Lexikon der Geographie: New Regional Geography
New Regional Geography, Gegenbewegung zu einer analytisch-szientistischen Geographie (als sektorale Spatial Science); setzte im angloamerikanischen Sprachraum bereits in den 1970er-Jahren ein und gewann in den 1980er- und 1990er-Jahren deutlich an Akzeptanz und Einfluss. Doreen Masseys "Geography Matters" (1984) war eines der plakativsten sprachlichen Etiketten für eine ganze Reihe von Einwänden gegen die szientistischen Konzepte. Sie propagierten eine neue Sensibilität für die regionale Differenzierung sozialer Strukturierungen und für eine entsprechende Bedeutung ortsspezifischer Symbole und Repräsentationen. Diese Ansätze führten zur Wiederentdeckung bzw. Neukonstruktion von Konzepten wie Place, Region, Regional Identity, Culture, Localities usw. Sie passten damit in eine allgemeine Zeitströmung der Kulturwissenschaften, die die physisch-materiellen Strukturen der Lebenswelt nicht nur als eine Art Arena ansah, in der sich das soziale Leben entfaltet, sondern im Sinne konstruktivistischer Ansätze als ein Medium, in dem soziale Strukturen auch produziert und reproduziert werden (vgl. z.B. Gregory & Urry, 1985).
Die geographische Situiertheit sozialer Strukturen ("situatedness": Thrift, 1983) bildet den konzeptionellen Kern der New Regional Geography. Mit Bezug auf eine postmoderne "diversity and difference" (Dear 1994) betrachtet sie Regionen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive als eigenständige sozialräumliche Lebenswelten und Handlungskontexte, in denen sich spezifische Regulationsweisen, soziale Praktiken und Formen der Symbolisierung und Repräsentation entwickeln. Die New Regional Geography ist damit ein Ansatz, der die Perspektive einer Regionalen Geographie wieder aufnimmt, aber radikal mit den alten, oft naturdeterministisch-kausalistisch orientierten Argumentationsweisen der Landeskunde bricht. Sie konzipiert die Betrachtung regionaler Lebenswelten und ihrer "geographischen" Spezifik aus sozialwissenschaftlicher Sicht. Regionen sind soziale Konstruktionen. Den physisch-materiellen Strukturen kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu, allerdings nicht in ihrer "objektiven" Form, sondern ebenfalls als soziale Konstruktionen bzw. als subjektiv wahrgenommene und bewertete Konstruktionen der handelnden Akteure (vgl. die Konzeption der alltäglichen Regionalisierungen). Physisch-materielle Strukturen erhalten damit aus Sicht der New Regional Geography ihre tragende Rolle v.a. als "Elemente sozialer Kommunikation" (Klüter 1986).
Die Untersuchung solcher regionaler Lebenswelten in ihrer sozialräumlichen Einzigartigkeit bildet einen Schwerpunkt der Arbeiten im Sinne der New Regional Geography. Dabei geht es ebenso um Fragen der sozialen Konstruktion von Regionen, regionalen Identitäten usw. wie um die strukturierende Rolle physisch-materieller Elemente der Lebenswelt im Kontext sozialer Symbolisierungen und Repräsentationen. Die New Regional Geography kann damit auch zeigen, dass Regionen als soziale Konstruktionen mittlerer Reichweite keine zeitlich und räumlich stabilen Gebilde sind, sondern einem dynamischen Wandel unterliegen. Diese historische Perspektive ermöglicht es, sich intensiv auch mit der Konstitution (und dem Verschwinden) von Regionen zu beschäftigen und daran auch den konstruierten Charakter solcher soziokultureller Strukturationen zu verdeutlichen.
Insgesamt bildet die New Regional Geography aber kein inhaltlich und konzeptionell einheitliches Feld. So spielen neben handlungsorientierten Zugängen stärker strukturalistische Entwürfe eine Rolle, die sich z.T. auf Giddens Strukturationstheorie (1988) berufen, z.T. aber auch einen poststrukturalistisch-diskursorientierten Zugriff wählen.
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Lit: [1] DEAR, M. J. (1994): Postmodern human geography: an assessment. In: Erdkunde 48. [2] GIDDENS, A. (1988): Die Konstitution der Gesellschaft. – Frankfurt a. M. [3] GREGORY, D. & J. URRY (Hrsg.) (1985): Social relations and spatial structures. – London. [4] KLÜTER, H. (1986): Raum als Element sozialer Kommunikation. – Gießen. [5] MASSEY, D. & J. ALLEN (Hrsg.) (1984): Geography matters! A reader. – Cambridge. [6] THRIFT, N. (1983): On the determination of social action in space and time. In: Environment and Planning D: Society and Space 1.
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