmaschinen und Datencrawler die Daten im Netz nicht voll nutzen können. In der Bioinformatik lassen sich keine neuen Medikamente entwickeln, wenn Suchmaschinen nicht auf die nötigen Datensätze und Berechnungen anderer Forscher zugreifen können.“
Befördert wird der Trend zu Open Access aber auch von den klassischen Verlagen selbst. Die Abonnementkosten von Zeitschriften nämlich sind in den letzten Jahren immens gestiegen. "Das hat mit Angebot und Nachfrage nichts mehr zu tun“, schimpft Zivkovic, "das ist reine Abzocke.“ Schon 2007 drohten norwegische Wissenschaftsbibliotheken und die deutsche Max-Planck-Gesellschaft aus diesem Grund mit dem Boykott einzelner Verlage ("Max-Planck-Gesellschaft kündigt Lizenzvertrag mit Springer").
Natürlich hat sich das Problem mit den hohen Abonnementkosten auch heute nicht erledigt. Darum sind "die Bibliotheken wichtige Förderer des Open Access. Wegen der enorm gestiegenen Preise können sie sich immer weniger Zeitschriften leisten, was wiederum den Forschern und ihren Instituten weh tut." Dass es anders geht, beweisen indessen nicht nur die Open-Access-Zeitschriften, sondern durchaus auch etablierte Printpublikationen. Denn nicht jeder Verlag dreht einfach an der Preisschraube: "Am anderen Ende der Skala sind Zeitschriften wie Nature, die nicht annähernd so teuer sind und sich konsequent auf die neue, digitale Welt vorbereiten."
Der Autor Lars Fischer lebt als Blogger und Wissenschaftsautor in Heidelberg.
Während in Deutschland noch über den Bestandsschutz des gedruckten Werks philosophiert wird, bereiten sich internationale Verlage auf die Zeit nach seiner Abschaffung vor. "Der nächste Schritt besteht darin, dass die Zeitschriften ganz aufhören, ihre Artikel auf Papier zu drucken", sagt Zivkovic. Dazu würden sie schon die ökonomischen Realitäten zwingen: "Denn die größten Ausgaben im Verlagsgeschäft haben nichts mit dem Inhalt zu tun. Die Druckvorbereitungen, der Druck selbst, das Papier, die Tinte, die Lastwagen und Fahrer, das Vertriebssystem, all das kostet enorm viel Geld."
Wegweisend in der Branche
Deshalb arbeiten auch Wissenschaftsverlage fleißig an der neuen digitalen Welt mit. Elsevier etwa, mit Hauptsitz in Amsterdam, entwickelt derzeit eine weitgehend papierfreie Publikationsform. Die "Veröffentlichung der Zukunft", so der Titel des Projekts ("Article of the Future"), ist ganz an den technischen Möglichkeiten und Erfordernissen des Internets ausgerichtet: Die einzelnen Artikelteile sind übersichtlich nebeneinander angeordnet, Video- und Audiodateien gleichberechtigt eingebunden und alle über Hyperlinks verknüpft. Auch Leserkommentare erhalten natürlich einen eigenen Bereich.
Andere Branchengrößen wie die britische Nature Publishing Group sind noch weiter. Zwar sind ihre Fachzeitschriften weiterhin auf Papier erhältlich, doch unter dem Dach der Marke hat sich bereits ein breites Spektrum an auf Wissenschaftlern zugeschnittenen Online-Diensten und Communities etabliert, das in der Branche als wegweisend gilt.
All das bedeutet nicht das Ende gedruckter Veröffentlichungen. "Der Druckprozess verlagert sich einfach vom Produzenten zum Konsumenten“, sagt Zivkovic. Dieses Muster sehe man in vielen Industrien: "Es ist wie im Supermarkt. Da packt man seine Waren in den Einkaufswagen und fährt damit zur Kasse. Vor 50 Jahren hätte im selben Supermarkt jemand für uns die Waren aus dem Regal geholt.“
"Ein Arzt im Tschad kann sich das nicht leisten"
Dass die gegenwärtigen Entwicklungen über kurz oder lang dazu führen werden, dass sich Open Access im wissenschaftlichen Publikationswesen durchsetzt, davon ist der Biologe überzeugt. "Wenn alles online verfügbar ist, dann ist es nur natürlich, dass alles in irgendeiner Weise auch frei verfügbar wird. Ein Arzt im Tschad, der mehr über die Symptome seines Patienten und die mögliche Therapie herausfinden will, kann sich nicht erlauben, 60 Dollar pro Artikel zu bezahlen, bis er endlich gefunden hat, was er sucht. Der Druck der Konsumenten auf die Zeitschriften, die Inhalte frei zur Verfügung zu stellen, wird stark wachsen.“
Kommt es tatsächlich so weit, wird sich das Geschäftsmodell der Verlage gravierend verändern. Durch die Digitalisierung fallen Druck- und Vertriebskosten weg, die den Löwenanteil des Zeitschriftenpreises ausmachen. Die verbleibenden Kosten jedoch müssen durch andere Einnahmequellen gedeckt werden. "Open-Access-Zeitschriften haben verschiedene Möglichkeiten, ihre Kosten zu decken und nutzen meist mehrere gleichzeitig.“ Die derzeit bekannteste Möglichkeit, nämlich die Autoren selbst für die Publikation zahlen zu lassen, nutzt nur ein kleiner Teil der Anbieter, darunter PLoS.
Nach eigenen Angaben erlässt das Blatt Autoren gegebenenfalls auch die Gebühren, um Hürden für weniger zahlungskräftige Forscher und Institutionen zu verringern. Dadurch drohen zwar Interessenkonflikte bei den Herausgebern und auch bei den Gutachtern könnte der Eindruck entstehen, Artikel, für die nicht gezahlt wurde, seien weniger wert. Damit dies nicht geschieht, gilt laut Zivkovic die Regel: "Wofür gezahlt wurde, weiß nur der Buchhalter."
Open Access jedenfalls hat sich in der Publikationslandschaft etabliert. Beispielsweise besteht ein Open-Access-Modell darin, wissenschaftliche Veröffentlichungen zum einen bei einem Verlag einzureichen, später aber etwa auf der Institutshomepage kostenfrei zugänglich zu machen. Inzwischen hat dieser "grüne Weg" auch offizielle Weihen erhalten: Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde schreibt vor, dass alle von ihr finanzierten Forschungsarbeiten binnen zwölf Monaten öffentlich einsehbar sein müssen. Doch auch der "goldene" Open Access wächst: Inzwischen sind etwa 4000 Zeitschriftentitel kostenfrei im Internet erhältlich, Tendenz steigend, und erfreuen sich großer Nachfrage. Dies hat sicherlich nicht nur praktische Gründe: "Es ist die Internet-Kultur, die in die Wissenschaft einsickert", sagt Zivkovic. Viele betrieben das kostenfreie Einstellen ihrer Inhalte ins Netz auch als politischen und ideologischen Akt. Zugleich gelte: "Wer im Internet für etwas bezahlt, erwartet, dass es absolut fantastisch, absolut notwendig und absolut einzigartig ist.“
Druck macht, wer die Daten unbedingt braucht
Langfristig schwerer wiegen wohl allerdings die praktischen Gründe für Open Access. Viele Forschungszweige sind bereits auf breiten Zugriff zu digitalen Daten angewiesen. "Druck machen zum Beispiel die Leute, die Physikalische Chemie oder Bioinformatik betreiben und unglücklich sind, dass ihre Suchmaschinen und Datencrawler die Daten im Netz nicht voll nutzen können. In der Bioinformatik lassen sich keine neuen Medikamente entwickeln, wenn Suchmaschinen nicht auf die nötigen Datensätze und Berechnungen anderer Forscher zugreifen können.“
Befördert wird der Trend zu Open Access aber auch von den klassischen Verlagen selbst. Die Abonnementkosten von Zeitschriften nämlich sind in den letzten Jahren immens gestiegen. "Das hat mit Angebot und Nachfrage nichts mehr zu tun“, schimpft Zivkovic, "das ist reine Abzocke.“ Schon 2007 drohten norwegische Wissenschaftsbibliotheken und die deutsche Max-Planck-Gesellschaft aus diesem Grund mit dem Boykott einzelner Verlage ("Max-Planck-Gesellschaft kündigt Lizenzvertrag mit Springer").
Natürlich hat sich das Problem mit den hohen Abonnementkosten auch heute nicht erledigt. Darum sind "die Bibliotheken wichtige Förderer des Open Access. Wegen der enorm gestiegenen Preise können sie sich immer weniger Zeitschriften leisten, was wiederum den Forschern und ihren Instituten weh tut." Dass es anders geht, beweisen indessen nicht nur die Open-Access-Zeitschriften, sondern durchaus auch etablierte Printpublikationen. Denn nicht jeder Verlag dreht einfach an der Preisschraube: "Am anderen Ende der Skala sind Zeitschriften wie Nature, die nicht annähernd so teuer sind und sich konsequent auf die neue, digitale Welt vorbereiten."
Der Autor Lars Fischer lebt als Blogger und Wissenschaftsautor in Heidelberg.
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