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Zusammenarbeit auf hohem Niveau

Vor zehn Jahren, am 10. November 1989, unterzeichneten die Forschungs- und Außenminister Polens und der Bundesrepublik Deutschland in Warschau ein Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit. Eine Bestandsaufnahme zeigt, wie vielfältig und partnerschaftsfördernd die Kooperationen geworden sind.


Das Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zählt zu den soliden Grundlagen einer Kooperation zwischen den beiden Nachbarländern. Im Rahmen dieses Vertrages haben polnische und deutsche Forscher im vergangenen Jahr insgesamt 91 Projekte gemeinsam durchgeführt. Da-bei lagen die Schwerpunkte eindeutig auf der physikalischen Grundlagenforschung: 23 Prozent der Projekte und 44 Prozent der Mittel entfielen auf sie.

Zum größten Teil außerhalb des Abkommens blüht aber eine Fülle von geistes- und sozialwissenschaftlichen gemeinsamen Vorhaben und Aktivitäten. Über den gegenwärtigen Stand der deutsch-polnischen Forschungskooperation konnten sich Mitglieder der deutschen Wissenschafts-Pressekonferenz während einer zweiwöchigen Reise zu Universitäten und Institutionen in Krakau, Gleiwitz, Breslau, Warschau und Danzig informieren.

Eines der wichtigsten wissenschaftspolitischen Ziele der polnischen Regierung ist die volle Teilnahme am 5. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union. Seit Mitte 1999 ist Polen assoziiertes Mitglied der EU. Da Deutschland – nach den USA – der zweitwichtigste Forschungspartner Polens ist, soll die Zusammenarbeit beider Länder anwendungsorientierte Disziplinen wie Materialforschung, Umweltforschung und -technik, Informationstechnologie sowie Biowissenschaften einschließlich Gesundheitsforschung stärker berücksichtigen. Zudem bereiten das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das ihm entsprechende polnische Komitee für wissenschaftliche Forschung (KBN) eine Zusammenarbeit bei sozio-ökonomischen Themenfeldern vor. Derzeit sind 417 Kooperationen zwischen deutschen und polnischen wissenschaftlichen Einrichtungen im Gange, daran beteiligt sind 43 Hochschulen und 39 andere Institutionen in Polen.

Die länderübergreifende Zusammenarbeit wird freilich durch finanzielle Engpässe erschwert. Wissenschaftsminister Andrzeij Wiszniewski, Präsident des für die Forschungsfinanzierung zuständigen KBN, sieht sie als Hauptproblem der polnischen Wissenschaft. Nach einer drastischen Reduzierung der Forschungsmittel in den letzten Jahren auf weniger als 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird jetzt wieder auf leichte Steigerungen gehofft. Doch nach wie vor sind polnische Wissenschaftler schlecht bezahlt; entsprechend viele wandern ins Ausland ab.

Ein Schwerpunkt der aktuellen Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland ist der Forschungsverbund für Umwelttechnik, Prozeßsicherheit und rationelle Energieanwendung, nach der englischen Bezeichnung International Cooperation on Research in Environmental Protection, Process Safety and Energy Supply kurz INCREASE genannt. In den beiden Ländern sind jeweils acht Institute daran beteiligt. In Polen koordiniert das Institut für Verfahrenstechnik der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Gleiwitz die Forschungen, in Deutschland das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen. Zunächst will dieser Verbund Erfahrungen in der bilateralen Zusammenarbeit sammeln. Die dafür zuständige Direktorin Ludgarda Buzek will dies nur als Vorstufe für ein Modell intensiver multilateraler Kooperation im EU-Rahmen verstanden wissen.

Im Interdisziplinären Zentrum für mathematische Computermodellierung der Universität Warschau konzentrieren sich die Forscher auf theoretische Untersuchungen und aufwendige Computersimulationen von naturwissenschaftlichen Systemen wie biomolekulare Vorgänge, räumliche Strukturen komplexer Systeme und angewandte nichtlineare Analyse. So haben sie in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wetterdienst ein Verfahren zur 48-Stunden-Wetterprognose für Mitteleuropa entwickelt, dessen Zuverlässigkeit sehr hoch ist; unter http://meteo.icm.edu.pl ist diese Vorhersage für jedermann im Internet zugänglich.

Mit zahlreichen deutschen Instituten kooperiert das Hochdruck-Forschungszentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in den Gebieten Festkörperforschung und Kristallzüchtung. Im Rahmen des Schwerpunkts Materialforschung innerhalb des Abkommens über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit wird gemeinsam mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY und der Universität Hamburg die atomare Symmetrie verschiedener keramischer Metalle charakterisiert und modelliert. Ziel ist die Herstellung ultraharter Nano-Keramiken.

Das Institut für Automatik und Robotik der Technischen Universität Warschau und das Institut für Mikrosystem-Technologie, Mechatronic und Mechanik der Universität Ilmenau veranstalten im jährlichen Wechsel deutsch-polnische Seminare über die Fortschritte in der Mechanik. In der Entwicklung von Regelungsantrieben für pneumatische Positionierantriebe arbeitet das Warschauer Institut mit dem Institut für Fluidtechnik der TU Dresden zusammen. Im Europäischen Copernicus-Projekt zur Fehlerdiagnose von Maschinen ist das Warschauer Institut Partner vieler europäischer Einrichtungen. Im Institutsgebäude sind auch Niederlassungen einschlägiger deutscher Firmen untergebracht.

Die Neuropsychologie der menschlichen Sprache, speziell die Zeitaspekte der Informationsverarbeitung, gehört zu den Themen der Forschergruppe um Elz·bieta Szelag am Nencki-Institut für experimentelle Biologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau. Die ehemalige Humboldt-Stipendiatin arbeitet seit Jahren mit dem Team von Ernst Pöppel am Institut für Medizinische Psychologie und Humanwissenschaftlichen Zentrum der Universität München zusammen. Der Leiter des Warschauer Instituts, Maciej J. Nalecz, bedauert, daß viel weniger Deutsche in Polen forschen als Polen in Deutschland. Zwischen 1991 und 1998 waren insgesamt 142 polnische Wissenschaftler aus dieser Einrichtung in Deutschland tätig. Aber nur 24 deutsche Forscher arbeiteten in diesem Zeitraum am Nencki-Institut, das sich neben der Neurophysiologie auch mit Fragen der Zellbiologie und -biochemie beschäftigt. Außerdem baut es in Zusammenarbeit mit der UNESCO ein Internationales Institut für Molekular- und Zellbiologie auf.


Beispielhafte Beziehungen


Der Direktor des Ludwik Hirszfeld-Instituts der Polnischen Akademie der Wissenschaften für Immunologie und experimentelle Therapie in Breslau, Andrzej Górski, ist stolz auf die moderne Geräteausstattung in seinen Labors. Das Institut konzentriert sich auf Thymusforschung, chemische Immunologie, Knochenmarktransplantation, Blutgruppenbestimmung und die Entwicklung einer Bakteriophagen-Therapie als Alternative zur herkömmlichen Antibiotika-Behandlung. Viele Projekte werden gemeinsam mit deutschen Forschern durchgeführt. Für die Arbeiten an Mausmutanten als Modelle für die klinische Forschung erhielt Pawel Kisielow vom Breslauer Institut zusammen mit Harald von Boehmer in Basel und Klaus Rajewski in Köln 1997 den deutschen Körber-Preis für die europäische Wissenschaft.

Die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Polen und Deutschland begannen nicht erst nach der Wende von 1989. Zwischen 1953 und 1998 erhielten insgesamt 1025 Polen ein Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH); nur aus den weit größeren außereuropäischen Ländern USA, Japan und Indien kamen mehr AvH-Stipendiaten. Im Jahre 1958 erhielt zum ersten Mal eine polnische Wissenschaftlerin ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Bis 1990 unterstützte dieser fast 11000, bis 1997 weitere 17000 polnische Hochschullehrer und Studierende, unter anderem bei Studien- und Forschungsaufenthalten sowie bei der Teilnahme an Kongressen und Praktika in Deutschland. Polen zählt also zur Spitzengruppe der Länder, mit denen sowohl die AvH als auch der DAAD intensive Beziehungen pflegen.

Das für Polen größte DAAD-Programm ist die Förderung der Partnerschaftsabkommen zwischen deutschen und polnischen Hochschulen. Daran haben bisher über 10000 Personen teilgenommen. Den Anfang machten 1978 die Universitäten Bonn und Warschau. Seit 1996 bietet die deutsche Rechtsschule in Warschau einjährige Kurse für deutsches und europäisches Recht an. Die Bewerber müssen dafür einen Eignungstest in deutscher Sprache bestehen. Dabei ist der Mangel an Deutschlehrern schmerzlich und stößt auf Verwunderung: Warum erhalten wir trotz der Arbeitslosigkeit keine Lehrer aus Deutschland? fragte ein Wissenschaftler.

Die Vermittlung von zur Zeit 26 Lektoren der deutschen Sprache, Literatur und Landeskunde ist eines der wichtigsten Programme des DAAD. Er unterhält seit Ende 1997 eine Außenstelle in Warschau. Die deutsche Sprache hat mittlerweile in der Wissenschaft die Rolle des Russischen übernommen. Freilich: In den Natur- und Ingenieurwissenschaften ist Englisch "die" Wissenschaftssprache schlechthin.

Andererseits bieten viele Universitäten in Polen wie in Deutschland polnische Sprachkurse an. Denn Kenntnisse beider Sprachen sind in vielen Forschungsrichtungen der Geistes- und Sozialwissenschaften unentbehrlich. Aktuell werden hier die Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa untersucht. Historisch begründet ist die Beschäftigung mit Problemen ethnischer Minderheiten. Die von Deutschen stark mitgeprägte Geschichte großer Landesteile – vom ehemals österreichischen Galizien über Schlesien bis Pommern, Danzig und den Masuren – ist ein dritter Grund, weshalb die Sprache des jeweiligen Partners an den Hochschulen beider Seiten immer mehr gepflegt wird.

Ein besonderes Schmuckstück der universitären geistes- und sozialwissenschaftlichen Kooperation beider Länder ist die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) mit dem Collegium Polonicum, das sie gemeinsam mit der Adam-Mickiewicz-Universität Posen in Slubice, durch die Oderbrücke mit Frankfurt verbunden, unterhält (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Februar 1997, S. 98). Geistes- und sozialwissenschaftliche Lehrveranstaltungen werden zum Teil in Polnisch gehalten, die Forschungsarbeiten befassen sich mit der Transformation des Nachbarlandes, und viele Professoren sowie ein Drittel der Studierenden sind Polen. Die Kulturwissenschaftliche Fakultät der Viadrina hat am Collegium Polonicum einen Masterstudiengang "Vergleichende Mitteleuropastudien" eingerichtet. Dessen Konzept berücksichtigt, daß die Integration der Länder Ostmitteleuropas in die Strukturen von Europäischer Union und NATO nicht nur die politische und wirtschaftliche Bedeutung dieser Region erhöht, sondern auch eine kulturelle Herausforderung für die Partner im Westen bedeutet.


Umfangreiche Forschung zum Verhältnis von Polen und Deutschen



In Krakau befassen sich am Historischen Institut der Jagiellonen-Universität Professoren wie Jan Rydel, Zenon Piech und Jan Piroz´yn´ki unter anderem mit den engen Beziehungen zu Deutschland seit dem Mittelalter – Krakau hatte einst das Magdeburger Stadtrecht angenommen –, mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts im allgemeinen und dem Verhältnis von Polen, Juden und Deutschen sowie den deutschen Denkmälern im speziellen. Rydel beispielsweise ist dem Schicksal vieler der rund einer Million Polen nachgegangen, die nach 1945 als displaced persons in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands zurückgeblieben waren. Er zählt auch zu den Herausgebern eines zweimal jährlich von der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund veröffentlichten wissenschaftlichen Informationsdienstes für deutsch-polnische Beziehungen namens "Inter finitimos". Deutsche und polnische Wissenschaftler berichten darin über ihre geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungen unter anderem zum Verhältnis von Deutschen, Polen und Juden; vorgestellt werden ferner Forschungseinrichtungen und die einschlägige Literatur.

Eine bedeutende Rolle spielt das Deutsche Historische Institut Warschau. Wie die entsprechenden Einrichtungen in Rom, Paris, London und Washington wird es vom BMBF finanziell getragen. Es erforscht die deutsch-polnischen Beziehungen, vergibt Stipendien, unterhält eine umfangreiche Bibliothek und erbringt generell Serviceleistungen für Wissenschaftler beider Länder. Eine Untersuchung zum Schicksal polnischer Frauen und Männer, die während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland Zwangsarbeit verrichten mußten, ist diesen Herbst erschienen. Klaus Ziemer, der Direktor des Deutschen Historischen Instituts Warschau und gleichzeitig Politologie-Professor an der Universität Trier, will vor allem ein noch nicht existierendes "Geflecht" zwischen der deutschen und der polnischen Gesellschaft herstellen und stärken.

Diesem Ziel dient auch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, die – wie das Regierungsabkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit – auf eine Gemeinsame Erklärung der beiden Regierungschefs vom November 1989 zurückgeht. Damals wurde vereinbart, daß Polen ein großer Teil seiner Schulden aus einem deutschen "Jumbo"-Kredit des Jahres 1975 erlassen wird, der Rest von 570 Millionen Mark aber in zehn Jahresraten der Stiftung als Kapital zur Verfügung gestellt wird. Sie unterstützt Projekte zum Jugendaustausch und Umweltschutz, die Ausbildung von Wirtschaftsfachleuten, die Arbeit von Kulturinstituten, gemeinsame Forschungsprojekte, die Förderung der deutschen Sprache, die Restaurierung und Erhaltung von Kulturdenkmälern und Gedenkstätten sowie nichtstaatliche Einrichtungen insbesondere des Gesundheitswesens vor allem in den ehemals deutschen Gebieten.

Auch die Erstausstattung der viel benutzten Bibliothek des Herder-Zentrums der Universität wurde mit Projektmitteln der deutsch-polnischen Stiftung finanziert. Das seit fünf Jahren bestehende Zentrum wird von der Herder-Stiftung getragen, an der Deutschland und die Universität Danzig beteiligt sind. Auch ihre Ziele sind Jugend- sowie wissenschaftlicher und kultureller Austausch sowie die Förderung der deutschen Sprache.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 100
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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