Exoplaneten: Sensation: Erdgroßer Planet bei Proxima Centauri
Nun ist es also so weit: Interstellare Raumfahrt – so sie denn trotz irrsinnig langer Reisezeiten jemals betrieben wird – hat ihr erstes Ziel: Proxima Centauri b. Das ist der uns nächste Exoplanet in gerade mal 4,2 Lichtjahren Entfernung. Er umrundet Proxima Centauri, unseren nächsten Nachbarstern (lateinisch: proxima = nächstgelegen). Der rote Zwergstern war gerade deswegen schon mehrfach Thema von Sciencefiction-Romanen.
Dieser Beitrag erscheint in gedruckter Form im Oktoberheft 2016 von "Sterne und Weltraum", das ab dem 16. September 2016 am Kiosk erhältlich sein wird.
Exoplaneten kennen wir mittlerweile zuhauf: rund 3500. Wie die Planeten unseres Sonnensystems umkreisen sie ihr jeweiliges Zentralgestirn. Aber keines dieser Exoplanetensysteme ist uns so nahe wie Proxima Centauri.
Dieser Rote Zwerg befindet sich ganz in der Nähe des hellen Doppelsterns Alpha Centauri A und B. Möglicherweise bildet Proxima mit den beiden sogar ein Dreifachsystem. Während sich die beiden sonnenähnlichen Sterne Alpha Centauri A und B in einem Abstand von nur rund 18 Astronomischen Einheiten zueinander umrunden, ist Proxima von den beiden derzeit 0,2 Lichtjahre (12 700 Astronomische Einheiten) entfernt. Doppelstern und Proxima haben die gleiche Eigenbewegung, bewegen sich also mit der gleichen Geschwindigkeit und Richtung am Himmel. Ob Proxima aber tatsächlich gravitativ an Alpha Centauri A und B gebunden ist, wird unter Forschern noch diskutiert. Wenn ja, betrüge seine Umlaufzeit 500 000 Jahre oder mehr. Das Sternbild Zentaur steht für Europäer unsichtbar am Südhimmel, ist dort jedoch mit den beiden Hauptsternen Alpha und Beta Centauri sehr auffällig.
Mit einer scheinbaren Helligkeit von -0,27 mag ist Alpha Centauri sein hellster Stern. Seine beiden Komponenten sind jeweils etwa so groß wie die Sonne. Der Rote Zwerg Proxima Centauri hingegen hat einen Durchmesser von nur 14 Prozent der Sonne. Mit einer scheinbaren Helligkeit von rund 11 mag ist er um den Faktor 36 000 leuchtschwächer. Trotz der geringen Entfernung zu uns ist er daher nur mit einem Teleskop aufzufinden. Wie viel schwieriger war es, den noch weitaus dunkleren Planeten in seiner Umlaufbahn aufzuspüren?
Übrigens: Rote Zwerge sind im Kataster unseres Milchstraßensystems die mit Abstand häufigste Sternart: Der zahlenmäßige Anteil liegt bei rund zwei Drittel. Mit ihren vermutlich 400 Milliarden Sternen beherbergt die Galaxis also mehr als 250 Milliarden Rote Zwerge.
Schwere Geschütze
Nach Jahrzehnten vergeblicher Suche wurde der Exoplanet um Proxima Centauri endlich zweifelsfrei nachgewiesen. Dies gelang mit der Messung der Radialgeschwindigkeit seines Zentralgestirns, einem der beiden erfolgreichsten Messverfahren zum Nachweis von Exoplaneten (siehe Abschnitt Wie findet man Exoplaneten?). Dazu war eine unglaubliche Präzision erforderlich, die derzeit weltweit nur ein Gerät bieten kann: der Präzisionsspektrograf HARPS.
Der High Accuracy Radial velocity Planet Searcher ist am 3,6-Meter-Teleskop der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile montiert. Wie die englische Bezeichnung andeutet, dient HARPS vor allem der Suche nach Exoplaneten nach dem Radialgeschwindigkeitsverfahren. Mit ihm lassen sich die Relativgeschwindigkeiten von Sternen mit einer Genauigkeit von einem Meter pro Sekunde bestimmen. Das entspricht 3,6 Kilometern pro Stunde, der Geschwindigkeit eines gemütlichen Spaziergangs. Ein internationales Forscherteam um Guillem Anglada-Escudé an der britischen Queen Mary University in London unter deutscher Beteiligung setzte nun HARPS zur Untersuchung von Proxima ein.
Was misst HARPS?
Der Spektrograf verfolgt über einen längeren Zeitraum hinweg einzelne ausgewählte Absorptionslinien im Spektrum des Zielsterns. Diese Linien sind der Fingerabdruck chemischer Elemente im Spektrum der Sternatmosphäre. Sie entstehen in einer Schicht, die etwas kühler ist als diejenige, von der das Sternlicht herrührt. Jedes Element hat seine charakteristischen Linien mit genau bekannten Wellenlängen. Wenn sich der Stern relativ zu HARPS bewegt, so verschieben sich die Linien geringfügig im Spektrum: Entfernt sich der Stern von uns, sind sie zu längeren Wellenlängen hin verschoben – in Richtung Rot –, kommt er auf uns zu, so sind sie zu kürzeren Wellenlängen hin verschoben – in Richtung Blau.
Zerrt nun ein Planet während seines Umlaufs periodisch am Stern, so spiegeln die gemessenen Positionen der Linien im Sternspektrum diese rhythmische Bewegung wider. Die bei den Beobachtungen gewonnenen Daten werden auf diese periodischen Frequenzschwankungen untersucht. Sie sind ein direktes Indiz für die Anwesenheit von Planeten.
Vorsicht Falle!
Ein schwieriges Problem bei der Interpretation der gemessenen Radialgeschwindigkeiten muss jedoch berücksichtigt werden: Nicht wenige Sterne zeigen Schwankungen ihrer beobachtbaren Eigenschaften, die verschiedene Ursachen haben können. Dazu zählen Ausbrüche, so genannte Flares, bei denen große Mengen heißen leuchtenden Gases explosionsartig freigesetzt und ins All abgestoßen werden, dabei die Helligkeit des Sterns erhöhen und eine unterschiedliche Radialgeschwindigkeit vortäuschen. Eine weitere Störquelle sind Sternflecken, ganz ähnlich den Flecken unserer Sonne, die bei der Rotation des Sterns um seine Achse periodische Schwankungen hervorrufen. Eine ganze Reihe von Sternen zeigt rhythmische Pulsationen ihrer Durchmesser. Dabei ändert sich neben ihrer Helligkeit auch die Relativgeschwindigkeit ihrer leuchtenden Oberflächen in Bezug zur Erde. Alle diese Effekte können einen Planeten vortäuschen.
Um diese Fehlerquellen auszuschließen, muss das Verhalten des Sterns daher längerfristig genauestens untersucht werden. Im Fall von Proxima Centauri entwickelten die Astronomen eine speziell auf diesen Stern ausgerichtete Beobachtungskampagne.
Zu Beginn dieses Jahres startete "Pale Red Dot", deutsch "blasser roter Punkt". In diesem Zusammenhang standen den Forschern um Anglada-Escudé im Zeitraum vom 19. Januar bis zum 31. März 2016 rund 60 Nächte am 3,6-Meter-Teleskop der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile zur Beobachtung des Sterns zur Verfügung. Zudem dokumentierten weitere kleinere Teleskope weltweit die stellare Aktivität von Proxima über den gleichen Zeitraum hinweg, um Störungen der Messungen ausschließen zu können.
Pale Red Dot richtete sich auch an die interessierte Öffentlichkeit und demonstrierte im Detail, wie schwierig und wie aufwändig es ist, die Daten von HARPS so aufzubereiten, dass daraus stichhaltige Rückschlüsse auf einen Planeten möglich sind.
Die so gewonnenen Erkenntnisse flossen nun zusammen mit Daten anderer Untersuchungen aus einem 16-jährigen Zeitraum von 2000 bis heute in eine Publikation in der renommierten Wissenschaftszeitschrift "Nature" ein. Mit deren Erscheinen am 25. August dieses Jahres gaben die ESO, das Institut für Astrophysik der Universität Göttingen, das Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und das Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg sowie viele weitere internationale Forschungsinstitute die Entdeckung des Exoplaneten Proxima Centauri b, so die offizielle Bezeichnung, bekannt.
Auf Planetensuche: Pale Red Dot
Die Kampagne "Pale Red Dot" wurde ins Leben gerufen, um frühere, vorläufige Ergebnisse über die Existenz eines Exoplaneten bei Proxima Centauri zu bestätigen. Als Projekt der Öffentlichkeitsarbeit sollte das mittlerweile abgeschlossene Vorhaben dem interessierten Publikum zeigen, wie Forscher eine wissenschaftliche Aufgabenstellung angehen. Im Zentrum stand die Frage, ob es der Erde ähnliche Planeten um die nächsten Nachbarsterne unserer Sonne gibt.
Den Namen hat die federführende Europäische Südsternwarte ESO in Remineszenz an ein spezielles Bild der Raumsonde Voyager 1 gewählt, die im Jahr 1990 auf Bestreben des US-Astronomen Carl Sagan (1934–1996) aus großer Entfernung weit jenseits der Umlaufbahn des Neptuns unsere Erde als "pale blue dot", deutsch: "blasser blauer Punkt", aufnahm. Diese Bezeichnung erfand Sagan für seine Fernsehserie "Cosmos: A Personal Voyage" und sein Buch "Pale Blue Dot", die beide große Welterfolge und für viele Astronomen zur Inspiration wurden. Die Erde war aus Sicht der Sonde mittlerweile so klein, dass sie nicht einmal ein Pixel der Voyager-Kamera füllte.
Für die Messungen der Pale-Red-Dot-Kampagne kam der Spektrograf "High Accuracy Radial velocity Planet Searcher" HARPS der Europäischen Südsternwarte ESO zum Einsatz. Dieses hochpräzise und hochauflösend arbeitende Gerät ist am 3,6-Meter-Teleskop auf dem 2400 Meter hohen Berg La Silla angebracht. Es kann stellare Radialgeschwindigkeiten mit einer Genauigkeit von besser als einem Meter pro Sekunde messen.
Sollte die Pale-Red-Dot-Kampagne Exoplaneten finden, so würden sie nicht einmal als ein Pixel darstellbar sein. Proxima Centauri ist der nächste Fixstern und die Entdeckung eines Planeten bei ihm, so war der Gedanke, würde eine erhebliche Bedeutung haben. Nach vielen Jahren voller Messungen ließ sich bei Proxima Centauri nun tatsächlich ein Signal identifizieren, das auf einen Planeten hindeutet: Proxima Centauri b.
Was wissen wir über Proxima Centauri b?
Aus all den zur Verfügung stehenden Daten schließen Anglada-Escudé und seine Koautoren auf einen Planeten mit der 1,3-fachen Erdmasse, der seinen Stern in 11,2 Tagen umrundet. Damit ähnelt Proxima b unserer Erde bezüglich der Masse.
Die mittlere Entfernung von Proxima Centauri b zu seinem Zentralgestirn beträgt 0,0485 Astronomische Einheiten (AE), rund 7,3 Millionen Kilometer, was etwa dem 19-fachen Abstand Erde-Mond beziehungsweise einem Achtel des Bahnradius des innersten Planeten Merkur zur Sonne entspricht. Wegen der geringen Distanz erscheint der Rote Zwerg Proxima Centauri am Himmel seines Planeten von der Erde aus gesehen mit dem dreifachen Winkeldurchmesser unserer Sonne.
In einem bestimmten Abstandsbereich kann sich an der Oberfläche eines Planeten über längere Zeiträume hinweg flüssiges Wasser halten – sofern der Himmelskörper eine Atmosphäre besitzt und über Wasser verfügt. Gerade dieses Kriterium erachten Forscher als Grundvoraussetzung für Leben, wie wir es kennen. Die Größe dieses Bereichs, bewohnbare oder habitable Zone genannt, hängt von der Einstrahlung des jeweiligen Zentralgestirns ab.
Im Fall von Proxima Centauri ist dieser Bereich sehr schmal und nahe am Stern. Er erstreckt sich im Abstand von 0,042 bis 0,082 AE um ihn. Proxima b liegt genau innerhalb dieser Zone bei 0,0485 AE. Die bei den Messungen mit HARPS ausgenutzte Radialgeschwindigkeitsmethode liefert genau genommen nur Informationen über die Minimalmasse des Planeten. Das liegt an der unbekannten Neigung seiner Umlaufbahn. Abgesehen davon kennen wir bloß noch seine Entfernung zum Stern und seine Umlaufperiode.
Um den Planeten näher zu charakterisieren, müssen also erst noch weitere Daten mit Hilfe anderer Untersuchungsmethoden beschafft werden. Optimal wäre es, wenn der Planet aus unserer Sicht immer wieder vor seinem Stern durchliefe, also Transits durchführt. Dann nämlich ließen sich sowohl seine Größe als auch die Neigung seiner Umlaufbahn exakt bestimmen – und damit auch seine wahre Masse. Quasi als Abfallprodukt folgt außerdem sofort die mittlere Dichte.
Die Wahrscheinlichkeit für Transits von Proxima b liegt laut Anglada-Escudé allerdings bei nur eineinhalb Prozent. In den bisher vorliegenden Daten finden sich keine Hinweise auf Transitereignisse.
Übrigens ist diese Forschergruppe nicht die erste, die einen Planeten um Proxima Centauri beobachtet haben will: Bereits im Jahr 1998 veröffentlichten Astronomen um Alfred B. Schultz vom Space Telescope Science Institute in Baltimore, Maryland, im "Astronomical Journal" eine Arbeit, in der sie über einen Exoplaneten im Abstand von rund einer halben Astronomischen Einheit berichten. Sie wollten ihn mit dem Faint Object Spectrograph an Bord des Weltraumteleskops Hubble direkt gesichtet haben. Spätere Nachuntersuchungen fanden dann aber keine Spur mehr von ihm.
Wegen seiner großen Nähe zum Stern ist davon auszugehen, dass Proxima b gebunden rotiert, dem Roten Zwerg also stets die gleiche Seite zuwendet, ganz so wie der Mond der Erde. Der Grund hierfür liegt in der Gezeitenreibung. Dieser Effekt kommt durch das Schwerefeld des Sterns zu Stande, der auf dem Planeten Gezeitenberge erzeugt. Diese vermindern durch Reibung seine Rotation – so lange, bis die Dauer der Eigenumdrehung der Umlaufzeit um den Stern entspricht. Ein Jahr auf Proxima b ist somit aller Wahrscheinlichkeit nach gleich lang wie sein Tag.
Welche Geheimnisse behält Proxima Centauri b noch für sich?
Weil derzeit nur die Minimalmasse von Proxima b bekannt ist, lassen sich über die Natur dieser Welt nur Spekulationen anstellen. Die Massenobergrenze dürfte zwei bis drei Erdmassen nicht übersteigen, weil sich durch vorherige Suchen nach Planeten in der habitablen Zone des Zwergsterns noch massereichere Welten ausschließen ließen. Bei den Angaben der Masse und des mittleren Abstands zum Stern beträgt der Fehler rund ±10 Prozent, da die Masse von Proxima Centauri ebenfalls nur auf rund 10 Prozent genau bekannt ist. Daher kann die Minimalmasse von Proxima b zwischen 1,17 und 1,53 Erdmassen betragen. Trotz der Unsicherheiten beim mittleren Abstand befände sich der Himmelskörper aber nach wie vor in der habitablen Zone.
Bei diesem Massenbereich dürfte Proxima b mit hoher Wahrscheinlichkeit ein felsiger Planet mit einem Eisenkern und einem silikatischen Mantel mitsamt einer ebensolchen Kruste sein. Dies lässt sich aber erst dann endgültig ableiten, wenn die Masse und der Durchmesser von Proxima b bis auf wenige Prozent genau bestimmt sind – derzeit ist dies leider noch nicht in Sicht. Proxima b wäre dann unter den 3500 derzeit bekannten Exoplaneten ein Vertreter der Supererden. Deren Massen liegen zwischen dem rund 1,3- und dem 3-Fachen der Erdmasse. Ihr innerer Aufbau ähnelt demjenigen der Erde.
Unter der Annahme eines erdähnlichen Aufbaus und einer Masse nahe des Minimums wäre Proxima b nur geringfügig größer als die Erde. Grund ist das im Mantel des Planeten stärker komprimierte Material. Es besäße somit eine höhere Dichte als im Erdmantel. Dies gälte auch für den stärker zusammengepressten Eisenkern. Die Oberflächenschwerkraft fiele etwas höher aus als auf der Erde, wäre aber wohl noch im Toleranzbereich für Menschen. Supererden sind in unserer kosmischen Nachbarschaft weit verbreitet, fehlen aber in unserem Sonnensystem.
Gäbe es eine Atmosphäre ...
Zu diesem Zeitpunkt ist völlig unbekannt, ob Proxima b über eine Atmosphäre verfügt. Falls ja, wie dicht ist diese, und wie sieht ihre Zusammensetzung aus? Der Planet könnte daher trotz seines geeigneten Abstands zum Stern und weiterer günstiger Parameter dennoch eine kahle Gesteinswüste ohne Lufthülle sein. In dem Fall wäre er dann für Leben, wie wir es kennen, ungeeignet.
Die Atmosphäre, so sie denn vorhanden ist, mag für lebensfreundliche Bedingungen aber immer noch völlig ungeeignet sein. Ein Beispiel hierfür gibt es in unserem Sonnensystem: Venus befindet sich zwar nach manchen Definitionen in der lebensfreundlichen Zone um die Sonne und weist im Vergleich zur Erde bei den grundlegenden Eigenschaften wie Masse, Durchmesser und Zusammensetzung annähernd identische Werte auf. Sie ist aber durch einen extremen Treibhauseffekt ihrer dichten Kohlendioxidatmosphäre absolut lebensfeindlich – eine wahre Gluthölle.
Proxima b empfängt von seinem Stern rund 65 Prozent der auf die Erde einfallenden Sonneneinstrahlung. Sie führt auf seiner Oberfläche zu einer Gleichgewichtstemperatur von –39 Grad Celsius. Damit läge die Temperatur deutlich unter dem Gefrierpunkt von Wasser. Das gälte aber auch für die Erde, deren Gleichgewichtstemperatur –15 Grad Celsius beträgt. Der Treibhauseffekt der irdischen Luftfülle, vor allem durch Wasserdampf, sorgt aber dafür, dass die wahre mittlere Oberflächentemperatur 30 Grad höher liegt, nämlich bei rund +15 Grad Celsius. Ähnliches wäre auch bei einer entsprechend zusammengesetzten Atmosphäre um Proxima b möglich, so dass die mittlere Oberflächentemperatur auch dort oberhalb des Schmelzpunkts von Wassereis liegen könnte.
Selbst wenn der Planet, wie zuvor geschildert, gebunden rotiert, so wäre dies jedoch kein prinzipielles Hindernis für lebensfreundliche Bedingungen. Mit einer ausreichend dichten Lufthülle könnten entsprechende Windsysteme dafür sorgen, dass sich die Temperaturdifferenzen zwischen Tag- und Nachtseite ausgleichen. Dann wäre es auch in der ewigen Dunkelheit der Nachtseite nicht unerträglich kalt.
Wäre die Atmosphäre ursprünglich dagegen dünn und brächte deshalb keinen oder kaum einen Temperaturausgleich zwischen der Tag- und der Nachtseite zu Stande, so müsste Letztere extrem kalt sein. Vielleicht so sehr, dass die atmosphärischen Gase dort für immer ausfrören. In einem solchen Fall würde die Atmosphäre von der Tag- auf die Nachtseite wandern und dort zu Eis werden. Die Region um den subsolaren Punkt, also jenem Ort, über dem Proxima immer im Zenit steht, wäre dann sehr heiß und absolut lebensfeindlich.
Bei einer dichten Atmosphäre könnte die Dämmerungszone hingegen für mögliches Leben besonders freundlich sein. Hier stünde Proxima tief über dem Horizont, und es sollte einen lokalen Temperaturausgleich geben.
Roter Zwerg – aber keine rote Laterne!
Proxima Centauri ist ein massearmer, leuchtschwacher Stern, der zu den Roten Zwergen der Spektralklasse M gehört. Seine Oberfläche ist rund 2800 Grad Celsius heiß. Zum Vergleich: Die Sonne hat eine Oberflächentemperatur von 5500 Grad Celsius. Könnte man dem Planeten von Proxima Centauri einen Besuch abstatten, so dürfte man sich die Beleuchtungsverhältnisse dort nicht vorstellen wie in der Morgen- und Abenddämmerung auf der Erde, wo eine glutrote Sonne am Horizont schwebt und alles in ein tiefrotes Licht taucht. Dieser Fehler wird gerne bei künstlerischen Darstellungen von Roten Zwergen gemacht.
Vielmehr würde Proxima für das menschliche Auge am Himmel hellweiß erscheinen, und der geringe Unterschied in der Beleuchtungsstärke im Vergleich zur Sonne wäre kaum wahrnehmbar. Proxima ist erheblich heißer als die heißeste irdische Lava (rund 1200 Grad Celsius), die in einem satten Hellgelb leuchtet. Noch deutlicher wird dies bei flüssigem Eisen. Es verlässt den Hochofen mit rund 1400 Grad Celsius und erscheint dabei weißgelb bis weiß. Proximas Oberfläche ist aber doppelt so heiß. Erst bei einem Regenbogen oder mit einem Prisma würde man allerdings feststellen, dass die roten Anteile im Proximalicht deutlich ausgeprägter und intensiver sind als im irdischen Sonnenlicht.
Am Himmel seines Planeten erscheint Proxima Centauri als eine zirka eineinhalb Grad große Scheibe und weist damit rund den dreifachen scheinbaren Durchmesser der Sonne auf. Ein direktes Hineinsehen wäre also genau wie auf der Erde nicht zu empfehlen.
Vorsicht: Flare-Stern!
Auch wenn alle Voraussetzungen für Lebensfreundlichkeit auf dem Planeten gegeben sein sollten, so könnte das Zentralgestirn einen Strich durch die Rechnung machen: Bei Proxima Centauri handelt es sich nämlich um einen Flare-Stern, der die unangenehme Neigung zu heftigen Strahlungsausbrüchen und Materieauswürfen – den so genannten Flares – im Bereich der hochenergetischen Röntgenstrahlung hat. Über die fast fünf Milliarden Jahre seiner Existenz könnten diese Ausbrüche eine ursprünglich vorhandene Atmosphäre um seinen Planeten weggeblasen haben – je nachdem, ob dieser ein Magnetfeld hat oder nicht. Besonders in der Zeit unmittelbar nach seiner Entstehung dürfte Proxima Centauri noch sehr viel aktiver gewesen sein als heute und ständig mächtige Ausbrüche produziert haben. Außerdem ist der Abstand des Planeten zum Zentralgestirn äußerst gering, so dass stellare Ausbrüche mit sehr viel größerer Wucht auf Proxima b treffen, als es bei der Erde bei ähnlichen Ausbrüchen der Sonne der Fall ist.
In den mit der Radialgeschwindigkeitsmethode abgeleiteten Daten von Proxima Centauri finden sich in der Arbeit von Anglada-Escudé und Kollegen Hinweise darauf, dass es noch einen weiteren Planeten in diesem System geben könnte. Dieser würde den Zwergstern mit einer Periode zwischen 50 und 500 Tagen umrunden. Auf jeden Fall würde ein weiterer Planet, Proxima c, die Umläufe von Proxima b nicht stören, und das System wäre, wie es die Forscher anhand von Simulationen ermittelten, über lange Zeiträume stabil. Ein Nachweis des möglichen Planeten Proxima c könnte eventuell an Hand der astrometrischen Daten der Gaia-Mission gelingen.
Die Forscher um Anglada-Escudé untersuchten auch, wie Proxima b einstmals entstanden sein könnte. Anhand der spektralen Eigenschaften des Sterns gehen die Astrophysiker von einem Alter von 4,85 Milliarden Jahren aus. Proxima ist also etwas älter als unsere Sonne mit ihren 4,56 Milliarden Jahren. Die Forscher nehmen an, dass Proxima Centauri, wie alle Sterne kurz nach ihrer Entstehung, von einer dichten Scheibe aus Gas und Staub umgeben war. Sie enthielt vermutlich rund fünf Prozent der Gesamtmasse des Systems und erstreckte sich bis in eine Entfernung von zehn Astronomischen Einheiten, also dem Zehnfachen des Abstands Erde–Sonne.
Modellierungen dieser Akkretionsscheibe, deren Lebensdauer zwischen drei und zehn Millionen Jahren betrug, zeigen, dass sich so dicht beim Stern nicht genügend Materie befunden haben sollte, um dort einen Planeten mit der Masse von Proxima b bilden zu können. Innerhalb von 1,6 AE zum Stern sollten nur rund 1,5 Erdmassen an Materie vorhanden gewesen sein.
In diesem Licht diskutieren die Autoren der Forschungsarbeit drei Entstehungsszenarien für Proxima b: Im ersten gehen sie davon aus, dass sich der Planet in rund fünf bis sechs AE zum Stern bildete. Er wanderte dann durch gravitative Wechselwirkungen mit der Scheibe immer weiter nach innen, bis er seinen heutigen Abstand erreicht hatte. Im zweiten Modell entstehen erst einmal kleinere Himmelskörper im gleichen Abstand wie in der ersten Theorie, die dann aus den gleichen Gründen nach innen wandern. Dort erst kollidierten die Objekte untereinander, wodurch sie miteinander zu einem großen Planeten verschmolzen. Im dritten Szenario entstehen erst einmal kleine Materiebrocken, die als "Kieselsteine" (englisch: pebbles) bezeichnet werden. Sie wandern durch hydrodynamische Reibung im Gas der Akkretionsscheibe zum Stern hin und vereinigen sich dort durch Kollisionen untereinander zu einem Planeten.
In den ersten beiden Szenarien wäre Proxima b ein gas- und wasserreicher Himmelskörper geworden. Im dritten würde daraus eine sehr viel trockenere Welt resultieren, da das an den Kieseln angefrorene Wasser bei der Annäherung an Proxima Centauri zum größten Teil verdampft wäre.
All diese Möglichkeiten lassen sich aber erst dann zu einer Variante verdichten, wenn Proxima Centauri b mit zukünftigen Analysegeräten an den Teleskopen der nächsten Generation in Detail erkundet werden kann. Hat er eine Atmosphäre? Verfügt er über Ozeane?
Sollte Proxima Centauri b jemals zur In-situ-Erkundung, also der Erforschung vor Ort, auserkoren werden, so wäre die Distanz zu ihm ein überaus ernst zu nehmendes Hindernis: Mit heutiger Raketentechnik benötigte eine Sonde für ihre Reise dorthin mehrere 10 000 Jahre. So lange kann kein Forscher auf Ergebnisse warten. Daher müssen zuvorderst völlig neue Antriebe ersonnen werden, um eine interstellare Reise zur Erkundung von Proxima Centauri mit überschaubarer Reisezeit überhaupt zu ermöglichen.
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