Neuroarchäologie: Die Musik des Faustkeilschlagens
Vor rund 1,75 Millionen Jahren gab es eine erste große Technikinnovation: An die Seite der alten, groben "Geröllwerkzeuge" der Oldowan-Kultur traten die raffinierten Faustkeile des Acheuléen. Beidseitig behauene Geräte, die kenntnisreich aus einem Rohling herausgearbeitet wurden. Was befähigte die frühen Menschen zu dieser neuen Leistung?
Die Antwort suchen manche Forscher, indem sie Freiwilligen die entsprechenden Handwerkstechniken beibringen und ihnen währenddessen mit Sensoren ins Gehirn blicken. Die "Neuroarchäologie" sei natürlich "keine exakte Wissenschaft", schreibt ein Wissenschaftlerteam nun im Journal "Nature Human Behaviour". Aber immerhin noch der beste Weg, mehr über die neuronalen Fertigkeiten von Homo erectus und Verwandten zu erfahren.
So zum Beispiel bei ihrer eigenen Studie. Shelby Putt von der Indiana University in Bloomington und Kollegen kommen darin zu dem Ergebnis, dass Oldowan- und Acheuléen-Technologie gänzlich unterschiedliche Anforderungen an das Gehirn stellen.
Die einfachen Geröllwerkzeuge herzustellen, verlangte lediglich nach Hand-Auge-Koordination. Ganz anders jedoch das Schlagen der Faustkeile. Eine wichtige Tätigkeit hierbei ist es, durch mehrere dosierte Schläge zunächst eine so genannte Plattform zu schaffen. Sie ist der Ansatzpunkt, an dem dann mit einem einzigen kräftigen Hieb der gewünschte Abschlag entfernt wird.
Im Unterschied zu früheren Studien vermaßen Putt und Team die neuronale Aktivität mit Hilfe von funktionaler Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS). Die verkabelte Mütze, die die Untersuchten dabei tragen, erinnert an ein herkömmliches EEG. Allerdings detektiert die fNIRS die Sauerstoffversorgung des Bluts im Großhirn und liefert damit ähnliche Daten wie der "Hirnscanner", die funktionale Magnetresonanztomografie. Ein Vorteil der Infrarotmessung ist, dass sich die Teilnehmer weitgehend frei bewegen können.
Eine Hirnaktivität wie beim Klavierspielen
Wenn sich die Studienteilnehmer nun daran versuchten, trat in ihrem Gehirn ein Netzwerk von Hirnregionen auf den Plan, das man sonst eher aus einem ganz anderen Bereich kennt: vom Klavierspielen beziehungsweise vom Musizieren allgemein. Die aktivierten Regionen deuten darauf hin, dass zum einen das visuelle Arbeitsgedächtnis aktiv war. Denn es gilt, die komplexen Handlungsabläufe samt Zwischenzielen ständig parat zu haben und in die Bewegungsplanung einfließen zu lassen. Zum anderen kam das Gehör zum Einsatz, vermutlich weil die Nachwuchs-Steinmetze sich auch am Klang ihrer Schläge orientierten. Beides führt dazu, dass das Aktivitätsmuster "praktisch identisch" mit dem sei, was man bei geübten Pianisten beobachten könne, so die Wissenschaftler.
Überrascht waren sie, dass die gemessene Aktivität deutlich weniger an Sprachverarbeitung erinnerte, als gedacht. Frühere Studien hatten nahegelegt, dass das Gehirn in beiden Fällen ähnliche Netzwerke aktiviert, was zu der Hypothese passte, dass die Acheuléen-Innovation vor über anderthalb Millionen Jahren mit einem sprachlichen Entwicklungssprung zusammengefallen sein könnte. Einen derart starken Zusammenhang zwischen beidem ziehen Putt und Kollegen nun in Zweifel.
Laut ihrem Experiment war Sprache beispielsweise auch nicht notwendig, um die Technik an sich zu vermitteln. Die Forscher hatten nämlich genau darauf geachtet, wie ihre 30 Versuchsteilnehmer die Technik lernten: Die eine Hälfte sah das Instruktionsvideo mitsamt den Erläuterungen des Feuersteinexperten, die andere Hälfte sah es ohne Ton. Beide Gruppen unterschieden sich nicht in ihrer Leistung, aber in ihrer Hirnaktivität: Diejenigen, die stumm gelernt hatten, aktivierten keine Sprachverarbeitungsareale, die anderen hingegen schon. Vermutlich riefen sie sich die Anweisungen des Trainers noch einmal ins Gedächtnis, wenn sie selbst Hand an den Stein anlegten. Für die Werkzeugproduktion ist dies aber offenbar nicht zwingend erforderlich.
Einen Zusammenhang mit Sprache könne es dennoch geben, erläutern die Forscher. Wenn auch unsere Vorfahren beim Werkzeugmachen auf die Schläge lauschten und den Klang interpretierten, dann schufen sie eine Situation, in der sich ein Feintuning der Hörwahrnehmung evolutionär gesehen lohnte. Diese Verbesserung könnte schließlich auch bei der Sprachentstehung zum Tragen gekommen sein.
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