Kosmologie: Hier entsteht gerade ein Planetensystem
In rund 1300 Lichtjahren Entfernung entsteht im Sternbild Orion knapp links oberhalb des Gürtels des Himmelsjägers gerade ein neuer Stern – und mit ihm ein Planetensystem: Beobachtungen mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in Chile zeigen, dass der junge Protostern Herbig-Haro 212 (HH 212) von einer großen Akkretionsscheibe umgeben ist, in der sich Gas und Staub aus der protostellaren Wolke ansammelt. Diese frühe protoplanetare Scheibe trägt damit schon die Zutaten für künftige Welten in sich – und hält einige Überraschungen bereit.
Die Forscher um den Astronomen Chin-Fei Lee vom Academia Sinica Institute of Astronomy and Astrophysics (ASIAA) in Taiwan bezeichnen das System gerne als "Space Hamburger": Auf Grund seiner Ausrichtung im Himmel blicken wir nämlich fast genau auf die Kante der Gas- und Staubscheibe, und somit wirkt die Verdichtung in der zentralen Ebene wie ein (etwas flacher) Fleischbratling zwischen zwei Brötchenhälften. In diese Scheibe fließt Material aus einer deutlich größeren, umgebenden Wolke ein und rotiert um den Protostern wie eine Schallplatte auf dem Plattenteller.
Das Zentralgestirn HH 212 ist lediglich rund 40 000 Jahre alt, womit auch die protoplanetare Scheibe noch in den Kinderschuhen steckt: Ihre dichtesten Bereiche haben nur einen Radius von etwa 60 Astronomischen Einheiten (AE) – erstrecken sich damit doppelt so weit wie der Bahnradius von Neptun. Bereits weiterentwickelte Scheiben können dagegen Radien von 1000 AE erreichen.
Die Forschergruppe untersuchte unter anderem die zwei lang gezogenen Jets, die der junge Stern entlang der Rotationsachse ausstößt, während er sich Materie aus der Scheibe einverleibt. Diese Gasauswürfe finden nicht gleichmäßig statt, sondern sie variieren mit der Zeit: Wie Kugeln aus einer Pistole schießen in unregelmäßigen Abständen dichtere Materiehaufen aus dem Inneren des Systems. Insgesamt erstrecken sich die Jets über weit mehr als ein Lichtjahr.
Spektroskopische Beobachtungen enthüllten nun, dass die Gasauswürfe um ihre Längsachse rotieren, und zwar in dieselbe Richtung wie die Akkretionsscheibe. Die Jets entfernen also beträchtliche Teile des Drehmoments aus dem System. Dies hatten Wissenschaftler schon lange vermutet, da Planetensysteme sonst kaum entstehen könnten: Das einfließende Material aus der umliegenden Molekülwolke würde zu schnell rotieren, als dass es bis nahe an den Stern vordringen und die für die Planetenentstehung nötigen Dichten erreichen könnte. Lee und seinen Kollegen gelang nun der erste Nachweis dieses Prozesses – zusammen mit einer Forschergruppe um den Japaner Tomoya Hirota, die ein ähnliches Phänomen quasi zeitgleich bei einem weiteren Protostern im Orionnebel beobachteten.
Doch damit nicht genug: In ihrer neuesten Veröffentlichung berichtet Lees Gruppe von komplexen organischen Molekülen, die sie in der "Atmosphäre" um die Akkretionsscheibe von HH 212 entdeckten. Darunter sind uns so gut bekannte chemische Substanzen wie Methanol (CH3OH) und Formamid (NH2CHO), die als wichtige Vorläufer für die Entstehung von Biomolekülen wie Aminosäuren und -zucker gelten. In den Beobachtungen verrieten sich die Moleküle durch ihre charakteristischen Spektrallinien; so zeigte sich, dass sie hauptsächlich in den Regionen direkt über- und unterhalb der Staubscheibe vorkommen, und größtenteils bei Entfernungen um 40 AE vom Protostern.
Zwar wurden solche chemischen Substanzen schon früher in protoplanetaren Scheiben nachgewiesen, aber nie um einen so jungen Protostern, erklärt Lee: "Diese Moleküle sind die Grundbausteine für Leben, und sie finden sich schon in der frühesten Phase der Sternentstehung in der Scheibenatmosphäre um den Babystern." Die theoretischen Modelle der Astronomen lassen vermuten, dass die Moleküle nicht etwa aus der umliegenden molekularen Wolke einflossen, sondern erst in den warmen Regionen knapp über- und unterhalb der Scheibe entstanden.
Bis sich um HH 212 erste Welten tummeln, werden noch viele tausend Jahre vergehen. Auch bis zu einem vollständigen Verständnis der Entstehung von Planeten und möglichem Leben auf ihnen ist es noch ein weiter Weg – der "Space Hamburger" bietet aber ein perfektes Anschauungsobjekt für die Geburtsstunde von Systemen wie dem unseren.
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