Lexikon der Geographie: Tragfähigkeit
Tragfähigkeit, 1)Bevölkerungsgeographie: verknüpft die Einwohnerzahl eines Raumes mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen unter Einbeziehung des Entwicklungsstandes der jeweiligen Gesellschaft (Bevölkerungsoptimum). Eine zentrale Position bei diesem Beziehungsgeflecht nimmt die Nahrungsmittelproduktion ein, die sich im Falle eines Bevölkerungswachstums erhöhen muss, um eine konstante Versorgung zu sichern (Ernährungskapazität). Aus den Grenzkosten für die zusätzliche Erzeugung eines jeden Gutes lässt sich folgern, dass in allen Räumen eine obere Grenze für die Nahrungsmittelproduktion, also eine Tragfähigkeit, existiert. Eine große Bandbreite von Faktoren beeinflussen die Tragfähigkeit. Die verschiedenen Ansätze, Tragfähigkeit zu definieren, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Tragfähigkeit eines Raumes gibt diejenige Menschenmenge an, die in diesem Raum unter Berücksichtigung des erreichten Kultur- und Zivilisationsstandes auf agrarischer (agrarische Tragfähigkeit), natürlicher (naturbedingter Tragfähigkeit) und gesamtwirtschaftlicher (gesamte Tragfähigkeit) Basis ohne Handel (innenbedingte Tragfähigkeit) bzw. mit Handel (außenbedingte Tragfähigkeit) unter Wahrung eines bestimmten Lebensstandards (optimale Tragfähigkeit) bzw. des Existenzminimums (maximale Tragfähigkeit) auf längere Sicht leben kann. Diese komplexe, die verschiedenen Einflüsse widerspiegelnde Definition verdeutlicht, dass die Tragfähigkeit nicht mit einzelnen Indikatoren wie z.B. der Bevölkerungsdichte abzuschätzen ist. Wenn sie auch heute keineswegs nur von der Nahrungsmittelproduktion abhängig ist, setzen doch Umweltbelastungen sowie nicht erneuerbare Rohstoffquellen (Club of Rome) ebenfalls Grenzen. 2)Landschaftsökologie: Weideflächenbedarf, Bestockungsdichte, Besatzdichte, natürliches Weidepotenzial, in der Weideökologie die Besatzdichte einer Fläche bzw. eines Vegetationstyps, die maximal möglich ist, um sie weidewirtschaftlich nachhaltig, d.h. dauerhaft, unter Beachtung der Regenerationsfähigkeit nutzen zu können. Sie wird i.A. in Großvieheinheiten (GVE) pro ha angegeben; eine GVE entspricht einem Lebendgewicht von 500 kg. Demgegenüber beinhaltet die Tropische Großvieheinheit (TGVE) nur 250 kg Lebendgewicht. Bei nomadisch bzw. halbnomadischer Nutzung ergeben sich zonal erhebliche Differenzierungen: Im subpolaren bzw. polaren Raum liegt die Tragfähigkeit bei 1-3 Rentiere pro km 2Tundra. Für Spitzbergen sind 4-7 Rentiere pro km 2 und für das arktische Kanada 7 Karibus pro km 2 nachgewiesen worden. Für die trockenen Mittelbreiten wurden 30-40 GVE pro 100 ha Weide ermittelt. Hier bestehen insbesondere direkte Abhängigkeiten der Tragfähigkeit vom Niederschlag. Danach beträgt sie bei Werten <250 mm 1-3 Rinder pro 100 ha, bei 250-500 mm 5-16 Rinder pro 100 ha und schließlich bei 500-750 mm 16-50 GVE pro 100 ha. Dem stehen in den tropisch-subtropischen Trockengebieten bei 50-100 mm >50 ha pro GVE, bei 200-400 mm 10-15 ha pro GVE und bei 400-600 mm 6-12 ha pro GVE gegenüber. Bei tropischen Naturweiden lässt sich für Feuchtsavannen bei jährlichen Niederschlägen von >1200 mm eine Tragfähigkeit von 150 bis 500 kg Lebendgewicht pro ha und Jahr, für Trockensavannen bei 500-1200 mm 80-125 kg Lebendgewicht (160-250 in der Vegetationsperiode) und in der Dornsavanne bei <500 mm nur mehr 50 kg Lebendgewicht pro ha und Jahr realisieren. 3)Geographie des Tourismus: touristische Tragfähigkeit, die die maximale Nutzbarkeit eines Raumes durch Touristen bestimmt, bei der keine negativen Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen, die Kultur, die Gesellschaft und die Wirtschaft des Zielgebietes sowie auf die Erholungsmöglichkeiten der Besucher selbst erfolgen. Man unterscheidet folgende touristische Tragfähigkeits-(TT-)Kategorien: physische (z.B. Bodenerosion durch Trittbelastung), ökonomische (z.B. Bodenpreissteigerungen durch Bauboom touristischer Infrastruktur), soziale (z.B. erhöhte Kriminalitätsrate durch "reiche" Touristen als Tatopfer) und psychologische (z.B. Ausflugsziele mit langen Warteschlangen, die zu Stresssituationen führen). Dem spezifischen Belastungspotenzial entsprechend, wird das jeweils schwächste Glied der TT-Kategorien als bestimmender Grenzwert akzeptiert.
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