Medizin: Die Evolution der Hautfarben
Schwarze und weiße Haut entstanden als Anpassung an viel oder wenig Sonne. Die Pigmentierung war stets ein Balanceakt zwischen Vitaminen, die durch UV-Strahlung zerstört oder erzeugt werden. Dies zeigen auch moderne Vitaminmangel-Krankheiten aufgrund der heutigen Mobilität.
Die junge Frau leidet an Schuppenflechte. Sie stammt aus Südasien. "Hier in Mitteleuropa bekommen Menschen Ihrer Herkunft leicht zu wenig Sonne", erfährt sie vom Arzt.
Dass dunkelhäutige Menschengruppen in Äquatornähe leben und hellhäutige in höheren Breiten, führen Anthropologen seit langem auf die Sonnenstrahlung zurück. Allerdings nahmen sie bislang meistens an, die stark pigmentierte Haut sei zum Schutz vor Hautkrebs entstanden. Wir haben eine andere Erklärung gefunden. Vieles deutet darauf hin, dass der Grad der Pigmentierung wesentlich auf einer in der menschlichen Evolution immer wieder austarierten Balance zweier Vitamine beruht. Das eine wird durch UV-Strahlung zerstört, das andere aufgebaut. Beide sind aber wichtig, um Kinder zeugen und gesund zur Welt bringen zu können.
Wir sind die einzigen Primaten mit weitgehend nackter Haut. Schimpansen sehen unter dem Haarkleid hell aus. Da sie sich in den letzten mindestens 7 Millionen Jahren, seit sich unsere Abstammungslinien trennten, vermutlich weniger verändert haben als wir, darf man vermuten, dass auch der letzte gemeinsame Vorfahre hellhäutig war.
Nur die wenigen unbehaarten Körperstellen eines Schimpansen – Gesicht, Hände und Füße, die bei jungen Tieren noch rosa aussehen – werden mit zunehmendem Alter durch Sonnenstrahlung fleckig oder dunkel. So ist anzunehmen, dass die Hominiden erst eine insgesamt dunklere Haut bekamen, als ihr Haarkleid verschwand. Doch wann verloren unsere Ahnen ihr Fell?
Ihre fossilen Skelette vermitteln ein recht gutes Bild ihrer Lebensweise und Verhaltensmöglichkeiten. "Lucy" und ihre Zeitgenossen schlugen sich vor gut 3 Millionen Jahren vermutlich ähnlich durch wie heutige Savannenprimaten: Sie verbrachten den Großteil des Tages mit Nahrungssuche in offenem Gelände und zogen sich zur Nacht auf Bäume zurück. An einem Tag legten diese aufrecht gehenden Vormenschen, die Australopithecinen, wohl kaum viel mehr als fünf Kilometer zurück.
Der Urmensch war schwarz
Vor 1,6 Millionen Jahre lebte man schon ganz anders. Aus dieser Zeit stammt das Skelett des "Turkana-Jungen", eines groß gewachsenen Jugendlichen. Er war ein Homo ergaster und damit schon ein Angehöriger unserer eigenen Gattung Homo. Mit seinen langen Beinen konnte der Junge sicherlich kräftig ausschreiten. Frühmenschen wie er legten wahrscheinlich weite Strecken zurück.
Bei so viel körperlicher Anstrengung wuchs in der offenen Savannenlandschaft allerdings die Gefahr eines Hitzschlags. Vor allem das Gehirn durfte nicht überhitzen. Die Lösung bei den Frühmenschen war Kühlung des Körpers und des zirkulierenden Blutes durch kräftiges Schwitzen. Die Zahl der Schweißdrüsen stieg an, und damit der Schweiß schnell verdunstete und Kühlung brachte, musste die Behaarung zurückgehen – so zeigte Peter Wheeler von der John Moores University in Liverpool auf.
Jetzt aber traf die Sonne auf die nackte Haut. Besonders der kurzwellige Anteil ihrer Strahlung kann ungeschützte Hautpartien verbrennen, die Schweißdrüsen zerstören und tiefer liegenden Zellen schwer zusetzen. Dabei entstehen DNA-Schäden, welche die Zellen zwar meist reparieren, die sich unter Umständen aber bis zu Hautkrebs auswachsen (siehe "Sonnenbrand und Hautkrebs", SdW 6/1997, S. 74). Unbehaarte Hautpartien von Schimpansen enthalten Melanocyten. Unter UV-Strahlung erzeugen diese pigmentbildenden Zellen dunkle Pigmente, die Melanine – große Moleküle, die zwei Schutzfunktionen erfüllen: Sie fangen die verheerenden UV-Strahlen ab und neutralisieren die giftigen freien Radikale, die bei Schäden durch solche Strahlung entstehen.
Diese Mechanismen gewannen beim Menschen wesentlich an Bedeutung. Die gelb- oder rotbraunen bis schwarzen Melanine sind für ihn ein natürliches Sonnenschutzmittel. Hierfür gibt es viele Anhaltspunkte. So sind hellhäutige Menschen, die in Regionen mit starker Sonneneinstrahlung leben – etwa Mitteleuropäer in Australien – besonders hautkrebsgefährdet. Insbesondere aber erkranken Menschen mit Xeroderma pigmentosum viel öfter an Hautkrebs. Bei dieser erblichen "Mondscheinkrankheit" fehlen den Zellen Reparaturmechanismen für UV-Schäden, so dass jede Sonnenexposition gefährlich ist. Meist handelt es sich zwar um vergleichsweise gut behandelbare Plattenepithel- und Basalzellenkarzinome. Seltener treten die besonders gefährlichen malignen Melanome auf, die insgesamt vier Prozent der Hautkrebsfälle ausmachen und vor allem Weiße heimsuchen. Trotzdem verläuft die Krankheit oft schon früh tödlich.
Wegen dieser und vieler ähnlicher Befunde verbreitete sich die Ansicht, tropische Bevölkerungen hätte ihre dunkle Haut vor allem zum Schutz vor Hautkrebs entwickelt. Dies ist allerdings evolutionsbiologisch betrachtet nicht einsichtig. Meist erscheinen solche Karzinome nämlich nicht vor dem mittleren Erwachsenenalter, wenn Menschen bereits einige Kinder haben können und früher sicherlich auch meist hatten. Evolutionsanpassungen entstehen aber nur, wenn sie sich auf die Fortpflanzung günstig auswirken. Ein Hautkrebs hätte eher selten die eigenen Fortpflanzungschancen deutlich gemindert. Für die Pigmentbildung in der Haut musste es zumindest weitere wichtige Gründe geben.
Zufällig stieß eine von uns (Jablonski) 1991 auf eine Publikation aus dem Jahr 1978 von Richard F. Branda und John W. Eaton, die jetzt an der Universität von Vermont in Burlington beziehungsweise an der Universität Louisville (Kentucky) arbeiten. Die beiden Forscher haben entdeckt, dass hellhäutige Personen ungewöhnlich niedrige Konzentrationen an Folat (Folsäure) im Blut aufwiesen, nachdem sie sich starkem künstlichen Sonnenlicht ausgesetzt hatten – das bei ungeschützter Haut bis in die feinen oberflächennahen Blutgefäße eindringt. Wie Branda und Eaton außerdem nachwiesen, sinkt der Gehalt dieses lebenswichtigen B-Vitamins im menschlichen Blutserum binnen einer Stunde auf die Hälfte, wenn man das Serum mit künstlichem Sonnenlicht bestrahlt.
Was das für die Fortpflanzung bedeuten kann – und in der menschlichen Evolution bedeutet haben mag –, wurde uns plötzlich klar, als wir von einer Studie von Fiona J. Stanley und Carol Bower an der University of Western Australia in Nedlands aus den späten 1980er Jahren erfuhren. Die beiden Wissenschaftlerinnen untersuchten die Ursachen für angeborene Fehlbildungen im Bereich des Rückgrats und Rückenmarks, etwa für den so genannten offenen Rücken (Wirbelspalt, Spina bifida). Kinder mit dieser schweren Missbildung, bei der Abschnitte des Rückenmarks frei liegen oder zumindest nicht von Wirbeln rundum geschützt sind, haben oft schwere Körperbehinderungen und leiden vielfach auch an einem Wasserkopf. Stanley und Bower erkannten, dass bei Folsäuremangel in der Schwangerschaft das Risiko für solche Fehlentwicklungen steigt. Viele Studien weltweit haben den Zusammenhang inzwischen bestätigt. Auf Folsäuremangel insbesondere in der frühen Schwangerschaft sollen etwa auch Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten zurückgehen können. Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch wird daher heute empfohlen, Folsäure-Präparate einzunehmen. In der Nahrung ist das B-Vitamin insbesondere etwa in Eigelb, Leber, Weizenkeimen und in Blattgemüse (Spinat, Endivien, Broccoli) enthalten.
Wir stießen bald auf weitere Hinweise, dass Folsäure auch in vieler anderer Hinsicht eine wichtige körperliche Bedeutung hat. Zellen benötigen die Substanz bei der Teilung zur Synthese neuer DNA. Wo immer Zellen sich schnell vermehren, ist darum Folsäure unabdingbar, so auch bei der Bildung von Spermien. Dies wurde bei Ratten und Mäusen nachgewiesen. Wenn man durch einen chemischen Wirkstoff bei männlichen Nagern einen Folsäuremangel erzeugt, ist ihre Spermienproduktion gestört und die Tiere werden unfruchtbar. Vergleichbare Studien am Menschen gibt es zwar nicht, aber Wai Yee Wong und seine Kollegen vom Universitätsklinikum in Nijmegen in den Niederlanden berichteten kürzlich, dass sich die Spermienzahl von Männern mit verminderter Zeugungsfähigkeit unter Umständen steigern lässt, wenn sie Folsäure erhalten.
Sonne vernichtet Folsäure
Wir vermuten also, dass in der menschlichen Evolution dunkle Haut schon deswegen entstand, um die Folsäurereserven des Körpers vor UV-Strahlung zu schützen. Zu unserer These passt auch ein 1996 veröffentlichter Bericht des argentinischen Kinderarztes Pablo Lapunzina. Drei an sich gesunde junge Frauen, die er betreute, gebaren Kinder mit Spina bifida. In den ersten Schwangerschaftswochen hatten sie Solarien besucht.
Zurück zu unseren Vorfahren. Als der Homo sapiens vor einigen hunderttausend Jahren in Afrika entstand, muss er dunkelhäutig gewesen sein, denn sicherlich trugen die Menschen damals längst kein Fell mehr. So hatten sie sich an das heiße Klima und die starke UV-Strahlung in Äquatornähe angepasst. Auch der so genannte moderne Mensch, der dort vor 120 000 bis 100 000 Jahren auftrat, muss demnach dunkel ausgesehen haben (siehe auch "Der Ursprung lag in Afrika", SdW 3/2003, S. 38).
Doch bald zogen moderne Menschen vom afrikanischen Kontinent fort und besiedelten auch Regionen, wo die UV-Strahlung über das Jahr gesehen und besonders in den Wintermonaten deutlich geringer ist. Dort wurde der dicke Sonnenschutz durch viele dunkle Pigmente nicht nur überflüssig, sondern er dürfte sich sogar als nachteilig erwiesen haben. Dunkle Haut enthält in den äußeren Schichten so viel Melanin, dass in gemäßigten Breiten nur noch sehr wenig UV-Strahlung tief eindringt. Vor allem UV-B, das kurzwelliger ist als UV-A, wird größtenteils abgefangen.
Warum Haut hell werden musste
Nun hat UV-B zwar überwiegend gefährliche, unerwünschte Wirkungen, doch diese Strahlung erfüllt auch eine unverzichtbare Aufgabe: Sie setzt in der Haut die Synthese von Vitamin D in Gang, das beim Calcium-und Phosphat-Stoffwechsel und damit insbesondere beim Knochenaufbau mitwirkt. In der Haut entsteht zunächst eine Vorstufe des Vitamins, die in den Nieren zu Vitamin D umgebaut wird. Unter der starken Sonnenstrahlung der Tropen nehmen dunkelhäutige Menschen immer noch genügend UV-B zur Vitamin-D-Synthese auf. Doch in höheren Breiten wäre die Dosis bei dunkler Haut die meiste Zeit des Jahres zu gering. Zum Ausgleich wurde die Hautfarbe heller.
Die These, dass die Pigmentierung wegen des Vitamins D zurückging, brachte 1967 W. Farnsworth Loomis von der Brandeis-Universität in Waltham (Massachusetts) auf. Er erkannte einen Zusammenhang mit der Fortpflanzung und den Immunfunktionen. Vitamin D ist zur Calciumaufnahme aus dem Darm nötig. Ohne diesen Mechanismus kann sich das Skelett nicht normal entwickeln, da Knochensubtanz großenteils aus diesem Mineral besteht. Für sehr viele grundlegende physiologische Prozesse ist Calcium unabdingbar. Auch das Immunsystem ist auf ausreichend Calcium angewiesen.
Diese Zusammenhänge haben Michael Hollick von der Universität Boston (Massachusetts) und seine Kollegen in den letzten beiden Jahrzehnten durch ihre medizinischen Studien weiter untermauert. Sie zeigten auch, dass das Sonnenlicht in höheren Breiten im Winter für die Vitamin-D-Synthese selbst für hellhäutige Menschen zu wenig UV-B-Strahlung enthält. In der Stadt Boston an der amerikanischen Ostküste etwa kann helle Haut offenbar erst wieder ab etwa Mitte März Nachschub bilden. Boston liegt am 42. nördlichen Breitengrad, etwa auf der Höhe Roms und Nordspaniens. (Die süddeutsche Stadt Freiburg liegt auf dem 48., Rostock an der Ostsee am 54. Breitengrad.)
Wir mussten lange suchen, bis wir eine Quelle fanden, in der die UV-Strahlungsintensitäten der einzelnen Regionen weltweit zusammengestellt waren. Erst 1996 half uns Elisabeth Weatherhead von der Universität von Colorado in Boulder weiter. Sie vermittelte uns Daten von Messungen der UV-Strahlung am Erdboden, die ein Nasa-Satellit zwischen 1978 und 1993 für Karten der Ozon-Werte aufgenommen hatte. Hieraus ermittelten wir die UV-Strahlung über die Gebiete der Erde. Daraus errechneten wir anhand bekannter Mindestwerte für Menschen verschiedener Hautfarben, wo und wann genug UV-B-Strahlung die Erde erreicht, damit in unserer Haut die Vitamin-D-Synthese einsetzt.
Grob könnte man für hellhäutige Menschen die Erdoberfläche in drei Vitamin-D-Zonen einteilen. Unter anderem hängt die Strahlungsintensität dabei auch von anderen geografischen Faktoren, wie der Höhe über dem Meeresspiegel, ab. Auf Höhe der Tropen, grob etwa bis zum dreißigsten nördlichen und südlichen Breitengrad, ist die UV-B-Dosis das ganze Jahr über hoch genug. Weiter nach Norden (beziehungsweise auf der Südhalbkugel nach Süden) erreichen die UV-B-Werte für zunehmend längere Zeitphasen nicht die nötige Intensität. Jenseits des 30. Breitengrads (auf Höhe Nordafrikas), in der zweiten Zone, ist dies zunächst ein Wintermonat, weiter nördlich fast ein halbes Jahr. In der dritten Zone, die etwa beim 50. Breitengrad beginnt (Höhe Frankfurt), dauert diese Phase ein halbes Jahr und länger. Übers Jahr gesehen müssten die Menschen nördlich etwa des 45. Breitengrades darum an Vitamin-D-Mangelerscheinungen leiden, sofern sie dies nicht durch die Nahrung kompensieren.
Dieses Strahlungsmuster dürfte auch ein Grund sein, wieso Menschen des hohen Nordens und auch schon des nördlichen Mitteleuropa oft gar nicht braun werden: Ihre Haut sollte stets so viel Sonne wie möglich einfangen können. Die Bevölkerungen mittlerer Breiten haben dagegen im Winter regelmäßig einen fahleren Teint als im Sommer. Ihre Haut passt sich den Jahreszeiten an: Im Winter nutzt sie das wenige Sonnenlicht, im Sommer schützt sie sich vor zu viel UV-Strahlung. In Äquatornähe wiederum ist die Strahlung so stark, dass auch ein kontinuierlicher Pigmentschutz noch eine ausreichende Vitamin-D-Produktion ermöglicht.
Die etwas hellere Haut einer Frau: Risiko zum Wohl des Kindes
Nicht alle Bevölkerungen passen in dieses Schema. So sind in manchen arktischen Gebieten auch Menschengruppen ansässig, deren Teint für diese Breiten nach unserem Modell eigentlich zu dunkel ist. Dazu gehören die Inuit (Eskimo) Alaskas und Nordkanadas. Ihre relativ dunkle Haut könnte sich zum einen daher erklären, dass sie erst vor kaum 5000 Jahren aus Asien nach Nordamerika einwanderten. Zum anderen bestand für sie offenbar kein sehr großer Zwang, hellhäutiger zu werden. Die Inuit essen traditionell sehr viel Fisch und andere Meerestiere, eine besonders Vitamin-D-reiche Kost.
Unser Modell könnte auch ein anderes Phänomen der Hautfarben erklären, das Anthropologen schon früher auffiel: Generell haben in einer Bevölkerung Frauen einen etwas helleren Teint als Männer. Nach den vorliegenden Daten ist die weibliche Haut um drei bis vier Prozent heller. Manche Forscher vermuten, dass dies von einer sexuellen Selektion herrührt, nämlich von einer Vorlie-be der Männer für Frauen mit eher hel-ler Haut. Dieser Zusammenhang mag durchaus mitspielen, doch dürfte der eigentliche Hintergrund ursprünglich ein anderer gewesen sein. Während Schwangerschaft und Stillzeit benötigen Frauen für das Kind besonders viel Calcium und somit besonders viel Vitamin D, damit sie möglichst viel des Minerals aus der Nahrung erschließen. Vielleicht ist ihre etwas hellere Haut eine Anpassung, damit etwas mehr UV-B in die Haut gelangt. In Gegenden mit starker UV-Strahlung erscheint das als ein heikler Balanceakt der Evolution. Einerseits darf nicht zu viel UV-Strahlung eindringen, um die Leibesfrucht nicht zu gefährden. Andererseits muss aber auch die Vitamin-D-Synthese zum Wohl des Kindes gewährleistet sein.
Solange es den anatomisch modernen Menschen gibt und er in der Welt herumzog, also seit mindestens 100000 Jahren, passte sich sein Teint vermutlich immer wieder der regionalen Sonneneinstrahlung an. Am längsten hatten dazu alte afrikanische Bevölkerungen Zeit, denn auf ihrem Kontinent war der moderne Homo sapiens entstanden. Danach erst kamen moderne Menschen in verschiedene Regionen Asiens. Schließlich erreichten sie vor einigen zehntausend Jahren auch Australien, Europa und als Letztes Amerika. Teilweise ist nachvollziehbar, wie ihre Hautfarbe sich allmählich durch die Ortswechsel gen Norden oder wiederum Süden immer neu änderte. Man muss dabei allerdings auch berücksichtigen, dass diese Menschen sich bereits mit Kleidung und Behausungen vor den Elementen schützten, somit also den lokalen Verhältnissen nicht mehr uneingeschränkt ausgesetzt waren. Mancherorts kompensierten sie wohl auch den Vitamin-D-Mangel mit Nahrung, ähnlich wie die Inuit. Das Essen, die Kleidung sowie überdachte Wohnungen bestimmten vermutlich mit, wie rasch und wie stark sich die Hautpigmentierung jeweils evolutionär veränderte.
Auch in Afrika selbst mit seinen vielen unterschiedlichen Regionen lassen sich solche Anpassungen noch heute gut erkennen. So gab es offenbar schon früh eine Reihe von Wanderbewegungen fort von äquatornahen Gebieten nach Süden. Zum Beispiel leben die Vorfahren der Khoisan – der Hottentotten und Buschleute – bereits seit langer Zeit im südlichen Afrika. Sie haben deutlich hellere Haut als Äquatorialafrikaner. Dies dürfte eine Anpassung an die geringere UV-Strahlung in Südafrika sein.
Interessanterweise sind die heutigen südafrikanischen Bevölkerungsgruppen, die Bantu-Sprachen sprechen, viel dunkler als die Khoisan. Historisch ist erwiesen, dass sie erst vor relativ kurzer Zeit aus äquatornahen Gebieten Westafrikas in die Region kamen. Wahrscheinlich ist das höchstens tausend Jahre her, eine nach evolutionären Maßstäben sehr kurze Zeitspanne.
Besonders in jüngerer Zeit dürften auch kulturelle Züge stark beeinflusst haben, ob Hautfarben sich anpassen mussten oder nicht. Beispielsweise leben beim Roten Meer auf afrikanischer Seite sehr dunkle Menschen, auf der arabischen Halbinsel deutlich hellere. Die Bevölkerungen auf der Westseite sprechen nilosaharische Sprachen und leben in der Region wahrscheinlich seit 6000 Jahren und länger. Sie sind ausgesprochen schlank und langgliedrig, also schon körperlich hervorragend für das heiße Klima und die starke Einstrahlung dieser Gegend gerüstet.
Hautfarbe kein Rassemerkmal
Dagegen leben die Bauern und Hirten des Ostufers, deren Vorfahren aus dem Norden stammten, dort erst seit etwa 2000 Jahren. Eigentlich sind diese Nachfahren der ersten Araber für diese Breiten zu hell. Sie gleichen das aber durch dichte Kleidung aus, die sie fast völlig vor der Sonne schützt, und sie benutzen Zelte, die sie mit sich führen. Es sieht so aus, als würde die kulturelle Anpassung gegenüber der biologischen ausgeprägter, wenn eine Population in einem Gebiet noch nicht lange zu Hause ist.
In unserer Zeit allerdings erfolgt die kulturelle Umstellung auf die Sonnenverhältnisse in einem neuen Land häufig nicht schnell genug, vielfach wohl aus Unwissen. Die Folge können Erkrankungen sein, welche die betreffenden Menschengruppen bislang wenig kannten oder die als überwunden galten. Hellhäutige ehemalige Nordeuropäer bezahlen Sonnenbäder in Florida oder Nordaustralien zunehmend mit vorzeitiger Hautalterung und sogar Hautkrebs. Wie viele Fehlgeburten oder Fehlbildungen bei Neugeborenen auf einen sonnenbedingten Folsäuremangel zurückgehen, wissen wir nicht. Umgekehrt leiden dunkel pigmentierte Menschen aus Südasien oder Afrika im Norden auffallend häufig an Rachitis und anderen hier fast schon vergessenen Vitamin-D-Mangel-Erscheinungen, wie in Großbritannien, besonders in dessen Norden, viele Inder.
Früher haben Wissenschaftler die Menschen auch anhand der Hautfarbe in Rassen eingeteilt. Dieser Ansatz gilt heute als überholt. Die verschiedenen Farbnuancen spiegeln nur Anpassungen an unterschiedliche Umwelten. In evolutionären Zeiträumen gemessen kann sich die Pigmentierung schnell verändern. Deswegen gehört die Hautfarbe zu den am wenigsten aussagekräftigen Merkmalen, um Verwandtschaften zwischen Menschengruppen zu erkennen.
Literaturhinweise
The Evolution of Human Skin Coloration. Von Nina G. Jablonski und George Chaplin in: Journal of Human Evolution, Bd. 39, Heft 1, 1. Juli 2000, S. 57.
In Kürze
- Die frühen Hominiden bekamen dunkle Haut, als sie die dichte Körperbehaarung verloren – eine Anpassung an ihr Leben in der heißen Savanne. Allerdings entstand die Pigmentierung nicht zum Schutz vor Hautkrebs.
- Vielmehr schützt dunkle Haut vor Folsäureabbau durch UV-Strahlung. Andernfalls drohen Unfruchtbarkeit sowie kindliche Missbildungen.
- Umgekehrt muss die Haut in höheren Breiten gerade so hell sein, dass genügend UV-Strahlen für die Vitamin-D-Synthese eindringen. Für Schwangerschaft und Stillzeit kann das eine heikle Gratwanderung bedeuten.
- Heute leben viele Menschen nicht mehr in den Gegenden, an die ihre Hautfarbe angepasst ist. Ältere Kulturen gleichen die damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren durch Verhalten aus. Bei modernen Migranten fehlt oft solches Wissen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2003, Seite 38
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