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Bronzezeit: Das mächtige Troja Schicht für Schicht erkundet

Vor 150 Jahren begann Heinrich Schliemann mit den Ausgrabungen in Troja. Ein gewagtes Unterfangen, denn die Landschaft galt zwischenzeitlich als Mythos der Literatur. Lesen Sie hier erneut, wie Archäologen Troja erforschen.
Die Ruinen des Terrassenhaus

Für Griechen und Römer stand es außer Frage, dass "Ilias" und "Odyssee", die Epen des griechischen Dichters Homer, keine Fiktion waren, sondern die kunstvolle, aber korrekte Schilderung eines epochalen Kriegs. Auch über den Ort herrschte weitgehend Konsens: Troja war ein Ruinenhügel nahe den Dardanellen, der Engstelle zwischen Ägäis und Marmarameer. Bis in die Neuzeit galten die Epen als Geschichtswerke, erst der deutsche Altphilologe Friedrich August Wolf hinterfragte 1795 ihre Entstehung, bis sie schließlich nur noch als literarische Verarbeitung eines Mythos galten.

Daher war es ein gewagtes Unterfangen, als Heinrich Schliemann (1822-1890) den Spaten auf dem "Burghügel" ansetzte, türkisch Hisarlık. Denn mit den Mitteln der damals noch jungen Archäologie wollte er allen Unkenrufen zum Trotz beweisen: Homers Werke haben einen historischen Kern, und die Ruinen über den Dardanellen sind die Überreste Trojas. Der gelernte Kaufmann hatte unter anderem mit der Lieferung von Munitionsrohstoffen an die zaristische Armee ein Vermögen verdient; nun setzte er es ein, um seiner Leidenschaft für das Altertum zu frönen. Gut 150 Jahre später, nach Abschluss und Auswertung umfangreicher internationaler Grabungsprojekte, steht der letzte Beweis noch immer aus. Sicher ist, dass jene Burg samt der angrenzenden Siedlung ein politisches und wirtschaftliches Zentrum der späten Bronzezeit war. Sicher ist ebenso, dass beide im Zuge gewaltsamer Ereignisse tatsächlich zerstört wurden, vermutlich sogar mehrmals. Dabei könnten Invasoren vom griechischen Festland – Homers Achaier – durchaus eine Rolle gespielt haben, möglicherweise auch die unter dem Begriff Seevölker subsumierten Gruppen, die um 1200 v. Chr. zum Untergang der bronzezeitlichen Großreiche beitrugen. Nicht auszuschließen sind des Weiteren lokale Konflikte und Revolten.

Falls der Trojanische Krieg Realität war, so wütete er in ferner Vergangenheit. Schliemann vermutete seine Spuren daher tief unter jüngeren Schichten; mit diesem Ansatz legte er die Grundlagen der archäologischen Stratigrafie. Hunderte Arbeiter schlugen ab 1870 einen 20 Meter breiten Graben durch den Hügel. Direkt auf dem Grundgestein kamen in der untersten Siedlungsschicht Troja I lediglich Hinweise auf ein unscheinbares Dorf zum Vorschein, das nach heutiger Kenntnis um 3000 v. Chr. gegründet wurde. Darüber aber stießen die Männer auf die Mauern einer wohl von einer Feuersbrunst zerstörten Festung. Diese Schicht (Troja II) barg zudem spektakuläre Goldfunde. Schliemann glaubte sich bereits am Ziel und sprach vom "Schatz des Priamos". Heute wissen wir, dass er rund 1000 Jahre zu alt ist, um aus Homers Troja zu stammen.

Schliemann hatte seinen Fehler wahrscheinlich selbst noch erkannt. Weil er den Goldschatz ohne Genehmigung außer Landes brachte, durfte er eine Zeit lang in der Türkei nicht weiterarbeiten. Er wich auf Mykene aus, der Sage nach Residenz des Königs Agamemnon, des Heerführers der Koalition gegen Troja. Die mykenische Kultur galt als bester Kandidat für Homers Achaier. Doch was Schliemann dort ans Licht brachte, unterschied sich deutlich von seinen Funden aus Troja II; beide konnten also nicht der gleichen Zeitstufe angehören. Nach seiner Rückkehr auf den Hisarlık entdeckte der Deutsche andererseits mykenische Keramik – in der Siedlungsschicht Troja VI (1750-1300 v. Chr.). Sein Mitarbeiter und Nachfolger Wilhelm Dörpfeld (1853-1940) hielt diese für den Schauplatz des Krieges. Der amerikanische Archäologe Carl W. Blegen, der in den 1930er Jahren auf dem Hisarlık grub, verlegte die Festung des Königs Priamos auf Grund seiner Baubefunde um eine Schicht nach oben, also nach Troja VIIa (1300-1200/1180 v. Chr.).

International das Archäologenteam, interdisziplinär der Forschungsansatz

Ein internationales Team ging 1987 unter Leitung des Tübinger Archäologen Manfred Korfmann und seit 2005 unter der von Ernst Pernicka erneut zu Werk. Im Fokus stand nun die Erforschung der spätbronzezeitlichen Unterstadt, was das Gesamtbild des Orts völlig veränderte. Amerikanische Archäologen unter Leitung von Charles Brian Rose von der University of Pennsylvania in Philadelphia erkundeten erstmals auch das Troja der griechischen und römischen Antike. 2012 endete das Projekt, eine Gesamtpublikation der Ergebnisse ist in Arbeit. Inzwischen führt ein türkisches Team die Grabungen in geringerem Umfang fort.

Die Gräben Trojas | Zwei Gräben markierten vermutlich die Grenzen der Unterstadt in den Phasen Troja VI und VIIa.

Naturwissenschaftliche Untersuchungen von Pflanzen- und Tierresten, Keramik, Metall und anderem haben neue Erkenntnisse zur Ernährung und Wirtschaftsweise erbracht. Geophysikalische Prospektionen und archäologische Sondagen veränderten die Vorstellung über Struktur und Ausmaße des Orts. Hunderte Bohrkerne halfen, die Veränderungen der Landschaft zu rekonstruieren, insbesondere der Küstenlinie und der Flussläufe. Grabungen in der Umgebung erschlossen die Besiedlungsgeschichte.

Freilich lässt die griechische Überlieferung niemanden unberührt, der auf dem Hisarlık gräbt. Denn wer Homer liest, erkennt die von ihm beschriebene Szenerie mit ihren Flüssen, Bergen und vorgelagerten Inseln sofort wieder. In Details wich er zwar ab, doch schon Schliemann notierte vier Jahre nach Grabungsbeginn (gekürzt): "Homer ist nun einmal kein Historiker, sondern ein Dichter, und man muss ihm die Übertreibung zugutehalten." Mit diesem kritischen Blick aber kam bislang noch jeder Ausgräber zu dem Schluss: Homers Beschreibungen passen zum Hisarlık.

Es besteht also kein Anlass, Troja andernorts zu suchen, wie es gelegentlich medienwirksam versucht wird. Zwar gab es entsprechende Anstrengungen schon in der Antike, doch die waren wohl eher lokalpatriotischer Eifersucht geschuldet. Der Geograf Strabon (etwa 63 v.-23 n. Chr.) schrieb zum Beispiel, dass Ilion – Homers zweiter Name für den Ort –, nicht jenes griechische Ilion an den Dardanellen sei, sondern weiter landeinwärts bei einem Dorf der Ilier gelegen haben müsse. Strabon zitierte als Beleg die Gelehrte Hestiaia, der zufolge die Ebene vor Ilion erst nach besagtem Krieg durch Flussablagerungen in einer Meeresbucht entstanden sei. Wo also hätten die Heere miteinander kämpfen sollen? Die jüngsten Forschungen bestätigen tatsächlich die Auffüllung der Bucht, würden aber für die fragliche Zeit rund um den Burghügel noch genug Raum lassen. Pikanterweise stammte Hestiaia wohl aus einer mit Ilion konkurrierenden Stadt. Übrigens hatte auch Schliemann zunächst einige Kilometer weiter südlich nach Troja gesucht, bis ihn Frank Calvert, ein an den Dardanellen lebender Brite, auf den Hisarlık hinwies. Wie der später als Entdecker von Troja gefeierte Schliemann war er vom Altertum begeistert, doch fehlten ihm die Mittel für größere Ausgrabungen.

Natürlich wäre es großartig, eine beschriftete Tontafel aus der Bronzezeit in Troja zu Tage zu fördern, die den Namen des Orts nennt. Im mykenischen und hethitischen Kulturraum kommt so etwas gelegentlich vor. Tatsächlich gibt es aber aus ganz Westkleinasien bisher kaum vergleichbare Funde. War die Verwaltung dort nicht so weit entwickelt? Dies lässt sich leider nicht beantworten. Möglicherweise wurden lediglich vergänglichere Schriftträger wie mit Wachs überzogene Holztafeln verwendet. Im berühmten Schiffswrack von Uluburun, das in jener Zeit versank, wurde eine solche Tafel geborgen, vom Schlick über die Jahrtausende vor dem Zerfall bewahrt.

Das einzige in Troja entdeckte beschriftete Artefakt ist ein Metallsiegel, das die Namen eines Schreibers und einer Frau in luwischer Hieroglyphenschrift nennt. Man hat es in der Schicht Troja VIIb (1200/1180-1050 v. Chr.) gefunden, es ist aber durch Gebrauch so stark abgenutzt, dass es auch älter sein könnte. Verwendet wurden solche Siegel vor allem im Hethiterreich des 13. Jahrhunderts v. Chr., wo das Luwische weit verbreitet war. Ähnliche Objekte entdeckten Archäologen vereinzelt sogar in Griechenland. Für sich allein genommen bietet dieser Fund daher allenfalls einen schwachen Hinweis auf Kontakte Trojas zu den Hethitern. Ob der namentlich genannte Schreiber vor Ort wohnte oder ob man dort gar Luwisch sprach, lässt sich anhand eines Einzelfunds nicht beantworten.

Die Schichten Trojas | In Troja liegen verschiedene Siedlungsschichten dicht übereinander. Im Bild steht der Archäologe Catalin Pavel auf Mauern aus hellenistischer und römischer Zeit. Unter ihm erkennt man ein Stück des in den Fels geschlagenen Grabens.

Um die Überlieferungslücke zu füllen, ziehen Forscher die Tontafelarchive der hethitischen Hauptstadt Hattuscha zu Rate. Schon vor fast 100 Jahren fiel auf, dass Orts- und Personennamen in einigen Dokumenten solchen bei Homer ähneln: Taruissa erinnert an Troja, der Ländername Wilus(ij)a an (W)ilios (eingeklammert sind Varianten der Lesart), das Reich Ahhijawa an Homers Achaier. Viele geografische Bezeichnungen wissen Hethitologen nicht zu verorten, doch lässt sich Wilusa immerhin auf Grund verschiedener Angaben im Nordwesten Kleinasiens lokalisieren. Dass es mit dem epischen Troja identisch war, ist damit nicht bewiesen, immerhin aber sehr plausibel.

Wilusa – der hethitische Name für Troja?

Den Dokumenten zufolge gehörte das unabhängige Wilusa zum hethitischen Einflussbereich. Es schloss sich vor 1400 v. Chr. einem Aufstand an – und scheiterte. Um 1300 v. Chr. wurde die Westküste Kleinasiens immer wieder von einem gewissen Piyamaradu angegriffen. Dieser gehörte wohl zur Dynastie eines Reichs namens Arzawa und war zudem ein Verbündeter des Königs von Ahhijawa. Wilusas Regent Alaksandu schloss vielleicht deshalb um 1280 v. Chr. einen Vertrag mit dem Hethiterkönig Muwattalli II., obwohl er Autonomie kostete. Wilusa wurde zum Vasallenstaat, durfte also etwa keine eigene Außenpolitik mehr betreiben. Offenbar ließ sich der Aggressor davon wenig beeindrucken, wie ein weiterer Brief indirekt verrät: Um 1250 schrieb der Hethiterkönig Hattusilis III. dem König von Ahhijawa, dass bezüglich Wilusas doch inzwischen Einigkeit bestünde, worauf dieser Piyamaradu hinweisen möge. Etwa 50 Jahre später taucht der Ort ein letztes Mal in der hethitischen Reichskorrespondenz auf. Wilusas König Walmu war anscheinend entmachtet worden, und der amtierende hethitische Herrscher versuchte, ihn wieder einzusetzen. Bald danach ging Hattuscha selbst unter, und damit endete die schriftliche Überlieferung.

Auch der Blick zu anderen bronzezeitlichen Schriftkulturen bringt kaum weiter. Zwar lassen sich in Linear-B-Dokumenten des mykenischen Griechenlands sowie in ägyptischen Inschriften ebenfalls Namen finden, die manchen in den homerischen Epen ähneln. Doch das belegt nur deren bloße Existenz in der Bronzezeit. So erscheint etwa ein Achilles in Linear-B-Texten; dieser war lediglich ein Hirte, nicht der legendäre Held. Ohnehin erschweren Eigenheiten der jeweiligen Schriftsysteme die Gleichsetzung der Namen: Ägyptisch bestand nur aus Konsonanten, das mykenische Linear B war wie die hethitische Keilschrift und die luwischen Hieroglyphen im Wesentlichen eine Silbenschrift. Ob die jeweiligen Begriffe also tatsächlich gleich ausgesprochen wurden, lässt sich nicht sicher sagen.

Die Grabungsergebnisse liefern leider ebenfalls nur Hinweise und weitere Indizien. Losgelöst von den Epen erzählen sie aber eine spannende Geschichte aus einer Region, die, zwischen Machtblöcken gelegen, ihren eigenen Weg zu gehen versuchte. Durch die neuen Forschungen wissen wir nämlich, dass unter dem griechisch-römischen Ilion tatsächlich der Hauptort der Region seit Beginn der Bronzezeit liegt. Es kann praktisch ausgeschlossen werden, dass in der weiteren Umgebung eine zeitgleiche Siedlung von ähnlicher Bedeutung existierte.

Seit etwa 1600 v. Chr. ragten die Burgmauern von Troja VI auf, mehr als 1000 Jahre nach Gründung der ersten Siedlung auf dem Höhenrücken nahe den Dardanellen. Noch heute sind sie sechs bis acht Meter hoch erhalten, denn die Steinmetze leisteten in der damaligen Zeit hervorragende Arbeit. Nach und nach verstärkten sie die Anlage mit Torbauten und Türmen – man wollte gegen Angriffe gewappnet sein.

Wie mächtig Troja VI war, lässt sich auch an der Architektur innerhalb der Zitadelle ablesen: Früher standen dort Reihenhäuser, nun wurden frei stehende Gebäude errichtet, manche mehr als 20 Meter lang und mehrgeschossig, auf mächtigen Sockeln aus sorgfältig bearbeiteten Steinblöcken aufgemauert. Dergleichen konnten sich nur Angehörige einer wohlhabenden Elite leisten.

Ein Palisadendurchgang | Das Bild zeigt die Rekonstruktion eines Palisadendurchgangs. Insgesamt wurden drei Zugänge nachgewiesen.

Obendrein hatte man das Gelände innerhalb der Festung terrassiert – auch das ein immenser Aufwand, der zahlreiche Arbeitskräfte und potente Auftraggeber, mithin eine entsprechende Hierarchie erforderte. Leider ist die oberste Ebene zerstört, sei es, dass sie den Grabungen Schliemanns zum Opfer fiel, sei es, dass sie schon in der Antike abgetragen wurde, als auf der Akropolis ein Atheneheiligtum entstand. Weil aber Straßen und Rampen erhalten sind, die nach oben führen, müssen im Zentrum der Festung einst wichtige Gebäude gestanden haben.

Außerhalb der Burg setzte sich die Besiedlung fort, zunächst mit dichter Bebauung, etwa 200 Meter weiter weg auch mit größeren Freiflächen zwischen Häusern und Werkstätten; vermutlich waren das landwirtschaftlich genutzte Bereiche. Als Grenze identifizierten die Archäologen schon 1988 mittels geophysikalischer Prospektion einen in den Fels geschlagenen Graben. Dieser war vier Meter breit, zwei Meter tief und mehr als einen Kilometer lang – das Ende wurde bei den Untersuchungen nicht erreicht. In einigen Bereichen ist er durch Baumaßnahmen in der Antike nicht mehr nachzuweisen, doch insgesamt ergibt sich das Bild eines Grabens, der ab etwa 1500 v. Chr. eine 20 bis 30 Hektar große "Unterstadt" umfriedete. Im Zuge der "Troja-Debatte" vor einigen Jahren wurde das Bauwerk mitunter als Entwässerungsgraben gedeutet, doch seine schieren Dimensionen widersprechen: Wer etwa 10 000 Kubikmeter Gestein mit Hammer und Meißel abträgt, will sich nicht vor Starkregen, sondern vor Angreifern schützen!

Wasserversorgung mit Brunnen und Stollen

Vermutlich erhob sich dahinter ein Wall, bestehend aus dem Aushubmaterial, der an der Vorderseite wohl durch eine Palisade gesichert war. In einigen ausgegrabenen Partien kamen nämlich Eintiefungen zum Vorschein, mutmaßlich Verankerungen eines hölzernen Tores. Insgesamt wurden drei Zugänge nachgewiesen. In diesen Bereichen war der Graben unterbrochen, was die Deutung als Entwässerungsgraben endgültig widerlegt.

Hohen Aufwand trieb man auch, um die Wasserversorgung in der Festung wie in der Siedlung zu sichern. Mehrere Tiefbrunnen der Burg erschlossen einen Grundwasserhorizont. Einer dieser Schächte lag gut geschützt innerhalb der so genannten Nordostbastion der Burgmauer. In der Unterstadt gab es ein als Quellhöhle bezeichnetes System von Stollen und Schächten, das ursprünglich ein natürlicher Wasseraustritt im Fels war und immer weiter ausgebaut wurde.

Troja handelte mit Griechenland | Dieses mykenische Gefäß aus dem "Terassenhaus" belegt Handelskontakte mit Griechenland auch nach 1300 v. Chr.

Anders als zum Beispiel in Mykene kamen in der Burg keine Gräber der Elite zum Vorschein. Das ist bedauerlich, weil man Toten in der Bronzezeit Waffen, persönlichen Schmuck und Gegenstände des täglichen Lebens beigab, die bei Angehörigen der Elite oft prächtig ausfielen. Vor dem Südtor des Verteidigungsgrabens hatten bereits Dörpfeld und Blegen einen Friedhof aus der Spätzeit von Troja VI gefunden. Vorherrschend waren dort Brandgräber in zeittypischen Urnen, es gab aber auch einige Körperbestattungen, was möglicherweise unterschiedliche Jenseitsvorstellungen in der Bevölkerung widerspiegelt. Ähnlich wie beim zeitgleichen Friedhof am wenige Kilometer entfernten Beşik-Tepe überwiegen einheimische Beigaben. Es findet sich zudem Importkeramik aus dem mykenischen Griechenland. Zwei Urnen enthielten sogar Glas, Fayencen, Elfenbeinobjekte, Gold und Karneolperlen: Die Verstorbenen pflegten offenbar einen gehobenen Lebensstil. Fragmente solcher Importwaren fanden sich auch in der Burg des späten Troja VI, zudem Straußeneierschalen und steinerne Schwertgriffe. All dies bezeugt gute Fernkontakte der trojanischen Elite.

Rekonstruktion des Terrassenhaus | Das Terrassenhaus zeigt, dass in der Zeit von Troja VII auch Wohlhabende in der Unterstadt wohnten.

Archäozoologen haben überdies anhand von Knochenfunden nachgewiesen, dass mit Beginn der Phase Troja VI Pferde gezüchtet wurden. Diese lieferten nicht nur Fleisch und transportierten Lasten, sie waren als Reittier und Zugtier für Streitwagen vor allem Waffe und Prestigeobjekt der Eliten der Bronzezeit.

Architektur, weit reichende Kontakte und importierte Luxuswaren unterstreichen die Bedeutung des Orts, der wohl schon seit der Frühbronzezeit ein regionales Zentrum bildete. Seine Ausmaße bestätigen das noch: Troja VI war mindestens doppelt so groß wie andere Orte im Umkreis. Das sowie die Konzentration von Funktionen wie politische Organisation, Kontrolle über agrarische Überschüsse, handwerkliche Spezialisierung sowie Gütertausch über größere Distanzen verhinderten, dass in weitem Umkreis ein zweiter Ort von ähnlicher Bedeutung entstehen konnte. Tatsächlich sind andere Siedlungen während dieser Zeit anscheinend sogar geschrumpft.

Wir gehen davon aus, dass sich Troja während der Spätbronzezeit zu einem starken Fürstentum entwickelte. Typisch für die Bronzezeit war eine Stammesgesellschaft mit einer Kriegeraristokratie. Die gewöhnliche Bevölkerung lebte in der Unterstadt oder im Umland, die Burg war weitgehend einer aristokratischen Oberschicht vorbehalten. Ihre einzeln stehenden Häuser mit den fensterlosen Sockelgeschossen lassen an die Turmhäuser führender Familien in mittelalterlichen Städten denken – jedes war für sich zu verteidigen. Ist das ein Hinweis darauf, dass die Machtfrage noch nicht im Sinn einer stabilen Herrscherdynastie entschieden war? Ohne Informationen über die verloren gegangene Bebauung der obersten Terrasse wird sich diese Frage kaum klären lassen. Homers Epen als Informationsquelle zur trojanischen Gesellschaft heranzuziehen, wäre ebenfalls keine Lösung, denn er kombinierte eine idealisierte Schilderung der Verhältnisse in seiner Gegenwart mit den Überlieferungen eines mythischen Heldenzeitalters.

Kontakte zum Hethiterreich, wie sie die erste Erwähnung Wilusas für ebenjene Phase nahelegen, werden in Troja VI kaum sichtbar, und erst recht nicht Spuren der Niederwerfung eines Aufstands um 1400 v. Chr. Dass die auf Expansion bedachten Großkönige Hattuschas ein Auge auf die prosperierende Siedlung geworfen haben könnten, liegt allerdings auf der Hand.

Etwa um 1300 v. Chr. wurde die Festung zerstört, wie die heute noch sichtbaren Brandspuren in Burg und Unterstadt zeigen. Dörpfeld deutete sie als Kriegsfolge – und identifizierte Troja VI mit dem Troja Homers. Blegen hingegen sah in Rissen, Senkungen und umgestürzten Mauern lediglich Indizien für ein Erdbeben. Doch von Kontinuität, wie man sie nach einer solchen Katastrophe erwarten würde, konnte keine Rede sein. Die Bewohner Trojas machten nach heutigem Wissen nicht einfach weiter, wo sie aufgehört hatten. Sie setzten nicht bloß die Burgmauer wieder in Stand – Tore und Türme wurden umgebaut beziehungsweise erweitert. Nutzte man lediglich die erforderlichen Reparaturen, um lang gehegte Pläne endlich umzusetzen? Oder gab es eine akute Bedrohungslage?

Drastisches tat sich im Innern der Festung: Mit den solitär stehenden Familienburgen war in dieser Phase Schluss! Kleine Häuser mit einem oder zwei Räumen entstanden dicht an dicht. Ein ganzer Ring davon erstreckte sich entlang der Burgmauer und nutzte sie als Rückwand. In vielen Gebäuden wurden große Gefäße, so genannte Pithoi, in den Boden eingegraben. Offenbar wurde der Vorratshaltung nun mehr Gewicht beigemessen. Diese schlichte Architektur inspirierte Dörpfeld zu der These, in der Burg von Troja VII hätten nicht mehr "der Herrscher und seine Verwandten", sondern "einfache Landleute" gelebt. Blegen vermutete wegen der kleinteiligen Bebauung und der vielen Vorratsgefäße sogar, dass sich ganz Troja in Erwartung eines Angriffs und einer langen Belagerung hinter die Burgmauern zurückgezogen hätte. Das entsprach freilich seinem Wunsch, den Trojanischen Krieg als historisches Ereignis nachzuweisen.

Der alte Graben wurde aufgefüllt, denn die Unterstadt war vermutlich gewachsen

Doch die jüngsten Grabungen widerlegen seine These: Die Unterstadt von Troja VIIa war keineswegs entvölkert. Im Gegenteil, man baute auch dort dichter und teilweise mit gemeinsamen Zwischenwänden direkt aneinander. Zum Ende von Troja VI oder zu Beginn von VIIa – das lässt sich weder anhand von Radiokohlenstoffdatierungen noch archäologisch entscheiden – war der Verteidigungsgraben aufgefüllt worden. Gut 100 Meter weiter meißelten die Bewohner einen neuen aus dem Felsen. Leider lässt sich dessen Verlauf nur teilweise rekonstruieren, da er im Osten der Unterstadt in griechisch-römischer Zeit durch die Anlage eines Steinbruchs zerstört wurde. Die Befunde legen aber die Vermutung nahe, dass die Siedlung inzwischen über ihre frühere Größe hinausgewachsen war und nun etwa 30 oder sogar mehr Hektar Fläche einnahm.

Laut den archäobotanischen Analysen von Bodenproben wurden dann auch höher gelegene, trockenere Gebiete für den Ackerbau genutzt, nicht nur wie zuvor ausschließlich das Skamandertal. Die Landwirtschaft florierte also. Wir gehen daher inzwischen davon aus, dass die Pithoi der Burghäuser nicht der Vorratshaltung für den Belagerungsfall dienten, sondern vielmehr der Kontrolle von Überschüssen. Importwaren zeigen obendrein, dass die Handelsverbindungen zum mykenischen Griechenland und in den Ostmittelmeerraum nicht nur weiterhin bestanden, sondern Produkte nach mykenischer Art nun auch in Troja selbst hergestellt wurden. Zudem exportierte der Ort nun seine "westanatolische Grauware", wie Grabungen auf Zypern und in der Levante beweisen. Neben der Textilindustrie hatte sich in Troja VIIa zudem eine Metallverarbeitung etabliert, wie Gussformen belegen.

Soziale Veränderungen sind aber offensichtlich. Wenn die Gebäude innerhalb der Troja-VI-Burg Residenzen aristokratischer Familien waren, so existierte diese Hierarchieebene jetzt wohl nicht mehr. Die Ursachen der Veränderungen bleiben leider unklar, weil der zentrale Teil der Bebauung nicht erhalten ist. Sicher aber war Dörpfelds Schlussfolgerung übertrieben, denn die Bewohner der Burg grenzten sich immer noch durch eine verstärkte Befestigung von denen der Unterstadt ab. Dass dort nach wie vor nicht nur einfache Bauern und Handwerker wohnten, lässt das "Terrassenhaus" vermuten. Es war wesentlich großzügiger angelegt als andere Gebäude der Unterstadt: eine mit Steinplatten gepflasterte offene Vorhalle, ein Hauptraum mit Feuerstelle sowie seitlich davon Nebenräume mit Vorratsgefäßen. In einem kleineren Zimmer auf der Hinterseite des Gebäudes kamen unter anderem ein minoisches, das heißt kretisches Siegel, Schmuck, ein Gefäß in Form eines Stiers und eine Bronzestatuette zum Vorschein. Zumindest dieser Raum könnte als Kultstätte gedient haben.



Leider liegt der größte Teil der Unterstadt unter der hellenistisch-römischen Stadt Ilion. Sie eingehender zu untersuchen, würde bedeuten, deren Siedlungsschichten zu zerstören. Zudem kennen wir bislang keine Friedhöfe aus Troja VII, die uns erlauben würden, mehr über seine Gesellschaft zu erfahren. Interessant ist aber, dass Importprodukte wie mykenische Keramik oder Fayenceperlen nun auch in den zugänglichen Schichten der Unterstadt zu Tage kamen.

Auf Zerstörung folgte Aufschwung | Bald nach 1300 v. Chr. exportierten die Bewohner aus Troja VIIa ihre "westanatolische Grauware" (links) nach Zypern und in die Levante. Doch die Stadt sollte nicht zur Ruhe kommen. Um 1200 v. Chr. vertrieb wohl ein Krieg viele Bewohner. Gut 50 Jahre später verraten Gefäße der "Barbarian Ware" (rechts), dass in Troja VIIb inzwischen vermutlich auch Immigranten lebten.

Ein unscheinbarer Befund mag immerhin einen Hinweis geben: Vor dem Südtor hatte man eine Reihe bis zu zwei Meter großer Stelen aufgestellt. Derartige ohne Relief oder plastischen Schmuck gehaltene Steine markierten bei den Hethitern Kultorte. Ist dies einer der wenigen Bezüge zwischen der Archäologie und den erwähnten schriftlichen Überlieferungen? Denn: Im erwähnten Alaksandu-Vertrag wurden die Götter Wilusas als Zeugen angerufen. Einer von ihnen hieß ...appaliuna (die Anfangszeichen sind nicht erhalten). Das erinnert an Apollon, der laut Homer für die Trojaner Partei ergriff. Möglicherweise verehrte man ihn bei den Stelen. Eine andere Gottheit namens KASKAL.KUR (die Großbuchstaben repräsentieren spezielle Schriftzeichen) hatte nach Ansicht von Experten mit unterirdischen Wasserläufen zu tun, was zur Quellhöhle in der Unterstadt passen würde. Freilich sind das zwar attraktive, letztlich jedoch unbeweisbare Spekulationen.

Zum Ende von Troja VIIa, um 1200, spätestens 1180 v. Chr., finden sich in den hethitischen Texten passende Hinweise auf Probleme in Wilusa, leider ohne Details. Handelte es sich um einen Krieg? Spielte Ahhijawa dabei eine Rolle? Auf solche Fragen geben die Tontafeln keine Auskunft. Tatsächlich aber kamen in allen bislang ausgegrabenen Teilen der Unterstadt und an vielen Stellen der Burg Brandspuren aus der Zeit um 1200 v. Chr. zu Tage.

Rund um das Terrassenhaus wie auch an anderen Stellen der Unterstadt hat man Pfeilspitzen entdeckt, also typische Indizien für einen Angriff. Doch warum kam in der Burg selbst nur eine einzige zum Vorschein? Die Unterstadt, so spekulierten einige Forscher, habe einen direkten Beschuss der Festung auf Grund der Distanz verhindert. Und nachdem die Angreifer Graben und Palisade überwunden hatten, wurden sie eher in Nahkämpfe verwickelt, die vermutlich mit Hieb- und Stichwaffen ausgetragen wurden. Leider erlaubt die Form der Pfeilspitzen nicht, sie einer bestimmten Kultur wie der mykenischen zuzuordnen.

Haufen kleiner Steine in der Unterstadt wurden ebenfalls als Beweis eines Kriegs herangezogen. Sie sollen Schleudergeschosse gewesen sein, zur Verteidigung bereitgelegt. Zwar würde die Größe passen, typische spätbronzezeitliche Schleudergeschosse waren jedoch spitzoval geformt und bestanden aus Keramik oder Blei. Dass Trojas Bewohner diese zumindest in der vorangegangen Phase VI verwendeten, zeigt ein Vorrat solcher Geschosse in einem Haus hinter dem Südtor der Burg.

Mag das Gesamtbild also auch heterogen sein, so sprechen die massiven Zerstörungen aber für kriegerische Ereignisse. Kurz nach 1200 v. Chr., in Troja VIIb1, wurden zudem kaum Reparaturen durchgeführt oder neue Gebäude errichtet. Das lässt einen starken Bevölkerungsschwund annehmen, der Folge eines Kriegs gewesen sein könnte, doch auch einer Hungersnot oder Seuche. Zunächst bewahrten die verbliebenen Bewohner zwar ihre Traditionen, bei den wenigen Neubauten kam aber beispielsweise eine Technik zum Einsatz, die ein bis zwei Generationen später typisch werden sollte: In den untersten Lagen des Mauerwerks schichtete man Quader nicht horizontal übereinander, sondern stellte sie hochkant auf. Die Gründe dafür kennen wir leider nicht, die Veränderung fällt jedoch auf.

Erst nach etwa 50 Jahren war der Schock wohl überwunden: In Troja VIIb2 (etwa 1150-1050 v. Chr.) entstanden überall in der Zitadelle neue Häuser; mitunter hat man dabei pragmatisch die Ruinen integriert. Die Grundrisse waren oft unregelmäßig und umfassten meist mehrere Räume, die manchmal einen Hof umgaben. Die Bebauung war so dicht, dass kaum Platz für Gassen blieb.

Unmittelbar außerhalb der Burgmauer, teilweise an sie angebaut, entstanden Häuser mit sehr kleinen, zellenartigen Räumen, die offenbar vom Dach aus zugänglich waren. Wir deuten sie als Vorratsräume. Da sich außerdem das Bodenniveau vor der Mauer erhöht hatte – man hatte allen Schutt eingeebnet –, wurde diese erneut umgebaut und erweitert. Einige Tore waren nicht mehr in Verwendung, doch das Südtor mit seiner gepflasterten Straße hat man in Stand gehalten. Über die Ausdehnung der Unterstadt lässt sich nur mutmaßen. Noch 300 Meter südlich der Burg, also im Bereich des Grabens von Troja VI und innerhalb des neu errichteten Grabens von Troja VIIa, kamen verbrannte Lehmplacken zu Tage, in denen sich Flechtwerk abgedrückt hatte. Vermutlich handelt es sich um Überreste vom Wandverputz einfacher Hütten. Auch Abfall- oder Vorratsgruben gibt es in diesem Radius.

Interessant ist ebenso eine neuartige Keramik, die ohne Töpferscheibe produzierte "Barbarian Ware" in Troja VIIb1 beziehungsweise "Buckelkeramik" in Troja VIIb2. In Herstellungstechnik, Form und Verzierungen ähneln die Gefäße Produkten des südlichen Balkans, wie sie von der unteren Donau bis Südthrakien in Gebrauch waren. Eine solche Innovation impliziert veränderte Ess- und Trinkgewohnheiten. Die in Troja VI typischen, einheimischen Keramikgattungen verschwanden zwar nicht völlig, ebenso wenig der mykenische Stil, doch insgesamt deuten die vielen fremden Elemente darauf hin, dass spätestens ab Troja VIIb2 neue Bevölkerungsgruppen zugewandert sein dürften.

Auch in der Eisenzeit wanderten neue Bevölkerungsgruppen in die Region ein

Der Aufschwung hielt allerdings nicht lange an. Nach 1050 v. Chr. war die Burg offenbar bis auf wenige Häuser verlassen. Und wieder verweigert sich die Stätte eindeutiger Antworten auf die Frage nach den Ursachen. Einerseits deuten Brandspuren und Pfeilspitzen auf einen Krieg hin, andererseits zählen einige Häuser dieser Zeit zu den am besten erhaltenen Gebäuden: Ihre Mauern stehen zum Teil noch über zwei Meter hoch – das spricht gegen Eroberung und Naturkatastrophen. Es scheint, als seien die meisten Bewohner der Burg einfach fortgezogen.

Einige aber blieben und hielten ihre Häuser in Stand. Eine neue Ära brach nun an: "Protogeometrische" Keramik, also im griechischen Kulturkreis während der "Dunklen Jahrhunderte " gebräuchliche Töpferware, findet sich zusammen mit traditioneller Keramik im Siedlungsschutt und markiert den Übergang von der späten Bronze- zur frühen Eisenzeit. Gerade in Troja und seiner Umgebung, etwa in Eceabat auf der Gallipoli-Halbinsel, erkennen Archäologen ein Nebeneinander von lokalen Gebräuchen mit neuen, die ein Zusammenleben einheimischer mit zugewanderten Bevölkerungsgruppen aufzeigen. Was aber, wie erwähnt, für die Region wohl nichts Neues war.

Südlich der Burgmauer finden sich zudem Spuren einer Kultstätte: Gruben mit Opfergaben, Steinkreise und -reihen. Im Lauf der folgenden Jahrhunderte hat man dieses "Westheiligtum" erweitert, im 8. Jahrhundert v. Chr. entstanden auch wieder einige Häuser außerhalb der Burg. Wann das antike Ilion gegründet wurde, lässt sich bislang nicht sagen.

Heute wissen wir, dass unter seinem Pflaster tatsächlich der bronzezeitliche Hauptort der Region lag. Dessen Burg war immer stark befestigt gewesen, wurde oft zerstört und wiederaufgebaut – meist wehrhafter als zuvor. Während der Spätbronzezeit war die Zitadelle auch von einer ebenfalls befestigten Unterstadt umgeben. Als Schauplatz der von Homer überlieferten Sage taugt der Ort also sehr wohl, doch die Antwort auf die Frage, wann der Trojanische Krieg stattgefunden hat, fällt nicht eindeutig aus. Nach den Ergebnissen der Archäologie wäre das Ende von Troja VIIb dafür eher unwahrscheinlich, das von Troja VIIa, also die Zeit um 1200 v. Chr., durchaus passend, das Ende von Troja VI um 1300  v. Chr. aber gleichwohl möglich.

Bezieht man die hethitischen Schriftquellen mit ein und identifiziert Wilusa mit Homers Ilion, kämen auch die Auseinandersetzung zwischen mykenischen Griechen und den Verbündeten der Hethiter am Ende von Troja VI und das Ende von Troja VIIa um 1200 v. Chr. in Betracht. Die letzte Option würde den Trojanischen Krieg zwar scheinbar in die zeitliche Nähe zum Untergang der mykenischen Kultur, also des mutmaßlichen Angreifers rücken. Doch wann genau und in welcher Abfolge die griechischen Paläste brannten, ist bisher ebenfalls nicht eindeutig geklärt.

Einige Experten meinen, die in Homers Epen geschilderten Ereignisse hätten, wenn überhaupt, um 700 v. Chr. stattgefunden. Nicht nur, weil "Ilias" und "Odyssee" vor allem die eisenzeitliche Gesellschaft schildern, sondern auch, da mündliche Überlieferungen im Allgemeinen selten mehr als drei Generationen zurückreichen. Wahrscheinlich liegen die Dinge jedoch komplizierter. Mündlich überlieferte Epen, von geschulten Spezialisten vorgetragen, gab es in vielen Teilen der Erde noch bis in die jüngste Zeit. Sie sind daher gut erforscht. Es handelt sich um Verknüpfungen verschiedener Erzählstränge unterschiedlichen Alters, die sich zwar nach den Wünschen und Erwartungen des jeweiligen Publikums richten. Im Vordergrund steht aber immer eine Erzählung vom Ursprung der eigenen Gruppe und gemeinsamen Taten in ferner Vergangenheit. Dazu kommen andere Aspekte: Ideale und Werte, Verwandtschaftsbeziehungen und Religion.

Die Homerforschung hat zahllose inhaltliche, sprachliche und formale Belege dafür zusammengetragen, dass es sich auch mit der "Ilias" und der "Odyssee" so verhält. Es waren identitätsstiftende Erzählungen mit Bezug zu historischen Tatsachen. Das lässt sich überall feststellen, wo es unabhängige Quellen gibt, um die Mythen zu überprüfen, seien es das Nibelungenlied und die zahllosen Befunde zur Völkerwanderungszeit oder das Alte Testament in Bezug zur Geschichte und Archäologie Israels. In all diesen Fällen vermischen sich historische Wirklichkeit und Fantasie. Ähnlich können auch die bewaffneten Konflikte der Spätbronzezeit den Keim gebildet haben, aus dem später die griechischen Sagen wuchsen. Es bleibt ein müßiges Unterfangen, Archäologie, Schriftquellen und griechische Heldensagen in völlige Übereinstimmung bringen zu wollen. Sie beziehen sich zwar auf denselben Ort und annähernd auf dieselbe längere oder kürzere Zeitspanne, sind aber komplementär wie die beiden Seiten einer Münze: verschiedene Bilder, die man nicht gleichzeitig betrachten kann.

Anm. d. Red.: Dieser Artikel ist erstmals am 17.11.2016 unter dem Titel »Die Erforschung Trojas« erschienen.

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  • Quellen

Archäologisches Landesmuseum Baden­-Württemberg et al. (Hg.): Troia – Traum und Wirklichkeit. Begleitband zur Ausstellung. Konrad Theiss, Stuttgart 2001

Latacz, J.: Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels. Koehler & Amelang, Leipzig, 6. Auflage 2010

Pernicka, P. et al. (Hg.): Troia 1987–2012: Grabungen und Forschungen III. Troia VI bis Troia VII. Studia Troica Monographien 7, Philipp von Zabern, Mainz (in Vorbereitung)

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