Kosmologie: Eine Sternenwüste in der Milchstraße
Auf eine Art von riesiger stellarer Wüste meinen die Astronomen um Noriyuki Matsunaga von der University of Tokyo in unserem Milchstraßensystem gestoßen zu sein. Sie fanden eine Region um das galaktische Zentrum mit einem Durchmesser von 16 000 Lichtjahren, in der es keine jungen Sterne gibt, also Sterne, die jünger sind als etwa eine Milliarde Jahre (zum Vergleich: unsere Sonne ist etwa 4,6 Milliarden Jahre alt). Die Astronomen um Matsunaga erstellten eine Karte der Verteilung von veränderlichen Sternen vom Typ der Cepheiden und stellten dabei fest, dass es zwar im unmittelbaren Umfeld des galaktischen Zentrums vier Cepheiden gibt, aber in einer ringförmigen Region bis zu einem Abstand von 8000 Lichtjahren sonst keine weiteren. Erst jenseits davon, auf der uns gegenüberliegenden Seite des galaktischen Zentrums lassen sich dann wieder Cepheiden nachweisen. Diese »stellare Wüste« befindet sich in der zentralen Sternscheibe (englisch: Nuclear Stellar Disk), die exakt in der Ebene unseres Milchstraßensystems liegt.
Cepheiden haben große Bedeutung für die Astrophysik, denn sie lassen sich als Standardleuchtquellen für die Entfernungsbestimmung verwenden. Die Veränderung ihrer Leuchtkraft erfolgt periodisch und die Länge dieser Zyklen ist an ihre absolute Helligkeit gekoppelt. Bestimmt man also die Periode eines Cepheiden, so kann man dessen tatsächliche Helligkeit errechnen und mit der gemessenen vergleichen. Aus diesem Vergleich lässt sich dann die Entfernung dieses Cepheiden ermitteln. Allerdings müssen dabei noch Störungen wie die Absorption des Lichts durch vorgelagerte Staubwolken berücksichtigt werden. Cepheiden sind die Endphasen von Sternen mittlerer Masse. Sie sind je nach Ausgangsmasse zwischen 10 und 300 Millionen Jahre alt. Gegen Ende ihres Cepheidenstadiums schrumpfen die meisten von ihnen nach dem Verlust eines großen Teils ihrer ursprünglichen Masse zu einem Weißen Zwerg zusammen.
Die Forscher um Matsunaga durchmusterten nun mit einem 1,4-Meter-Teleskop in Südafrika den Himmel im Infraroten im Umfeld um das galaktische Zentrum, das sich rund 26 000 Lichtjahre von uns entfernt im Sternbild Schütze befindet. Dabei suchten sie gezielt nach Cepheiden und ermittelten deren Perioden und Helligkeiten. Zu ihrer großen Überraschung tat sich im Bereich der zentralen Sternscheibe ein riesiges Gebiet auf, in dem sie keine Cepheiden nachweisen konnten. Die Abwesenheit von Cepheiden in der Scheibe um das galaktische Zentrum ist offenbar ein Beleg dafür, dass es hier nur alte und massearme Sterne gibt, die ja sehr langlebig sind.
Ende 2015 stellten Forscher um Istvan Dékány vom chilenischen Instituto Milenio de Astrofísica in Santiago eine Arbeit vor, in der sie ebenfalls die Verteilung von Cepheiden um das galaktische Zentrum beschrieben. Sie waren auf 35 Cepheiden gestoßen, die sich ihren Untersuchungen nach in der galaktischen Scheibe befinden. Bei ihnen gibt es keine stellare Wüste im Innern des Milchstraßensystems.
Matsunaga und seine Kollegen gehen ausführlich auf diese Untersuchungen ein und stellen fest, dass diese Resultate mit den Ergebnissen der Beobachtungen im Radiowellenbereich nicht übereinstimmen. Sie meinen, dass die dort vorgestellten Objekte sich entweder ober- oder unterhalb der zentralen Kernscheibe befinden. Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Entfernungen wegen der starken interstellaren Absorption durch die Staubwolken im Zentrum der Milchstraße nicht richtig bestimmt wurden. Bei manchen der Cepheiden aus beiden Arbeiten stimmen die Positionen im Bereich der Fehlergrenzen überein. Nun muss abgewartet werden, ob weitere Untersuchungen diese stellare Wüste bestätigen oder widerlegen.
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