Spekulation statt Wissenschaft?
(Zu diesem Thema haben wir auch eine kurze Umfrage gestartet. Außerdem können Sie im Anschluss an diesen Text einen Leserbrief schreiben.)
"Moderne Gurus, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen!", so wettern nicht wenige unserer Leser über manche unserer Autoren. "Spekulation ist etwas für die Börse, aber nicht für die Physik und auch nicht für die Kosmologie!", schimpfen sie erzürnt. Und fordern: "Wann liefern uns die (wahlweise Multiversen-/Stringtheorie-/Welt-vor-dem-Urknall-)Freaks endlich solide Beweise für deren Existenz?"
Spekulative physikalische Theorien sind echte Aufreger. Warum nur? Klimaprognosen, die sich im Labor ebenfalls nicht beweisen lassen, sind es auch. Die aber beeinflussen Wirtschaft und Politik und damit unser aller Lebensumstände. Doch was rührt uns die letztlich abstrakt bleibende Frage, ob unser Universum nur eines von vielen ist? Ob dem Big Bang eines fernen Tages ein Big Crunch oder andere unerfreuliche Umstände folgen werden? Ob irgendwo in unzähligen Parallelwelten Kopien unserer selbst möglicherweise ein glücklicheres Leben führen? Na und?
Umschulen auf neue Weltmodelle?
Zumal viele der Pfade, die Theoretiker ins Dickicht fundamentaler Zusammenhänge schlagen, ganz von selbst wieder zuwachsen werden. Erweist sich etwa die Suche nach supersymmetrischen Teilchen am gerade in Betrieb gehenden Beschleuniger LHC als erfolglos, müssten sich ganze Scharen von Stringtheoretikern auf neue Weltmodelle umschulen lassen – auch wenn ihre Idee von fundamentalen schwingenden "Saiten", deren unterschiedliche "Töne" für je ein Elementarteilchen stehen, noch so schön ist.
Trotzdem aber kehrt keine Ruhe ein. Den vielleicht entscheidenden Hinweis, warum bestimmte wissenschaftliche Spekulationen heftigen Widerspruch hervorrufen, hat Robert B. Laughlin gegeben: Auf der Falsifizierbarkeit physikalischer Theorien, so der US-Quantenphysiker, Nobelpreisträger und Autor von "Abschied von der Weltformel", beruhe nichts weniger als die "moralische Autorität" der Physik.
Gleich die ganze Welt erklären?
Damit kommen wir der Sache vielleicht näher. Wer eine Theorie über ein x-beliebiges physikalisches Phänomen vorstellt, die nicht widerlegbar ist, wird schlicht ignoriert. Wer hingegen gleich die Welt erklären will, muss beweisen, dass er der Richtige dafür ist. Verletzt er dabei die "moralischen" Grundsätze seiner Disziplin, wird er als Hochstapler angegriffen. Nicht anders dürfte der scharfe Ton in der Klimadebatte zu verstehen sein. Wer nicht nur über das Wetter redet, sondern zu wissen behauptet, wie sich die Welt retten ließe, überschreitet moralische Grenzen.
(Dass es mit dem Theoriekriterium der Falsifizierbarkeit allerdings auch nicht so weit her ist, erfahren Spektrum-Leserinnen und Leser in der Dezemberausgabe.)
Allzuleicht übersieht man in dieser Debatte jedoch, dass es für die Arbeit der theoretischen Physiker ebenso anerkennenswerte Gründe gibt wie für die der Klimaspezialisten. Erstere versuchen (gemäß einem weiteren zentralen Grundsatz der Naturwissenschaften) ihre Theorien über die Welt zu vereinheitlichen und haben sich vor allem deshalb auf spekulatives Terrain begeben, weil sich keine anderen Wege auftaten. Und Klimaforscher beschäftigen sich vor allem deshalb mit (wissenschaftlich risikoreichen) Prognosen für die kommenden 50 oder 100 Jahre, weil sie deutliche Indizien für unerwünschte Folgen unserer heutigen Ressourcenwirtschaft gefunden haben.
Aber was, wenn nicht das beste verfügbare Wissen, wie es der Weltklimarat zusammengefasst hat, sollte für uns handlungsleitend sein? Und was, wenn nicht die vereinten Anstrengungen der Grundlagenforscher, ihre Theorien auch über eine Durststrecke hinweg weiterzuentwickeln, sollte die Tore zu einer neuen Physik aufstoßen? "Moralische Autorität", wo immer sie zu suchen ist – in den Theorien selbst wird man sie nicht finden.
Thilo Körkel
(Zu diesem Thema haben wir auch eine kurze Umfrage gestartet. Außerdem können Sie im Anschluss an diesen Text einen Leserbrief schreiben.)
"Moderne Gurus, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen!", so wettern nicht wenige unserer Leser über manche unserer Autoren. "Spekulation ist etwas für die Börse, aber nicht für die Physik und auch nicht für die Kosmologie!", schimpfen sie erzürnt. Und fordern: "Wann liefern uns die (wahlweise Multiversen-/Stringtheorie-/Welt-vor-dem-Urknall-)Freaks endlich solide Beweise für deren Existenz?"
Spekulative physikalische Theorien sind echte Aufreger. Warum nur? Klimaprognosen, die sich im Labor ebenfalls nicht beweisen lassen, sind es auch. Die aber beeinflussen Wirtschaft und Politik und damit unser aller Lebensumstände. Doch was rührt uns die letztlich abstrakt bleibende Frage, ob unser Universum nur eines von vielen ist? Ob dem Big Bang eines fernen Tages ein Big Crunch oder andere unerfreuliche Umstände folgen werden? Ob irgendwo in unzähligen Parallelwelten Kopien unserer selbst möglicherweise ein glücklicheres Leben führen? Na und?
Umschulen auf neue Weltmodelle?
Zumal viele der Pfade, die Theoretiker ins Dickicht fundamentaler Zusammenhänge schlagen, ganz von selbst wieder zuwachsen werden. Erweist sich etwa die Suche nach supersymmetrischen Teilchen am gerade in Betrieb gehenden Beschleuniger LHC als erfolglos, müssten sich ganze Scharen von Stringtheoretikern auf neue Weltmodelle umschulen lassen – auch wenn ihre Idee von fundamentalen schwingenden "Saiten", deren unterschiedliche "Töne" für je ein Elementarteilchen stehen, noch so schön ist.
Trotzdem aber kehrt keine Ruhe ein. Den vielleicht entscheidenden Hinweis, warum bestimmte wissenschaftliche Spekulationen heftigen Widerspruch hervorrufen, hat Robert B. Laughlin gegeben: Auf der Falsifizierbarkeit physikalischer Theorien, so der US-Quantenphysiker, Nobelpreisträger und Autor von "Abschied von der Weltformel", beruhe nichts weniger als die "moralische Autorität" der Physik.
Gleich die ganze Welt erklären?
Damit kommen wir der Sache vielleicht näher. Wer eine Theorie über ein x-beliebiges physikalisches Phänomen vorstellt, die nicht widerlegbar ist, wird schlicht ignoriert. Wer hingegen gleich die Welt erklären will, muss beweisen, dass er der Richtige dafür ist. Verletzt er dabei die "moralischen" Grundsätze seiner Disziplin, wird er als Hochstapler angegriffen. Nicht anders dürfte der scharfe Ton in der Klimadebatte zu verstehen sein. Wer nicht nur über das Wetter redet, sondern zu wissen behauptet, wie sich die Welt retten ließe, überschreitet moralische Grenzen.
(Dass es mit dem Theoriekriterium der Falsifizierbarkeit allerdings auch nicht so weit her ist, erfahren Spektrum-Leserinnen und Leser in der Dezemberausgabe.)
Allzuleicht übersieht man in dieser Debatte jedoch, dass es für die Arbeit der theoretischen Physiker ebenso anerkennenswerte Gründe gibt wie für die der Klimaspezialisten. Erstere versuchen (gemäß einem weiteren zentralen Grundsatz der Naturwissenschaften) ihre Theorien über die Welt zu vereinheitlichen und haben sich vor allem deshalb auf spekulatives Terrain begeben, weil sich keine anderen Wege auftaten. Und Klimaforscher beschäftigen sich vor allem deshalb mit (wissenschaftlich risikoreichen) Prognosen für die kommenden 50 oder 100 Jahre, weil sie deutliche Indizien für unerwünschte Folgen unserer heutigen Ressourcenwirtschaft gefunden haben.
Aber was, wenn nicht das beste verfügbare Wissen, wie es der Weltklimarat zusammengefasst hat, sollte für uns handlungsleitend sein? Und was, wenn nicht die vereinten Anstrengungen der Grundlagenforscher, ihre Theorien auch über eine Durststrecke hinweg weiterzuentwickeln, sollte die Tore zu einer neuen Physik aufstoßen? "Moralische Autorität", wo immer sie zu suchen ist – in den Theorien selbst wird man sie nicht finden.
Thilo Körkel
(Zu diesem Thema haben wir auch eine kurze Umfrage gestartet. Außerdem können Sie im Anschluss an diesen Text einen Leserbrief schreiben.)
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