Buchkritik zu »Bewusstsein «
Wir erforschen den Kosmos, um zu erfahren, woher wir kommen, und die Welt der Elementarteilchen, weil wir erkennen wollen, woraus wir letztlich bestehen. Nun wenden wir uns mit dem in Jahrhunderten gewonnenen Wissen dem nächstliegenden Forschungsobjekt zu: dem eigenen Gehirn. Das ist ein Schwindel erregendes Unternehmen, denn dabei beugt sich gewissermaßen das Gehirn wissbegierig über sich selbst.
Geht das? Kann eine ursprünglich zur Analyse der unbelebten, bewusstlosen Natur entwickelte Methode jemals erklären, wie unser Gehirn Bewusstsein produziert? Muss nicht zwischen physikalisch- chemischen Hirnvorgängen und unserem sinnlichen Erleben von Farben, Schmerzen und Emotionen die notorische "Erklärungslücke" der Bewusstseinsforschung klaffen?
Es kommt auf den Versuch an. Wer wissen will, was die Naturwissenschaft – konkret die Neurobiologie – bisher über die materielle Basis unseres bewussten Erlebens herausgebracht hat, sollte dieses Buch lesen. Christof Koch sucht empirisch nach den "neuronalen Korrelaten des Bewusstseins" (neuronal correlates of consciousness, NCCs) – dem kleinsten Satz neuronaler Ereignisse, der für eine bestimmte bewusste Wahrnehmung hinreichend ist.
Gewiss vermag unser Gehirn noch viel mehr, als bloß Sinneserlebnisse zu vermitteln: Wir können sprechen, Erlebnisse reflektieren, zählen, logisch denken und so weiter. Das vergleichsweise bescheidene Projekt, NCCs für bewusste visuelle Wahrnehmung zu suchen, hat Koch gemeinsam mit Francis Crick, dem Mitentdecker des genetischen Codes, bis zu dessen Tod 2004 verfolgt, weil die beiden darin den einfachsten Zugang zum Rätsel des Bewusstseins sahen.
Damit wiederholte Crick eine Vorgehensweise, mit der er schon 1953 erfolgreich war: zur Erforschung des bislang Unvorstellbaren zunächst ein möglichst einfaches Beispiel zu studieren. Bevor Crick zusammen mit James Watson die Struktur der DNA aufdeckte, konnten die Biologen sich nicht vorstellen, wie ein einzelnes Molekül die Information über den Aufbau eines lebenden Organismus enthalten sollte. Analog hofften später Crick und Koch, aus der Struktur der Neuronen und ihren Wechselwirkungen auf die physische Grundlage des Bewusstseins schließen zu können.
Das ist kein Top-down-, sondern ein Bottom-up-Ansatz. Die Leistung, Bewusstsein hervorzurufen, wird nicht "holistisch " dem Gehirn als Ganzem oder größeren Hirnarealen zugeschrieben, sondern möglichst kleinen Ensembles spezifischer Neuronen, eben den NCCs. Koch hebt beispielsweise die Fähigkeit einzelner Neuronen hervor, selektiv auf ein bekanntes Gesicht anzusprechen. Er bestreitet nicht, dass "höhere" bewusste Leistungen – etwa das Erfassen von Dingkategorien – größere Areale beanspruchen; aber für die empirische Untersuchung der Hirnvorgänge bei einfachen Wahrnehmungen sucht er nach dem neuronalen Minimum.
Dafür müssen die Versuchspersonen nicht unbedingt Menschen sein; auch Affen, denen im Experiment unterschiedliche Bilder für beide Augen dargeboten werden, richten ihre Aufmerksamkeit abwechselnd auf das eine oder andere Bild, und entsprechend variiert das – mit modernen Verfahren messbare – neuronale Erregungsmuster ihres Gehirns. So wird Bewusstsein zu einem Gegenstand empirischer Forschung im Tierversuch.
Koch – der immer wieder betont, auch im Namen seines verstorbenen Mentors Crick zu schreiben – behauptet nicht, er könne mit den NCCs schon das Rätsel des Bewusstseins insgesamt lösen. Wohl aber beharrt er darauf, dass nur dieser Bottom-up-Ansatz den Weg zu einer Erklärung weist. Er skizziert ein langfristiges Forschungsprogramm, das, so hofft er, die Erklärungslücke zwischen objektiven Hirnprozessen und subjektivem Erleben schließen wird. Bewusstsein ist für Koch eine emergente Eigenschaft komplexer Nerventätigkeit. Darum würde er auch nicht zögern, einem hochkomplex verdrahteten und autonom agierenden Roboter eine Art Bewusstheit zuzugestehen.
Das ungeheuer reichhaltige, elegant geschriebene und gut übersetzte Buch wendet sich eigentlich an zwei verschiedene Lesergruppen: Die einen wollen "nur" erfahren, was die modernste Naturwissenschaft über das Bewusstsein zu sagen weiß; die anderen finden ein komplettes Lehrbuch der Neurobiologie vor. Der Autor versucht, es beiden recht zu machen, indem er Details und Quellen in umfangreiche Fußnoten verbannt. Ein neugieriger Leser wird sich förmlich zwingen müssen, über das Kleingedruckte hinwegzulesen, welches das untere Drittel fast jeder Seite ausmacht.
Geht das? Kann eine ursprünglich zur Analyse der unbelebten, bewusstlosen Natur entwickelte Methode jemals erklären, wie unser Gehirn Bewusstsein produziert? Muss nicht zwischen physikalisch- chemischen Hirnvorgängen und unserem sinnlichen Erleben von Farben, Schmerzen und Emotionen die notorische "Erklärungslücke" der Bewusstseinsforschung klaffen?
Es kommt auf den Versuch an. Wer wissen will, was die Naturwissenschaft – konkret die Neurobiologie – bisher über die materielle Basis unseres bewussten Erlebens herausgebracht hat, sollte dieses Buch lesen. Christof Koch sucht empirisch nach den "neuronalen Korrelaten des Bewusstseins" (neuronal correlates of consciousness, NCCs) – dem kleinsten Satz neuronaler Ereignisse, der für eine bestimmte bewusste Wahrnehmung hinreichend ist.
Gewiss vermag unser Gehirn noch viel mehr, als bloß Sinneserlebnisse zu vermitteln: Wir können sprechen, Erlebnisse reflektieren, zählen, logisch denken und so weiter. Das vergleichsweise bescheidene Projekt, NCCs für bewusste visuelle Wahrnehmung zu suchen, hat Koch gemeinsam mit Francis Crick, dem Mitentdecker des genetischen Codes, bis zu dessen Tod 2004 verfolgt, weil die beiden darin den einfachsten Zugang zum Rätsel des Bewusstseins sahen.
Damit wiederholte Crick eine Vorgehensweise, mit der er schon 1953 erfolgreich war: zur Erforschung des bislang Unvorstellbaren zunächst ein möglichst einfaches Beispiel zu studieren. Bevor Crick zusammen mit James Watson die Struktur der DNA aufdeckte, konnten die Biologen sich nicht vorstellen, wie ein einzelnes Molekül die Information über den Aufbau eines lebenden Organismus enthalten sollte. Analog hofften später Crick und Koch, aus der Struktur der Neuronen und ihren Wechselwirkungen auf die physische Grundlage des Bewusstseins schließen zu können.
Das ist kein Top-down-, sondern ein Bottom-up-Ansatz. Die Leistung, Bewusstsein hervorzurufen, wird nicht "holistisch " dem Gehirn als Ganzem oder größeren Hirnarealen zugeschrieben, sondern möglichst kleinen Ensembles spezifischer Neuronen, eben den NCCs. Koch hebt beispielsweise die Fähigkeit einzelner Neuronen hervor, selektiv auf ein bekanntes Gesicht anzusprechen. Er bestreitet nicht, dass "höhere" bewusste Leistungen – etwa das Erfassen von Dingkategorien – größere Areale beanspruchen; aber für die empirische Untersuchung der Hirnvorgänge bei einfachen Wahrnehmungen sucht er nach dem neuronalen Minimum.
Dafür müssen die Versuchspersonen nicht unbedingt Menschen sein; auch Affen, denen im Experiment unterschiedliche Bilder für beide Augen dargeboten werden, richten ihre Aufmerksamkeit abwechselnd auf das eine oder andere Bild, und entsprechend variiert das – mit modernen Verfahren messbare – neuronale Erregungsmuster ihres Gehirns. So wird Bewusstsein zu einem Gegenstand empirischer Forschung im Tierversuch.
Koch – der immer wieder betont, auch im Namen seines verstorbenen Mentors Crick zu schreiben – behauptet nicht, er könne mit den NCCs schon das Rätsel des Bewusstseins insgesamt lösen. Wohl aber beharrt er darauf, dass nur dieser Bottom-up-Ansatz den Weg zu einer Erklärung weist. Er skizziert ein langfristiges Forschungsprogramm, das, so hofft er, die Erklärungslücke zwischen objektiven Hirnprozessen und subjektivem Erleben schließen wird. Bewusstsein ist für Koch eine emergente Eigenschaft komplexer Nerventätigkeit. Darum würde er auch nicht zögern, einem hochkomplex verdrahteten und autonom agierenden Roboter eine Art Bewusstheit zuzugestehen.
Das ungeheuer reichhaltige, elegant geschriebene und gut übersetzte Buch wendet sich eigentlich an zwei verschiedene Lesergruppen: Die einen wollen "nur" erfahren, was die modernste Naturwissenschaft über das Bewusstsein zu sagen weiß; die anderen finden ein komplettes Lehrbuch der Neurobiologie vor. Der Autor versucht, es beiden recht zu machen, indem er Details und Quellen in umfangreiche Fußnoten verbannt. Ein neugieriger Leser wird sich förmlich zwingen müssen, über das Kleingedruckte hinwegzulesen, welches das untere Drittel fast jeder Seite ausmacht.
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