Krieg der Affen
Das erfrischend unkonventionell geschriebene Buch ist jedem zu empfehlen, der sich für moderne Verhaltensforschung interessiert. Der Autor stellt sein Thema mit Einfühlungsvermögen, (Selbst-) Ironie und Sprachgefühl fassettenreich dar. Es macht ihn sympathisch, dass er nicht der Versuchung zur Kollegenschelte erliegt; vielmehr garniert er seine Ausflüge ins Allzumenschliche mit Anspielungen auf eigene Schwächen wie etwa die für deutsches Bier.
Dem Untertitel "Horizonte der Evolutionsbiologie" zum Trotz ist Volker Sommer Verhaltensforscher. Als Inhaber des Lehrstuhls für Evolutionäre Anthropologie am Londoner University College begreift er sich als "Historiker der Menschwerdung", der nicht die anatomischen Wurzeln menschlichen Seins erforscht, sondern die geistigen. Seit 25 Jahren beobachtet er sowohl Menschenaffen und Gibbons in ihren weit gehend naturnahen Habitaten als auch die indischen Tempelaffen (Languren) und andere Affen in von Menschen geprägten Lebensräumen. Seine Langzeitstudien haben das Verständnis der Sozialstrukturen bei Primaten maßgeblich erweitert.
Im Licht seiner vergleichenden Studien – menschliches Verhalten einerseits, problemlösendes Verhalten und Sozialstrukturen von Wirbeltieren andererseits – fallen allzu einfache Erklärungsmuster in sich zusammen, darunter liebgewordene Vorstellungen, die unserer Eitelkeit schmeicheln: "Menschen haben Verstand, Tiere Instinkt" oder "Menschliches Leben ist von Kultur bestimmt, tierisches Leben von der Natur". Solche Glaubenssätze widerlegt Sommer mit zahlreichen Beispielen, etwa den unterschiedlichen, kulturell tradierten Methoden ost- und westafrikanischer Schimpansen, sich dieselbe Nahrungsquelle zu erschließen. Auch im Sozialverhalten gibt es regionale Unterschiede und sogar gruppenspezifische Tabus: Während Schimpansen normalerweise nicht wasserscheu sind, durchqueren die Angehörigen der Gruppe im ostafrikanischen Gombe keine Bäche, treten nicht einmal in Pfützen.
Hunde kooperieren bei der Jagd und der Jungenaufzucht in Rudeln, weshalb sie bei Tests zur Kooperation gut abschneiden. Durch Hilfestellungen wie Deuten finden sie aus einem von drei Behältern denjenigen, der die Belohnung enthält. Schimpansen versagen bei solchen Tests, weil sie um Nahrung konkurrieren und Hilfestellungen nicht zu ihrem Verhaltensrepertoire gehören. Dagegen können sie durch Täuschen Leckerbissen vor ranghöheren Artgenossen verheimlichen.
Der Fleischfresser Mensch ist keine Fehlentwicklung in einer ansonsten anständigen vegetarischen Verwandtschaft. Viele Primaten decken ihren Proteinbedarf durch Insekten. Schimpansen nehmen auch anderes tierisches Eiweiß zu sich – in Form von Affen, die sie gezielt jagen. Freilandforschungen dokumentieren sogar regelrechte Schimpansenkriege: Größere Gruppen rotten ihre zahlenmäßig unterlegenen Nachbarn systematisch aus, indem sie die Männchen töten, die jüngeren Weibchen aufnehmen – und deren Jungen verspeisen, wenn sie nicht zweifelsfrei von einem Vater aus der eigenen Gruppe stammen.
Gibbons verkörperten das Idyll lebenslanger Einehe – bis Sommers Langzeitstudien zeigten, dass das Jungtier in Begleitung eines alten Ehepaares oft nicht deren Junges war, sondern der Seitensprungpartner eines Alttiers. Der Duettgesang eines Gibbonpaares ist keine Schnulze von Liebe und Eintracht, sondern von Betrug und Niedertracht. Die Gesänge testen Seitensprungchancen aus, denn sie verraten die Position von Weibchen und Männchen im Revier.
In den ersten 120 Seiten nimmt Sommer Anlauf zu einem gedanklichen Weitsprung ("Wilde Fragen"), der das restliche Drittel des Buchs einnimmt – und strauchelt über den Absprungbalken. Die drei Themen Theodizee ("Warum lässt Gott so viel Leid in der Welt zu?"), biologisches Artkonzept und Rassismus sprengen den Rahmen des Buchs. Bedauerlich, da Sommer zu allen drei Themen viel zu sagen hat; jedes wäre ein eigenes Buch wert.
So gelingt es ihm nicht, ausreichend Argumente gegen das von ihm angefochtene klassische Artkonzept anzubringen, demzufolge Individuen zur selben Art gehören, wenn sie miteinander unter natürlichen Bedingungen voll fertile Nachkommen zeugen. Auch einen plausiblen Ersatz kann er nicht anbieten.
Sommer schreibt über den biologischen Zweck der Kindstötung und der Vernichtungskriege bei Schimpansen – und bei Menschen rosarotes Multikulti? Seine positiven interkulturellen Erfahrungen seien ihm gegönnt, aber wie steht es um die Hatz Ewiggestriger auf Andershäutige in Sachsen, Krawalle jugendlicher Migranten in Frankreich oder die kulturelle Bereicherung, die uns dekadenten Westlern der islamistische Fundamentalismus mit Kofferbomben und Selbstmordattentaten beschert?
Der bekennende Naturschützer Sommer hat kein Problem mit Faunenfälschung und Gentechnik. Spricht aus ihm angelsächsischer Utilitarismus oder aus mir "german angst", wenn mich das stutzig macht? Sind eingeschleppte Tiere nicht für mehr Ökokatastrophen verantwortlich als Urwaldabholzung und Tankerunglücke? Wie viele Landstriche wurden nicht durch Ratten von ihrer einheimischen Kleintierfauna befreit? Wurde Australien nicht von importierten Kaninchen flächendeckend unterhöhlt?
Das äußerst lesenswerte Buch würde in einer Neuauflage durch Präzisierung einiger Details sicher noch attraktiver werden.
Dem Untertitel "Horizonte der Evolutionsbiologie" zum Trotz ist Volker Sommer Verhaltensforscher. Als Inhaber des Lehrstuhls für Evolutionäre Anthropologie am Londoner University College begreift er sich als "Historiker der Menschwerdung", der nicht die anatomischen Wurzeln menschlichen Seins erforscht, sondern die geistigen. Seit 25 Jahren beobachtet er sowohl Menschenaffen und Gibbons in ihren weit gehend naturnahen Habitaten als auch die indischen Tempelaffen (Languren) und andere Affen in von Menschen geprägten Lebensräumen. Seine Langzeitstudien haben das Verständnis der Sozialstrukturen bei Primaten maßgeblich erweitert.
Im Licht seiner vergleichenden Studien – menschliches Verhalten einerseits, problemlösendes Verhalten und Sozialstrukturen von Wirbeltieren andererseits – fallen allzu einfache Erklärungsmuster in sich zusammen, darunter liebgewordene Vorstellungen, die unserer Eitelkeit schmeicheln: "Menschen haben Verstand, Tiere Instinkt" oder "Menschliches Leben ist von Kultur bestimmt, tierisches Leben von der Natur". Solche Glaubenssätze widerlegt Sommer mit zahlreichen Beispielen, etwa den unterschiedlichen, kulturell tradierten Methoden ost- und westafrikanischer Schimpansen, sich dieselbe Nahrungsquelle zu erschließen. Auch im Sozialverhalten gibt es regionale Unterschiede und sogar gruppenspezifische Tabus: Während Schimpansen normalerweise nicht wasserscheu sind, durchqueren die Angehörigen der Gruppe im ostafrikanischen Gombe keine Bäche, treten nicht einmal in Pfützen.
Hunde kooperieren bei der Jagd und der Jungenaufzucht in Rudeln, weshalb sie bei Tests zur Kooperation gut abschneiden. Durch Hilfestellungen wie Deuten finden sie aus einem von drei Behältern denjenigen, der die Belohnung enthält. Schimpansen versagen bei solchen Tests, weil sie um Nahrung konkurrieren und Hilfestellungen nicht zu ihrem Verhaltensrepertoire gehören. Dagegen können sie durch Täuschen Leckerbissen vor ranghöheren Artgenossen verheimlichen.
Der Fleischfresser Mensch ist keine Fehlentwicklung in einer ansonsten anständigen vegetarischen Verwandtschaft. Viele Primaten decken ihren Proteinbedarf durch Insekten. Schimpansen nehmen auch anderes tierisches Eiweiß zu sich – in Form von Affen, die sie gezielt jagen. Freilandforschungen dokumentieren sogar regelrechte Schimpansenkriege: Größere Gruppen rotten ihre zahlenmäßig unterlegenen Nachbarn systematisch aus, indem sie die Männchen töten, die jüngeren Weibchen aufnehmen – und deren Jungen verspeisen, wenn sie nicht zweifelsfrei von einem Vater aus der eigenen Gruppe stammen.
Gibbons verkörperten das Idyll lebenslanger Einehe – bis Sommers Langzeitstudien zeigten, dass das Jungtier in Begleitung eines alten Ehepaares oft nicht deren Junges war, sondern der Seitensprungpartner eines Alttiers. Der Duettgesang eines Gibbonpaares ist keine Schnulze von Liebe und Eintracht, sondern von Betrug und Niedertracht. Die Gesänge testen Seitensprungchancen aus, denn sie verraten die Position von Weibchen und Männchen im Revier.
In den ersten 120 Seiten nimmt Sommer Anlauf zu einem gedanklichen Weitsprung ("Wilde Fragen"), der das restliche Drittel des Buchs einnimmt – und strauchelt über den Absprungbalken. Die drei Themen Theodizee ("Warum lässt Gott so viel Leid in der Welt zu?"), biologisches Artkonzept und Rassismus sprengen den Rahmen des Buchs. Bedauerlich, da Sommer zu allen drei Themen viel zu sagen hat; jedes wäre ein eigenes Buch wert.
So gelingt es ihm nicht, ausreichend Argumente gegen das von ihm angefochtene klassische Artkonzept anzubringen, demzufolge Individuen zur selben Art gehören, wenn sie miteinander unter natürlichen Bedingungen voll fertile Nachkommen zeugen. Auch einen plausiblen Ersatz kann er nicht anbieten.
Sommer schreibt über den biologischen Zweck der Kindstötung und der Vernichtungskriege bei Schimpansen – und bei Menschen rosarotes Multikulti? Seine positiven interkulturellen Erfahrungen seien ihm gegönnt, aber wie steht es um die Hatz Ewiggestriger auf Andershäutige in Sachsen, Krawalle jugendlicher Migranten in Frankreich oder die kulturelle Bereicherung, die uns dekadenten Westlern der islamistische Fundamentalismus mit Kofferbomben und Selbstmordattentaten beschert?
Der bekennende Naturschützer Sommer hat kein Problem mit Faunenfälschung und Gentechnik. Spricht aus ihm angelsächsischer Utilitarismus oder aus mir "german angst", wenn mich das stutzig macht? Sind eingeschleppte Tiere nicht für mehr Ökokatastrophen verantwortlich als Urwaldabholzung und Tankerunglücke? Wie viele Landstriche wurden nicht durch Ratten von ihrer einheimischen Kleintierfauna befreit? Wurde Australien nicht von importierten Kaninchen flächendeckend unterhöhlt?
Das äußerst lesenswerte Buch würde in einer Neuauflage durch Präzisierung einiger Details sicher noch attraktiver werden.
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