Wahrnehmung: Unmögliche Farben
Haben Sie schon einmal ein "bläuliches Gelb" gesehen? Damit ist keineswegs Grün gemeint, sei es nun eher bläulich oder gelblich getönt. Und wie sieht es mit einem rötlichen Grün aus? Nein, nicht das schmuddelige Braun, das schnell mal entsteht, wenn man beim Mischen der Farben daneben greift. Und auch nicht der Eindruck beim Betrachten einer Ansammlung von vielen kleinen roten und grünen Punkten in einem Gemälde aus dem Pointillismus. Gemeint ist tatsächlich eine einzelne Farbe, die gleichzeitig und an derselben Stelle grünlich und rötlich aussieht.
Das gibt es nicht, werden Sie sagen. Und normalerweise haben Sie damit auch Recht. Unter geeigneten Bedingungen ist es allerdings möglich, diese unvorstellbaren "verbotenen" Farben zu sehen sowie bestimmte geometrische Halluzinationen hervorzurufen. Diese Untersuchungen erweiterten unser Verständnis der so genannten Gegenfarbentheorie, eines der ältesten Konzepte in der Wahrnehmungsforschung.
Vier Grundfarben, die einander ausschließen
Entwickelt wurde sie 1874 vom deutschen Physiologen Ewald Hering (1834-1918). Er stellte die These auf, dass Farbsehen auf dem doppelten Gegenspiel basiert, von Rot und Grün einerseits sowie von Gelb und Blau andererseits. Nimmt man in einem Punkt die Farbe Rot wahr, so schließt dies aus, dort auch Grün zu sehen – und umgekehrt. Alle Farbtöne lassen sich demnach als unterschiedliche Mischungen von Rot und Gelb beziehungsweise von Grün und Blau darstellen. Dagegen ist es nicht möglich, am selben Ort und zur selben Zeit Rot zusammen mit Grün oder Blau mit Gelb wahrzunehmen; solche Mischungen ergeben jeweils ganz neue Farbtöne.
Die Gegenfarbentheorie galt lange als eine der am besten gesicherten Erkenntnisse der Kognitionswissenschaft. Laut Forschungsergebnissen scheint dieses Prinzip zudem bereits in der Netzhaut und im Mittelhirn, der ersten für das Sehen zuständigen Hirnregion, zum Tragen zu kommen. Zwischen diesen beiden Arealen transportieren die Nerven Informationen, die aus der Differenz zweier Farbsignale bestehen. Das ursprüngliche Farbsignal stammt von den so genannten Zapfen der Netzhaut. Beim Menschen gibt es drei Arten dieser Photorezeptorzellen, die Licht in drei sich überlappenden Wellenlängenbereichen registrieren. Die Empfindlichkeitsmaxima liegen bei Blau (kurz-), Grün (mittel-) und Rot (langwelliges Licht). Nachgeschaltete Neuronen verrechnen den Output der drei Zapfenarten und erzeugen daraus Signale, die auf den vier Grundfarben basieren: Rot, Grün, Gelb und Blau.
Das visuelle System ist offenbar so verdrahtet, dass es über zwei getrennte Datenkanäle verfügt, einen Rot-minus-Grün-Kanal und einen Gelb-minus-Blau-Kanal. Die Subtraktion der Impulse der Zapfen für Rot und Grün wird im ersten Kanal übertragen. Die Addition der Reaktionen der rot- und der grünempfindlichen Zapfen ergibt die Empfindung von Gelb, von dieser wird das blaue Zapfensignal subtrahiert. Der resultierende Reiz wird über den zweiten Kanal weitergeleitet. Positive Signale stehen für unterschiedliche Rot-(Gelb-)Abstufungen, negative für unterschiedliche Grün-(Blau-)Schattierungen. Diese Verschaltung stellt die biologische Grundlage von Herings Gegenfarbentheorie dar.
1983 stellten jedoch Hewitt D. Crane und Thomas P. Piantanida von SRI International im kalifornischen Menlo Park eine Methode vor, mit der sich diese Wahrnehmungsgesetze umgehen ließen. Ihre Probanden mussten dazu auf zwei nebeneinander liegende Felder aus Rot und Grün beziehungsweise Gelb und Blau blicken. Eine spezielle Apparatur verfolgte die Augenpositionen der Probanden und sorgte mittels Spiegeln dafür, dass die Farbfelder unabhängig von den ständigen kleinen Augenbewegungen immer auf denselben Fleck der Netzhaut gelangten. Eine solche Bildstabilisierung kann viele faszinierende Effekte hervorrufen, etwa den, dass das Bild in Stücke zerbrochen erscheint, deren Sichtbarkeit zu- und abnimmt. Die Wissenschaftler interessierten sich vor allem dafür, inwiefern Abgrenzungen in den stabilisierten Bildern für die Testpersonen verschwammen.
Die Arbeiten von Crane und Piantanida hätten eigentlich auf großes Interesse stoßen müssen: Immerhin hatten die beiden Forscher eines der grundlegendsten psychophysiologischen Gesetze in Frage gestellt. Doch ihre Kollegen gingen überhaupt nicht darauf ein: Die Studie wurde schlicht totgeschwiegen. Woran lag das?
Unserer Ansicht nach trugen vier Gründe dazu bei. Erstens waren die Ergebnisse nicht konsistent: Einige Personen sahen Halluzinationen statt der verbotenen Farben. Zweitens waren die Farben schwer zu beschreiben. Crane und Piantanida zogen hierzu sogar Künstler zu Rate, aber ohne Erfolg. Drittens ließen sich die Experimente nur schwer reproduzieren, denn die von Crane entwickelte Apparatur zum Verfolgen der Augenbewegungen war teuer und schwierig anzuwenden. Und schließlich fehlte den Forschern eine theoretische Basis zum Verständnis der Ergebnisse. Unserer Ansicht nach handelt es sich bei letzterem um das entscheidende Problem. Es ist schwierig, über Dinge nachzudenken, wenn sie sich nicht in eine etablierte Weltsicht einfügen lassen. Crane und Piantanida vermuteten, sie hätten jenen Teil des Sehsystems umgangen, der für Gegenfarben verantwortlich ist, und einen Ersatzmechanismus aktiviert – doch sie entwickelten diese Idee nicht weiter.
Gleiche Leuchtdichte für stärkere Gegenfarbmischung
Vor einigen Jahren fanden wir eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Sehwahrnehmungen von Cranes' und Piantanidas' Probanden. Wir wussten, dass auch andere Versuchsanordnungen zu solchen Grenzverwischungen führen können, insbesondere wenn zwei benachbarte Farben die gleiche Leuchtdichte haben. Die Leuchtdichte (Luminanz) entspricht grob der wahrgenommenen Helligkeit. Zwei Farben gelten dann als äquiluminant, wenn rasches Umschalten zwischen ihnen das wenigste Flimmern produziert.
Unsere Überlegung: Vielleicht wirken Äquiluminanz und Bildstabilisierung synergetisch (also sich gegenseitig fördernd) zusammen, sodass Grenzauflösung und Farbvermischung sogar bei Gegenfarben auftreten. Um die These zu testen, taten wir uns mit Gerald A. Gleason vom Forschungslabor der US-Luftwaffe zusammen, der Augenbewegungen untersucht.
Sehforscher als Versuchspersonen
Unsere Probanden mussten ihren Kopf in Gleasons Apparatur zur Blickverfolgung mittels Kinnstützen oder Stangen zum Festbeißen fixieren, um die Kopfbewegungen zu minimieren. Für dieses Experiment wollten wir als Versuchspersonen Sehforscher, die auf Farbtheorie spezialisiert sind – und nicht glaubten, dass es verbotene Farben gibt. Außerdem sollten sie ihre Beobachtungen sehr knapp beschreiben können – ein wichtiger Aspekt, wenn man nur zwischen zusammengebissenen Zähnen murmeln kann. Nicht zuletzt benötigten wir glaubwürdige Personen, die selbst skeptische Kollegen überzeugen könnten. Entsprechend wählten wir sieben Sehforscher mit normalem Farbensehen aus, darunter Billock und Gleason.
Da einzelne Menschen die Leuchtdichte verschiedener Farben unterschiedlich stark wahrnehmen, maßen wir zuerst die Reaktionen der Probanden auf die vier Grundfarben. Danach zeigten wir ihnen nebeneinander angeordnete Farbfelder aus Rot und Grün sowie Gelb und Blau. Die Farben erschienen dabei entweder äquiluminant oder deutlich nicht äquiluminant.
Kampf der Neuronen um die Farben
Als besonders effektiv erwies sich die Kombination aus Äquiluminanz und Bildstabilisierung. Sechs unserer sieben Testpersonen sahen bei den äquiluminanten Bildern verbotene Farben, wobei die Farbgrenze verschwand. Manchmal sahen die Probanden einen Farbverlauf, etwa von Rot auf der linken Seite zu Grün auf der rechten, mit allen möglichen Schattierungen von grünlichem Rot und rötlichem Grün dazwischen. Zuweilen erschienen rote und grüne Felder am selben Ort, aber in unterschiedlichen Entfernungen – als würde man einen Farbton durch den anderen hindurch sehen, ohne dass einer von beiden sich verändert. Oft füllte ein gleichmäßiges rötliches Grün oder bläuliches Gelb das gesamte Feld aus. Zwei Testpersonen berichteten sogar, dass sie sich nach den Versuchen ein rötliches Grün und ein bläuliches Gelb vorstellen konnten, wobei diese Fähigkeit allerdings nicht von Dauer war.
Auf Grund unserer Beobachtungen entwickelten wir ein neues Modell, wie Gegenfarben im visuellen System ohne Signal-Subtraktion entstehen könnten. In unserer Theorie gibt es zwischen Gruppen von Neuronen eine Art Wettstreit um das Recht zu feuern – ähnlich wie sich zwei Tierarten in derselben ökologischen Nische bekämpfen. Doch bei den unterlegenen Neuronen führt dies nicht zu deren Aussterben, sondern dazu, dass sie das Feuern einstellen. Eine Computersimulation dieses Wettstreits reproduziert gut die klassischen Gegenfarben: Bei jeder Wellenlänge können die "roten" oder die "grünen" Neuronen gewinnen, aber nicht beide gleichzeitig (dasselbe gilt für Gelb und Blau). Wird jedoch der Wettstreit behindert, beispielsweise dadurch, dass die Verbindungen zwischen den Neuronengruppen gehemmt werden, können die sich zuvor ausschließenden Farben koexistieren.
Wenn sich bei unseren Experimenten die rot-grünen oder gelb-blauen Felder erheblich in ihrer Luminanz unterschieden, konnten wir die unmöglichen Farben nicht wahrnehmen. Wir sehen dann Texturen (Oberflächenbeschaffenheiten) wie grünliches Glitzern auf einem roten Hintergrund oder blaue Streifen in einem gelben Feld – genauso, wie es Crane und Piantanida für einige ihrer Probanden berichteten. Sie haben womöglich Farbbilder verwendet, die für einige Testpersonen äquiluminant waren, während andere deutlich unterschiedliche Leuchtdichten wahrnahmen.
Geometrische Formen vor dem inneren Auge
Die gesprenkelten und gestreiften Erscheinungen, die wir sahen, waren faszinierend. Studien solcher Muster haben in anderen Zusammenhängen eine lange Tradition. Sie entstehen beispielsweise in Mischungen miteinander reagierender Chemikalien, die asymmetrisch oder unterschiedlich schnell diffundieren. Die englische Mathematiker Alan Turing (1912-1954) hat solche Reaktions-Diffusions-Systeme als mathematische Systeme eingeführt. Damit lassen sich Muster wie im Zebra- oder Leoparden-Fell sowie eine Reihe weiterer biologischer Phänomene modellieren – insbesondere Halluzinationen.
Visuelle Halluzinationen geometrischer Muster können auf vielerlei Weise entstehen: durch Drogen, Migräne, epileptische Anfälle und bestimmte visuelle Reize. David Brewster (1781-1868), der Erfinder des Kaleidoskops, entdeckte durch Flackern erzeugte Halluzinationen bereits in den 1830er Jahren – Berichten zufolge dadurch, dass er mit geschlossenen Augen an einem hohen, rückwärtig von Sonnenlicht beschienenen Zaun entlanglief. Dies erzeugte auf der Innenseite seiner geschlossenen Augenlider schnelle Wechsel aus Hell und Dunkel. Heute lässt sich dieser Effekt einfacher und sicherer dadurch erzeugen, dass man als Beifahrer in einem Auto mit geschlossenen Augen auf vorbeiziehende Bäume einer Allee blickt – oder noch besser mit einem flimmernden Computermonitor.
Musterhalluzinationen durch Muster aus aktiven Neuronen
Zu den typischen, durch Flackern erzeugten Halluzinationen zählen einem Windrad ähnelnde Figuren, konzentrische Kreise, Spiralen, Netze und Honigwabenmuster. Jack D. Cowan von der University of Chicago und sein Doktorand G. Bard Ermentrout (jetzt an der University of Pittsburgh) stellten 1979 fest, dass all diese Bilder mit der Erregung von in Bändern angeordneten Nervenzellen im primären visuellen Kortex zusammenhängen. Diese Hirnregion im Hinterkopf ist an der Verarbeitung visueller Signale beteiligt. Blickt beispielsweise eine Person auf ein ihr gezeigtes Bild aus konzentrischen Kreisen, so werden im primären visuellen Kortex vertikale Streifen von Neuronen aktiviert. Muster wie Radspeichen erregen horizontale Nervenzellreihen, Spiralen hingegen schräge Bänder aus Neuronen.
Auf Grund ihrer Beobachtung, dass der visuelle Kortex bei Flackerreizen spontan Streifenmuster neuronaler Aktivität generiert, konnten Ermentrout und Cowan viele der berichteten visuellen Halluzinationen erklären. 2001 erweiterte Cowan zusammen mit anderen Forschern das Modell auf viele andere, komplizierte Muster. Die Befunde liefern jedoch kein Rezept, wie man eine bestimmte Halluzination zur detaillierten Untersuchung gezielt erzeugen könnte. Stattdessen sind die durch Flackern erzeugten Muster unvorhersagbar und instabil, vermutlich weil jeder Flackerblitz die zuvor erzeugten Halluzinationen stört. Es wäre daher sehr hilfreich, wenn man eine Möglichkeit fände, eine bestimmte stabile Halluzination über eine längere Zeitspanne zu erzeugen. Dann könnten visuelle Halluzinationen, kombiniert mit Turings Mathematik, helfen, die Funktion des menschlichen Sehsystems besser zu verstehen.
Stabile Halluzinationen durch kleine Anstöße
Um die durch Flackern erzeugten Muster zu stabilisieren, ließen wir uns von anderen Systemen inspirieren, die solche spontanen Muster unter geeigneten Bedingungen vorhersagbar ausbilden können. Stellen Sie sich beispielsweise eine flache, mit Öl gefüllte Schale vor, die von unten erhitzt und von oben gekühlt wird. Wenn die Temperaturdifferenz groß genug ist, bilden das aufsteigende heiße Öl und das absinkende kalte Öl in Selbstorganisation ein Muster aus horizontalen Zylindern, die von oben wie Streifen aussehen. Jeder Zylinder rotiert um seine eigene Achse, da auf einer Seite Flüssigkeit aufsteigt und auf der anderen absinkt. Das Muster ist stabil, wenn benachbarte Zylinder wie Zahnräder in entgegen gesetzter Drehrichtung rotieren.
Normalerweise wird die Orientierung der Zylinder durch Zufall bestimmt, während sich das Muster herausbildet. Erzeugt man jedoch eine Aufwärtsströmung, richten sich die entstehenden Zylinder danach aus. Ausgehend von dieser Modellvorstellung entschieden wir uns zu testen, ob sich die von Testpersonen wahrgenommenen Halluzinationen stabilisieren lassen, wenn diese neben einer flackernden leeren Fläche ein fixes Muster zu sehen bekommen. Bei den Experimenten zeigten wir kleine kreis- und windradförmige Muster, die von schnell flackerndem Licht umgeben waren. Wir gingen davon aus, dass die physischen Muster im visuellen Kortex der Testpersonen Streifen einer bestimmten Orientierung aktivieren und die flackernde Umgebung das Muster durch zusätzliche, parallele Streifen vergrößern würden. Dementsprechend erwarteten wir, dass sich in der Wahrnehmung der Probanden die kreis- und windradförmigen Formen in die umgebende flackernde Fläche ausweiten würden.
Zu unserer Überraschung stellte sich bei den Testpersonen genau der umgekehrte Effekt ein. Zeigten wir ihnen kleine Kreise, so halluzinierten sie im umgebenden Flackerfeld Windräder, die mit etwa einer Umdrehung pro Sekunde rotierten. Um tatsächlich gezeigte Windräder herum hingegen sahen sie illusorische Kreismuster, die zuweilen pulsierten. Ähnliche Ergebnisse erhielten wir, wenn fixe Muster rings um ein flackerndes, leeres Zentrum herum gezeigt wurden. In allen Fällen waren die Halluzinationen auf die flackernde Leerfläche beschränkt. Sie dehnten sich nur dann in den Bereich der gezeigten Bilder aus, wenn diese durch entsprechende Änderungen im Versuchsaufbau ebenfalls (synchron) flackerten.
Gegenfarben und Gegenmuster
Rückblickend hätten uns die Ergebnisse eigentlich nicht überraschen sollen. Donald M. MacKay (1922-1987) vom Londoner King's College wies bereits vor 50 Jahren nach, dass Testpersonen, die Windradformen in Flackerlicht betrachten, eine Überlagerung von schemenhaften Mustern aus konzentrischen Ringen wahrnehmen (und umgekehrt). MacKays Resultate können als Ergebnis von Gegensatz-Effekten interpretiert werden, ähnlich wie bei Gegenfarben. Wenn Sie einen hellen roten Blitz sehen, nehmen Sie danach ein grünes Nachbild wahr, da Grün die Gegenfarbe zu Rot ist. Wenn das visuelle System Windräder und Kreise als geometrische Gegensätze verarbeitet, könnte es sich bei den schwachen Mustern, die MacKays Probanden sahen, um illusorische geometrische Nachbilder handeln, die in den Dunkelpausen zwischen den Blitzen erschienen.
Diese neue Illusion hat sogar ein exaktes Gegenstück bei den Farben: Ein rotes Feld kann ein benachbartes graues Feld grünlich erscheinen lassen. Entsprechend ruft unter geeigneten dynamischen Bedingungen wie bei unserem Flackerlicht-Experiment ein geometrisches Muster in einem daneben gezeigten Leerfeld das geometrische Gegenstück hervor. Anders ausgedrückt besteht MacKays Bildillusion aus geometrischen Gegensätzen, die zeitlich voneinander getrennt sind (die Windräder und Kreise sind in unterschiedlichen Momenten präsent), während in unseren Versuchen die geometrischen Gegensätze räumlich versetzt wahrgenommen werden (sie sind in angrenzenden Bildbereichen präsent).
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Über die Autoren: Die Biophysiker Vincent A. Billock und Brian H. Tsou untersuchen die Probleme des menschlichen Farb- und Raumsehen mit Hilfe der Komplexitätstheorie. Beide forschen zusammen an der Wright-Patterson Air Force Base in Ohio. Billock ist als leitender Wissenschaftler für General Dynamics in Dayton, Ohio, tätig. Tsou leitet eine Forschungsabteilung am U.S. Air Force Research Laboratory. Tsou hat noch nie ein rötliches Grün gesehen – denn er ist Rot-Grün-blind, was ihn früh bewog, sich mit dem Studium des Farbsehens zu befassen.
Das gibt es nicht, werden Sie sagen. Und normalerweise haben Sie damit auch Recht. Unter geeigneten Bedingungen ist es allerdings möglich, diese unvorstellbaren "verbotenen" Farben zu sehen sowie bestimmte geometrische Halluzinationen hervorzurufen. Diese Untersuchungen erweiterten unser Verständnis der so genannten Gegenfarbentheorie, eines der ältesten Konzepte in der Wahrnehmungsforschung.
Vier Grundfarben, die einander ausschließen
Entwickelt wurde sie 1874 vom deutschen Physiologen Ewald Hering (1834-1918). Er stellte die These auf, dass Farbsehen auf dem doppelten Gegenspiel basiert, von Rot und Grün einerseits sowie von Gelb und Blau andererseits. Nimmt man in einem Punkt die Farbe Rot wahr, so schließt dies aus, dort auch Grün zu sehen – und umgekehrt. Alle Farbtöne lassen sich demnach als unterschiedliche Mischungen von Rot und Gelb beziehungsweise von Grün und Blau darstellen. Dagegen ist es nicht möglich, am selben Ort und zur selben Zeit Rot zusammen mit Grün oder Blau mit Gelb wahrzunehmen; solche Mischungen ergeben jeweils ganz neue Farbtöne.
Die Gegenfarbentheorie galt lange als eine der am besten gesicherten Erkenntnisse der Kognitionswissenschaft. Laut Forschungsergebnissen scheint dieses Prinzip zudem bereits in der Netzhaut und im Mittelhirn, der ersten für das Sehen zuständigen Hirnregion, zum Tragen zu kommen. Zwischen diesen beiden Arealen transportieren die Nerven Informationen, die aus der Differenz zweier Farbsignale bestehen. Das ursprüngliche Farbsignal stammt von den so genannten Zapfen der Netzhaut. Beim Menschen gibt es drei Arten dieser Photorezeptorzellen, die Licht in drei sich überlappenden Wellenlängenbereichen registrieren. Die Empfindlichkeitsmaxima liegen bei Blau (kurz-), Grün (mittel-) und Rot (langwelliges Licht). Nachgeschaltete Neuronen verrechnen den Output der drei Zapfenarten und erzeugen daraus Signale, die auf den vier Grundfarben basieren: Rot, Grün, Gelb und Blau.
Das visuelle System ist offenbar so verdrahtet, dass es über zwei getrennte Datenkanäle verfügt, einen Rot-minus-Grün-Kanal und einen Gelb-minus-Blau-Kanal. Die Subtraktion der Impulse der Zapfen für Rot und Grün wird im ersten Kanal übertragen. Die Addition der Reaktionen der rot- und der grünempfindlichen Zapfen ergibt die Empfindung von Gelb, von dieser wird das blaue Zapfensignal subtrahiert. Der resultierende Reiz wird über den zweiten Kanal weitergeleitet. Positive Signale stehen für unterschiedliche Rot-(Gelb-)Abstufungen, negative für unterschiedliche Grün-(Blau-)Schattierungen. Diese Verschaltung stellt die biologische Grundlage von Herings Gegenfarbentheorie dar.
Unglaublich: Rot und Grün verschwimmen
1983 stellten jedoch Hewitt D. Crane und Thomas P. Piantanida von SRI International im kalifornischen Menlo Park eine Methode vor, mit der sich diese Wahrnehmungsgesetze umgehen ließen. Ihre Probanden mussten dazu auf zwei nebeneinander liegende Felder aus Rot und Grün beziehungsweise Gelb und Blau blicken. Eine spezielle Apparatur verfolgte die Augenpositionen der Probanden und sorgte mittels Spiegeln dafür, dass die Farbfelder unabhängig von den ständigen kleinen Augenbewegungen immer auf denselben Fleck der Netzhaut gelangten. Eine solche Bildstabilisierung kann viele faszinierende Effekte hervorrufen, etwa den, dass das Bild in Stücke zerbrochen erscheint, deren Sichtbarkeit zu- und abnimmt. Die Wissenschaftler interessierten sich vor allem dafür, inwiefern Abgrenzungen in den stabilisierten Bildern für die Testpersonen verschwammen.
Tatsächlich sahen die Probanden die Grenzen zwischen den beiden Farben verschwinden – diese flossen ineinander und mischten sich. Einige Testpersonen berichteten, das verbotene rötliche Grün und gelbliche Blau zu sehen. Andere halluzinierten Strukturen wie ein blaues Glitzern vor gelbem Hintergrund.
Die Arbeiten von Crane und Piantanida hätten eigentlich auf großes Interesse stoßen müssen: Immerhin hatten die beiden Forscher eines der grundlegendsten psychophysiologischen Gesetze in Frage gestellt. Doch ihre Kollegen gingen überhaupt nicht darauf ein: Die Studie wurde schlicht totgeschwiegen. Woran lag das?
Unserer Ansicht nach trugen vier Gründe dazu bei. Erstens waren die Ergebnisse nicht konsistent: Einige Personen sahen Halluzinationen statt der verbotenen Farben. Zweitens waren die Farben schwer zu beschreiben. Crane und Piantanida zogen hierzu sogar Künstler zu Rate, aber ohne Erfolg. Drittens ließen sich die Experimente nur schwer reproduzieren, denn die von Crane entwickelte Apparatur zum Verfolgen der Augenbewegungen war teuer und schwierig anzuwenden. Und schließlich fehlte den Forschern eine theoretische Basis zum Verständnis der Ergebnisse. Unserer Ansicht nach handelt es sich bei letzterem um das entscheidende Problem. Es ist schwierig, über Dinge nachzudenken, wenn sie sich nicht in eine etablierte Weltsicht einfügen lassen. Crane und Piantanida vermuteten, sie hätten jenen Teil des Sehsystems umgangen, der für Gegenfarben verantwortlich ist, und einen Ersatzmechanismus aktiviert – doch sie entwickelten diese Idee nicht weiter.
Gleiche Leuchtdichte für stärkere Gegenfarbmischung
Vor einigen Jahren fanden wir eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Sehwahrnehmungen von Cranes' und Piantanidas' Probanden. Wir wussten, dass auch andere Versuchsanordnungen zu solchen Grenzverwischungen führen können, insbesondere wenn zwei benachbarte Farben die gleiche Leuchtdichte haben. Die Leuchtdichte (Luminanz) entspricht grob der wahrgenommenen Helligkeit. Zwei Farben gelten dann als äquiluminant, wenn rasches Umschalten zwischen ihnen das wenigste Flimmern produziert.
Betrachten Versuchspersonen zwei benachbarte Felder mit äquiluminanten Farben, sehen sie die Grenze zwischen ihnen schwächer werden und verschwinden, so dass die Farben ineinander fließen. Eine Ausnahme bildet die Kombination der Gegenfarben Rot und Grün sowie Blau und Gelb. Der Effekt ist am stärksten, wenn die Augenbewegungen möglichst gering ausfallen.
Unsere Überlegung: Vielleicht wirken Äquiluminanz und Bildstabilisierung synergetisch (also sich gegenseitig fördernd) zusammen, sodass Grenzauflösung und Farbvermischung sogar bei Gegenfarben auftreten. Um die These zu testen, taten wir uns mit Gerald A. Gleason vom Forschungslabor der US-Luftwaffe zusammen, der Augenbewegungen untersucht.
Sehforscher als Versuchspersonen
Unsere Probanden mussten ihren Kopf in Gleasons Apparatur zur Blickverfolgung mittels Kinnstützen oder Stangen zum Festbeißen fixieren, um die Kopfbewegungen zu minimieren. Für dieses Experiment wollten wir als Versuchspersonen Sehforscher, die auf Farbtheorie spezialisiert sind – und nicht glaubten, dass es verbotene Farben gibt. Außerdem sollten sie ihre Beobachtungen sehr knapp beschreiben können – ein wichtiger Aspekt, wenn man nur zwischen zusammengebissenen Zähnen murmeln kann. Nicht zuletzt benötigten wir glaubwürdige Personen, die selbst skeptische Kollegen überzeugen könnten. Entsprechend wählten wir sieben Sehforscher mit normalem Farbensehen aus, darunter Billock und Gleason.
Da einzelne Menschen die Leuchtdichte verschiedener Farben unterschiedlich stark wahrnehmen, maßen wir zuerst die Reaktionen der Probanden auf die vier Grundfarben. Danach zeigten wir ihnen nebeneinander angeordnete Farbfelder aus Rot und Grün sowie Gelb und Blau. Die Farben erschienen dabei entweder äquiluminant oder deutlich nicht äquiluminant.
Kampf der Neuronen um die Farben
Als besonders effektiv erwies sich die Kombination aus Äquiluminanz und Bildstabilisierung. Sechs unserer sieben Testpersonen sahen bei den äquiluminanten Bildern verbotene Farben, wobei die Farbgrenze verschwand. Manchmal sahen die Probanden einen Farbverlauf, etwa von Rot auf der linken Seite zu Grün auf der rechten, mit allen möglichen Schattierungen von grünlichem Rot und rötlichem Grün dazwischen. Zuweilen erschienen rote und grüne Felder am selben Ort, aber in unterschiedlichen Entfernungen – als würde man einen Farbton durch den anderen hindurch sehen, ohne dass einer von beiden sich verändert. Oft füllte ein gleichmäßiges rötliches Grün oder bläuliches Gelb das gesamte Feld aus. Zwei Testpersonen berichteten sogar, dass sie sich nach den Versuchen ein rötliches Grün und ein bläuliches Gelb vorstellen konnten, wobei diese Fähigkeit allerdings nicht von Dauer war.
Auf Grund unserer Beobachtungen entwickelten wir ein neues Modell, wie Gegenfarben im visuellen System ohne Signal-Subtraktion entstehen könnten. In unserer Theorie gibt es zwischen Gruppen von Neuronen eine Art Wettstreit um das Recht zu feuern – ähnlich wie sich zwei Tierarten in derselben ökologischen Nische bekämpfen. Doch bei den unterlegenen Neuronen führt dies nicht zu deren Aussterben, sondern dazu, dass sie das Feuern einstellen. Eine Computersimulation dieses Wettstreits reproduziert gut die klassischen Gegenfarben: Bei jeder Wellenlänge können die "roten" oder die "grünen" Neuronen gewinnen, aber nicht beide gleichzeitig (dasselbe gilt für Gelb und Blau). Wird jedoch der Wettstreit behindert, beispielsweise dadurch, dass die Verbindungen zwischen den Neuronengruppen gehemmt werden, können die sich zuvor ausschließenden Farben koexistieren.
Wenn sich bei unseren Experimenten die rot-grünen oder gelb-blauen Felder erheblich in ihrer Luminanz unterschieden, konnten wir die unmöglichen Farben nicht wahrnehmen. Wir sehen dann Texturen (Oberflächenbeschaffenheiten) wie grünliches Glitzern auf einem roten Hintergrund oder blaue Streifen in einem gelben Feld – genauso, wie es Crane und Piantanida für einige ihrer Probanden berichteten. Sie haben womöglich Farbbilder verwendet, die für einige Testpersonen äquiluminant waren, während andere deutlich unterschiedliche Leuchtdichten wahrnahmen.
Geometrische Formen vor dem inneren Auge
Die gesprenkelten und gestreiften Erscheinungen, die wir sahen, waren faszinierend. Studien solcher Muster haben in anderen Zusammenhängen eine lange Tradition. Sie entstehen beispielsweise in Mischungen miteinander reagierender Chemikalien, die asymmetrisch oder unterschiedlich schnell diffundieren. Die englische Mathematiker Alan Turing (1912-1954) hat solche Reaktions-Diffusions-Systeme als mathematische Systeme eingeführt. Damit lassen sich Muster wie im Zebra- oder Leoparden-Fell sowie eine Reihe weiterer biologischer Phänomene modellieren – insbesondere Halluzinationen.
Visuelle Halluzinationen geometrischer Muster können auf vielerlei Weise entstehen: durch Drogen, Migräne, epileptische Anfälle und bestimmte visuelle Reize. David Brewster (1781-1868), der Erfinder des Kaleidoskops, entdeckte durch Flackern erzeugte Halluzinationen bereits in den 1830er Jahren – Berichten zufolge dadurch, dass er mit geschlossenen Augen an einem hohen, rückwärtig von Sonnenlicht beschienenen Zaun entlanglief. Dies erzeugte auf der Innenseite seiner geschlossenen Augenlider schnelle Wechsel aus Hell und Dunkel. Heute lässt sich dieser Effekt einfacher und sicherer dadurch erzeugen, dass man als Beifahrer in einem Auto mit geschlossenen Augen auf vorbeiziehende Bäume einer Allee blickt – oder noch besser mit einem flimmernden Computermonitor.
Musterhalluzinationen durch Muster aus aktiven Neuronen
Zu den typischen, durch Flackern erzeugten Halluzinationen zählen einem Windrad ähnelnde Figuren, konzentrische Kreise, Spiralen, Netze und Honigwabenmuster. Jack D. Cowan von der University of Chicago und sein Doktorand G. Bard Ermentrout (jetzt an der University of Pittsburgh) stellten 1979 fest, dass all diese Bilder mit der Erregung von in Bändern angeordneten Nervenzellen im primären visuellen Kortex zusammenhängen. Diese Hirnregion im Hinterkopf ist an der Verarbeitung visueller Signale beteiligt. Blickt beispielsweise eine Person auf ein ihr gezeigtes Bild aus konzentrischen Kreisen, so werden im primären visuellen Kortex vertikale Streifen von Neuronen aktiviert. Muster wie Radspeichen erregen horizontale Nervenzellreihen, Spiralen hingegen schräge Bänder aus Neuronen.
Auf Grund ihrer Beobachtung, dass der visuelle Kortex bei Flackerreizen spontan Streifenmuster neuronaler Aktivität generiert, konnten Ermentrout und Cowan viele der berichteten visuellen Halluzinationen erklären. 2001 erweiterte Cowan zusammen mit anderen Forschern das Modell auf viele andere, komplizierte Muster. Die Befunde liefern jedoch kein Rezept, wie man eine bestimmte Halluzination zur detaillierten Untersuchung gezielt erzeugen könnte. Stattdessen sind die durch Flackern erzeugten Muster unvorhersagbar und instabil, vermutlich weil jeder Flackerblitz die zuvor erzeugten Halluzinationen stört. Es wäre daher sehr hilfreich, wenn man eine Möglichkeit fände, eine bestimmte stabile Halluzination über eine längere Zeitspanne zu erzeugen. Dann könnten visuelle Halluzinationen, kombiniert mit Turings Mathematik, helfen, die Funktion des menschlichen Sehsystems besser zu verstehen.
Stabile Halluzinationen durch kleine Anstöße
Um die durch Flackern erzeugten Muster zu stabilisieren, ließen wir uns von anderen Systemen inspirieren, die solche spontanen Muster unter geeigneten Bedingungen vorhersagbar ausbilden können. Stellen Sie sich beispielsweise eine flache, mit Öl gefüllte Schale vor, die von unten erhitzt und von oben gekühlt wird. Wenn die Temperaturdifferenz groß genug ist, bilden das aufsteigende heiße Öl und das absinkende kalte Öl in Selbstorganisation ein Muster aus horizontalen Zylindern, die von oben wie Streifen aussehen. Jeder Zylinder rotiert um seine eigene Achse, da auf einer Seite Flüssigkeit aufsteigt und auf der anderen absinkt. Das Muster ist stabil, wenn benachbarte Zylinder wie Zahnräder in entgegen gesetzter Drehrichtung rotieren.
Normalerweise wird die Orientierung der Zylinder durch Zufall bestimmt, während sich das Muster herausbildet. Erzeugt man jedoch eine Aufwärtsströmung, richten sich die entstehenden Zylinder danach aus. Ausgehend von dieser Modellvorstellung entschieden wir uns zu testen, ob sich die von Testpersonen wahrgenommenen Halluzinationen stabilisieren lassen, wenn diese neben einer flackernden leeren Fläche ein fixes Muster zu sehen bekommen. Bei den Experimenten zeigten wir kleine kreis- und windradförmige Muster, die von schnell flackerndem Licht umgeben waren. Wir gingen davon aus, dass die physischen Muster im visuellen Kortex der Testpersonen Streifen einer bestimmten Orientierung aktivieren und die flackernde Umgebung das Muster durch zusätzliche, parallele Streifen vergrößern würden. Dementsprechend erwarteten wir, dass sich in der Wahrnehmung der Probanden die kreis- und windradförmigen Formen in die umgebende flackernde Fläche ausweiten würden.
Zu unserer Überraschung stellte sich bei den Testpersonen genau der umgekehrte Effekt ein. Zeigten wir ihnen kleine Kreise, so halluzinierten sie im umgebenden Flackerfeld Windräder, die mit etwa einer Umdrehung pro Sekunde rotierten. Um tatsächlich gezeigte Windräder herum hingegen sahen sie illusorische Kreismuster, die zuweilen pulsierten. Ähnliche Ergebnisse erhielten wir, wenn fixe Muster rings um ein flackerndes, leeres Zentrum herum gezeigt wurden. In allen Fällen waren die Halluzinationen auf die flackernde Leerfläche beschränkt. Sie dehnten sich nur dann in den Bereich der gezeigten Bilder aus, wenn diese durch entsprechende Änderungen im Versuchsaufbau ebenfalls (synchron) flackerten.
Gegenfarben und Gegenmuster
Rückblickend hätten uns die Ergebnisse eigentlich nicht überraschen sollen. Donald M. MacKay (1922-1987) vom Londoner King's College wies bereits vor 50 Jahren nach, dass Testpersonen, die Windradformen in Flackerlicht betrachten, eine Überlagerung von schemenhaften Mustern aus konzentrischen Ringen wahrnehmen (und umgekehrt). MacKays Resultate können als Ergebnis von Gegensatz-Effekten interpretiert werden, ähnlich wie bei Gegenfarben. Wenn Sie einen hellen roten Blitz sehen, nehmen Sie danach ein grünes Nachbild wahr, da Grün die Gegenfarbe zu Rot ist. Wenn das visuelle System Windräder und Kreise als geometrische Gegensätze verarbeitet, könnte es sich bei den schwachen Mustern, die MacKays Probanden sahen, um illusorische geometrische Nachbilder handeln, die in den Dunkelpausen zwischen den Blitzen erschienen.
Diese neue Illusion hat sogar ein exaktes Gegenstück bei den Farben: Ein rotes Feld kann ein benachbartes graues Feld grünlich erscheinen lassen. Entsprechend ruft unter geeigneten dynamischen Bedingungen wie bei unserem Flackerlicht-Experiment ein geometrisches Muster in einem daneben gezeigten Leerfeld das geometrische Gegenstück hervor. Anders ausgedrückt besteht MacKays Bildillusion aus geometrischen Gegensätzen, die zeitlich voneinander getrennt sind (die Windräder und Kreise sind in unterschiedlichen Momenten präsent), während in unseren Versuchen die geometrischen Gegensätze räumlich versetzt wahrgenommen werden (sie sind in angrenzenden Bildbereichen präsent).
Manch einer mag geneigt sein, unmögliche Farben und künstlich erzeugte geometrische Halluzinationen als nutzlose Taschenspielertricks zu betrachten. Tatsächlich jedoch erhellen die Versuche unser Verständnis des visuellen Systems und der Wahrnehmung von Gegensätzen. Die unmöglichen Farben zeigen, dass das Gegenfarbenkonzept – das als Modell für alle gegensätzlichen Wahrnehmungen diente – nicht so rigide und fest verdrahtet ist, wie Psychologen bislang annahmen. Stattdessen könnten flexiblere Mechanismen wie unser Wettstreit-Modell nötig sein, um den Umgang unseres Gehirns mit Gegenfarben in vollem Umfang zu verstehen.
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Über die Autoren: Die Biophysiker Vincent A. Billock und Brian H. Tsou untersuchen die Probleme des menschlichen Farb- und Raumsehen mit Hilfe der Komplexitätstheorie. Beide forschen zusammen an der Wright-Patterson Air Force Base in Ohio. Billock ist als leitender Wissenschaftler für General Dynamics in Dayton, Ohio, tätig. Tsou leitet eine Forschungsabteilung am U.S. Air Force Research Laboratory. Tsou hat noch nie ein rötliches Grün gesehen – denn er ist Rot-Grün-blind, was ihn früh bewog, sich mit dem Studium des Farbsehens zu befassen.
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