Astronomie im Kino: Das VLT in 3D
Spektrum: Herr Vialkowitsch, was haben Sie auf dem chilenischen Cerro Paranal erlebt, wo die Europäische Südsternwarte ESO das VLT betreibt?
Nikolai Vialkowitsch: Es ist schwer, das zu beschreiben, ohne in Plattitüden zu verfallen. Das Very Large Telescope ist eine schlicht unglaubliche Wissenschaftsmaschine in einer der aufregendsten Weltgegenden. Seine Teleskope stehen in einer ganz und gar außergewöhnlichen Wüstenlandschaft auf 2600 Meter Höhe, über der sich ein unfassbarer Sternhimmel wölbt, man sieht die Milchstraße von einem Horizont zum anderen. Das Vollmondlicht war in der ersten Nacht so hell, dass man nicht direkt hineinsehen mochte. Und der Dunst ist so gering, dass man die Sterne bis unmittelbar über dem Horizont sehen kann.
Steht man auf einem so hohen Berg, der nur 12 Kilometer vom Pazifik entfernt ist, liegt der Horizont zudem sehr tief. Der Eindruck eines Firmaments, das sich über einem wölbt, löst sich regelrecht auf und man hat das Gefühl, mittendrin zu sein.
Spektrum: So wie das auch in einem 3D-Film der Fall ist?
Vialkowitsch (lacht): Zumindest fast. "A 3D-film", sagen die Amerikaner, "is the next best thing to really being there." Und das haben wir versucht, in unserem Film zu verwirklichen. Unsere erste Idee war deshalb, einen Gastastronomen auf den Paranal zu begleiten, der sozusagen einen Höhepunkt seiner forscherischen Tätigkeit erlebt. Wer hierherkommt, hat sich ja oft zwei Jahre oder länger vorbereitet und seine Beobachtungen genauestens geplant, und muss dann während zweier Nächte sein ganzes Programm absolvieren.
Tatsächlich ist die Zeit für einen Astronomen vor Ort so wertvoll, dass er ein Filmteam, das noch dazu einige Sorgfalt auf seinen Film verwenden will, gar nicht hätte ertragen können. Besonders weil wir mit unserer 3D-Ausrüstung auch noch eine ziemlich träge Mannschaft waren. Allein die Kamera wiegt 32 Kilogramm und die Arbeit damit ist sehr aufwändig.
Spektrum: Und wie haben Sie das Problem gelöst?
Vialkowitsch: Wir hatten das Glück, dass während der Zeit, die für die Dreharbeiten in Frage kam, auch der Astronom Jochen Liske von der ESO nach Chile gefahren ist. Die ESO hat ihm freundlicherweise ein paar Reisetage mehr genehmigt als sonst üblich, und damit war das Problem vom Tisch. An ihn haben wir uns drangehängt und begegnen mit ihm im Film den Menschen auf dem Paranal: vom Tanklasterfahrer, der jeden Tag 27 000 Liter Trinkwasser dorthin bringt, bis hin zur Astronomin Eva Noyola vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, die ihre Arbeit mit viel Verve vor der Kamera erklärt: "I analyze roundish blobs of stars". Sie untersucht, ob die Dynamik in Kugelsternhaufen durch Schwarze Löcher in deren Zentrum erklärt werden kann oder ob es auch alternative Modelle gibt.
Mehr als einen Astronomiefilm haben wir also einen Film über die astronomische Neugier und über das Arbeiten an diesem extremen Ort gedreht. Mit Jochen Liske war ich auch ganz nah an den Fragen, die mich als "gelernten Psychologen" am stärksten interessieren: Was bringt Leute dazu, mitten in der Atacama-Wüste und 120 Kilometer von der nächsten bewohnten Gegend entfernt eine solche Maschine zu errichten? Was treibt sie an, was wollen sie wissen und warum? Diese Menschen, so habe ich das empfunden, können sich mit der Tatsache, dass Fragen unbeantwortet sind, nicht gut abfinden. Und sie sind von der Vorerfahrung infiziert, dass man ungeheuer viel herausfinden kann, wenn man richtig dran geht, klug genug ist und nicht locker lässt. Um dann dieses Umkippen vom einfach nur Überwältigenden und Unfassbaren ins Verstehbare zu erleben.
Auch der Zweck von Liskes Reise war ja, vom Paranal aus einen der möglichen Standorte für das gigantische 42-Meter-Teleskop, das die ESO plant, in Augenschein zu nehmen: den Cerro Venterones, dreißig Kilometer nordöstlich. Auf diese Exkursion haben wir ihn natürlich ebenfalls begleitet, ein Glücksfall also. Auch weil Jochen nicht das erste Mal vor der Kamera stand, er moderiert den ESOcast ebenso wie den Hubblecast über das Weltraumteleskop.
Spektrum: Ist eine Dokumentation in 3D einfach nur technischer Fortschritt oder zeichnet sie sich auch auf andere Weise gegenüber üblichen Filmen aus?
Vialkowitsch: Unser Film ist unter anderem deutlich langsamer als das, was aktuell an Dokumentationen im Fernsehen zu sehen ist. In 2D-Filmen muss der Schnitt die Konstruktion des Raums übernehmen: durch den ständigen Wechsel der Perspektiven, durch Nahaufnahmen und Totalen. In 3D sieht man den Raum aber sofort. Daher muss ich, statt dass ich mich mit den Mitteln des Schnitts umschaue, genug Zeit bekommen, um mich selbst umsehen zu können. Zu viele Schnitte würden für den Zuschauer furchtbar anstrengend werden.
Spektrum: Auf der Filmhomepage sind nun auch zahlreiche Vorschaubilder in Rot-Grün-Technik zu sehen.
Vialkowitsch: Um Gottes Willen, verwechseln Sie das bloß nicht mit dem endgültigen Film! Die Rot-Grün- oder besser Rot-Cyan-Brille ist ein technisches Krückenverfahren, das Geisterbilder erzeugt und auch nicht farbecht ist. Leider ist es im Moment die einzige Methode, mit der man 3D-Inhalte auch ins Netz stellen kann, damit der Zuschauer wenigstens eine vage Vorahnung von dem bekommt, was ihn im Kino erwartet.
Moderne Digitalkinos haben viel wirkungsvollere und vor allem augenschonende Verfahren. Die meisten arbeiten mit Shutterbrillen, bei denen sich im 120-Hertz-Rhythmus und mit Hilfe von Flüssigkristallen jeweils das linke beziehungsweise das rechte Glas transparent oder undurchsichtig schalten lässt. Über Infrarotblitze werden diese Brillen mit dem Projektor synchronisiert. So zeigt er das "linke" Halbbild genau dann, wenn das linke Glas durchsichtig ist, und umgekehrt.
Das Interview führte Thilo Körkel.
Kinostart von "Das Auge 3D – Leben und Forschen auf dem Cerro Paranal" ist am 29. Oktober 2009. Hier ist der Blog zum Film mit 3D- und 2D-Fotos und -Videos zu finden.
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