Deutscher Science March: 'Diffuses Unwohlsein in konstruktive Debatten ummünzen'
Ich finde: sehr gut. Wissenschaft ist ja nichts, was nur die Wissenschaftler angeht. Und wenn die Wissenschaft in anderen Ländern unter Druck gerät, wenn auch in Deutschland Populisten zunehmend mit Scheinwahrheiten argumentieren, dann ist es unsere Aufgabe als Bürger, aufzustehen und Gesicht zu zeigen.
Alles fing an mit der Idee einiger Forscher in den USA, gegen die wissenschaftsfeindliche Politik des neuen Präsidenten Donald Trump auf die Straße zu gehen, und zwar am 22. April, der zugleich Earth Day ist …
… und jetzt wird es Demonstrationen geben in 500 Städten weltweit und an 20 Orten in Deutschland. Erstaunlich, nicht wahr? Ich weiß noch, wie meine Lebensgefährtin und ich im Januar vom Women's March in den USA gehört haben, der sich gegen die frauenfeindliche Politik der neuen Regierung richtete. Den sollte es auch in Deutschland geben, hieß es, aber wo genau? Wir wussten es nicht. Als dann die Idee mit dem Science March über den Atlantik schwappte, haben wir uns gesagt: Diesmal muss das auch in Deutschland jemand richtig organisieren, damit genug Leute die Chance haben, dabei zu sein. Und dieser jemand, das waren dann plötzlich wir beide, meine Lebensgefährtin und ich.
Wofür oder wogegen demonstrieren Sie eigentlich? In Deutschland ist die Regierung doch ausgesprochen wissenschaftsfreundlich.
Zum Glück! Tatsächlich sprechen Sie einen zentralen Punkt an, denn da gibt es immer wieder Missverständnisse. Wir sind nicht der amerikanische March for Science. Man darf sich das nicht als zentral gesteuerte weltweite Bewegung vorstellen, sondern in jedem Land hat der March seine eigene Agenda, seine eigene Botschaft. Auf Deutschland bezogen heißt das: Gerade weil bei uns die Meinungs- und die Wissenschaftsfreiheit nicht direkt bedroht sind, können und müssen wir uns solidarisch mit den Ländern zeigen, wo Wissenschaftler unter Druck geraten sind, in den USA, aber vor allem auch in der Türkei, Ungarn und anderswo.
"Das ist keine Lobbyveranstaltung aus der Wissenschaft für die Wissenschaft"Gleichzeitig wollen wir für eine Gesellschaft auf die Straße gehen, in der sich das Lügen nicht mehr lohnt. In der sich Politiker Fakten nicht einfach zurechtbiegen können, in der Populisten auffliegen, wenn sie gefühlte Wahrheiten als Wahrheiten deklarieren. Nichts gegen Gefühle, die sind da, aber man muss klar benennen, was der Unterschied zwischen Gefühlen und Tatsachen ist.
Das hört sich ziemlich abstrakt an. Glauben Sie, dass sich damit die Massen hier zu Lande auf die Straße bringen lassen?
Natürlich ist es einfacher, die Leute zum Mitmachen zu bewegen, wenn man ihnen sagt: Das ist unser Gegner, gegen den müssen wir uns zur Wehr setzen. Aber mit dem Science March Germany wollen wir genau das nicht. Wir wollen nicht vor allem "anti" sein, gegen jemanden oder etwas, sondern wir wollen uns für ein Ideal einsetzen: für eine Gesellschaft, die sich auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit gründet, und in so einer Gesellschaft spielt die Wissenschaft zwangsläufig eine zentrale Rolle.
Und das von einem Mann, der mit Fiktion seinen Lebensunterhalt verdient.
Künstler sind durchaus der Wahrheit verpflichtet, vielleicht nicht formal, aber inhaltlich. Übrigens ist meine Lebensgefährtin und Mitinitiatorin Wissenschaftlerin und an der Universität, wir decken also, wenn man so will, die beiden denkbaren Extreme des Spektrums an Leuten ab, die wir mit dem Science March Germany erreichen wollen.
Was Ihnen möglicherweise nicht gelingen wird. Während aus der Wissenschaft ständig Unterstützungsbekundungen kommen, bleibt der Rest der Öffentlichkeit auffällig still.
Wir haben da ein Wahrnehmungsproblem, das stimmt, weil wir zu stark mit dem US-March gleichgesetzt werden, der in der Tat eher eine Kundgebung der Wissenschaft ist. Darum müssen wir immer wieder deutlich machen, dass der Science March Germany genau das nicht sein will, sondern eine Demonstration aus der Mitte der Gesellschaft heraus von Leuten, die sich Sorgen um die Demokratie machen. Das ist keine Lobbyveranstaltung aus der Wissenschaft für die Wissenschaft.
Aber die meisten auch in den 20 lokalen Organisationskomitees vor Ort stammen doch aus der Wissenschaft. Den Weg aus der Blase heraus haben Sie noch nicht gefunden, oder?
Nur wenn Sie Studenten als "aus der Wissenschaft stammend" zählen. Viele Menschen empfinden längst ein diffuses Unwohlsein über die Schieflage, die gesellschaftliche Debatten inzwischen haben – mit einer brüllenden Minderheit, die von sich sagt, sie sei das Volk und habe die Wahrheit für sich gepachtet. Und alles andere ist die Lügenpresse. Oder die Lügenwissenschaft. Unser Ziel ist, dieses diffuse Unwohlsein der schweigenden Mehrheit in konstruktive Proteste umzumünzen. Dass wir noch nicht genug durchgedrungen sind, liegt sicher auch daran, dass wir keine Medienprofis sind. Wir sind eine Graswurzelbewegung von Leuten, die so etwas noch nie gemacht haben.
Sind Sie da nicht zu selbstkritisch? Liegt die Verantwortung nicht bei der Wissenschaft selbst, die es versäumt hat, Brücken in die nichtakademische Öffentlichkeit zu bauen?
Da ist sicher was dran. Die Wissenschaft muss sich stärker an die eigene Nase packen und besser darin werden, den Bürgern zu erklären, was sie eigentlich macht und warum das für die Allgemeinheit wichtig ist. Andererseits ist doch schon viel passiert, die Wissenschaftskommunikation hat sich in den vergangenen 20 Jahren enorm professionalisiert. Gleichzeitig allerdings werden die zu vermittelnden Inhalte, die Forschungsgegenstände, immer komplexer.
Wie wollen Sie eigentlich sicherstellen, dass der Science March nicht eine platte antiamerikanische Note bekommt, gerade wenn Sie selbst nicht offensiv einen Gegner benennen?
Die Idee, für die Wissenschaft auf die Straße zu gehen, stammt doch aus Amerika! Natürlich kann man nie ausschließen, dass der eine oder andere die Gelegenheit missbraucht und irgendwelche schrägen Transparente hochhält. Doch um auch das noch mal klar zu sagen: Der Science March Germany ist keine Anti-Trump-Demonstration.
Wie kann man sich Ihren Alltag vorstellen so kurz vor dem großen Tag?
Ostern ist komplett ausgefallen, das war uns aber schon lange klar. Unsere Hauptaufgabe im Moment ist die überregionale Pressearbeit – zum Glück häufen sich so kurz vor dem March die Presseanfragen. Daneben kümmern wir uns um die Finanzierung der 20 Kundgebungen. Wir machen das ja alles ehrenamtlich, und allein die Flyer, eine Bühne und eine Mikrofonanlage kosten eine Menge Geld. Zum Glück haben wir eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, damit die Freiwilligen nicht auch noch auf den Kosten sitzen bleiben – neben all der Lebens- und Arbeitszeit, die sie da reinstecken. Das Engagement all dieser Leute ist unglaublich. Das Ganze hat sich so wahnsinnig schnell entwickelt, die meisten kenne ich überhaupt nur vom Telefon.
Woran machen Sie am Ende fest, ob all die Mühe sich überhaupt gelohnt hat?
Der Erfolg des Science March ist doch längst da. Statt einer einzigen Zentralkundgebung gibt es überall in Deutschland verteilt Demonstrationen für die Wissenschaft, von Berlin über Bonn bis nach Helgoland, wo vermutlich der kleinste Science March der Welt stattfindet. Auch dass die Medien sich für unsere Botschaft interessieren, dokumentiert den Erfolg – genau wie all die Freiwilligen, die sich sogar jetzt noch bei uns melden. Wir haben eine Debatte gestartet über die Frage, wie wir mit der Wahrheit umgehen wollen, welche Rolle sie für uns als Gesellschaft spielen soll. Ob dann am Ende in Deutschland 10 000 oder 30 000 Leute mitmarschieren, macht nicht mehr den entscheidenden Unterschied.
Und nach dem 22. April ist alles vorbei?
Im Gegenteil: Das ist erst der Anfang. Diese enorme Motivation der Leute, die Energie, die da entstanden ist, die müssen wir weiter produktiv einsetzen. Wie genau, wissen wir aber noch nicht. Wir haben uns versprochen, dass wir das nach dem Science March diskutieren. Wenn wir alle mal wieder richtig ausgeschlafen haben.
Lesen Sie zu diesem Thema auch den Kommentar von Martin Ballaschk "Ein ambivalentes Verhältnis".
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.