Landwirtschaft: Fisch statt Schwein
Es ist eine fixe Idee, ein spannendes Experiment. Im Fokus steht ein Fisch, der Barramundi. Was ihn so besonders macht? Er benötigt nur ein Drittel der Futtermenge des Zuchtlachses. Dabei sind die Tiere genauso nährstoffreich wie jene rosafarbenen Fische. Selbst die Menge der für die menschliche Gesundheit so hoch gehandelten Omega-3-Fettsäuren ist identisch mit der des Lachses. Für die Herstellung von einem Kilogramm Schweinefleisch sind 2400 Liter Wasser nötig. Beim Barramundi ist es nur ein Bruchteil, nämlich 60 Liter.
Farmer in Südostasien holzen hunderte Kilometer Mangrovenwald ab. In Lachsfarmen kommt es zum Ausbruch von Seeläusen. Und beim Lachs, der in großen Ponds vor der Küste Chiles gehalten wird, sinken die verfütterten und nicht gefressenen Fischpellets auf den Meeresboden ab. Das führt zur Eutrophierung, also einer Algenblüte. Der Barramundi scheint die bessere Wahl. Er benötigt weder Antibiotika noch Hormone. So die Theorie. Doch wie sieht die Praxis aus?
Blicken wir nach Iowa und lassen uns dort von Familie Nelson erklären, was auf ihrem Grundstück vor sich geht. Im Oktober beginnt hier, in der US-Kornkammer, die Ernte. Dann poltern riesige Erntemaschinen über die Felder und ernten Tonnen von Mais. Die Farmer züchten neben den gelben Körnern Sojabohnen; als Tiere halten sie Schweine und Kühe. Nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt wird gerade eine andere Ernte eingeholt: Nelsons Barramundi. Vor gut sechs Jahren kam Mark Nelson auf die Idee, Fische zu züchten. 2009 sah der auf einem Schweinekongress einen Futterspender über einem Fischpool – es sollte eine Anregung sein für die Schweinezüchter für andere Geschäftsmodelle – und kam so auf die Idee, seinen leeren Teich zu bevölkern. Drei Jahre machte sich der Amerikaner schlau und las viel über Aquakultursysteme. Ein Jahr nach dem Zuchtstart begann Mark Nelson, erste Fische zu verkaufen.
Perfekte Kandidaten für die Fischzucht
Die Rechnung ist einfach: Um ein Kilogramm Schweinefleisch zu produzieren, sind drei Kilogramm Weizen nötig – und 2400 Liter Wasser. Das kostet viel Geld. Um ein Kilogramm Barramundi herzustellen, werden nur zwei Pfund Weizen und knapp 60 Liter Wasser investiert. Beim Verkauf bringt das Pfund vier bis fünf US-Dollar. Beim Schweinefleisch sind es nur 3,70 Dollar. Die neuen Zuchtfische stammen ehemals aus Australien und leben in Süßwasserflüssen. Brennt die Sonne im Sommer vom Firmament, trocknen die fast zu Rinnsalen aus. Die Tiere überleben in kleinsten Wasserlöchern – mit geringem Sauerstoffgehalt. Der Clou: Ein niedriger Sauerstofflevel in der Aquakultur bereitet ihm keine Probleme. Daher kürte das US-Magazin "Time" die Tiere vor einigen Jahren zum perfekten Kandidaten für die Fischzucht.
Heute toben gut 100 000 silbrig glänzende Barramundi durch die großen, grünen Plastikbassins der Familie Nelson. Es ist eine Spezies, die in etwa so groß wie Lachse heranwächst und deren weißes Fleisch so ähnlich wie das des Red Snapper schmeckt. Die US-Fische werden in Plastikbeutel mit Wasser gesteckt und als Babys aus Australien in die USA geflogen. Das geschieht 17 Tage nach dem Schlüpfen. Bei den Nelsons verbringen sie ihre Jugend immer gegen einen starken Strom schwimmend in den Tanks. Wenn die Barramundis ein Kilogramm schwer sind, werden sie geschlachtet und frisch an Restaurants und Märkte geliefert. Oder filetiert und schockgefroren.
Es scheint, als ob auch den Farmernachbarn die Idee einer Fischzucht gefällt. Über 150 Firmen haben laut Nelson Interesse gezeigt, es einmal damit zu versuchen. Es klingt fast wie eine kleine, amerikanische Revolution. Und: Die Exschweinezüchterfamilie war nicht nur bei den Nachbarn überzeugend. Vor drei Jahren kauften kanadische Investoren die Firma. Ab da hieß sie VeroBlue Farms. Heute führen die Nelsons immer noch ihr Exunternehmen. Doch mit der mächtigen Finanzkraft der reichen Geldgeber möchten sie nun zu Nordamerikas größter Landfischfarm gedeihen. Ungefähr fünf Millionen Barramundi sollen es bald sein – das wäre mehr, als bei jedem anderen US-Hersteller.
Mehr als die Hälfte aller Meeresfischpopulationen vernichtet
Ihre Zuchtidee ist kein Trugschluss. Führende Wissenschaftler glauben, dass wir deutlich mehr Farmen wie die in Iowa brauchen, um unseren Hunger nach Frischfisch zu stillen. In einem WWF-Bericht von 2015 heißt es, dass wir seit 1970 mehr als die Hälfte aller Meeresfischpopulationen vernichtet haben. Im Papier stehen die Gründe dafür: Umweltverschmutzung, der industriell betriebene Fischfang und die Klimaveränderung tragen dazu bei. Laut der Vereinten Nationen sind zurzeit gut 30 Prozent der weltweit kommerziell genutzten Wildfischarten überfischt (pdf).
"Neun von zehn Beständen sind entweder überfischt oder lassen keine Steigerung mehr zu", sagt Meeresbiologe Thilo Maack von Greenpeace. "Wir können den weltweiten Bedarf mit Wildfisch nicht mehr decken." Mehr als die Hälfte der verkauften Fische stamme aus Aquakulturen. Die Barramundi-Zucht in Iowa hält er für empfehlenswert: "Das System macht auf mich einen sinnvollen Eindruck." Und Maack weiter: "Das Problem vieler konventioneller Aquakulturen ist, dass mehr Fisch gefüttert werden muss, als später an Ertrag geerntet werden kann." Außerdem seien geschlossene Systeme sinnvoll. Ausbrüche von Tieren ließen sich so, neben der Verbreitung von Krankheiten sehr gut vermeiden.
Das in der Anlage genutzte Wasser wird zu gut 90 Prozent in der VeroBlue Farm immer wieder aufbereitet. Die restlichen Liter fließen auf die Felder der Umgebung. Eine Art überdimensionierter Föhn lässt das Wasser zirkulieren und versorgt es mit Sauerstoff. Das Wasser wird durch Filter geführt, in denen Bakterien aus dem Fischkot Nitrate produzieren. Jenes innovative System kaufte die Familie von Rick Sheriff, der in den 1980er Jahren die Idee dazu hatte. Mit seinem Ansatz werden auch die unbrauchbaren Fischexkremente ausgewaschen – und die Tanks reinigen sich selbst.
Anlage für zehn Prozent der Kosten
Die meisten Aquakulturtanks benötigen das Reizgas Ozon und elektrische Pumpen. Ohne das teure Equipment verbraucht das System achtmal weniger Energie. Im Gegensatz zu normalen Anlagen schrumpfen die Kosten auf zehn Prozent. Besondere Lampen simulieren täglich sechs Sonnenauf- und -untergänge. Mit diesem Trick fressen die Tiere mehr – und wachsen schneller. Wird das Licht angeknipst, stellen sich die Fische auf Futter ein. Die verfütterten Pellets bestehen aus Abfallprodukten aus der Hähnchenzucht.
Hintergrund: Vor den Küsten Perus und Chiles werden jährlich zwischen fünf bis sechs Millionen Tonnen Anchovis gefangen, die fast vollständig zu Fischmehl verarbeitet werden. Doch die Firma, die die Pellets für die Barramundis herstellt, experimentiert mit Mehl, das ganz ohne Fisch auskommt. An seine Stelle treten Insektenlarven, Algen oder Nussabfälle. So will man die Anchovis bald komplett ersetzen.
Barramundis werden bis zu 20 Jahre alt. Es sind wundersame Tiere, denn mit fünf Jahren ändern sie das Geschlecht von männlich zu weiblich. Vielleicht sind Fischfarmen die letzte Chance, das bunt schimmernde Leben in den Weltmeeren zu retten. Woher soll sonst der Fisch kommen, den wir essen? Es scheint, als hätte man 1000 Meilen vom Atlantik entfernt einen schlauen Ansatz für die Lösung des gewaltigen Problems gefunden.
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