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Mäders Moralfragen: Mehr Motivation zu guten Taten

Mit "Nudges" lassen sich Menschen zu "richtigen" Entscheidungen anregen, meist ohne dass man etwas davon merkt. Vielen ist diese Form der Manipulation zuwider – zu Recht?
Kleine Anstupser sorgen dafür, dass zum Beispiel auch mehr recycelt wird

Menschen denken nicht immer gründlich nach, bevor sie handeln, sonst würden sie auch kaum vom Fleck kommen. Ein großer Teil der Entscheidungen wird automatisch gefällt – vom "System 1", wie es der Psychologe und Wirtschafts-Nobelpreisträger Daniel Kahneman nennt. Es analysiert Situationen nach einfachen Kriterien und kommt schnell zu einem Ergebnis – das ist sein Vorteil. Die Entscheidungen wirken wie aus dem Bauch heraus getroffen, aber sie sind in vielen Fällen ganz passabel. Das System 2 des gründlichen Nachdenkens wird hingegen nur aktiviert, wenn man es nicht vermeiden kann: weil die Situation neuartig ist und das System 1 nicht weiß, was es tun soll. In alltäglichen Entscheidungen – Vanille oder Schokolade? – hilft gründliches Nachdenken schließlich nicht weiter.

Das schnelle, automatische Entscheiden hat aber einen Haken: Es lässt sich leichter manipulieren als das gründliche Nachdenken, weil es sich an Faktoren orientiert, die mitunter nichts mit der Sache zu tun haben, und weil es so schnell geht, dass der Betroffene oft gar nichts merkt. So scheut sich das System 1 zum Beispiel, die Lage zu verändern, und bleibt lieber beim Status quo. Aus diesem Grund ist das sich automatisch verlängernde Abonnement so praktisch für Unternehmen: Ein Abonnement einfach weiterlaufen zu lassen, ist für den Kunden einfacher, als es jedes Jahr neu abschließen zu müssen. Und das ist nicht nur so, weil das Ausfüllen eines neuen Abo-Formulars ein bisschen Mühe macht. Selbst wenn man die Kunden jedes Jahr fragen würde, ob sie kündigen möchten, würden mehr bei der Stange bleiben, als wenn man sie fragen würde, ob sie ein weiteres Jahr dabei sein möchten. Rational betrachtet, sind die beiden Alternativen gleichwertig, aber psychologisch wirken sie unterschiedlich. Woran das liegt, ist unklar. Eine mögliche Erklärung: Menschen sehen die Voreinstellung als einen Hinweis auf die übliche Wahl und haben Hemmungen, dagegen zu verstoßen.

Wo Argumente nicht mehr hinkommen

Erkenntnisse wie diese lassen sich auch zu nichtkommerziellen Zwecken nutzen: um Menschen zu einer besseren Lebensweise zu motivieren. Wenn das System 2 schon mit guten Argumenten für mehr Klimaschutz versorgt worden ist, ohne dass sich das Verhalten ändert, kann man versuchen, den Hebel am System 1 anzusetzen. Solche sanften Manipulationen werden im Englischen "Nudges" genannt, also Anstupser. Sie drängen aber niemanden, sondern präsentieren die Optionen nur ein wenig anders, damit es den Menschen leichter fällt, sich für die "richtige" Alternative zu entscheiden. Die "richtige" Entscheidung bringt dem Einzelnen in der Regel nichts, sondern ist vielmehr ein Gewinn für die Allgemeinheit.

Ein Beispiel ist, jeden Bürger zum Organspender zu erklären und allen die Möglichkeit zu geben, sich dagegen auszusprechen. Dieses Modell wird in Österreich praktiziert, und dort ist die Zahl der Organspender pro Millionen Einwohner mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland, wo niemand Organspender ist, solange er nicht seine Bereitschaft kundtut. Ein anderes Beispiel bot die Firma "Energiedienst", ein Stromlieferant in Südbaden und der Schweiz. Ende der 1990er Jahre fragte das Unternehmen 150 000 deutsche Kunden, ob sie ihren Strommix lieber nach "grünen" Gesichtspunkten (mehr Wasserkraft, zwei Prozent günstiger als bisher) oder nach "ökonomischen" (acht Prozent günstiger als bisher) gestalten möchten. Wer sich für die grüne Option entscheide, müsse nicht antworten, hieß es. 94 Prozent der Kunden beließen es dabei.

Achtung, wir werden Sie nun manipulieren!

Wenn Marketing-Experten "Nudging" nutzen dürfen, darf es auch der Staat? Er hat seine Bürger schon mit stärkeren Mitteln zu ihrem Glück gezwungen: beispielsweise durch die Gurtpflicht im Auto. Solche bevormundenden Maßnahmen werden von Kritikern als "paternalistisch" bezeichnet – ein pauschaler Begriff, der die Abstufungen verwischt. Es macht einen Unterschied, ob man Menschen Informationen vorenthält, unerwünschte Optionen mit Strafen belegt oder in einer anderen Weise ihre Entscheidungsfreiheit einschränkt. Das "Nudging" verzichtet auf diesen Druck. Aber viele Menschen haben trotzdem ein schlechtes Gefühl dabei. Ein schwedisch-amerikanisches Team hat in einer Onlineumfrage rund 950 Menschen in den USA und in Schweden verschiedene Nudging-Szenarien vorgelegt. Sie sollten zum Beispiel sagen, ob sie es für akzeptabel halten, dass eine Klimaabgabe nicht nur empfohlen, sondern gleich in den Flugpreis eingerechnet wird und die Kunden die Option erhalten, sie durch einen Klick herauszunehmen. Nur 61 Prozent der Schweden sagten Ja, in den USA waren es sogar nur 46 Prozent. Eine große Mehrheit in beiden Ländern gab an, dass hier die Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werde.

Es ist nicht schön, getäuscht zu werden – auch wenn es für einen guten Zweck ist. Und es ist auch nicht schön zu wissen, dass jemand die eigenen Irrationalitäten ausnutzt. Man hat nicht die volle Kontrolle über seine Entscheidung. Ein Ausweg aus diesem ethischen Problem könnte darin liegen, Menschen über einen Nudge aufzuklären oder es ihnen sogar selbst zu überlassen, sich für oder gegen einen Nudge zu entscheiden. Erste Versuche deuten darauf hin, dass das funktionieren könnte, aber es ist zu früh, um voll auf diese Methode zu setzen.

Christian Schubert von der Universität Kassel argumentiert jedoch in einer philosophischen Analyse, dass hier sehr hohe Ansprüche geltend gemacht werden. Man habe ohnehin keine volle Kontrolle über seine Entscheidungen, gibt er zu bedenken. Menschen haben manchmal widersprüchliche Ziele und reden sich sogar Wünsche ein, die sie nicht haben. Ist es da nicht übertrieben, die Hoheit über jede Entscheidung zu fordern? Dennoch wäre Transparenz wünschenswert, und Robert Lepenies und Magdalena Malecka vom European University Institute in Italien haben einen Vorschlag, wie das gehen könnte: Der Staat muss bei jedem Nudge eine ausdrückliche Entscheidung der Betroffenen einholen. Er darf sie nach diesem Modell nicht einfach zu Organspendern erklären und hoffen, dass es die Bürger nicht stört, sondern muss sie fragen, ob sie sich dagegen aussprechen wollen, und darf nicht lockerlassen, bis er eine verbindliche Antwort hat. Aber diesen Vorschlag kann man wiederum als zu aufdringlich betrachten: Menschen sollten die Möglichkeit haben, sich nicht entscheiden zu müssen. Es ist okay, wenn sie sich auf ihr System 1 verlassen möchten. Es bleibt aber ein Mittelweg: Der Staat sollte seine Nudging-Pläne so offenlegen, dass sich jeder ohne Schwierigkeiten darüber informieren kann.

Die Moral von der Geschichte: Nudging ist ein kleiner Eingriff in das Leben und muss daher begründet werden. Doch bei einem kleinen Eingriff reicht eine kurze Begründung.

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