News: Die Kruste der Venus
Roger J. Phillips von der Washington University in St. Louis, und sein Kollege Vicki L. Hansen von der Southern Methodist University in Dallas analysierten die kartographischen Daten von den subtilen geologischen Verwerfungen auf der Venusoberfläche (Science vom 6. März 1998). Sie stellten die Hypothese auf, daß die Verdickung der Lithosphäre des Planeten, also seiner äußeren, festen Schale, vor rund einer Milliarde Jahren die Bildung von Krustenplateaus im wesentlichen beendete; statt dessen entstanden in der Folgezeit vulkanische Erhebungen. Nach Vorstellung der Wissenschaftler dauerte diese Verdickung nur 100 bis 200 Millionen Jahre – in geologischen Maßstäben ein sehr kurzer Zeitraum.
Den Schätzungen von Phillips und Hansen zufolge war die Lithosphäre der Venus früher 39 Kilometer dick, wogegen sie heute etwa 97 Kilometer aufweist. "Damit sich eine dünne Lithosphäre ergibt, muß eine Art Recycling stattfinden. Auf der Erde übernimmt die Plattentektonik diese Aufgabe, doch auf der Venus war das in der letzten Milliarde Jahre nicht der Fall", sagte Philips. "Nach unseren Berechnungen bildeten sich sehr viel vulkanische Krustenplateaus in der Ära der dünnen Lithosphäre aus – in geradezu überwältigenden Mengen. Das dauerte ziemlich gleichmäßig an, bis zu dem Zeitpunkt, als sich die Lithosphäre verstärkte..." Diese Schlußfolgerung widerspricht einer anderen populären Theorie, nach welcher die Plattenbildung ein plötzlicher Prozeß war.
Phillips' Ansicht nach unterstützte das Fehlen von Wasser auf der Venus die Verdickung der Lithosphäre. "Die Felsen sind wahrscheinlich deswegen auf der Venus mächtiger, weil es an Wasser mangelt", sagte der Wissenschaftler. "Vermutlich erreichte die Entwicklung irgendwann den Punkt, an dem der Druck von innen nicht mehr ausreichte, um das Gestein zu durchdringen und so die Lithosphäre zu erneuern. Das Recycling, welches eine dünne Lithosphäre gewährleistete, war gestoppt. In diesem Zusammenhang ist Wasser der Hauptunterschied zwischen Erde und Venus."
Da das Phillips-Hansen-Modell von einem Recyclingprozeß während der Phase einer dünnen Venus-Lithosphäre ausgeht, ist es denkbar, daß früher auch auf unserem Nachbarplaneten Plattentektonik vorkam.
Das Modell stellt auch einen Zusammenhang zwischen dem Klima und der Entwicklung des Venusinneren her. Durch die heftigen vulkanischen Aktivitäten in der Vergangenheit wurden Treibhausgase wie Schwefeldioxid und Kohlendioxid in die Atmosphäre geschleudert. Die Oberflächentemperatur dürfte damals noch über den heutigen 480 oC gelegen haben.
"Die Gase verstärkten den Treibhauseffekt, wodurch wiederum die Oberflächentemperaturen stiegen. Diese intensivierten die Schmelzvorgänge im Innern, weshalb erneut mehr Treibhausgase abgegeben wurden", bemerkte Phillips. "Es gibt über lange Abschnitte der Venusgeschichte eine äußerst enge Verbindung zwischen der Klimaevolution und der Entwicklung des Planeteninneren. Und wir fangen jetzt erst an, diese Tatsache auf der Erde ernst zu nehmen."
Weitere Informationen zum Thema finden Sie in: S. Ross Taylor und Scott M. McLennan Ursprung und Entwicklung der kontinentalen Kruste in Spektrum der Wissenschaft 11/1996, Seite 46
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