Eine Anti-Hagiografie
Rudolf Steiner (1861 – 1925) ist der Vater der Anthroposophie. Er schuf die Basis für Waldorfpädagogik, ökologischen Landbau, anthroposophische Medizin und Architektur. Zu seinem 150. Geburtstag legt nun der Historiker und katholische Theologe Helmut Zander, ein bekannter Kritiker der Anthroposophie, eine Biografie vor. Zander, der 2007 das 1800 Seiten starke Mammutwerk "Anthroposophie in Deutschland" veröffentlichte, ist Privatdozent an der Humboldt-Universität Berlin und arbeitete zuletzt als Fellow an einem internationalen Kolleg der Ruhr- Universität Bochum.
Der Einstieg in das Buch ist programmatisch. Die zweiseitige Diskussion um Steiners exaktes Geburtsdatum ist etwas verwirrend, transportiert aber eine wichtige Botschaft: Man nehme Rudolf Steiners Autobiografie "Mein Lebensweg" nicht beim Wort. Nach Zanders Überzeugung handelt es sich primär um eine rückblickende, große Spiritualitätserzählung, um eine kunstvoll arrangierte Partitur; in der vorliegenden Biografie hingegen könne man lesen, wie es wirklich war.
Zu Steiners Kindheit gibt es nur wenige Quellen. Als Sohn eines Bahnangestellten wächst er an der Grenze des deutschsprachigen Habsburgerreiches auf. Dort sieht Zander die Wurzeln für Steiners nationalistische Prägung. In Wien beginnt Steiner ein Studium der Naturwissenschaften und der Germanistik, entwickelt aber bald ein lebhaftes Interesse für die Philosophie. Er bricht sein Studium ab und wird Hauslehrer. Später erhält er über die Anfertigung einer Dissertation doch noch einen Abschluss und versucht, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, scheitert jedoch. Nach verschiedenen Tätigkeiten als Editor, Leiter eines literarischen Magazins und Dozent an der Arbeiterbildungsschule tritt er in die Theosophische Gesellschaft ein und steigt bald zu deren Generalsekretär auf.
Bis dahin zeichnet Zander das Bild eines Mannes, der den Mund gerne zu voll nimmt und sich selbst überschätzt. Anscheinend ist Steiner unglücklich, raucht viel, trinkt und bekommt seinen Alltag nicht in den Griff. Zeitgenossen beschreiben ihn als unnahbar, sogar etwas unheimlich. Immer wieder weist Zander darauf hin, dass Steiner ein fachlicher Stümper sei, der polemische Halbwahrheiten verbreite. Bei seinen ständigen Geldsorgen kommt ihm das Angebot, Vorträge für die Theosophische Gesellschaft zu halten, gerade recht. Nach einer eher atheistischen und materialistischen Phase findet er nun zu einer spirituellen Weltanschauung. Steiner selbst bezeichnet rückblickend seine vortheosophische Zeit als "Prüfungszeit" des Schülers auf dem Weg der Einweihung.
Zander spart nicht mit Hinweisen darauf, dass es sich bei den Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft durchgehend um Adel und gut situiertes Bürgertum handelte: "Der typische Theosoph war eine Frau: gebildet, nicht arm und Protestantin, eine Bürgersfrau eben, die aus Mangel an Alternativen Theosophin wurde." Man erhält den Eindruck, dass Steiner seinen plötzlichen Aufstieg einer Schar gelangweilter Millionärsgattinnen verdanke, die das Geld ihrer Männer für Spinnereien verprassten.
An diesem Punkt wird das Buch fast ein bisschen spannend. Steiner scheint in den Sog der Macht zu geraten und wird zum charismatischen Anführer. "Menschen, die bereit waren, sich verzaubern zu lassen, trafen auf einen Mann, der bereit war, die große Sinnstiftung vorzunehmen." Die deutsche Theosophische Gesellschaft spaltet sich bald von ihrer indischen Mutter ab. Einige Zeit später geht aus ihr die Anthroposophische Gesellschaft hervor. Steiner ist ihr Vorsitzender, hält unzählige Vorträge, ist ständig auf Reisen und erbaut nebenbei ein spirituelles Zentrum in Dornach. Am Ende stellt Zander die Frage, ob Steiner nicht eher ein von den Erwartungen seiner Anhänger Getriebener denn Herr über sein eigenes Leben gewesen sei.
Auch über den Tod Steiners stellt Zander einige Vermutungen an: Die Obduktion durch Ita Wegman sei nur vorgetäuscht, um die Todesursache, möglicherweise Prostatakrebs, zu vertuschen und das Bild vom erleuchteten Eingeweihten aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund sei auch der Leichnam nicht, wie von Steiner gewünscht, in Dornach bestattet, sondern verbrannt worden.
Für die Anthroposophen, von denen nicht wenige Steiner fast wie einen Heiligen verehren, ist Zanders Befund starker Tobak: Steiner habe von nichts eine Ahnung, stelle ohne fundiertes Wissen Behauptungen auf, die er als höhere Einsichten deklariere, und wische jegliche Diskussion mit der Autorität des Sehers als unerleuchtete Kleingeisterei vom Tisch. Seine Erkenntnisse habe er weder durch intensives Studium noch durch intuitive Versenkung gefunden, sondern häufig unvorbereitet aus dem Stegreif erfunden oder von anderen abgekupfert. Einige seiner Thesen habe er nachträglich ins Gegenteil verkehrt, womit er sich flexibler gezeigt habe als einige seiner heutigen Anhänger. Zanders hier und da eingestreute Anerkennung von Steiners Werk wirkt eher ironisch, seine mehrfach vorgetragene Erklärung, er wolle lediglich Steiners Leben aus wissenschaftlicher Sicht im Umfeld der damaligen Zeit analysieren, wie ein Beschwichtigungsversuch.
Kritiker der Anthroposophie mag dieses Buch erfreuen, überzeugte Steiner- Anhänger werden sich entweder darüber ärgern oder den Eindruck gewinnen, sie seien einem Betrüger aufgesessen. Als Nichtanthroposoph erhält man sehr interessante Einblicke in das Umfeld Steiners und die vielen Einflüsse, die von außen auf ihn einwirkten. Man erfährt allerdings relativ wenig über die Inhalte seiner Weltanschauung und seine inneren Beweggründe. So beschränkt sich der Autor vorwiegend darauf nachzuweisen, dass Steiner kein Heiliger ist, womit der Historiker Zander sich in den Dienst des Theologen Zander stellt.
Das Verdienst des Werks besteht vor allem darin, dass es Steiner mit seinen Ideen in einen gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext einordnet. Damit legt es einen Grundstein für die Auseinandersetzung mit dieser Person und schafft einen Gegenpol zur ideologisch verklärten Sicht der Anthroposophen. Es will allerdings nicht zum historisch- wissenschaftlichen Anspruch des Autors passen, dass er ausgesprochen tendenziös schreibt und ein wenig objektives Bild liefert.
Der Einstieg in das Buch ist programmatisch. Die zweiseitige Diskussion um Steiners exaktes Geburtsdatum ist etwas verwirrend, transportiert aber eine wichtige Botschaft: Man nehme Rudolf Steiners Autobiografie "Mein Lebensweg" nicht beim Wort. Nach Zanders Überzeugung handelt es sich primär um eine rückblickende, große Spiritualitätserzählung, um eine kunstvoll arrangierte Partitur; in der vorliegenden Biografie hingegen könne man lesen, wie es wirklich war.
Zu Steiners Kindheit gibt es nur wenige Quellen. Als Sohn eines Bahnangestellten wächst er an der Grenze des deutschsprachigen Habsburgerreiches auf. Dort sieht Zander die Wurzeln für Steiners nationalistische Prägung. In Wien beginnt Steiner ein Studium der Naturwissenschaften und der Germanistik, entwickelt aber bald ein lebhaftes Interesse für die Philosophie. Er bricht sein Studium ab und wird Hauslehrer. Später erhält er über die Anfertigung einer Dissertation doch noch einen Abschluss und versucht, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, scheitert jedoch. Nach verschiedenen Tätigkeiten als Editor, Leiter eines literarischen Magazins und Dozent an der Arbeiterbildungsschule tritt er in die Theosophische Gesellschaft ein und steigt bald zu deren Generalsekretär auf.
Bis dahin zeichnet Zander das Bild eines Mannes, der den Mund gerne zu voll nimmt und sich selbst überschätzt. Anscheinend ist Steiner unglücklich, raucht viel, trinkt und bekommt seinen Alltag nicht in den Griff. Zeitgenossen beschreiben ihn als unnahbar, sogar etwas unheimlich. Immer wieder weist Zander darauf hin, dass Steiner ein fachlicher Stümper sei, der polemische Halbwahrheiten verbreite. Bei seinen ständigen Geldsorgen kommt ihm das Angebot, Vorträge für die Theosophische Gesellschaft zu halten, gerade recht. Nach einer eher atheistischen und materialistischen Phase findet er nun zu einer spirituellen Weltanschauung. Steiner selbst bezeichnet rückblickend seine vortheosophische Zeit als "Prüfungszeit" des Schülers auf dem Weg der Einweihung.
Zander spart nicht mit Hinweisen darauf, dass es sich bei den Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft durchgehend um Adel und gut situiertes Bürgertum handelte: "Der typische Theosoph war eine Frau: gebildet, nicht arm und Protestantin, eine Bürgersfrau eben, die aus Mangel an Alternativen Theosophin wurde." Man erhält den Eindruck, dass Steiner seinen plötzlichen Aufstieg einer Schar gelangweilter Millionärsgattinnen verdanke, die das Geld ihrer Männer für Spinnereien verprassten.
An diesem Punkt wird das Buch fast ein bisschen spannend. Steiner scheint in den Sog der Macht zu geraten und wird zum charismatischen Anführer. "Menschen, die bereit waren, sich verzaubern zu lassen, trafen auf einen Mann, der bereit war, die große Sinnstiftung vorzunehmen." Die deutsche Theosophische Gesellschaft spaltet sich bald von ihrer indischen Mutter ab. Einige Zeit später geht aus ihr die Anthroposophische Gesellschaft hervor. Steiner ist ihr Vorsitzender, hält unzählige Vorträge, ist ständig auf Reisen und erbaut nebenbei ein spirituelles Zentrum in Dornach. Am Ende stellt Zander die Frage, ob Steiner nicht eher ein von den Erwartungen seiner Anhänger Getriebener denn Herr über sein eigenes Leben gewesen sei.
Auch über den Tod Steiners stellt Zander einige Vermutungen an: Die Obduktion durch Ita Wegman sei nur vorgetäuscht, um die Todesursache, möglicherweise Prostatakrebs, zu vertuschen und das Bild vom erleuchteten Eingeweihten aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund sei auch der Leichnam nicht, wie von Steiner gewünscht, in Dornach bestattet, sondern verbrannt worden.
Für die Anthroposophen, von denen nicht wenige Steiner fast wie einen Heiligen verehren, ist Zanders Befund starker Tobak: Steiner habe von nichts eine Ahnung, stelle ohne fundiertes Wissen Behauptungen auf, die er als höhere Einsichten deklariere, und wische jegliche Diskussion mit der Autorität des Sehers als unerleuchtete Kleingeisterei vom Tisch. Seine Erkenntnisse habe er weder durch intensives Studium noch durch intuitive Versenkung gefunden, sondern häufig unvorbereitet aus dem Stegreif erfunden oder von anderen abgekupfert. Einige seiner Thesen habe er nachträglich ins Gegenteil verkehrt, womit er sich flexibler gezeigt habe als einige seiner heutigen Anhänger. Zanders hier und da eingestreute Anerkennung von Steiners Werk wirkt eher ironisch, seine mehrfach vorgetragene Erklärung, er wolle lediglich Steiners Leben aus wissenschaftlicher Sicht im Umfeld der damaligen Zeit analysieren, wie ein Beschwichtigungsversuch.
Kritiker der Anthroposophie mag dieses Buch erfreuen, überzeugte Steiner- Anhänger werden sich entweder darüber ärgern oder den Eindruck gewinnen, sie seien einem Betrüger aufgesessen. Als Nichtanthroposoph erhält man sehr interessante Einblicke in das Umfeld Steiners und die vielen Einflüsse, die von außen auf ihn einwirkten. Man erfährt allerdings relativ wenig über die Inhalte seiner Weltanschauung und seine inneren Beweggründe. So beschränkt sich der Autor vorwiegend darauf nachzuweisen, dass Steiner kein Heiliger ist, womit der Historiker Zander sich in den Dienst des Theologen Zander stellt.
Das Verdienst des Werks besteht vor allem darin, dass es Steiner mit seinen Ideen in einen gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext einordnet. Damit legt es einen Grundstein für die Auseinandersetzung mit dieser Person und schafft einen Gegenpol zur ideologisch verklärten Sicht der Anthroposophen. Es will allerdings nicht zum historisch- wissenschaftlichen Anspruch des Autors passen, dass er ausgesprochen tendenziös schreibt und ein wenig objektives Bild liefert.
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