Vortragsbericht: Trainieren für den höheren IQ?
Was ist Intelligenz? Was wissen Hirnforscher darüber? Und lässt sich das, was Hochbegabte können, möglicherweise antrainieren? In Heidelberg sprach Hirnforscher Gerhard Roth über Intelligenz versus Klugheit, angeborene Begabungen und ihre neuronalen Grundlagen. Vera Spillner war dabei.
Der Saal war voll, als Gerhard Roth, einer der renommiertesten Hirnforscher Deutschlands und Leiter des Instituts für Hirnforschung der Universität Bremen, am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zu Gast war. Der öffentlichkeitserfahrene Wissenschaftler hatte sein Publikum wie gewohnt im Griff, auch wenn er kaum auf allerneueste Ergebnisse einging, sondern vielmehr einen souveränen Überblick über sein Forschungsgebiet gab, genauer: über "Gehirn, Intelligenz und Begabung".
Eines der größten Probleme seiner Disziplin nannte er gleich vorweg beim Namen: Der Begriff der Intelligenz, so Roth, sei weiterhin umstritten. Dabei sei das im Grunde verwunderlich, denn kaum eine andere Größe wurde in den letzten 100 Jahren so intensiv erforscht wie die der Intelligenz – und kaum eine ließe sich so gut beschreiben und sogar messen.
Möglicherweise also werde der Begriff einfach zu undifferenziert genutzt. Für Roth selbst gilt eine sehr knappe Definition: Intelligenz bedeutet "Problemlösen unter Zeitdruck". Genau das sei Intelligenz, meint Roth, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese Art von Intelligenz stabilisiere sich übrigens bei jedem Menschen sehr früh. Schon bei Fünfjährigen sei sie verlässlich messbar und bliebe ab 15 Jahren stabil bis ins hohe Alter.
Auch innerhalb der allgemeinen Intelligenz treffen Hirnforscher Unterscheidungen, beispielsweise zwischen verbaler und nonverbaler Intelligenz. Mancher könne sich eben sehr gut Namen merken, andere können dafür Objekte, die sie sich in Gedanken vorstellen, mühelos durch den Raum bewegen, drehen und von allen Seiten betrachten. Schaue man noch genauer hin, so zeige sich schließlich, dass Intelligenz ein breites Spektrum von Begabungen umfasse. Die allerdings – "und das ist die schlechte Nachricht" – sind genetisch bedingt und nicht antrainierbar.
IQ Tests messen Abweichungen vom Durchschnitt
Wie aber lässt sich all dies quantifizieren? Mittels eines standardisierten IQ-Tests gelinge das bekanntermaßen recht gut, das Verfahren habe aber auch seine Grenzen. Testergebnisse zwischen 0 und etwa 150 Punkten seien verlässlich, was jedoch darüber hinaus reiche, könne der Test nicht erfassen. Wer also wieder einmal aus den Medien erfährt, eine Amerikanerin könne mit einem IQ von 220 aufwarten und Einstein habe 260 Punkte erreicht, dürfe dies getrost als Unsinn abtun.
Interessant sind aber natürlich vor allem die Abweichungen vom Durchschnitt. 68 Prozent der Bevölkerung besitzen einen IQ zwischen 85 und 115, 95 Prozent lägen zwischen 70 und 130 Punkten (der korrekte Wert beträgt 135; nachträgliche Änderung der Redaktion). Bereits ab 115 Punkten gelte man als hochbegabt, ab 135 als höchstbegabt, was immerhin nur noch jedem Hundertsten in der Bevölkerung vorbehalten ist. (Hier wich Roth in seinem Vortrag allerdings von gängigen Standards ab, denen zufolge erst Menschen mit einem IQ ab 130 als Hochbegabte gelten.)
Daraus allerdings lassen sich interessante Schlüsse ziehen. "Eine unglaubliche Verschwendung von Talent" sei es, dass derzeit nur etwa ein Drittel dieser Höchstbegabten mit Stipendien gefördert würde. Als Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes (Roth trat das Amt im Jahr 2003 an) habe er in den vergangenen Jahren aber immerhin mit dafür gesorgt, dass diese Zahl nicht mehr bei nur zehn Prozent liege – wie noch vor gerade einmal 15 Jahren.
Männer versus Frauen – wer ist intelligenter?
Doch man könne noch mehr Fragen stellen: Wie ist zum Beispiel die Intelligenz zwischen den Geschlechtern verteilt? Tatsächlich unterscheiden sich die IQ-Verteilungen von Männern und Frauen. Die IQ-Kurve der Männer sei flacher, es gebe also "mehr saudumme Männer als entsprechende Frauen". Roth schmunzelt, das Auditorium lacht, aber nicht lange: Denn es gibt offenbar auch mehr Männer als Frauen, die beim IQ-Test mehr als 130 Punkte erreichten. Es lasse sich sogar errechnen, dass Männer um durchschnittlich 5 IQ-Punkte besser abschneiden.
Das provozierte natürlich Nachfragen, auf die allerdings auch Roth die Antwort schuldig blieb. Liegt dies an der Form der Fragestellungen? Oder an den in vielen Gesellschaften erschwerten Bildungsbedingungen für Frauen? Eigentlich, so der Hirnforscher, müsste sich die soziale Unterdrückung des weiblichen Geschlechts sogar noch deutlicher in der Statistik abzeichnen – aber hierzu fehle es schlicht an weiteren Studien.
Kurioserweise aber wären die Ergebnisse vom Hormonspiegel der Frauen abhängig. Steigt der Östrogenspiegel während des Zyklus an, lässt ihr Orientierungsvermögen entsprechend nach. Sinkt der Spiegel hingegen, so steigt ihre Fähigkeit, sich im Raum zu orientieren. Das Publikum ist verblüfft und bleibt es auch, denn selbst Roth kennt nicht alle Antworten. Er begnügt sich mit einem Schulterzucken und leitet zur Zwillingsforschung über, einem weiteren Lieblingsthema unter Hirnforschern.
Intelligenz wird vererbt
An eineiigen Zwillingen, die nach der Geburt getrennt wurden und separat aufwuchsen, habe sich in den vergangenen Jahren deutlich nachweisen lassen, dass die allgemeine Intelligenz in hohem Maße angeboren ist. Die Korrelation ihrer IQs, so Roth, liege bei etwa 0.8. Das sei ein sehr hoher Wert. Vergleiche man etwa die IQ-Tests miteinander, die man selbst gemacht habe und deren Ergebnisse durchaus von der Tagesform abhängig sind, finde man auch nur eine Korrelation von 0.85 statt 1.
Dennoch: Der Umwelteinfluss, den Adoptiveltern in Bezug auf die Intelligenz ausüben, sei letztlich gering. Letztlich könnte dies allenfalls Änderungen von plus oder minus 20 IQ-Punkten hervorrufen. Andererseits sind dies aber "immerhin 20 Punkte", betont Roth. Hätte ein Kind bei normaler Erziehung beispielsweise einen IQ von 100 erreicht, so hätte eine sehr gute Erziehung – und insbesondere die wichtige frühkindliche Förderung bis zum 5. Lebensjahr – diesen auf 120 heben können.
Intelligenter durch ein effektiveres Arbeitsgedächtnis
Dann vollzieht Roth einen weiteren Themenwechsel. Ist unser Gehirn tatsächlich – wie nicht nur Neurobiologen annehmen – der Sitz unserer Intelligenz, und entsteht diese tatsächlich in jeweils rund 500 Billionen Synapsen, dann lässt sich in diesem Supercomputer auch das Herzstück der Intelligenz identifizieren: das Arbeitsgedächtnis.
Ein schnelles Gedächtnis wiederum verhilft seinem Besitzer zu einigem Spielraum. Überraschenderweise nämlich nutzen intelligente Menschen ihr schnelleres Arbeitsgedächtnis, "um zu faulenzen": Sie nutzen ihr Gehirn schlicht weniger, wie Hirnscans zeigen. Sie verarbeiten Informationen also schneller und effektiver, automatisieren Wissen und lösen Probleme dadurch "quasi mit links".
Hochbegabte sind keine Psychopathen
Kurz vor Ende seines Vortrags unternahm Roth noch einen Ausflug zu den Eigenschaften Hochbegabter, die rund ein Prozent der Bevölkerung ausmachen. In der Regel verhalten sie sich keineswegs so eigenartig, wie das Vorurteil vermuten ließe. Sie lernen früher laufen und sprechen, kommen unerwarteterweise früher in die Pubertät (und stoßen dabei auf wenig Verständnis) und zeigen – anders als ihnen das Klischee zuschreibt – weniger psychosoziale Auffälligkeiten. Sie weisen im Mittel eine bessere Schulleistung auf, sind ausgeglichener und interessierter und zeigten oft Mehfachbegabungen. "Underachiever" mit schlechten Schulleistungen seien unter ihnen allerdings leider auch zu finden. Mangelndes Selbstvertrauen und mangelndes Durchhaltevermögen, wenn eine Aufgabe nicht sofort gelingt, gehörten zu den Gründen für dieses Phänomen.
Wer kann zum Starpianisten werden?
So manchen Zuhörer hatte der Vortrag schließlich sichtlich nachdenklich gestimmt. Könne denn jemand, der keine besondere Begabung für Musik habe, jemals Konzertpianist werden? Das ernüchternde Urteil Roths folgte auf dem Fuße: "Begabung kann man mit Fleiß nicht ausgleichen." Bei den 100 besten Pianisten der Welt kämen Begabung und Fleiß mit Sicherheit zusammen.
Und könne man lernen, die Aufgaben des IQ-Tests so effektiv wie ein Hochbegabter zu lösen? Sicher, sagt Roth. Bestimmte Aufgaben lassen sich trainieren, und auch die Lösungsstrategien Hochbegabter lassen sich einüben. Gerät man aber in eine ungewohnte Situation, so wird ein Hochbegabter eher wieder eine neue Lösungsstrategie entwickeln als seine durchschnittlich intelligenten Konkurrenten – der Unterschied bleibt und lässt sich nicht wegtrainieren.
Ohne Trost ließ Roth sein Publikum dann dennoch nicht. Intelligenz und Klugheit seien unterschiedliche Dinge. Jemand könne intelligent sein, ohne sich durch Klugheit und Weisheit hervorzutun. Und wer außergewöhnlich weise ist, muss sich nicht unbedingt durch besondere Intelligenz auszeichnen. Der Wert eines Menschen lasse sich an der Intelligenz ohnehin nicht festmachen.
Vera Spillner
Der Saal war voll, als Gerhard Roth, einer der renommiertesten Hirnforscher Deutschlands und Leiter des Instituts für Hirnforschung der Universität Bremen, am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zu Gast war. Der öffentlichkeitserfahrene Wissenschaftler hatte sein Publikum wie gewohnt im Griff, auch wenn er kaum auf allerneueste Ergebnisse einging, sondern vielmehr einen souveränen Überblick über sein Forschungsgebiet gab, genauer: über "Gehirn, Intelligenz und Begabung".
Eines der größten Probleme seiner Disziplin nannte er gleich vorweg beim Namen: Der Begriff der Intelligenz, so Roth, sei weiterhin umstritten. Dabei sei das im Grunde verwunderlich, denn kaum eine andere Größe wurde in den letzten 100 Jahren so intensiv erforscht wie die der Intelligenz – und kaum eine ließe sich so gut beschreiben und sogar messen.
Möglicherweise also werde der Begriff einfach zu undifferenziert genutzt. Für Roth selbst gilt eine sehr knappe Definition: Intelligenz bedeutet "Problemlösen unter Zeitdruck". Genau das sei Intelligenz, meint Roth, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese Art von Intelligenz stabilisiere sich übrigens bei jedem Menschen sehr früh. Schon bei Fünfjährigen sei sie verlässlich messbar und bliebe ab 15 Jahren stabil bis ins hohe Alter.
Genauer fassen lässt sie sich dennoch. Heute unterscheide man meist die so genannte "allgemeine Intelligenz" – dank derer sich Probleme schnell erkennen und Lösungsstrategien finden lassen – und das "Expertenwissen". Beides sei wichtig, wenn man erfolgreich durchs Leben gehen wolle, das eine könne aber das andere in Teilen kompensieren. Auch weniger intelligente Experten können darum sehr erfolgreich sein. Und andersherum: Wer wenig wisse, aber großer allgemeine Intelligenz besitze, sei durch eine gute Intuition besonders zum schnellen Lernen befähigt.
Auch innerhalb der allgemeinen Intelligenz treffen Hirnforscher Unterscheidungen, beispielsweise zwischen verbaler und nonverbaler Intelligenz. Mancher könne sich eben sehr gut Namen merken, andere können dafür Objekte, die sie sich in Gedanken vorstellen, mühelos durch den Raum bewegen, drehen und von allen Seiten betrachten. Schaue man noch genauer hin, so zeige sich schließlich, dass Intelligenz ein breites Spektrum von Begabungen umfasse. Die allerdings – "und das ist die schlechte Nachricht" – sind genetisch bedingt und nicht antrainierbar.
IQ Tests messen Abweichungen vom Durchschnitt
Wie aber lässt sich all dies quantifizieren? Mittels eines standardisierten IQ-Tests gelinge das bekanntermaßen recht gut, das Verfahren habe aber auch seine Grenzen. Testergebnisse zwischen 0 und etwa 150 Punkten seien verlässlich, was jedoch darüber hinaus reiche, könne der Test nicht erfassen. Wer also wieder einmal aus den Medien erfährt, eine Amerikanerin könne mit einem IQ von 220 aufwarten und Einstein habe 260 Punkte erreicht, dürfe dies getrost als Unsinn abtun.
Darüber hinaus messe ein Intelligenztest keine absoluten Intelligenzen, sondern immer nur relative Werte, nämlich im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung. Ein IQ von 100 wird dabei als Maximum der Gaußschen Verteilung aller "Intelligenzen" festgelegt – diesen Wert besitzt also der durchschnittliche Mensch, sagt Roth. Das bedeute aber auch, dass ein IQ von 100 in einer sehr intelligenten Gesellschaft für mehr Intelligenz spreche als in einer weniger intelligenten. Nicht einmal auf die zeitliche Konstanz des durchschnittlichen Intelligenzwerts könne man sich verlassen, denn in den letzten Jahren zeigte sich, dass die mittleren Intelligenzen in westlichen Gesellschaften anstiegen. Einige Theorien versuchten bereits, dies zu erklären, Roth selbst erkennt allerdings noch keine zufriedenstellenden Ansätze.
Interessant sind aber natürlich vor allem die Abweichungen vom Durchschnitt. 68 Prozent der Bevölkerung besitzen einen IQ zwischen 85 und 115, 95 Prozent lägen zwischen 70 und 130 Punkten (der korrekte Wert beträgt 135; nachträgliche Änderung der Redaktion). Bereits ab 115 Punkten gelte man als hochbegabt, ab 135 als höchstbegabt, was immerhin nur noch jedem Hundertsten in der Bevölkerung vorbehalten ist. (Hier wich Roth in seinem Vortrag allerdings von gängigen Standards ab, denen zufolge erst Menschen mit einem IQ ab 130 als Hochbegabte gelten.)
Daraus allerdings lassen sich interessante Schlüsse ziehen. "Eine unglaubliche Verschwendung von Talent" sei es, dass derzeit nur etwa ein Drittel dieser Höchstbegabten mit Stipendien gefördert würde. Als Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes (Roth trat das Amt im Jahr 2003 an) habe er in den vergangenen Jahren aber immerhin mit dafür gesorgt, dass diese Zahl nicht mehr bei nur zehn Prozent liege – wie noch vor gerade einmal 15 Jahren.
Männer versus Frauen – wer ist intelligenter?
Doch man könne noch mehr Fragen stellen: Wie ist zum Beispiel die Intelligenz zwischen den Geschlechtern verteilt? Tatsächlich unterscheiden sich die IQ-Verteilungen von Männern und Frauen. Die IQ-Kurve der Männer sei flacher, es gebe also "mehr saudumme Männer als entsprechende Frauen". Roth schmunzelt, das Auditorium lacht, aber nicht lange: Denn es gibt offenbar auch mehr Männer als Frauen, die beim IQ-Test mehr als 130 Punkte erreichten. Es lasse sich sogar errechnen, dass Männer um durchschnittlich 5 IQ-Punkte besser abschneiden.
Das provozierte natürlich Nachfragen, auf die allerdings auch Roth die Antwort schuldig blieb. Liegt dies an der Form der Fragestellungen? Oder an den in vielen Gesellschaften erschwerten Bildungsbedingungen für Frauen? Eigentlich, so der Hirnforscher, müsste sich die soziale Unterdrückung des weiblichen Geschlechts sogar noch deutlicher in der Statistik abzeichnen – aber hierzu fehle es schlicht an weiteren Studien.
Bekannter war dem Publikum dann wieder der Sachverhalt, dass Männer bei räumlichen Aufgaben im Durchschnitt besser abschneiden als Frauen, die ihnen wiederum bei verbalen Aufgaben überlegen seien. Frauen erinnerten sich beispielsweise auch besser an Einzelheiten entlang eines Weges, während Männer "koordinatenbezogen" dächten und so eher Abstände, Winkel und Richtungen beachteten. Fielen die Wegmarken weg, seien Männer hinsichtlich des Orientierungsvermögens im Vorteil.
Kurioserweise aber wären die Ergebnisse vom Hormonspiegel der Frauen abhängig. Steigt der Östrogenspiegel während des Zyklus an, lässt ihr Orientierungsvermögen entsprechend nach. Sinkt der Spiegel hingegen, so steigt ihre Fähigkeit, sich im Raum zu orientieren. Das Publikum ist verblüfft und bleibt es auch, denn selbst Roth kennt nicht alle Antworten. Er begnügt sich mit einem Schulterzucken und leitet zur Zwillingsforschung über, einem weiteren Lieblingsthema unter Hirnforschern.
Intelligenz wird vererbt
An eineiigen Zwillingen, die nach der Geburt getrennt wurden und separat aufwuchsen, habe sich in den vergangenen Jahren deutlich nachweisen lassen, dass die allgemeine Intelligenz in hohem Maße angeboren ist. Die Korrelation ihrer IQs, so Roth, liege bei etwa 0.8. Das sei ein sehr hoher Wert. Vergleiche man etwa die IQ-Tests miteinander, die man selbst gemacht habe und deren Ergebnisse durchaus von der Tagesform abhängig sind, finde man auch nur eine Korrelation von 0.85 statt 1.
Anzweifeln könne man diese Ergebnisse der Zwillingsforschung dennoch. Selbst eineiige Zwillinge machen schon vor der Geburt Umwelterfahrungen, die möglicherweise wichtiger für ihre Intelligenzentwicklung seien als die Gene. Die meisten von ihnen haben außerdem einige Wochen gemeinsam verbracht, bevor sie getrennt wurden, und seien dabei ähnlich prägenden Erfahrungen ausgesetzt gewesen.
Dennoch: Der Umwelteinfluss, den Adoptiveltern in Bezug auf die Intelligenz ausüben, sei letztlich gering. Letztlich könnte dies allenfalls Änderungen von plus oder minus 20 IQ-Punkten hervorrufen. Andererseits sind dies aber "immerhin 20 Punkte", betont Roth. Hätte ein Kind bei normaler Erziehung beispielsweise einen IQ von 100 erreicht, so hätte eine sehr gute Erziehung – und insbesondere die wichtige frühkindliche Förderung bis zum 5. Lebensjahr – diesen auf 120 heben können.
Intelligenter durch ein effektiveres Arbeitsgedächtnis
Dann vollzieht Roth einen weiteren Themenwechsel. Ist unser Gehirn tatsächlich – wie nicht nur Neurobiologen annehmen – der Sitz unserer Intelligenz, und entsteht diese tatsächlich in jeweils rund 500 Billionen Synapsen, dann lässt sich in diesem Supercomputer auch das Herzstück der Intelligenz identifizieren: das Arbeitsgedächtnis.
Es liegt im präfrontalen Kortex und ist darauf spezialisiert, "Dinge schnell zusammenzufügen". Hier beute das Gehirn all das aus, was es weiß, und erbringe seine Meisterleistungen: Das Arbeitsgedächtnis sei die "Schaltstelle". Lässt sich hier also etwas optimieren? Leider verkündet Roth wieder eine schlechte Nachricht: Die Effektivität des Arbeitsgedächtnisses ist ebenso angeboren wie Begabungen – und genau so wenig trainierbar. Das Schalttempo der Synapsen sei einfach physiologisch vorgegeben, vor allem durch die so genannten Myelinscheiden, die die einzelnen Nervenfasern umgeben. Je dicker sie sind, desto schneller werden die Signale geleitet, und desto schneller funktioniere auch das Arbeitsgedächtnis.
Ein schnelles Gedächtnis wiederum verhilft seinem Besitzer zu einigem Spielraum. Überraschenderweise nämlich nutzen intelligente Menschen ihr schnelleres Arbeitsgedächtnis, "um zu faulenzen": Sie nutzen ihr Gehirn schlicht weniger, wie Hirnscans zeigen. Sie verarbeiten Informationen also schneller und effektiver, automatisieren Wissen und lösen Probleme dadurch "quasi mit links".
Normalbegabte hingegen reagieren auf schwierige Testaufgaben mit großem Aufruhr im Gehirn, im Arbeitsgedächtnis feuern dann sämtliche Neurone. Bei Hochbegabten zeige sich in diesen Situationen wesentlich weniger Aktivität, und wenn überhaupt, dann eher im hinteren Teil des Gehirns. Sie entlasten nämlich ihr Arbeitsgedächtnis, indem sie den Hinterhauptcortex – wo sonst standardisierte Prozesse ablaufen – die Arbeit tun lassen.
Hochbegabte sind keine Psychopathen
Kurz vor Ende seines Vortrags unternahm Roth noch einen Ausflug zu den Eigenschaften Hochbegabter, die rund ein Prozent der Bevölkerung ausmachen. In der Regel verhalten sie sich keineswegs so eigenartig, wie das Vorurteil vermuten ließe. Sie lernen früher laufen und sprechen, kommen unerwarteterweise früher in die Pubertät (und stoßen dabei auf wenig Verständnis) und zeigen – anders als ihnen das Klischee zuschreibt – weniger psychosoziale Auffälligkeiten. Sie weisen im Mittel eine bessere Schulleistung auf, sind ausgeglichener und interessierter und zeigten oft Mehfachbegabungen. "Underachiever" mit schlechten Schulleistungen seien unter ihnen allerdings leider auch zu finden. Mangelndes Selbstvertrauen und mangelndes Durchhaltevermögen, wenn eine Aufgabe nicht sofort gelingt, gehörten zu den Gründen für dieses Phänomen.
Doch Intelligenz hin, IQ-Punkte her: Beruflicher Erfolg, so Roth, hänge davon nur zu einem Drittel ab. Der größere Rest sei bereits mit Motivation und Fleiß zu erreichen – fehlt dies, so scheitere auch mancher intelligente Zeitgenosse. Leider allerdings sei in ein Trend zu beobachten, demzufolge fleißige Jungs, die gut in der Schule sind, unter ihresgleichen als "uncool" gelten. Um junge Menschen und vor allem junge Männer zu unterstützen, sie zu Motivation und Fleiß zu motivieren, bedürfe es daher einer "aktiven Lebensgestaltung" durch Eltern und Lehrer.
Wer kann zum Starpianisten werden?
So manchen Zuhörer hatte der Vortrag schließlich sichtlich nachdenklich gestimmt. Könne denn jemand, der keine besondere Begabung für Musik habe, jemals Konzertpianist werden? Das ernüchternde Urteil Roths folgte auf dem Fuße: "Begabung kann man mit Fleiß nicht ausgleichen." Bei den 100 besten Pianisten der Welt kämen Begabung und Fleiß mit Sicherheit zusammen.
Und könne man lernen, die Aufgaben des IQ-Tests so effektiv wie ein Hochbegabter zu lösen? Sicher, sagt Roth. Bestimmte Aufgaben lassen sich trainieren, und auch die Lösungsstrategien Hochbegabter lassen sich einüben. Gerät man aber in eine ungewohnte Situation, so wird ein Hochbegabter eher wieder eine neue Lösungsstrategie entwickeln als seine durchschnittlich intelligenten Konkurrenten – der Unterschied bleibt und lässt sich nicht wegtrainieren.
Ohne Trost ließ Roth sein Publikum dann dennoch nicht. Intelligenz und Klugheit seien unterschiedliche Dinge. Jemand könne intelligent sein, ohne sich durch Klugheit und Weisheit hervorzutun. Und wer außergewöhnlich weise ist, muss sich nicht unbedingt durch besondere Intelligenz auszeichnen. Der Wert eines Menschen lasse sich an der Intelligenz ohnehin nicht festmachen.
Vera Spillner
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