Kernwaffennutzung: Die vergessene Gefahr des Thoriums
Thorium ist einfach ein Wundermaterial, heißt es immer wieder: Das Element könnte in einer neuen Generation von Kernreaktoren zum Einsatz kommen, und dort sicher, effizient und CO2-arm Energie erzeugen. Darüber hinaus gilt es als ungeeignet für eine militärische Zweitverwertung. Denn anders als Uran taugt das Material zunächst nicht für einen Einsatz in Atomwaffen.
Diese Sichtweise halten wir allerdings für zu einseitig. Natürlich hat Thorium die genannten Vorteile. Dabei wird aber leicht vergessen, dass bestrahltes Thorium in der Tat zu waffenfähigem Uran umgewandelt werden kann. Es sind dazu nicht einmal große Laboreinrichtungen notwendig. Staaten mit einem Interesse an Atomwaffen könnten folglich mit dieser Technologie die Regeln zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen unterlaufen.
Über den genauen Umfang der weltweiten Thoriumlagerstätten ist nur wenig bekannt, allerdings geht man heute davon aus, dass das silbrig-weiße Metall etwa drei- bis viermal häufiger vorkommt als Uran. Wo Seltene Erden abgebaut werden, fällt es oft als Nebenprodukt an. Größere Vorkommen wurden bislang in Australien, Brasilien, der Türkei, Norwegen, China, Indien und den USA entdeckt. Die drei letztgenannten Staaten sowie Großbritannien forschen an einer zivilen Nutzung von Thorium als Kernbrennstoff.
Zu den öffentlichkeitswirksamsten Befürwortern der Technologie zählt die Weinberg Foundation. Die in London ansässige gemeinnützige Vereinigung wirbt für Einsatz von Thorium-Flüssigsalzreaktoren als Maßnahme gegen den Klimawandel. Flüssigsalzreaktoren wurden bereits in den 1960er Jahren entwickelt. Sie verwenden statt fester Brennelemente flüssige Brennstoffe und gelten als effektiver und weniger anfällig für Kernschmelzen als existierende Reaktoren. Besonders China untersucht ihren Einsatz in Form kleiner, modular aufgebauter Hochtemperaturreaktoren mit Gaskühlung.
Natürlich vorkommendes Thorium besteht zu fast hundert Prozent aus Thorium-232, einem Isotop, das keine dauerhafte Kernspaltung aufrechterhalten kann. Beschießt man es mit Neutronen, wandelt es sich über eine Kette von Zerfallsschritten in das spaltbare und langlebige Uran-233, dessen Halbwertszeit 160 000 Jahre beträgt. Als Nebenprodukt entsteht dabei Uran-232, das seinerseits in intensiv gammastrahlende Isotope zerfällt. Diese schwer gesundheitsschädliche Strahlung lässt sich nur mit größerem Aufwand abschirmen, daher ist verbrauchter Thorium-Brennstoff im Allgemeinen schwer zu handhaben – obwohl er das waffenfähige Uran-233 enthält, stellt er kaum eine Gefahr für die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen dar.
Uran-Erzeugung über eine Abkürzung
Auf diesen Zusammenhang gründet sich die vermeintliche Harmlosigkeit von Thorium. Zu denken gibt uns allerdings etwas ganz anderes: Schon eine kleine Nukleareinrichtung genügt, um aus Thorium über Umwege spaltbares Uran-233 herzustellen, das kaum mit dem gammastrahlenden Uran-232 verunreinigt ist. Dadurch könnte auch Thorium – genauer gesagt das als Zwischenschritt entstehende Protactinium-233 – zu einer Gefahr für die weltweite Sicherheit werden. Den Königsweg in eine sorgenfreie Atomenergie der Zukunft bietet das Thorium daher kaum.
Die Politik wäre gut beraten, den Umgang mit dem Material strenger zu regeln, als es bislang der Fall ist, und gleichzeitig auf Anzeichen zu achten, ob diese Regeln heimlich unterlaufen werden.
Die Zerfallskette des Thorium (Th) ist sehr gut verstanden. Unter Neutronenbeschuss bildet isotopenreines 232Th das Isotop 233Th, das mit einer Halbwertszeit von 22 Minuten per Betazerfall zu Protactinium-233 (233Pa) zerfällt. Dieses Isotop hat eine Halbwertszeit von 27 Tagen und wandelt sich über Betazerfall in das spaltbare Uran-233 (233U). Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) rechnet, dass acht Kilogramm 233U für den Bau einer Nuklearwaffe genügen [1].
233U ist in keinem kommerziellen Reaktor von heute in Gebrauch, allerdings haben die Vereinigten Staaten während des Kalten Kriegs rund zwei Tonnen davon angehäuft. Pläne, es jetzt durch Vergraben zu entsorgen, sind umstritten und potenziell gefährlich, da laut einem Bericht aus dem Jahr 2012 der Verbleib des Materials im Endlager nicht in vollem Umfang sichergestellt werden kann [2].
Das chemische Verfahren zur Abscheidung von 233U aus abgebrannten Kernbrennstäben verlangt nach einer umfangreichen Infrastruktur, wie sie im Allgemeinen nur Wiederaufarbeitungsanlagen bieten, die auf Grund ihrer Größe kaum im Geheimen operieren können. Die Gewinnung von 233U aus Thorium-Brennstoff wird durch dessen Verunreinigung mit dem hochgradig schädlichen 232U noch weiter verkompliziert – hier müsste mit ferngesteuerten Maschinen und unter starker Abschirmung gegen Gammastrahlen gearbeitet werden.
Beschießt man hingegen Thorium etwa einen Monat lang mit Neutronen, lässt sich auf chemischem Weg 233Pa mit nur minimaler 232U-Verunreinigung gewinnen, was das dabei produzierte 233U deutlich einfacher in der Handhabung macht. Gelingt es, reines 233Pa abzuscheiden, muss man es lediglich eine Zeitlang stehen lassen, bis es zu reinem 233U zerfallen ist.
Kritisch sehen wir dabei die Tatsache, dass der Neutronenbeschuss bereits in einer kleinen Anlage stattfinden kann – beispielsweise in einem der 500 weltweit existierenden Forschungsreaktoren. Das dazu notwendige 232Th müsste zuvor weder zu Kernbrennstäben aufbereitet worden sein, noch in Reaktoren erbrütet werden.
8 Kilogramm Uran in einem Jahr
Aus einer Studie von Forschern des Oak Ridge National Laboratory in Tennessee weiß man, dass etwa 200 Gramm metallisches Thorium genügen, um 1 Gramm 233Pa – gleichbedeutend mit 1 Gramm 233U – zu gewinnen [3]. Dazu müsste es einen Monat lang einer Neutronenbestrahlung ausgesetzt werden, wie sie typischerweise von kommerziellen Reaktoren zur Energiegewinnung oder großen Forschungsreaktoren geleistet wird, und das Protactinium anschließend separiert werden.
1,6 Tonnen Thorium reichen demnach aus, um die von der IAEO als kritische Grenze angesetzten acht Kilogramm Uran zu produzieren. Mit dem beschriebenen Verfahren wäre es machbar, diese Uran-Menge in weniger als einem Jahr allein aus Thorium herzustellen.
Auch die Abscheidung von Protactinium aus Thorium ist kein verfahrenstechnisches Neuland. Wir möchten nur auf zwei gut verstandene chemische Prozesse hinweisen, die unserer Ansicht nach für diese Aufgabe in Frage kommen: die Aufarbeitung mit Hilfe von Säuren [3, 4] und die reduktive Extraktion mit flüssigem Wismut [5-7]. Beide Verfahren sind mit Standard-Kernforschungsausrüstung und in so genannten "Heißen Zellen" durchführbar – stark abgeschirmten Räumen, in denen hochradioaktive Substanzen sicher gehandhabt werden können. Ein solches Equipment unterliegt nicht zwingend einer Beaufsichtigung durch die IAEO.
Beim gebräuchlichsten Extraktionsverfahren im sauren Milieu kommt Mangandioxid zum Einsatz, so dass Protactinium als Proctactiniumoxid ausfällt. Sämtliche radiotoxischen Uran-Nebenprodukte gehen durch die Säure in Lösung über und können so während des Vorgangs entfernt werden. Diese Methode wendeten die Forscher des Oak Ridge National Laboratory an, um das eine Gramm 233Pa aus einer bestrahlten Thoriumverbindung zu gewinnen.
Die größte Schwierigkeit dabei ist, dass der Betazerfall von jedem Gramm 233Pa rund 50 Watt in Form von Wärme freisetzt, was die Durchführung des Verfahrens verkompliziert und verhindert, dass es sich ohne Weiteres in den Großmaßstab übertragen lässt. Grund zur Entwarnung sehen wir deshalb allerdings noch lange nicht, da immer auch kleinere Mengen parallel aufgearbeitet werden könnten.
Drei Aspekte machen Thorium gefährlich
Ein zweiter chemischer Prozess, der in den 1970er Jahren vorgeschlagen wurde, wird derzeit auf seine Eignung für Flüssigsalzreaktoren der nächsten Generation erprobt [8]. In ihnen kommen flüssige Brennstoffe auf Thorium-Basis zum Einsatz, die aus Fluoriden bestehen. Die übliche Zusammensetzung ist 7LiF-BeF2-ThF4-UF4. Das eigentliche Aufbereitungsverfahren basiert auf einem pyrochemischen Vorgang, für den unter hohen Temperaturen reduzierende und oxidierende Reaktionen angestoßen werden. Dazu werden die Bestandteile zunächst fluoriert und anschließend das Protactinium in flüssiges Wismut extrahiert.
Der Einsatz solcher pyrochemischer Verfahren steckt noch in den Kinderschuhen und verlangt nach einer aufwändigeren Infrastruktur als die Aufbereitung unter Zuhilfenahme von Säuren. Dadurch wird auch der Bau großer Anlagen noch herausfordernder. Aber selbst in diesem Fall halten wir es für möglich, in vielen kleinen Systemen jeweils nur geringe Stoffmengen umzusetzen und so das Protactinium sukzessive anzusammeln [9].
Als entscheidende Hürde bleibt demnach der Zugang zu einem ausreichend dimensionierten Reaktor, mit dem sich das Thorium bestrahlen lässt. Die Gefahr eines Thorium-Missbrauchs geht daher weniger von Terrororganisationen aus, sondern eher von Nationalstaaten, die Interesse an der Entwicklung oder dem Ausbau ihres Nuklearwaffenarsenals haben.
Zusammengefasst geben also drei Punkte Anlass zur Sorge:
- Erstens lassen sich Technologien zur Energiegewinnung, bei denen Thorium über einen längeren Zeitraum bestrahlt wird, dazu nutzen, um im Geheimen Protactinium abzuzweigen. Dessen Aufarbeitung könnte in kleinen Anlagen nach und nach erfolgen, ohne dass die IAEO zwangsläufig darauf aufmerksam werden müsste.
- Zweitens lässt sich die zur Protactinium-Extraktion nötige Infrastruktur leicht erwerben und in einem unverdächtigen Labor unterbringen.
- Und drittens ist die Technologie besonders für Staaten interessant, die in Besitz von Atombomben kommen wollen.
Keiner der drei Punkte sollte bei einer Einschätzung des Gefährdungspotenzials von Thorium vergessen werden.
Wir halten es daher für ratsam, sowohl deklarierte als auch nicht deklarierte Einrichtungen, die sich mit dieser Technologie befassen, unter Beobachtung zu stellen – am ehesten unter der Federführung der IAEO und der Nuclear Suppliers Group, einem Zusammenschluss von Ländern, deren Ziel es ist, durch Exportkontrollen die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu unterbinden.
Regelungen müssen erlassen werden, die eine kurzfristige Bestrahlung von Thorium mit Neutronen nur unter Auflagen zulassen. Gleichzeitig sollte der zivile Einsatz von Kernbrennstoffzyklen, bei denen die Aufbereitung von Thorium-Brennstoff innerhalb der Anlage selbst notwendig wird, vermieden werden.
Heiße Zellen sind eine Schlüsseltechnologe für die Protactinium-Abscheidung. Das Zusatzprotokoll des Atomwaffensperrvertrags [10] sieht vor, den Besitz "großer" Heißzellenanlagen offenzulegen, wobei das damit verbundene Größenkriterium mit Blick auf die Protactinium-Aufbereitung vielleicht noch einmal überdacht werden sollte. Erfreulicherweise stuft die IAEO große Heißzellenanlagen bereits jetzt als "dual use" ein – erkennt also die Gefahr einer militärischen Zweitnutzung dieser eigentlich friedlichen Technologie an. Einrichtungen, die ohne eine Meldung an die Organisation im Untergrund arbeiten, sind von einer wirksamen Kontrolle natürlich ausgenommen.
Thorium ist keineswegs so harmlos, wie vielfach angenommen. Wenn wir eine sichere Zukunft wollen, müssen wir jetzt mit der Debatte über seine Risiken beginnen.
Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Thorium fuel has risks" in Nature 492, S. 31-33, 2012
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen