Israel: 3000 Jahre altes Sozialgesetz
"Schaffe Recht dem Sklaven und der Witwe, schaffe Recht der Waisen und dem Fremden! Verteidige das Recht des Unmündigen, verteidige das Recht des Armen!" Belegt dieser Text auf einem Tontäfelchen, dass es im alten Israel schon vor 3000 Jahren Sozialgesetze zum Schutz gesellschaftlich Schwächerer gab? Nach Ansicht von Reinhard Achenbach, ja.
Der Alttestamentler von der Universität Münster hat die älteste bekannte hebräische Inschrift genauer unter die Lupe genommen: Bereits 2008 hatten Archäologen die Tonscherbe beim Stadttor von Khirbet Qeiyafa, einer antiken Stadt des Königreichs Judäa nahe der Grenze zu den Philistern, entdeckt. Die Schreibweise des fragmentierten fünfzeiligen Texts entspricht Experten zufolge Schriften des 10. Jahrhunderts v. Chr. Achenbach verglich nun nicht nur die bisherigen Deutungen, sondern suchte auch nach ähnlichen Phrasen in der hebräischen Bibel sowie im Alten Testament. Etwa in Sacharja Kapitel 7, Vers 9 bis 10, wo es heißt: "Also sprach der Herr Zebaoth: Richtet Recht, und ein jeglicher beweise an seinem Bruder Güte und Barmherzigkeit; und tut nicht Unrecht den Witwen, Fremdlingen und Armen."
Wie Achenbach erklärt, galt bereits im alten Ägypten der ethische Leitsatz, den Besitz von Witwen und Waisen zu sichern. Quelle hierfür sind ägyptische Weisheitslehren und Rechtstraditionen aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr., die schon die gleichzeitige kanaanitische Stadtkultur beeinflusst hatten. Hierzu zählte auch, dass Beamte und Schreiber häufig ihren Amtssitz nahe den Stadttoren einnahmen – dort war auch in Khirbet Qeiyafa besagte Scherbe zum Vorschein gekommen. "Unser heutiger Grundsatz, Ausländern vor Gericht Rechtsschutz zu gewähren und sozial Benachteiligte im Sozialstaat zu schützen, reicht also weit in die altorientalische Zeit zurück", betont Achenbach.
Den Text hatte vermutlich ein Schüler während seiner Ausbildung zum königlichen Beamten von einer Vorlage auf das Tontäfelchen abgeschrieben. Derartige Vorlagen dienten offenbar dazu, Beamte zu unterweisen, die im Namen des Königs in den Städten die Verantwortung für die Rechtsprechung übernahmen.
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