Lexikon der Psychologie: Motivation
Essay
Motivation
Veronika Brandstätter
Ausgangspunkt einer motivationspsychologischen Analyse zielgerichteten Handelns ist die Annahme, daß zum einen eine Person über die relevanten Fähigkeiten und Fertigkeiten (Können) verfügen muß, zum anderen sich in der Situation Gelegenheiten bieten müssen, die entsprechenden Verhaltensweisen ausführen zu können. Doch mit dem Können und dem Vorhandensein von Handlungsgelegenheiten allein ist es nicht getan, auch wenn sie die notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Handlung darstellen. Die Person muß bereit sein, ihr Können auch einzusetzen (Wollen, Wille), um bestimmte Ziele zu erreichen. Die Prozesse, in denen diese Bereitschaft aktualisiert wird, werden unter dem Begriff der Motivation zusammengefaßt. Im einzelnen sind damit die Wahl von Handlungszielen sowie die Ausführung der zielgeleiteten Handlungen angesprochen. Nachdem sich die Motivationspsychologie lange Zeit vorwiegend mit der Zielwahl beschäftigt hatte (Motivtheorien, Erwartung-mal-Wert-Modelle), befaßt sie sich neuerdings wieder verstärkt mit den Prozessen der Zielrealisierung (volitionale Theorien).
Motivtheorie von McClelland
In der Motivtheorie von McClelland (1985) wird die affektive Komponente motivationaler Prozesse betont. Motiviertes Handeln ist danach das Streben nach positiven Affekten, die sich einstellen, sobald man Zugang zu "natürlichen Anreizen" hat. Es sind jene Situationen und Handlungen, die evolutionsgeschichtlich für das Überleben der Art funktional waren (z.B. sich gegen andere durchsetzen). Die individuelle Präferenz bestimmter Affektklassen wird als Motiv bezeichnet. Unterschieden werden bei McClelland das Leistungs-, Macht- und Anschlußmotiv, denen jeweils ein spezifischer Affekt zugeordnet ist. Das Leistungsmotiv wird beispielsweise in Tätigkeitsbereichen wirksam, in denen ein Gütemaßstab für eigene Leistungen vorliegt und die affektiven Reaktionen (Stolz, Betroffenheit) auf antizipierten Erfolg bzw. Mißerfolg handlungsleitend werden. Das Machtmotiv zielt auf jene Gefühlserfahrung, die sich einstellt, wenn man Einfluß auf andere hat, während das Anschlußmotiv auf das Vertrautwerden und Geselligsein mit anderen und die damit verbundenen Gefühle von Zugehörigkeit und Geborgenheit gerichtet ist. Grundsätzlich wird angenommen, jeder Mensch besitze die o.g. Motive, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung (zur Motivmessung: Heckhausen, 1989).
Erwartung-mal-Wert-Modelle
Motivtheorien stützen ihre Verhaltenserklärung ausschließlich auf die Motivdisposition der Person und versäumen, Situationsfaktoren in die Analyse mit einzubeziehen. Dieser Mangel wurde in sog. Erwartung-mal-Wert-Modellen behoben, die die Merkmale der Situation berücksichtigen und erstmals auch kognitive Variablen (z.B. in Form von zielbezogenen Erwartungen) als Verhaltensdeterminanten betrachten. Ihre Grundannahme ist: das Individuum wählt seine Handlungsziele bewußt und geht dabei rational vor, indem es die Attraktivität des jeweiligen Ziels (Wert) mit der Wahrscheinlichkeit (Erwartung), es zu erreichen, verrechnet. Jene Alternative soll schließlich gewählt werden, die den höchsten subjektiv erwarteten Nutzen verspricht. Prominente Beispiele für diese Forschungsrichtung sind u.a. das Risiko-Wahl-Modell leistungsmotivierten Verhaltens von Atkinson sowie die Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungs-(VIE)-Theorie von Vroom, die für den angewandten Bereich der Arbeitsmotivation entwickelt wurde (zusammenfassend Heckhausen, 1989). Das vor allem in laborexperimenteller Forschung überprüfte Risiko-Wahl-Modell sagt vorher, für welches Aufgabenziel sich eine Person entscheiden wird, wenn ihr mehrere Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeit zur Auswahl stehen. Die wahrgenommene Aufgabenschwierigkeit bestimmt die subjektive Erfolgserwartung, während der Wert des Leistungsziels vermittelt ist über die antizipierten selbstbewertenden Gefühle bei Erfolg bzw. Mißerfolg. Die Handlungsbereitschaft wird schließlich als eine multiplikative Verknüpfung von Wert und Erwartung berechnet, die mit der individuellen Ausprägung des Leistungsmotivs (Hoffnung auf Erfolg oder Furcht vor Mißerfolg) gewichtet wird. Die VIE-Theorie unterscheidet sich vom Risiko-Wahl-Modell zum einen darin, wie der Wert (Valenz) eines Ziels konzeptuell gefaßt ist. Lag der Wert eines Handlungsziels bei Atkinson ausschließlich in der positiven Selbstbewertung, sind es im VIE-Modell die vielfältigen subjektiv bewerteten Konsequenzen, die das Erzielen eines Handlungsergebnisses nach sich ziehen kann. Zum anderen differenziert die VIE-Theorie das Erwartungskonzept. Ob eine Handlung ausgeführt wird, hängt danach nicht mehr allein davon ab, ob man es sich zutraut, sie zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen (Ergebniserwartung). Vielmehr spielt dabei auch die erwartete Enge des Zusammenhangs zwischen dem Handlungsergebnis und den weiteren Konsequenzen eine Rolle (Instrumentalitätserwartung), da deren Eintreten in der Regel nicht in der eigenen Verfügungsgewalt liegt ( Abb. ).
Trotz seiner Differenzierung der Wertkomponente berücksichtigt das VIE-Modell jedoch im Grunde nur extrinsische Anreize und vernachlässigt die in der Tätigkeit selbst liegenden Anreize (intrinsische Motivation), die gerade bei interessengeleitetem Handeln von zentraler Bedeutung sind. Die für den Motivationsprozeß als zentral erachteten Variablen Erwartung und Wert stehen auch im Mittelpunkt der Attributionstheorie von Weiner (1986) (Attribution). Darin werden Erwartungen und die über antizipierte Affekte vermittelten Anreize in Abhängigkeit von Ursachenzuschreibungen für erzielte Handlungsergebnisse untersucht. Weiner befaßt sich also mit der Frage, aufgrund welcher Prozesse es zu bestimmten Erwartungs- und Werteinschätzungen kommt. Die zentrale Annahme ist, Menschen seien bestrebt, die Ereignisse in ihrer Umwelt zu erklären, was ihnen erlaubt, eine Vorhersage über zukünftige Entwicklungen zu machen und ihr Verhalten darauf einzustellen. Die Vielzahl von möglichen konkreten Ursachen für ein bestimmtes Ereignis läßt sich nach Weiners Modell anhand von zwei Dimensionen ordnen. Die eine betrifft die Frage der Personabhängigkeit, also ob die Ursache in der Person selbst (internal) oder außerhalb dieser (external) liegt (intrinsische Motivation). Die zweite Dimension bezieht sich auf die Unterscheidung zwischen zeitlich stabilen und variablen Ursachen. Nach den Formulierungen Weiners beeinflußt die Stabilitätsdimension die Erwartungen, während die Frage der Personabhängigkeit für die affektiven Prozesse verantwortlich ist. Die für ein konkretes Ereignis vorgenommenen Attributionen hängen zum einen von der in der Situation vorhandenen Kovariationsinformation ab, zum anderen vom Attributionsstil einer Person. Generell wird in Erwartung-mal-Wert-Theorien angenommen, eine attraktive Handlungsalternative mit guten Erfolgsaussichten werde gegenüber anderen weniger anziehenden oder unsichereren Handlungszielen nicht nur bevorzugt, sondern auch erfolgreich verfolgt. Diese in kontrollierten Laborexperimenten zwar recht gut bestätigte Annahme muß spezifiziert werden angesichts der im Alltag häufig beobachteten Tatsache, daß zielrealisierendes Handeln unterbleibt, obwohl die Aussichten insgesamt sehr günstig sind. Offensichtlich stellt die Realisierung eines Handlungsziels in vielen Fällen besondere Anforderungen an die handelnde Person, was in Erwartung-mal-Wert-Theorien ausgespart bleibt.
Motivationale und volutionale Phänomene
In der Motivationspsychologie wird seit einiger Zeit wieder zwischen motivationalen (die Zielwahl betreffend) und volitionalen (die Zielrealisierung betreffend) Phänomenen unterschieden, für deren Erklärung jeweils eigene Theorien heranzuziehen sind. Volitionstheoretische Überlegungen basieren auf Ideen der deutschen Willenspsychologie (Wille) die sich zu Beginn dieses Jahrhunderts mit Fragen der Handlungsausführung und Zielrealisierung befaßte. Ein Versuch, motivationale und volitionale Phänomene gegen einander abzugrenzen, wurde im Rahmen des Handlungsphasenmodells (Heckhausen, 1989) unternommen. Die Autoren analysierten die kognitiven Merkmale verschiedener Handlungsphasen (Abwägen, Planen, Handeln, Bewerten) und konnten tatsächlich für die einer Handlungsentscheidung vorgelagerte Abwägephase und die auf eine Entscheidung folgende Planungsphase spezifische kognitive Orientierungen (sog. Bewußtseinslagen) identifizieren, die für die jeweils anstehende Aufgabe funktional sind. Beim Abwägen werden positive und negative Aspekte des Handlungsziels ausgewogen betrachtet und die Erfolgsaussichten relativ akkurat eingeschätzt. Das unterstützt die Wahl von Handlungszielen, die attraktiv und dabei realisierbar sind. Nach der Entscheidung für ein Handlungsziel muß seine Realisierung vorangetrieben werden. Hierbei hilft die Bewußtseinslage des Planens, die die Wahrnehmung der positiven Anreize des Ziels und eine optimistische Einschätzung der Erfolgschancen begünstigt. Das Planen fördert die Zielrealisierung nicht nur durch die dabei entstehende Bewußtseinslage; durch spezifische, beim Planen gefaßte sog. Durchführungsintentionen wird die Zielrealisierung selbst gegen Widerstände unterstützt. In Durchführungsintentionen legt die handelnde Person fest, wann, wo und wie sie die zielrealisierende Handlung ausführen will. Diese mentale Verknüpfung zwischen einer Gelegenheit und der intendierten Handlung bewirkt, daß die vorgenommene Gelegenheit nicht nur leichter wahrgenommen wird, sondern auch einen speziellen Handlungsimpuls auslöst (Gollwitzer, 1996). Zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehen in der Regel viele Handlungstendenzen gleichzeitig, die um den Zugang zum Handeln konkurrieren. Um dabei einen geordneten Handlungsablauf zu ermöglichen, sind Handlungskontrollprozesse nötig, die eine augenblicklich dominante Handlungstendenz gegenüber anderen abschirmen. In der Handlungskontrolltheorie (Kuhl & Beckmann, 1994) werden eine Reihe von Handlungskontrollstrategien beschrieben, die über kognitive und emotionale Prozesse vermittelt sind (z.B. Aufmerksamkeits-, Enkodier-, Emotionskontrolle). Inwieweit diese Kontrollstrategien tatsächlich zum Einsatz kommen, ist eine Frage der Kontrollorientierung der Person. Während man im Zustand der Handlungsorientierung mittels der Kontrollstrategien flexibel auf die konkreten Handlungsanforderungen reagiert, verfängt man sich bei Lageorientierung in dysfunktionalen Gedankenabläufen, die um emotionale Zustände kreisen. Lageorientierung kann zum einen durch situationale Bedingungen ausgelöst werden (z.B. andauernder Mißerfolg), liegt aber bis zu einem gewissen Grad auch in einer personspezifischen Disposition dazu begründet. Empirische Untersuchungen konnten die zentralen Annahmen bestätigen: In handlungsorientiertem Zustand werden im Vergleich zur Lageorientierung Handlungsziele erfolgreicher umgesetzt und insgesamt bessere Leistungen erbracht (Kuhl & Beckmann, 1994).
Eine weitere volitionale Theorie stellt die Zielsetzungstheorie von Locke und Latham (1990) dar. Sie spezfiziert die Merkmale, die ein Handlungsziel haben muß, um erfolgreich in die Tat umgesetzt zu werden. Außerdem macht sie Vorhersagen zu Leistungsparametern wie Quantität und Qualtität. In zahlreichen Labor- und Feldstudien konnte die zentrale These belegt werden, nach der hohe, spezifische Ziele im Vergleich zu wenig konkreten Zielvorgaben (”Tun Sie Ihr Bestes!”) die Leistung fördern. Wichtig ist dabei, daß die Person das Ziel als verbindlich für sich erachtet und Rückmeldung über den Stand ihrer Zielverfolgung erhält. Die Wirkung von derartigen Zielsetzungen soll darüber vermittelt sein, daß sie a) die Aufmerksamkeit ausrichten, b) Anstrengung mobilisieren, c) die Ausdauer erhöhen und d) die Suche nach geeigneten Handlungsstrategien fördern. In den eben dargestellten volitionalen Ansätzen lag der Akzent auf kognitiven Prozessen.
In einem relativ neuen Forschungsansatz innerhalb der Motivationspsychologie (Brunstein & Maier, 1996), der sich stärker am alltäglichen Lebensvollzug (Alltag) von Menschen orientiert, wird der Einfluß persönlicher Ziele auf das emotionale Wohlbefinden analysiert. Es zeigt sich, daß Personen, die zur Realisierung ihrer persönlichen Anliegen fest entschlossen sind und denen sich in ihrer Umgebung zielrelevante günstige Realisierungsbedingungen (z.B. soziale Unterstützung) bieten, Fortschritte bei der Zielverfolgung machen und infolgedessen zufriedener sind.
Literatur
Brunstein, J. B. & Maier, G. (1996). Persönliche Ziele: Ein Überblick zum Stand der Forschung. Psychologische Rundschau, 47, 146-160.
Gollwitzer, P. M. (1996). The volitional benefits of planning. In P. M. Gollwitzer & J.A.Bargh (Eds.), The psychology of action (pp. 287-312). New York: Guilford.
Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln. Berlin: Springer-Verlag.
Kuhl, J. & Beckmann, J. (1994). Volition and personality: Action and state orientation. Göttingen: Hogrefe.
Locke, E. A. & Latham, G. P. (1990a). A theory of goal setting and task performance. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall.
McClelland, D. C. (1985). Human motivation. Glenview, IL: Scott, Foresman.
Weiner, B. (1986). An attributional theory of motivation and emotion. New York: Springer.
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