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Ada Lovelace: Ada und der erste Computer

Ada Gräfin von Lovelace und Charles Babbage erarbeiteten zusammen im 19. Jahrhundert grundlegende Prinzipien der Informatik, bis hin zu einem Computerprogramm für eine Maschine, die es noch gar nicht gab.
Ada Lovelace

Augusta Ada Kings Vater war unter seinen englischen Landsleuten berüchtigt für seinen abenteuerlichen Lebenswandel. Der Nachwelt ist er jedoch vor allem als der große romantische Dichter Lord Byron (1788–1824) bekannt. Seine Tochter Ada (1815–1852) erbte von ihm sowohl die Sprachgewandtheit als auch die Lebenslust. Sie war hübsch und kokett, hatte enge persönliche Beziehungen zu vielen Mitgliedern der englischen Oberschicht und starb wie ihr Vater im jugendlichen Alter von 36 Jahren. Und gleich ihrem Vater kennt man sie bis heute vor allem als Autorin.

Eine Sammlung von Aufzeichnungen, die sie 1843 veröffentlichte, gewann erhebliche Bedeutung. Sie beschrieb darin die Analytische Maschine des Charles Babbage (1791–1871), den ersten je entworfenen Allzweck-Rechner. Obwohl diese Maschine nie gebaut wurde, vor allem weil Babbage das Geld dafür nicht beschaffen konnte, findet man in Adas Schrift ein Programm für diese Maschine zur Berechnung der so genannten Bernoulli-Zahlen.

Über ihre Rolle in der Frühgeschichte der Informatik hinaus haben ihr schillerndes Leben, ihre adlige Herkunft und ihre Rolle als Vorkämpferin in einem Arbeitsfeld, in dem Frauen bis heute unterrepräsentiert sind, sie im Laufe der Zeit zu einem Idol gemacht. Sie war die Heldin zahlreicher Biografien und inspirierte Autoren wie Tom Stoppard oder Arthur C. Clarke zu Schauspielen und Romanen. Im Februar 1999 kam in den USA der Film »Conceiving Ada« (»Leidenschaftliche Berechnung«) von Fox Lorber in die Kinos, eine freie Nachempfindung ihres Lebens. Unter all den Frauen, die an der Entwicklung der Informatik mitgearbeitet haben, ist Ada die einzige, nach der eine Programmiersprache benannt ist. Sie wurde zunächst überwiegend im militärischen Bereich und in der Luftfahrt eingesetzt. Inzwischen wird sie auch in anderen, meist sicherheitsrelevanten Bereichen verwendet.

Bei so viel öffentlicher Aufmerksamkeit bleiben grobe Über- und Unterschätzungen ihres Beitrags zur Informatik nicht aus; über die korrekte Bewertung streiten sich die Wissenschaftshistoriker noch heute. Manche behaupten fälschlich, Ada hätte das erste Computerprogramm überhaupt entwickelt; dabei war es Babbage, der die ersten Programme für die »Analytical Engine« schrieb (und die meisten nie veröffentlichte). Andere bezweifeln – ebenfalls zu Unrecht – Adas Urheberschaft am Programm zur Erzeugung der Bernoulli-Zahlen in ihrem Werk oder gar an der ganzen Publikation.

Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Die angemessenste Charakterisierung stammt von Babbage selbst; er sprach von Ada als seiner Interpretin. In der Tat hat er mit ihr über ihr Projekt diskutiert und erste Entwürfe durchgesehen. Gleichwohl war sie ohne Zweifel die Autorin. Babbages bahnbrechende Arbeit lieferte die Grundlage für ihr Werk und beeinflusste maßgeblich ihr Denken. Andererseits sind ihrer klaren Sprache einzigartige Einsichten über die Bedeutung und die mannigfachen Fähigkeiten der analytischen Maschine zu verdanken.

Eine junge Mathematikerin

Augusta Ada Byron wurde am 10. Dezember 1815 in London als Tochter Lord Byrons und seiner Ehefrau, der Mathematikerin Annabella Milbanke, geboren. Schon zu diesem Zeitpunkt war Annabella auf Distanz zu ihrem Ehemann gegangen, den sie erst elf Monate zuvor geheiratet hatte. Das – höchstwahrscheinlich von Annabellas Cousine Caroline Lamb gestreute – Gerücht, Byron habe eine Affäre mit seiner Halbschwester, bot Annabella genug Gründe, die Scheidung durchzusetzen. Byron verließ England im April 1816 und hat seine Tochter nie wiedergesehen.

Lady Byron erzog Ada zu einer Mathematikerin und Wissenschaftlerin und missbilligte ihre frühen literarischen Neigungen, sicherlich auch, um sie ihrem Vater zu entfremden. Ada genoss eine hervorragende Ausbildung. Ihren Mathematikunterricht erhielt sie von Mary Sommerville (1780–1872), einer bekannten Wissenschaftlerin, die sich in erster Linie durch die Übersetzung der Werke des französischen Mathematikers und Physikers Pierre Simon Laplace (1749–1827) einen Namen gemacht hatte, und von dem Logiker und Mathematiker Augustus de Morgan (1806–1871).

Adas mathematische Ausbildung war selbst für eine Tochter aus adligem Hause für diese Zeit ungewöhnlich gut. Während damals die Mathematik auf dem europäischen Kontinent eine Blütezeit erlebte, trat sie in England auf der Stelle. Forscher wie de Morgan, George Peacock (1791–1858) und sein Studienkollege Charles Babbage brachten zu Adas Jugendzeiten frischen Wind in das Fach, doch die Ausbildung für den Nachwuchs, insbesondere aber für junge Frauen, blieb schlecht. Immerhin erlernte Ada unter den Fittichen de Morgans die Grundlagen von Algebra, Logik und Infinitesimalrechnung.

Am 5. Juni 1833 begegnete die 17-jährige Ada auf einer Party Charles Babbage, einem 41-jährigen Witwer, der allgemein sowohl für seine politischen Aktivitäten und seine extremen Auffassungen als auch für seine mathematischen und ökonomischen Arbeiten bekannt war. Einige Wochen später zeigte Babbage Ada seine teilweise fertig gestellte Differenzmaschine, eine der ersten Rechenmaschinen. Ada war sofort fasziniert, und in den folgenden Jahren verfolgte sie gespannt die Weiterentwicklung der Differenzmaschine. Sie las die wenigen Arbeiten, die sich damit beschäftigten, und besprach sie mit dem Konstrukteur.

Babbage wollte eine Maschine konstruieren, die durch automatische Ausführung stumpfsinnig zu wiederholender Rechenschritte mathematische Tafelwerke erzeugen könnte. Seine Differenzmaschine war durchaus effizient, allerdings in ihren Möglichkeiten eng begrenzt. Sie konnte lediglich Additionen und Subtraktionen durchführen und die Werte von Polynomen (Ausdrücke der Form f(x)=a0+a1x+a2x2+a3x3+...+anxn) berechnen.

Doch Babbage hatte schon längst Größeres und Besseres im Sinn. Während ihre Freundschaft sich vertiefte, begann er Ada die Grundzüge einer neuen, wesentlich leistungsfähigeren Maschine auseinanderzusetzen. Er nannte sie Analytische Maschine (analytical engine) und verbrachte die restlichen 38 Jahre seines Lebens damit, deren Entwürfe immer weiter zu verbessern.

Die Zusammenarbeit mit Babbage

Die Analytische Maschine sollte alle Schwächen der Differenzmaschine überwinden. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin war sie für beliebige Berechnungsaufgaben angelegt und glich in ihrer Grundstruktur bemerkenswert einem heutigen modernen Computer samt Speicher (store), Rechenwerk (mill wie Mühle: die Stelle, an der die Arbeit geleistet wird) und Eingabegerät, einem Lochkartenleser nach dem Vorbild der damals modernen Jacquard-Webstühle, deren Webmuster durch Lochkarten gesteuert wurde. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sollte die Maschine auf Papier drucken oder in Lochkarten stanzen.

Analytical Engine | Die Analytische Maschine sollte beliebige Rechenaufgaben lösen können und glich bereits bemerkenswert einem heutigen Computer. Allerdings wurden nur Teile davon gebaut, und auch dies erst nach Babbages Tod.

Die Analytische Maschine sollte addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren können, und das in beliebiger, durch eine Folge von Anweisungen (ein Programm) vorgegebener Reihenfolge. Mehr noch: Sie sollte Teile des Programms wiederholen, indem sie von einer Stelle der Befehlsfolge zu einer früher gelegenen zurückging oder auch nicht, je nachdem, ob eine vom bisherigen Gang der Rechnung abhängige Bedingung erfüllt war oder nicht. Diese bedingte Verzweigung ist bis heute von zentraler Bedeutung in der Informatik.

Babbage hat ein einziges Mal das Konzept der Analytischen Maschine öffentlich präsentiert: 1840 im italienischen Turin vor einer Gruppe von Mathematikern und Ingenieuren. Unter den Zuhörern befand sich auch der junge Mathematiker (und spätere Ministerpräsident Italiens) Luigi Federico Menabrea. Er machte sich eifrig Notizen und arbeitete sie mitsamt einigen Kommentaren von Babbage zu einer Abhandlung in französischer Sprache aus: »Eine Skizze der Analytischen Maschine«.

Menabreas Interesse galt in erster Linie den mathematischen Grundlagen der Differenz- und der Analytischen Maschine, weniger der mechanischen Realisierung. Er beschrieb die Funktion aller Komponenten und bestätigte, dass die Maschine jede algebraische Formel, die auf einer Lochkarte korrekt ausgedrückt (programmiert) war, berechnen könnte. »Die Karten sind nichts anderes als eine Übersetzung der algebraischen Formel oder, besser gesagt, eine andere analytische Schreibweise.«

Ada – mittlerweile die Ehefrau von William King, Earl of Lovelace, und somit Gräfin von Lovelace – las Menabreas Arbeit und begann, sie ins Englische zu übersetzen. Babbage, der Ada weiterhin freundschaftlich verbunden war, erfuhr davon Anfang 1843 und ermutigte sie, die Übersetzung zu kommentieren.

Dies war der Beginn einer langen, fruchtbaren Zusammenarbeit mit einem bemerkenswerten Ergebnis: Ada veröffentlichte die erste – und ein Jahrhundert lang einzige – ausführliche Abhandlung darüber, wie ein Computer zu programmieren sei. Ihre sieben Kommentare A bis G sind insgesamt mehr als doppelt so lang wie Menabreas Artikel.

Ein zentrales Thema war die Programmierbarkeit des nicht realisierten Geräts. »Das wesentliche Merkmal der Analytischen Maschine«, schrieb Ada, »ist die Einführung des von Jacquard konzipierten Prinzips, mit Hilfe von Lochkarten die kompliziertesten Webmuster für Brokatstoffe zu steuern ... Die Analytische Maschine webt algebraische Muster buchstäblich auf die gleiche Weise wie der jacquardsche Webstuhl Blumen und Blätter.« Und zwar waren die algebraischen Formeln gleich den Webmustern so frei wählbar wie die Löcher in den Karten.

In ihrem Werk führte Ada Menabreas Skizzen aus bis in die kleinsten Einzelheiten der Programmierung. Sie betonte die Bedeutung der bedingten Verzweigung, pries die Arbeitsersparnis durch Mehrfachverwendung desselben Programmstücks und machte sich bereits Gedanken über Aufgaben, die theoretisch lösbar, aber wegen übermäßigen Aufwandes praktisch nicht durchführbar sind. Sie hatte auch bereits erfasst, dass ein Gerät von der Universalität der Analytischen Maschine nicht nur Zahlen, sondern auch Symbole verarbeiten könnte (und nach der Vorstellung der klassischen Künstliche-Intelligenz-Forschung besteht Denken in der Verarbeitung von Symbolen). Insbesondere wäre die Maschine fähig zum Tonsatz: »Wenn zum Beispiel die grundlegenden Beziehungen zwischen Tönen aus der Harmonie- und Kompositionslehre einer solchen Darstellung zugänglich wären, könnte diese Maschine sorgfältig erarbeitete und wissenschaftliche Musikstücke von beliebiger Komplexität oder Länge komponieren.«

Von der Vorstellung, die Maschine könne »denken« wie ein Mensch, hielt sie allerdings nichts. »Die Analytische Maschine besitzt keinerlei schöpferische Fähigkeiten«, stellte sie fest. »Sie kann lediglich genau das tun, was wir ihr aufzutragen verstehen.« Über hundert Jahre später zitierte Alan M. Turing (1912–1954), einer der Vordenker des modernen Computers, ihre Einschätzung in einem berühmt gewordenen Vortrag über künstliche Intelligenz und machte sie als »Lady Lovelace's Objection« (Lady Lovelaces Einwand) sprichwörtlich.

Der Rest von Adas Anmerkungen beschäftigte sich mit der mechanischen Realisierung der Programmierung, insbesondere mit dem Lochkartenleser, und einer Notation für Programme. Wenn die Löcher in den Karten, wie Menabrea behauptet und Ada bestätigt hatte, nichts weiter waren als eine andere Form für einen algebraischen Ausdruck, dann musste diese Form genau vereinbart sein. Ada verwendete ein ursprünglich von Babbage entwickeltes und von ihr verbessertes Tabellenformat.

Krönung ihrer Arbeit war ein Programm zur Berechnung von Bernoulli-Zahlen. Der Schweizer Mathematiker Jakob Bernoulli hatte diese Zahlen in einem Klassiker der Wahrscheinlichkeitstheorie, der »Ars Conjectandi« aus dem Jahr 1713, eingeführt. Adas Programm demonstrierte die Fähigkeit der Analytischen Maschine zur bedingten Verzweigung und enthielt zwei Schleifen. Es war weitaus anspruchsvoller und komplexer als die – wenigen – Programme, die Babbage 1836 und 1837 geschrieben hatte.

Die Aufzeichnungen von Babbage und Ada

All unsere Kenntnisse über Adas Arbeit stammen aus dem Briefwechsel zwischen Ada und Babbage (von dem hauptsächlich Adas Briefe erhalten sind), Babbages Notizbuch, seiner Autobiografie und Adas zitierter Abhandlung, die in den »Scientific Memoirs« von Richard Taylor veröffentlicht ist. Leider ist Adas Notizbuch verloren gegangen; es hätte uns wahrscheinlich einen tieferen Einblick in die Wege ihres Denkens verschafft.

Ada stellte ihre Aufzeichnungen zwischen Februar und September 1843 fertig. Während dieser Zeit diskutierte sie brieflich und persönlich häufig mit Babbage. Während sie bei der Beschreibung der technischen Funktionsweise getreulich ihrem Meister folgte und ihm ihre Ausarbeitung zur Überprüfung vorlegte, verblüffte sie ihn häufig mit ihren Einsichten. So antwortete er nach der Lektüre einer Skizze des Abschnittes A: »Nur widerwillig sende ich Dir Deinen bewundernswerten und philosophisch eindrucksvollen Abschnitt A zurück. Ändere ja nichts ... Du kannst all das unmöglich einfach erraten haben. Je mehr ich von Deinen Aufzeichnungen lese, desto mehr erstaunen sie mich, und ich bedaure, dass ich diese edle Begabung nicht schon früher erkannt habe.«

Ada legte Wert auf Babbages Meinung und war offen für alle inhaltlichen Anregungen, ließ jedoch nicht über Formulierungen mit sich reden. Im August 1843, einen Monat bevor die letzten korrigierten Fahnen an den Drucker gingen, versuchte Babbage, ihrem Text ein Vorwort beizufügen, in dem er die mangelnde Unterstützung der britischen Regierung für seine Analytische Maschine beklagte. Ada war wütend und schrieb ihm einen bösen Brief. Schließlich legten sie ihre Streitigkeiten bei, und Babbages Vorwort erschien anonym und unabhängig von Adas Publikation.

In einem Brief vom Juli 1843 schrieb Ada an Babbage: »Ich möchte etwas über Bernoulli-Zahlen in meine Arbeit aufnehmen, als Beispiel dafür, wie eine implizit gegebene Funktion von der Maschine berechnet werden kann, ohne dass sie vorher von Menschenhand berechnet und eingegeben worden ist. Schicke mir dazu die notwendigen Daten und Formeln.« (Ada hatte sich zwei Jahre zuvor unter der Anleitung von de Morgan mit Bernoulli-Zahlen beschäftigt, benötigte aber zu diesem Zeitpunkt wohl eine Auffrischung ihrer Kenntnisse.)

Dieser Brief macht zwei Dinge klar. Zum einen war es eindeutig Adas Idee, ein Programm für Bernoulli-Zahlen zu schreiben. Zum anderen hat Babbage zumindest die notwendigen Formeln bereitgestellt, wie er auch 21 Jahre später in seiner Autobiografie bestätigte (»Passagen aus einem Philosophenleben«, Kulturverlag Kadmos 1997).

Wie weit seine Unterstützung darüber hinausging, ist ungewiss. Bei ihrem umfassenden Verständnis, das sich unter anderem an den Verbesserungen an Babbages Notation zeigt, war Ada zweifellos in der Lage, das Programm unter Vorgabe der entsprechenden Formeln selbst zu erstellen. Außerdem legt ein Brief Adas an Babbage nahe, dass sie das wirklich getan hat: »Ich bin jeden Tag unablässig und mit Erfolg an der Arbeit. Du wirst unglaublich staunen über die Tafel und das Diagramm. Sie sind mit außergewöhnlicher Sorgfalt erstellt, und alle Indizes sind gewissenhaft beachtet.«

Die Eigenschaften der Bernoulli-Zahlen waren Ada aus ihrer früheren Ausbildung bekannt; möglicherweise hatte sie erkannt, dass ein Programm zu ihrer Berechnung sehr schön einige der wesentlichen Eigenschaften der Analytischen Maschine, wie etwa die Fähigkeit zur bedingten Verzweigung, demonstrieren könnte. Zudem passte das Thema gut zur Vorlage Menabreas, da dieser in seiner Skizze die Bernoulli-Zahlen erwähnt hatte.

Adas Eigenständigkeit zu betonen ist wichtig, weil sie heftig angefochten worden ist, vor allem von Dorothy Stein von der University of London in dem einflusreichen, 1985 erschienenen Buch »Ada: a life and a legacy«: Adas mathematische Kenntnisse hätten keinesfalls ausgereicht, selbständig ein solches Programm zu schreiben. Andere Historiker haben mittlerweile dieselbe Einschätzung geäußert.

Dorothy Stein führt im Wesentlichen zwei Belege an. Erstens hat Ada einen Druckfehler im französischen Original Menabreas (»le cos de n=׫ statt »le cas de n=׫) getreulich ins Englische übersetzt, obgleich der »Cosinus von n=׫ im Gegensatz zum »Fall n=׫ mathematischer Unfug ist. Zweitens hatte sie, wie aus der Korrespondenz mit ihren Lehrern hervorgeht, Schwierigkeiten mit dem Einsetzen (der Substitution) von Funktionen in andere Funktionen. Stein schreibt: »Bei einem Menschen, der zu Lebzeiten und danach als mathematische Begabung derart berühmt wurde, wären die Beweise für ihre Schwäche in Mathematik kaum glaubwürdig, wenn sie nicht so zahlreich wären.«

An dem ersten Fehler ist nichts zu deuteln, aber man sollte ihn nicht einer Unfähigkeit, sondern eher einer gewissen Nachlässigkeit zuschreiben. Es finden sich noch mehr Fehler in ihrem Text; sogar ihre eigenen Initialen am Ende ihrer Aufzeichnungen hat sie falsch geschrieben: A. L. L. statt A. A. L. Babbage und anderen Gutachtern sind diese Fehler in ihrem 65-seitigen Werk auch nicht aufgefallen.

Steins zweiter Vorwurf ist weitaus ernster zu nehmen, denn das Konzept der Substitution ist von entscheidender Bedeutung für das Programmieren. Man sollte aber nicht vergessen, dass die britischen Mathematiker sich zu dieser Zeit gerade erst mit Mühe die Algebra aneigneten, Ada nur brieflichen Kontakt zu ihren Lehrern hatte und diese für ihre Mühe nicht entlohnt wurden. Wie jeder Schüler hat Ada ihren Lehrern wahrscheinlich in erster Linie über Dinge geschrieben, die sie noch nicht verstanden hatte, und weniger darüber, was ihr schon klar geworden war. Da ist es nicht verwunderlich, wenn ihre frühen Briefe ein schlechtes Bild abgeben. Nach ihren späten Briefen zu urteilen, hatte sie ihre Schwierigkeiten zu dem Zeitpunkt überwunden, als sie ihre Aufzeichnungen niederschrieb.

Adas stets labile Gesundheit verschlechterte sich nach 1843; sie starb am 27. November 1852, vermutlich an Gebärmutterkrebs. Auf eigenen Wunsch hin wurde sie neben ihrem Vater beerdigt. Bis 1953, als Bertram V. Bowden in seinem Werk »Faster than Thought« über die Entwicklungsgeschichte von Computern sich mit Ada auseinandersetzte und sie eine Prophetin nannte, blieb ihre Arbeit nahezu unbekannt.

Viele Schöpfer des modernen Computers stießen früher oder später auf die Arbeiten von Ada, aber erst, nachdem sie selbst auf die entscheidenden Ideen gekommen waren. Howard Aiken (1900–1973), der 1943 an der Harvard University den Computer Mark I entwickelt und gebaut hat, sah sich gerne in der Nachfolge von Babbage. Doch Adas Arbeit kannte er nicht, und er sah auch nicht die Wichtigkeit des Konzeptes der bedingten Verzweigung.

Unser heutiges Wissen über die Entwicklung und Programmierung von Computern kann nicht direkt auf Babbage und Ada zurückgeführt werden. Dennoch können sie für viele grundlegende Konzepte die Priorität beanspruchen. Und insbesondere Ada ist zu einer Figur geworden, deren Leben und Werk auch heute noch die Fantasie vieler Menschen beschäftigt.

Literaturhinweise

Hyman, Anthony:: Charles Babbage 1791–1871: Philosoph, Mathematiker, Computerpionier. Klett-Cotta, Stuttgart 1987.

Dubbey , J. M. : The Mathematical Work of Charles Babbage. Cambridge University Press, 1978.

Babbage, Charles:Über die Ökonomie der Maschinen. Kulturverlag Kadmos, Berlin 1999.

Toole, Betty Alexandra: Ada: The Enchantress of Numbers. Strawberry Press, Sausalito (Kalifornien) 1998

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