Stress und Hormone
Seit man die hormonelle Kaskade der Stress-Reaktion immer besser durchschaut, lernt man auch verstehen, wie die Regelsysteme des Körpers bei stressbedingten Erkrankungen gestört sind. Dies bietet neue therapeutische Ansätze.
Über die Sinnesorgane und auch durch das Schmerzsystem nehmen wir Informationen aus der Umwelt auf und vergleichen sie mit unseren Erfahrungen. Erscheint eine Situation als gefährlich oder in ihren Auswirkungen als unsicher, setzt der Organismus zum Schutz eine Reihe von Bewältigungsmechanismen in Gang. Fehlt ein solches Anpassungsrepertoire oder ist im Gedächtnis gespeichert, daß die verfügbaren Reaktionen nicht ausreichen oder sogar wirkungslos sind, die Bedrohung also unkontrollierbar wird, empfinden wir dies als Stress.
Der Mensch unterscheidet sich dabei vom Tier nicht prinzipiell. Er verhält sich allerdings auch in dieser Hinsicht komplexer. So vermag er Hilfsmittel – beispielsweise Meßgeräte – einzusetzen, um sinnlich nicht wahrnehmbare Gefahren, wie radioaktive Strahlung, zu erkennen; er kann Vorsorge treffen und vielfältige Gegenmaßnahmen ersinnen. Insofern ist Stress an das Bewußtsein gekoppelt.
Das Innenleben als Spiegel von erfahrener Außenwelt
Es gibt aber auch davon unabhängigen, unbewußten Stress. Bei einer Infektion oder beim Tumorwachstum etwa kommt im Körper eine Vielzahl von Reaktionen in Gang, die wir vielfach erst an den Folgen der Erkrankung erkennen. Und auch situationsbedingte Reaktionen werden uns nur zum Teil bewußt. So spüren wir zwar den Schweiß auf unserer Stirn und das Herzklopfen und ergreifen willentlich die Initiative, indem wir beispielsweise weglaufen; wir fühlen aber nicht, daß Hormone von Drüsen ausgeschüttet werden, die eigens dazu angelegt sind, das innere Milieu des Körpers einer Bedrohung anzupassen.
Bereits im 19. Jahrhundert hatte der französische Physiologe Claude Bernard (1813 bis 1878) erkannt, daß diese Konstanz („fixité du milieu intérieur“) für die Gesundheit unerläßlich ist. Wie im vorausgehenden Artikel bereits angesprochen, beobachtete dann Anfang dieses Jahrhunderts der amerikanische Physiologe Walter B. Cannon, daß bei physischen oder emotionalen Reizen wie Schmerz oder Wut die Menge des Hormons Adrenalin im Blut zunimmt und daraufhin unter anderem sich der Blutzuckerspiegel erhöht und Blut aus dem Gewebe Herz, Lunge, Hirn und Muskulatur stärker versorgt: So wird der Organismus auf Kampf und Überleben bei einer vitalen Bedrohung vorbereitet. Darum sind erhöhter Blutdruck und schnellerer Puls typische Zeichen für eine stressbedingte Überaktivierung des physiologischen Systems, die der Anstieg des Adrenalinspiegels veranlaßt.
Das Adrenalin seinerseits wird vom Nebennierenmark freigesetzt. Dies erhält das Signal dazu von Fasern des Sympathikus, einem Teil des vegetativen Nervensystems, das Befehle vom Gehirn an die peripheren Organe weitergibt. Langandauernde und immer wiederkehrende Stress-Belastung mit überhöhtem Adrenalinspiegel kann verschiedene Erkrankungen, insbesondere des Herz-Kreislauf-Systems, verursachen (Bild).
Wegweisend für die klinische Forschung war die ebenfalls im vorstehenden Artikel erwähnte, 1950 publizierte Stress-Theorie des Mediziners Hans Selye. Er definierte Stress als unspezifische Reaktion des Körpers auf eine von außen kommende Belastung, die das physiologische Gleichgewicht stört, und die belastenden Faktoren als Stressoren. Als wichtigstes hormonelles Korrelat identifizierte er Corticosteroide, abgegeben von der Nebennierenrinde; besonders Cortisol (Hydrocortison) würde beim Menschen unter Stress in größeren Mengen freigesetzt. Selye erkannte auch, daß man krank wird, wenn der Körper sich kontinuierlichem, starkem Stress anzupassen sucht, während milder, kurzer und kontrollierbarer Stress sich eher positiv auf die geistige und körperliche Gesundheit auswirkt.
Schaltstelle Gehirn
Damals kannte man die Signalkette von den Sinnessystemen zu den bei Stress mittels Hormonen aktivierten Organen noch nicht. Inzwischen hat die Hirnforschung sie zumindest teilweise aufgeklärt; damit ergaben sich tiefere Einblicke in die Vorgänge bei erfolgreicher wie auch bei mißglückter Stress-Bewältigung.
Besonders wichtig war die Entdeckung eines kleinen, bläulich schimmernden Zellkerngebiets im Übergang vom Gehirn zum Rückenmark, des Locus coeruleus (wörtlich: blauer Kern). Diese Nervenzellen produzieren etwa Dreiviertel des gesamten Noradrenalins im Gehirn, einem der wichtigsten Botenstoffe (Neurotransmitter) bei der Signalübertragung zwischen Nervenzellen, der gerade bei Emotionen wie Angst und generell bei Stress-Reaktionen eine zentrale Rolle spielt.
Von diesem Kerngebiet aus ziehen Noradrenalin führende Nervenfasern in zahlreiche Hirnareale, insbesondere in solche, die mit der Regulation von Befinden und Verhalten in Zusammenhang stehen. Stimuliert man es bei Primaten mit dünnen Elektroden, löst das typische Stress-Reaktionen aus: Puls, Atemfrequenz und Blutdruck steigen, und die Pupillen werden weiter; die Tiere kratzen und klatschen sich die Arme, beobachten aufmerksam ihre Umgebung, hören auf zu essen und zu trinken und verlieren jegliches Interesse an sexueller Aktivität.
Im peripheren Blut mißt man dann eine erhöhte Konzentration von Cortisol. Dies wurde erklärlich, als Neuroanatomen herausfanden, daß Fasern des blauen Kerngebiets das limbische System und speziell den Hypothalamus im Zwischenhirn versorgen. Der Hypothalamus ist eine Art Relaisstation zwischen dem zentralen Nervensystem und der peripheren Hormonregulation. (Das limbische System ist ein schmales Randgebiet zwischen Hirnstamm und Großhirn; es regelt das Affekt- und Triebverhalten und ist funktionell eng mit dem Hypothalamus verknüpft.)
Der Hypothalamus führt Informationen aus verschiedenen Hirngebieten, vor allem aus dem Vorderhirn, zusammen, fungiert aber auch als eine Art Drüse: Er produziert und sekretiert eine Vielzahl von Neurohormonen, die er über ein besonderes System von Blutgefäßen an die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) weitergibt.
Damit nimmt eine Kaskade hormoneller Steuerungen ihren Lauf. In der Hypophyse, der übergeordneten Hormondrüse des Körpers, werden im Wechselspiel der Hemm- und Freigabefaktoren (Inhibiting- und Releasing-Hormone) vom Hypothalamus wiederum spezifische Hormone produziert, die in die Blutbahn gelangen und periphere Drüsen wie die Schilddrüse und die Drüsen der Geschlechtsorgane stimulieren – und eben auch die Nebennierenrinde.
Menge und Verhältnis der Hypophysenhormone ändern sich unter Stress. Ein akuter Reiz aktiviert das autonome Nervensystem, wobei Puls und Blutdruck emporschnellen, während beispielsweise der Sexualtrieb bei lange andauernder Belastung dieser Art bis hin zur Unfruchtbarkeit nachläßt, weil die Geschlechtsdrüsen nun vom Gehirn her weniger stimuliert werden.
Schlüsselhormon CRH
Eine besondere Rolle in beiden hormonellen Regelkreisen hat das System Hypothalamus-Hirnanhangdrüse-Nebennierenrinde. Schlüsselhormon ist das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH), dessen Struktur der deutsche Biochemiker Joachim Spiess 1981 aufgeklärt hat (er ist jetzt Direktor des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Göttingen). Es wird im Hypothalamus erzeugt, wenn der blaue Kern, durch Stress-Belastung aktiviert, zum Hypothalamus Noradrenalin schickt.
Kommt CRH dann zur Hirnanhangdrüse, stellt diese wiederum das Hormon Corticotropin her. Wie der Name andeutet, ist es „der Nebennierenrinde zugewandt“; über den Blutkreislauf gelangt es dorthin und signalisiert den Rindenzellen, vermehrt Cortisol zu produzieren und auszuschütten. Dieses Hormon macht schließlich im Organismus eine breite Spanne von Stress-Anpassungen möglich, die von der vermehrten Bereitstellung des energieliefernden Blutzuckers bis zur Feinabstimmung des Immunsystems reichen.
Damit die hormonelle Stress-Reaktion nicht überschießt, enthält das Regelsystem einen Rückkopplungseffekt: Viel Cortisol im Blut unterdrückt die weitere Synthese und Freisetzung der beiden Releasing-Hormone von Hypothalamus und Hirnanhangdrüse (Bild).
Nachdem diese Befehlskette geklärt war, erhob sich die Frage, ob das CRH noch andere Vorgänge der Stress-Anpassung reguliere. Tatsächlich fand man, daß blauer Kern und Hypothalamus sich gegenseitig aktivieren. Wie eine Fülle eindrucksvoller Tierexperimente zeigte, lassen sich zahlreiche stresstypische Verhaltensweisen durch die Gabe des Hormons stimulieren; so unterdrückt es die Nahrungsaufnahme und das Sexualverhalten, während motorische Unruhe, Blutdruck und Angst zunehmen.
Charles Nemeroff von der Emory-Universität in Atlanta (Georgia) untersucht seit 1988 die Wirkungen von CRH bei Tieren. Injiziert man es in den blauen Kern, dann produziert der nicht nur mehr Noradrenalin; die Tiere verhalten sich mit zunehmender Dosis auch immer ängstlicher. Mit Benzodiazepinen, die man klinisch bei krankhaften Angstzuständen einsetzt, ließ diese Wirkung sich unterdrücken.
Wie wohl jeder schon an sich selbst erfahren hat, ist man bei Stress überwach und schläft wenig und schlecht. Tatsächlich vermochten Forscher unseres Instituts zu zeigen, daß CRH beim Menschen die Qualität und Tiefe des Schlafs vermindert. Damit läßt sich also das Befinden simulieren, das wir sonst bei chronischer Überaktivierung des Stress-Systems subjektiv erleben.
Stress-Hormone und der sechste Sinn
Auch das Immunsystem ist eine Art Sinnesorgan: Es nimmt Signale aus der Umwelt (so von Infektionskeimen und allergieerzeugenden Substanzen) und aus dem Körperinneren (etwa von entarteten wuchernden Zellen) auf, vergleicht sie mit gespeicherten Informationen (Antikörpern) und reagiert – ähnlich wie das Nervensystem und das Bewußtsein – gegebenenfalls mit Bewältigungsmanövern. Dabei spielt das Stress-Hormonsystem ebenfalls eine wichtige Rolle, denn seine Botenstoffe können endokrine Drüsen regulieren, deren Hormone wiederum in die Steuerung des Immunsystems eingreifen.
Unter andauerndem Stress erzeugen, wie schon erwähnt, die Nebennierenrinden zu viel Cortisol. Das stört die Produktion von bestimmten Molekülen des Immunsystems, den Interleukinen, und läßt die Abwehrkräfte schwinden. Daran liegt es, daß bei langdauernder hoher seelischer oder körperlicher Belastung das Risiko einer Infektion steigt.
Das enge Wechselspiel zwischen Stress-Hormonen und Immunsystem zeigt auch die folgende Beobachtung: Nach einer – beispielsweise bakteriellen – Infektion stimuliert Interleukin 1, das die Abwehrzellen des Immunsystems freisetzen, selbst das Hypothalamo-Hypophysen-Nebennierenrinden-System. Genauso wie bei bewußtem Stress geschieht dies durch Aktivierung von CRH-produzierenden Nervenzellen.
Wie wichtig dieses hormonelle Regelsystem für die Krankheitsabwehr ist, zeigt sich an einem Stamm von Ratten, deren CRH-bildende Zellen im Hypothalamus wegen eines genetischen Defekts nicht aktiviert werden können. Eine Streptokokken-Infektion etwa läßt bei ihnen die in den Kreislauf freigesetzten Mengen von Corticotropin und Corticosteron (dem bei Ratten wichtigsten Nebennierenrinden-Hormon) kaum ansteigen. Sie leiden darum sehr viel eher und öfter an rheumatischen Erkrankungen als Ratten mit intaktem Stress-Hormonsystem.
Anders als bewußt erlebter Stress, der nervös und wach macht, steigert die sinnlich nicht wahrnehmbare Herausforderung des Immunsystems durch eine Infektion das Schlafbedürfnis. Um dem auf den Grund zu gehen, simulierte Thomas Pollmächer an unserem Institut bei gesunden Versuchspersonen eine Infektion mit Salmonellen, indem er ihnen harmlose Bestandteile der Bakterienhüllen injizierte. An den Hirnströmen konnte er erkennen, daß der Körper auf ein solches Toxin tatsächlich mit mehr und tieferem Schlaf reagiert – und das, obwohl das Hypothalamo-Hypophysen-Nebennierenrinden-System dann auch mehr Stress-Hormone produziert. Die zugleich in höheren Konzentrationen vorhandenen Interleukine scheinen aber zu bewirken, daß man sich müde fühlt; die Ruhe unterstützt den Abwehr- und Erholungsprozeß.
Zielorgan Gehirn
So wie das Gehirn über Signalkaskaden die peripheren hormonproduzierenden Gewebe steuert, wirken diese auf das Gehirn zurück. Hormone etwa von Schilddrüse, Nebennieren und Hoden beziehungsweise Eierstöcken gelangen über den Blutkreislauf und durch die Blut-Hirn-Schranke zu Neuronen, die in bestimmten Hirnarealen jeweils mit spezifischen Rezeptoren ausgestattet sind.
Cortisol etwa bindet sich an Rezeptormoleküle im Zellinnern, die dadurch ihre Struktur ändern und zu Transkriptionsfaktoren werden. Das heißt, sie können das Ablesen von Genen für Proteine je nach Zelltyp veranlassen beziehungsweise unterbinden.
Im Falle der CRH-produzierenden Neuronen im Hypothalamus signalisiert die Bindung an den Rezeptor, daß bereits genug Cortisol vorhanden ist und folglich kein stimulierendes Hormon mehr entstehen, die Expression des Gens dafür mithin unterdrückt werden soll. Ähnlich drosselt Cortisol in der Hirnanhangdrüse den Nachschub von Corticotropin.
Außer in dieser Weise für die Feinabstimmung ihrer eigenen Synthese zu sorgen, greifen die Körperhormone im Gehirn auch in die Regulation sehr vieler anderer Gene ein. Sie beeinflussen so unter anderem die Herstellung von Substanzen, die auf das Befinden und Verhalten einwirken oder auch auf die Entwicklung des Gehirns selbst. Die Stimmungsschwankungen unter Cortison-Therapie, der Kretinismus bei Mangel an Schilddrüsenhormon oder die geschlechtstypische Differenzierung des Gehirns unter dem Einfluß von Sexualhormonen sind Beispiele dafür (siehe „Weibliches und männliches Gehirn“, Spektrum der Wissenschaft, November 1992, Seite 104).
Der Biochemiker Etienne Beaulieu vom französischen Nationalen Institut für Gesundheit und Medizinische Forschung (INSERM) fand kürzlich, daß Gehirnzellen auch Steroidhormone synthetisieren können. An körpereigenen Hormonen dieser Stoffgruppe – mit einem typischen Gerüst aus Kohlenstoff-Ringen – kannte man bisher außer den Corticosteroiden (wie Cortisol) nur Sexualhormone. Die Steroide des Gehirns (Neurosteroide) docken an Nervenzellen an Bindungsstellen an, die nahe bei einem anderen Rezeptor – für den Botenstoff Gamma-Aminobuttersäure – liegen. Ähnlich wie Benzodiazepine modulieren sie damit deren Aktivität.
Noch wissen wir nicht, ob die hirneigenen Steroide bei der Stress-Reaktion eine Rolle spielen. Erste physiologische Untersuchungen lassen dies annehmen. Wie Axel Steiger von unserem Institut fand, beeinflußt schon eine geringe Dosis solcher Substanzen den Schlaf in einer Weise, wie man es etwa von Benzodiazepinen kennt.
Vielleicht ist es möglich, auf der Basis körpereigener Hormone völlig neuartige Medikamente zu entwickeln. Deren besonderer Vorteil dürfte sein, daß sie – im Gegensatz zu den Benzodiazepinen – nicht abhängig machen. Noch ist dafür freilich intensive zellbiologische, tierexperimentelle und klinische Forschungsarbeit zu leisten.
Fehlregulierte Stress-Reaktion und Psyche
Nicht nur somatische Schäden wie die am Herz-Kreislauf- oder Immunsystem, sondern auch psychische Störungen wie pathologische Angst oder Depression und Psychosen wie Schizophrenie stehen im Zusammenhang mit der Stress-Reaktion (vergleiche „Molekulare Grundlagen von Geistes- und Gemütskrankheiten“ von Elliot S. Gershon und Ronald O. Rieder, Spektrum der Wissenschaft, November 1992, Seite 114). So ist aus Verlaufsuntersuchungen bekannt, daß vielen psychischen Erkrankungen, die sich über Wochen und Monate hinziehen, ein bedeutsames lebensgeschichtliches Ereignis vorausgeht – der Tod eines nahen Familienmitglieds, der Verlust des Arbeitsplatzes oder auch nur ein Umzug. Damit lassen sich zwar Auftreten, Schwere und Dauer der Beeinträchtigung nicht erklären – dazu bedarf es immer auch einer genetischen Veranlagung; der Zusammenhang zwischen belastendem Erlebnis und Erkrankung weist aber deutlich auf die Auslösefunktion von Stress hin.
Bei der Informationsübertragung von Umwelteindrücken auf die Zellen unseres Nervensystems wirken Stress-Hormone entscheidend mit. Befunde aus Deutschland und den USA lassen vermuten, daß bei Patienten mit Angstzuständen oder Depression die CRH-produzierenden Nervenzellen im Hypothalamus und in anderen Kerngebieten des Gehirns zu stark stimuliert werden. Interessanterweise normalisiert sich diese Überaktivität unter dem Einfluß antidepressiv wirkender Medikamente. Man vermutet heute, daß die gebräuchlichen Antidepressiva die negative Rückkopplung zwischen Cortisol aus der Nebennierenrinde und diesen Neuronen verbessern.
Weshalb es allerdings bei Depressionen und schweren Angstzuständen zu einer Überproduktion von Stress-Hormonen kommt, ist noch nicht bekannt. Sowohl lebensgeschichtliche Erfahrungen als auch die genetische Disposition scheinen beteiligt zu sein, wenn jemand in einer Belastungssituation so reagiert.
Die Bedeutung genetischer Faktoren hat Jürgen Christian Krieg an unserem Institut nachgewiesen. Seine Arbeitsgruppe untersuchte das Stress-Hormonsystem gesunder Mitglieder von Fami-lien, in denen Depressionen aufgrund genetischer Belastung besonders häufig auftreten. Überraschenderweise reagierten diese Regelkreise bei einer Reihe der Personen auf eine Weise, wie sie ähnlich bei Patienten mit Angst und Depression häufig zu beobachten ist.
Dies deutet auf eine angeborene Verletzbarkeit des Stress-Hormonsystems bei familiärer Disposition für psychische Störungen hin: Es entgleist, wenn psychische Überforderungen sich zu oft wiederholen; im Gehirn wird dann eine Kaskade komplexer biochemischer Prozesse ausgelöst, die letztlich die Krankheitssymptome verursachen. Möglicherweise ergibt sich aus diesen Befunden ein Weg zur Primärprävention psychischer Leiden.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1993, Seite 97
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