Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte der Sommerzeit – oder: Warum sie eine Notgeburt war
Es ist an der Zeit, einmal über einen echten Zeitsprung zu schreiben: die Zeitumstellung. Denn am Sonntag geht die Winterzeit zu Ende – um präzise zu sein, die Normalzeit. Voraussichtlich war es dann aber noch nicht das letzte Mal, dass wir die Uhr um eine Stunde vorstellen. Das Parlament der Europäischen Union hat sich zwar im März 2019 darauf geeinigt, die saisonale Zeitumstellung 2021 abzuschaffen – wie das aber konkret umgesetzt werden soll, steht noch nicht fest. Den Anstoß zu dieser epochalen Änderung gab 2018 eine Online-Umfrage der EU-Kommission unter allen Bürgern der EU. Von 4,6 Millionen Teilnehmern plädierten 80 Prozent gegen die regelmäßige Umstellung der Uhren.
Wenn also vielleicht schon nächstes Jahr Schluss damit ist, kollektiv den Zeiger eine Stunde vor- und zurückzuschieben – wann und warum wurde die Sommerzeit überhaupt eingeführt?
Die Erfindung der »Daylight Saving Time«
Die Geschichte der Sommerzeit reicht gar nicht besonders weit zurück. Sicher ist: Sie wurde nicht basierend auf wissenschaftlichen Studien eingeführt, sondern nur auf Grund einer Hoffnung, Energie und Ressourcen einsparen zu können. Das wird in der englischen Bezeichnung der Sommerzeit deutlich: »Daylight Saving Time« – also Zeit, um Tageslicht zu sparen. Damit war gemeint, mehr Stunden am Tag mit natürlichem Licht zu gewinnen.
Dass die Sommerzeit keiner wissenschaftlichen Empfehlung folgte, wird an dem Mann deutlich, der die Idee der Sommerzeit populär machte: der Engländer William Willett (1856–1915). Der Bauunternehmer veröffentlichte 1907 das Buch »The Waste of Daylight«, in dem er behauptet, dass Großbritannien jährlich 2,5 Millionen Pfund an Energiekosten einsparen könnte.
Sein Vorschlag setzte sich jedoch nicht durch. Was vielleicht daran lag, dass die Umsetzung etwas zu kompliziert war: Willett wollte die Uhren im Sommer um 80 Minuten vorstellen. Aber nicht auf einmal, sondern an jedem Sonntag im April sollten die Uhren nachts um 20 Minuten vorgestellt werden und auf dieselbe Weise im September wieder zurück.
Jeder Ort hatte seine eigene Zeit
Dass nicht schon früher über eine Zeitumstellung diskutiert wurde, hatte einen Grund: Eine einheitliche Sommerzeit wäre vorher gar nicht möglich gewesen. Denn bis ins 19. Jahrhundert hinein war die Benutzung von lokalen Ortszeiten üblich. Jeder Ort weltweit hatte seine eigene Zeit, die sich am jeweiligen Stand der Sonne orientierte. Sonnenauf- und -untergang gaben vor, wie viel Uhr es war. In Zeiten ohne Telegrafie und Eisenbahn, als die Reisezeiten noch sehr lang waren, spielten ein paar Minuten mehr oder weniger zwischen den Orten und Ländern keine Rolle.
Erst 1884 hatten sich zwei Dutzend Länder auf der International Meridian Conference darauf verständigt, ein Weltzeitsystem einzuführen. Jedoch mussten Reisende nach Frankreich noch bis 1911 weiterhin ihre Uhren um 9 Minuten und 21 Sekunden vorstellen, denn bis dahin hielt das Land an seiner nationalen Zeitrechnung fest.
Von der Sommerzeit zur Hochsommerzeit
Das erste Land, das dann tatsächlich die Sommerzeit eingeführt hat, war das Deutsche Reich. Mitten im Ersten Weltkrieg wurde 1916 die »Vorverlegung der Stunden während der Sommermonate« beschlossen. Die »Ersparnis an Rohstoffen und den Erzeugnissen für Beleuchtungszwecke« sollte 900 Millionen Mark betragen. Die anderen Länder reagierten prompt. Sie zogen sofort nach. Die Entente-Mächte befürchteten, im Krieg einen Nachteil zu erleiden. Nur drei Wochen nachdem die Sommerzeit im Deutschen Reich galt, folgten Großbritannien und Irland. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs stellten weltweit 31 Länder ihre Uhrzeit um. Gleich im zweiten Jahr der Sommerzeit wurde ein bestimmter Zeitpunkt gewählt, den wir heute noch kennen: die Übergangsstunde von 2 bis 3 Uhr nachts.
Ob es tatsächlich zu einer Energieeinsparung kam, ließ sich nach dem Krieg allerdings nicht eindeutig klären. Denn die Unterschiede im Verbrauch und Bedarf während des Kriegs hatte viele Ursachen.
In der Zwischenkriegszeit schafften die meisten Staaten die Sommerzeit wieder ab. Mit einer Ausnahme: Großbritannien war das einzige Land, das zwischen den Weltkriegen kontinuierlich an der Verschiebung der Stunden im Sommer festhielt. Die Gründe sind nicht bekannt.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Sommerzeit 1940 im NS-Staat wieder eingeführt. Sie galt sogar durchgehend von April 1940 bis November 1942. Auch nach 1945 behielten die Besatzungsmächte die Umstellung bei. Phasenweise gab es in der britischen Besatzungszone sogar eine »doppelte Sommerzeit« oder »Hochsommerzeit«, die um zwei Stunden von der normalen Zeit abwich. Der Grund: Großbritannien stellte während des Kriegs auf die »British Double Summer Time« um. Sie wich zwei Stunden von der Normalzeit ab, weil man im Herbst die Uhren nicht zurückstellte, sondern hoffte, noch mehr Energie sparen zu können. Diese Regelung schafften die Briten im Jahr 1947 wieder ab.
In Deutschland war ab 1950 erst einmal Schluss mit der Zeitumstellung – und auch in anderen Ländern wurde die Sommerzeit nach dem Zweiten Weltkrieg wieder abgeschafft. Denn der Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit galt als Krisenmaßnahme, nicht als dauerhafte Regel.
Die Zeitumstellung sollte die Ölpreiskrisen beheben
Erst Mitte der 1970er Jahre erlebte die Sommerzeit ein Comeback. Der Grund: die Ölpreiskrisen ab 1973. Wieder waren die Staaten auf der Suche nach einer Möglichkeit, Ressourcen und Energie zu sparen. Frankreich machte 1976 den Anfang, die beiden deutschen Staaten folgten 1980, ebenso wie Österreich. Seither werden bei uns Ende März und Ende Oktober die Uhren umgestellt. EU-weit wurde die Sommerzeit erst 1996 vereinheitlicht. In den USA sogar noch später: Infolge des Energy Policy Act werden in den meisten Bundesstaaten die Uhren erst seit 2007 umgestellt.
Die Sommerzeit sollte helfen, Energie und Ressourcen zu schonen, wenn es in der Früh länger dunkel und dafür am Abend länger hell ist. Doch bis heute fehlen die Belege für diesen Effekt (Diese Studie gibt den aktuellen Stand der Forschung wider; und hier wird die psychologisch-biologische Wirkung erörtert). Über die Abschaffung gibt es zwar inzwischen international einen breiten politischen Konsens, aber noch nicht über die Frage, welche der beiden Zeiten nun dauerhaft gelten soll – die Sommer- oder die Normalzeit.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche eine Geschichte aus der Geschichte auf ihrem Podcast »Zeitsprung«. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
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