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Nobelpreise 2011: Die Torwächter der Körperabwehr - Medizin-Nobelpreis für Immunologen

Nobelpreisträger
Mit Bruce A. Beutler, Jules A. Hoffmann und Ralph M. Steinman geht der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie an drei Forscher, die wesentliche Beiträge zur Entschlüsselung des Immunsystems geleistet haben. Das Nobelkomitee berücksichtigt dabei mit dem angeborenen und der adaptiven Immunabwehr beide wichtigen und grundverschiedenen Zweige des Immunsystems.

Ralph Steinman erhält den Preis posthum, entgegen der Statuten: Er war am 30. September verstorben. Dies war dem Nobelkomitee jedoch nicht bekannt, als es seine Entscheidung traf und verkündete. Nach weiteren Beratungen kam das Komitee am Abend zu dem Schluss, trotzdem an der Auszeichnung festzuhalten: "Das einzige, was wir tun können, ist bedauern, dass er die Freude nicht mehr erleben konnte", sagte Göran Hansson vom Nobelpreiskomitee der Presse.

Jules Hoffmann und Bruce Beutler identifizierten die Antigen-Rezeptoren der angeborenen Immunabwehr, Toll bei der Taufliege Drosophila und die verwandte Prozeinfamilie der Toll-Like Receptors (TLR) in Säugetieren. Beide eng verwandten Molekülsorten nehmen körperfremde Signale auf und aktivieren als Reaktion eine Reihe von Angriffs- und Entzündungsreaktionen.

Bruce Beutler, Jules Hoffmann | Der US-Amerikaner Bruce Beutler (links) und der in Luxemburg geborene Jules Hoffmann (rechts) erhalten den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie für ihre Forschungsarbeiten zur angeborenen Immunantwort.
Ralph Steinman identifizierte mit den dendritischen Zellen eine zentrale Komponente der zweiten Schiene des Immunsystems, der adaptiven Immunabwehr. Ähnlich wie Toll und TLR aktivieren sie als Reaktion auf fremde Antigene weitere Komponenten der Immunreaktion, jedoch verarbeiten sie die Antigene und präsentieren sie aktiv nach außen – dabei tragen sie nicht nur zur direkten Reaktion bei, sondern helfen auch, eine dauerhafte Erinnerung in Form von auf dieses Antigen spezialisierten Immunzellen herzustellen.

Ralph Steinman | Der Kanadier Ralph Steinman erhält den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie für seine Entdeckung der dendritischen Zellen und ihre Rolle bei der erworbenen Immunität. Bei der Verkündung des Preises wurde bekannt, dass Steinman wenige Tage zuvor verstorben war. Obwohl es nach den Statuten keine posthumen Nobelpreise gibt, steht das Nobelkomitee zu dem verliehenen Preis. "Das Einzige, was wir tun können, ist bedauern, dass er die Freude nicht mehr erleben konnte", sagte Göran Hansson vom Nobelpreiskomitee der Presse.
Im 19. und 20. Jahrhunderts identifizierten Wissenschaftler wie Paul Ehrlich nach und nach Wirkungsweise und Komponenten des Immunsystems. Lange blieb jedoch rätselhaft, welcher Auslöser die komplexe Maschinerie überhaupt erst in Gang setzt. Das erste Indiz fand Jules Hoffmann 1996 in Untersuchungen an Taufliegen mit gezielt inaktivierten Genen – eine dieser Knock-out-Linien erwies sich als unfähig, Infektionen zu bekämpfen. Dabei handelte es sich um Fliegen mit dem mutierten Toll-Rezeptor, dessen Gen zehn Jahre zuvor von Christiane Nüsslein-Volhardt entdeckt worden war.

Kurz nach der Entdeckung von Hoffmann näherte sich Bruce Beutler einem ähnlichen Problem von der anderen Seite: Er suchte nach einem Rezeptor für das bakterielle Lipopolysaccharid (LPS), ein extrem wirksames Immunstimulans, das septischen Schock durch eine Überreaktion des Immunsystems verursachen kann. 1998 stellte er dann fest, dass eine Mäuselinie mit einer Mutation in einem speziellen Gen immun gegen LPS und den von ihm ausgelösten Schock sind – und dass das fragliche Gen weit gehend mit dem Toll-Gen der Taufliege Drosophila übereinstimmt.

Diese Entdeckung führte nicht nur dazu, dass mit den Toll-like Receptors eine ganze Klasse neuer Immunmoleküle entdeckt wurde, sie zeigte auch, dass so unterschiedliche Tiere wie Fliegen und Säugetiere den gleichen Mechanismus nutzen, um die Immunreaktion zu aktivieren. Der Torwächter der angeborenen Immunabwehr ist evolutionär betrachtet uralt.

Die angeborene Immunität ist die erste Verteidigungslinie des Körpers. Sie kann Eindringlinge direkt töten oder löst eine unspezifische Entzündungsreaktion aus, doch wenn sie nicht ausreicht, kommt das zweite System zum Tragen: Die adaptive Immunabwehr basiert auf Zellen, die sich auf die Bekämpfung spezifischer Erreger spezialisieren, die sie an bestimmten Antigenen erkennen. Die Zellen des Immunsystems produzieren dann Antikörper gegen diese Molekülbruchstücke, die die Bestandteile der Immunabwehr zu ihrem Ziel lotsen.

Doch wie identifiziert das System bestimmte Antigene als feindlich, und wie unterscheidet es sie von körpereigenen Strukturen? Die Antwort fand der dritte Preisträger Ralph Steinman, der vor wenigen Tagen in New York verstarb, 1973 in Form der dendritischen Zellen.

Zuerst war es nur Spekulation, dass der neue Zelltyp etwas mit der Immunabwehr zu tun haben könnte, bis Steinmann in Zellkultur zeigen konnte, dass dendritische Zellen tatsächlich andere Immunzellen, die T-Zellen, aktivieren. Wenn die T-Zellen quasi die Schutztruppe des Körpers sind, dann sind die dendritischen Zellen ihre Kundschafter. Sie wandern durch den Körper und nehmen permanent Antigene auf – wandern mit ihnen in die lymphatischen Organe und präsentieren die Antigene dort an ihrer Oberfläche. Gleichzeitig schütten sie Signalstoffe aus, die T-Zellen mit den richtigen Rezeptorkombinationen für dieses spezifische Antigen aktivieren. So werden diese T-Zellen für ihren Jagd auf die Eindringlinge scharf gemacht.

Doch das ist, fanden Steinmann und seine Kollegen dann heraus, nicht die einzige Funktion dieser Zellen. Schließlich muss das Immunsystem fremde Antigene zuverlässig von eigenem Material unterscheiden, sonst attackiert der Körper sich selbst. Auch diese Funktion übernehmen dendritische Zellen, indem sie körpereigenes Material aufnehmen und gleichzeitig von der angeborenen Immunabwehr ein Signal bekommen, dass keine Entzündung vorliegt. In dem Fall sorgen sie dafür, dass T-Zellen, die auf diese Antigene reagieren, schon im Lymphsystem unschädlich gemacht werden.

Die Entdeckungen der drei Nobelpreisträger haben tiefgreifende Auswirkungen auf unser Verständnis von Krankheiten und ihrer Bekämpfung gehabt – das Immunsystem ist bis heute besser und effektiver als jede Medizin, und Ärzte werden noch lange von diesen komplexen und ineinandergreifenden Systemen lernen können.

Außerdem öffnen diese Systeme neue Behandlungsoptionen für Krebs und andere Tumorerkrankungen, angefangen bei monoklonalen Antikörpern und ihren Derivaten bis hin zu komplexen Strategien, das Immunsystem selbst auf die entarteten Zellen zu hetzen. Und zu guter Letzt ist das Immunsystem selbst Ursache diverser Krankheiten, bei denen der Körper sich selbst zusetzt und deren Verständnis fundamental auf den Entdeckungen von Steinmann, Beutler und Hoffmann fußt.

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