Ökologie: Die Auferstehung der Amerikanischen Kastanie
Im Jahr 1876 erhielt der amerikanische Landschaftsarchitekt Samuel B. Parsons (1844 – 1923) eine Schiffsladung mit Kastaniensamen aus Japan und beschloss, die Bäume heranzuziehen und zu verkaufen. Offensichtlich beherbergte die Fracht aber einen blinden Passagier, der eine der größten Umweltkatastrophen verursachte, die jemals über Nordamerika hereingebrochen sind. Die Samen waren wahrscheinlich mit den Sporen des Pilzes Cryphonectria parasitica kontaminiert, gegen den asiatische Kastanien Resistenzen entwickelt haben – aber nicht deren amerikanische Vettern. C. parasitica ist der Erreger des Kastanienrindenkrebses. Bei einem dafür anfälligen Baum ruft er Wucherungen sowie eingesunkene Bereiche abgestorbenen Pflanzengewebes in seiner Rinde hervor, die den Baumstamm umgreifen und den Wasser- und Nährstofftransport zwischen Wurzeln und Blättern abschnüren. Innerhalb von 50 Jahren vernichtete der Pilz mehr als drei Milliarden Kastanienbäume.
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts machte die Amerikanische Kastanie (Castanea dentata) etwa ein Viertel aller Hartholzbäume in ihrem Verbreitungsgebiet aus: den östlichen Laubwäldern der USA sowie kleinen Bereichen von Kanada. Heute sind davon nur noch wenige ausgewachsene Exemplare übrig – und Millionen Wurzelstümpfe. Hin und wieder schaffen es solche noch lebenden Stümpfe, ein paar Schösslinge auszutreiben, die dann auch mal zehn Jahre oder länger überdauern können. Aber meist kommen sie nicht so weit, Samen zu produzieren, da der Pilz sie fast immer wieder heimsucht und niederringt.
Zu ihrer Glanzzeit galt die Amerikanische Kastanie als Schlüsselart der nordostamerikanischen Wälder, die von entscheidender Bedeutung für die Gesundheit einer Vielzahl von Organismen in ihrem Ökosystem war. Verschiedenste Vogelarten, Insekten und kleinere Säugetiere nisteten auf ihren Ästen oder lebten in ihrer Rinde. Bären, Rotwild, Truthähne, Blauhäher, Eichhörnchen und andere Tiere ernährten sich von den großen nahrhaften Kastanien. Nach dem massenhaften Verlust der Bäume gingen die Wildbestände zurück, und die Artenvielfalt nahm ab. Die Eichen, welche die Kastanien seitdem ersetzt haben, können lange nicht so viele Tiere versorgen; ihre Eicheln sind nur halb so nährstoffreich. ...
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