Neurotricks und Zauberwissenschaft
Neurowissenschaftler erforschen zunehmend die wahrnehmungspsychologischen Hintergründe der Zauberkunst und nutzen deren Erfahrungsschatz für eigene Experimente.
Dieser Artikel ist der Juni-Ausgabe 2009 von Spektrum der Wissenschaft entnommen.
Die experimentellen Methoden waren damals jedoch begrenzt und im Wesentlichen auf fotografische Einzelbildaufnahmen eines Trickablaufs beschränkt. Im Zuge der Entwicklung von modernen bildgebenden Verfahren erwachte das Interesse der Wissenschaftler an der Zauberkunst neu. So bezeichnete es der renommierte Wahrnehmungspsychologe Richard L. Gregory 1982 als "grobe Nachlässigkeit von Psychologen, die Zauberkunst als reine Spielerei abzutun. Einer erfolgreichen Täuschung liegt sehr viel mehr zu Grunde als eine Hand, die schneller ist als das Auge". Ende der 1990er Jahre verwendete der Kognitionspsychologe Olivier Houdé von der Pariser Sorbonne einfache Kunststücke, um die Entstehung des Zahlbegriffs und reflexiven Bewusstseins bei Kindern zu erforschen, und wies auf die Möglichkeiten der Kombination von Zaubertricks mit Videotechnik für die Forschung hin.
Erregungsmuster im Moment der Verblüffung
Die seit 2005 von Gustav Kuhn von der Durham University (England) veröffentlichten Experimente haben die Magie endgültig als Forschungsobjekt ins Labor geholt und weitere Wissenschaftler für das Gebiet interessiert. Dazu gehört etwa der Kognitionsforscher John Henderson von der University of Edinburgh (Schottland). Er untersucht zusammen mit dem Psychologen und Zauberkünstler Peter Lamont das Phänomen der Veränderungsblindheit mit speziell dafür entworfenen Trickabläufen.
Aus dem Bewusstsein ausradiert
David Edelman vom Neurosciences Institute in San Diego arbeitet zusammen mit dem New Yorker Zauberkünstler Mark Mitton an einem allgemeinen Modell der Ablenkung, um reproduzierbar zu erklären, warum sich zum Beispiel manche Bewegungen von Zauberkünstlern aus dem Bewusstein der Zuschauer ausradieren lassen. Statt solche Bewegungen nur zu motivieren, um sie unverdächtig wirken zu lassen (wie im Artikel beschrieben), sucht sie der Illusionist – ähnlich dem Gorilla bei der Unaufmerksamkeitsblindheit – ganz "unsichtbar" zu machen. Das gilt insbesondere für Close-up-Kunststücke, bei denen sich die Zuschauer direkt neben dem Zauberer befinden, also zum Beispiel an einem Tisch mit ihm sitzen.
Ein Meister dieser Form war Tony Slydini (1900 – 1991). Der italoamerikanische Zauberkünstler verwendete bei seinen Tricks, die er zumeist am Tisch sitzend vorführte, nur Alltagsrequisiten und verzichtete auf jede "offene" Ablenkung wie Explosionen und Lichtwechsel. Das zwang ihn, grundlegende Täuschungsmechanismen einzusetzen. So war das Prinzip der gezielten Lenkung der Aufmerksamkeit durch lineare und kurvenförmige Bewegungen ein wesentlicher Bestandteil seiner Kunststücke. Mit seinen Methoden frappierte er selbst die besten Kollegen, und manche seiner Tricks finden sich noch heute im Repertoire vieler Zauberkünstler.
Einige der erwähnten Arbeitsgruppen präsentieren ihre Ergebnisse und Praxiserfahrungen übrigens im ersten wissenschaftlichen Workshop zu diesem Thema bei der Jahrestagung der Association for the Scientific Study of Consciousness vom 5. bis 8. Juni in Berlin.
Der Dialog zwischen Zauberkunst und Neurowissenschaft kommt also immer mehr in Gang, ist aber auch prinzipiellen Beschränkungen unterworfen. So müssen die Kunststücke auf Video aufgenommen werden, um den experimentellen Laborbedingungen und der Forderung nach wissenschaftlicher Standardisierung zu entsprechen. Dies begrenzt das einsetzbare Repertoire, weil keine direkte Interaktion mit dem Publikum möglich ist. Tricks, die einen Zuschauer einbeziehen – der etwa eine Spielkarte oder eine Münze hält, die sich dann in seiner Hand verwandelt –, sind dadurch momentan keinem neurowissenschaftlichen Experiment zugänglich.
Entzauberung durch Wissenschaft?
Zudem funktionieren verschiedene Methoden der offenen und verdeckten Ablenkung auf Video gar nicht oder nur in abgeschwächter Form. Die von Zauberkünstlern empirisch entwickelten Mechanismen zur Lenkung der Aufmerksamkeit sind stark von der wechselseitigen Dynamik und vor allem dem Kontext einer Livevorführung abhängig. Auch der Illusionist beobachtet bei vielen Kunststücken das Publikum (nicht nur umgekehrt!), um bestimmte, zur Ablenkung erforderliche Bewegungsabläufe zeitlich auf dessen Reak-tionen abzustimmen.
Trotz dieser Einschränkungen kann die Neurowissenschaft viel vom Wissen und den Fähigkeiten der Zauberkünstler profitieren. Dass deren Vorführungen dadurch entzaubert werden, steht nicht zu befürchten. Schließlich tun neurowissenschaftliche Erkenntnisse über die Wahrnehmung von Musik dem Genuss eines Beethoven-Konzerts ebenfalls keinen Abbruch. Somit wird auch der Besitzer eines Gehirns, das alles über die neuronalen Korrelate der Ablenkung weiß, von einem guten Zauberkünstler weiterhin aufs Angenehmste getäuscht werden!
Zum Autor: Thomas Fraps (www.thomasfraps.com) hat sich nach Abschluss des Physikstudiums 1994 der Zauberei zugewandt. Er erhielt diverse Auszeichnungen, moderierte zwei Jahre lang "trickreich" die Fernsehsendung "Faszination Wissen" im Bayerischen Rundfunk und verbindet seither Magie und Wissenschaft auf der Bühne wie im Labor.
Das Interesse der Wissenschaft an der Zauberkunst reicht über 100 Jahre zurück. Eine erste Analyse von Kunststücken wie dem im nebenstehenden Artikel erwähnten in der Luft verschwindenden Ball versuchte schon 1894 Alfred Binet. Weitere frühe Arbeiten zur Psychologie der Täuschung erschienen 1896 im Fachjournal "Science" sowie im Jahr 1900 im "American Journal of Psychology".
Die experimentellen Methoden waren damals jedoch begrenzt und im Wesentlichen auf fotografische Einzelbildaufnahmen eines Trickablaufs beschränkt. Im Zuge der Entwicklung von modernen bildgebenden Verfahren erwachte das Interesse der Wissenschaftler an der Zauberkunst neu. So bezeichnete es der renommierte Wahrnehmungspsychologe Richard L. Gregory 1982 als "grobe Nachlässigkeit von Psychologen, die Zauberkunst als reine Spielerei abzutun. Einer erfolgreichen Täuschung liegt sehr viel mehr zu Grunde als eine Hand, die schneller ist als das Auge". Ende der 1990er Jahre verwendete der Kognitionspsychologe Olivier Houdé von der Pariser Sorbonne einfache Kunststücke, um die Entstehung des Zahlbegriffs und reflexiven Bewusstseins bei Kindern zu erforschen, und wies auf die Möglichkeiten der Kombination von Zaubertricks mit Videotechnik für die Forschung hin.
Erregungsmuster im Moment der Verblüffung
Die seit 2005 von Gustav Kuhn von der Durham University (England) veröffentlichten Experimente haben die Magie endgültig als Forschungsobjekt ins Labor geholt und weitere Wissenschaftler für das Gebiet interessiert. Dazu gehört etwa der Kognitionsforscher John Henderson von der University of Edinburgh (Schottland). Er untersucht zusammen mit dem Psychologen und Zauberkünstler Peter Lamont das Phänomen der Veränderungsblindheit mit speziell dafür entworfenen Trickabläufen.
An der Graduate School of Systemic Neuroscience der Universität München zeichnet die Psychologin Amory Faber im Rahmen ihrer Doktorarbeit Elektroenzephalogramme von Versuchspersonen beim Betrachten von Zaubertricks auf. Solche EEGs haben eine höhere zeitliche Auflösung als funktionelle Magnetresonanzaufnahmen, welche Änderungen in der Durchblutung des Gehirns registrieren. Sie sollen Aufschluss über den zeitlichen Verlauf der Erregungsmuster verschiedener Hirnareale im Moment der Verblüffung geben. Bei der Auswahl und Aufnahme der Trickfilme wirke ich als Berater und Zauberkünstler mit.
Aus dem Bewusstsein ausradiert
David Edelman vom Neurosciences Institute in San Diego arbeitet zusammen mit dem New Yorker Zauberkünstler Mark Mitton an einem allgemeinen Modell der Ablenkung, um reproduzierbar zu erklären, warum sich zum Beispiel manche Bewegungen von Zauberkünstlern aus dem Bewusstein der Zuschauer ausradieren lassen. Statt solche Bewegungen nur zu motivieren, um sie unverdächtig wirken zu lassen (wie im Artikel beschrieben), sucht sie der Illusionist – ähnlich dem Gorilla bei der Unaufmerksamkeitsblindheit – ganz "unsichtbar" zu machen. Das gilt insbesondere für Close-up-Kunststücke, bei denen sich die Zuschauer direkt neben dem Zauberer befinden, also zum Beispiel an einem Tisch mit ihm sitzen.
Ein Meister dieser Form war Tony Slydini (1900 – 1991). Der italoamerikanische Zauberkünstler verwendete bei seinen Tricks, die er zumeist am Tisch sitzend vorführte, nur Alltagsrequisiten und verzichtete auf jede "offene" Ablenkung wie Explosionen und Lichtwechsel. Das zwang ihn, grundlegende Täuschungsmechanismen einzusetzen. So war das Prinzip der gezielten Lenkung der Aufmerksamkeit durch lineare und kurvenförmige Bewegungen ein wesentlicher Bestandteil seiner Kunststücke. Mit seinen Methoden frappierte er selbst die besten Kollegen, und manche seiner Tricks finden sich noch heute im Repertoire vieler Zauberkünstler.
Einige der erwähnten Arbeitsgruppen präsentieren ihre Ergebnisse und Praxiserfahrungen übrigens im ersten wissenschaftlichen Workshop zu diesem Thema bei der Jahrestagung der Association for the Scientific Study of Consciousness vom 5. bis 8. Juni in Berlin.
Der Dialog zwischen Zauberkunst und Neurowissenschaft kommt also immer mehr in Gang, ist aber auch prinzipiellen Beschränkungen unterworfen. So müssen die Kunststücke auf Video aufgenommen werden, um den experimentellen Laborbedingungen und der Forderung nach wissenschaftlicher Standardisierung zu entsprechen. Dies begrenzt das einsetzbare Repertoire, weil keine direkte Interaktion mit dem Publikum möglich ist. Tricks, die einen Zuschauer einbeziehen – der etwa eine Spielkarte oder eine Münze hält, die sich dann in seiner Hand verwandelt –, sind dadurch momentan keinem neurowissenschaftlichen Experiment zugänglich.
Entzauberung durch Wissenschaft?
Zudem funktionieren verschiedene Methoden der offenen und verdeckten Ablenkung auf Video gar nicht oder nur in abgeschwächter Form. Die von Zauberkünstlern empirisch entwickelten Mechanismen zur Lenkung der Aufmerksamkeit sind stark von der wechselseitigen Dynamik und vor allem dem Kontext einer Livevorführung abhängig. Auch der Illusionist beobachtet bei vielen Kunststücken das Publikum (nicht nur umgekehrt!), um bestimmte, zur Ablenkung erforderliche Bewegungsabläufe zeitlich auf dessen Reak-tionen abzustimmen.
Trotz dieser Einschränkungen kann die Neurowissenschaft viel vom Wissen und den Fähigkeiten der Zauberkünstler profitieren. Dass deren Vorführungen dadurch entzaubert werden, steht nicht zu befürchten. Schließlich tun neurowissenschaftliche Erkenntnisse über die Wahrnehmung von Musik dem Genuss eines Beethoven-Konzerts ebenfalls keinen Abbruch. Somit wird auch der Besitzer eines Gehirns, das alles über die neuronalen Korrelate der Ablenkung weiß, von einem guten Zauberkünstler weiterhin aufs Angenehmste getäuscht werden!
Zum Autor: Thomas Fraps (www.thomasfraps.com) hat sich nach Abschluss des Physikstudiums 1994 der Zauberei zugewandt. Er erhielt diverse Auszeichnungen, moderierte zwei Jahre lang "trickreich" die Fernsehsendung "Faszination Wissen" im Bayerischen Rundfunk und verbindet seither Magie und Wissenschaft auf der Bühne wie im Labor.
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