Gene in der Jungsteinzeit: Europas Genpool mischt sich seit der Steinzeit
Nach umfangreichen Genanalysen von prähistorischen Skeletten können Forscher die Siedlungsgeschichte Europas seit der Jungsteinzeit jetzt präziser als zuvor nachvollziehen. Die Paläogenetiker hatten dafür DNA isoliert, die in den verschiedenen Jahrtausenden vom Beginn der neolithischen Umwälzung bis in die Bronzezeit alle in derselben Region im heutigen Sachsen-Anhalt gelebt haben. Die Ergebnisse legen einerseits nahe, dass drastische Einschnitte den Genpool Europas immer wieder einmal deutlich verändert haben. Menschen haben sich aber auch immer ein wenig untereinander gemischt, während ältere, zunächst verdrängte Linien die Chance auf ein späteres Comeback wahren konnten.
Ein Team aus deutschen Forschern der Universität Mainz und australischen Kollegen hat anhand aussagekräftiger Abschnitte der mtDNA den genetischen Haplotyp von 364 Skeletten bestimmt, welche in neun archäologischen Fundstellen in Sachsen-Anhalt gefunden worden waren [1]. Die zwischen etwa 8000 bis 2000 Jahre alten Gebeine decken ein Zeitspektrum ab, das alle wichtigen Kulturen Zentraleuropas vom Mesolithikum bis in die Bronzezeit umfasst: Vertreter der aus der Altsteinzeit verbliebenen Wildbeuterkulturen ebenso wie frühneolithische Linearbandkeramiker sowie Trichterbecher-, Schnurkeramik- und Glockenbecherleute oder bronzezeitliche Menschen der Aunjetitzer Kultur.
Steinzeit in Sachsen-Anhalt: Die Gene von Jägern und Bauern
Die Auswertung zeigt, dass zu bestimmten Zeiten bestimmte Haplotypen – also ein bestimmter Verwandtschaftskreis – besonders häufig waren; dass so eine epochetypische genetische Signatur dann aber immer wieder einmal auch relativ plötzlich von einer anderen verdrängt worden ist. Solche Umwälzungen ereigneten sich etwa am Ende des "Mesolithikums". Damals wurden die mittelsteinzeitlichen Menschen Zentraleuropas mit ihren charakteristischen Mt-Sequenzen – den älteren so genannten U*-Haplotypen – vor rund 7500 Jahren von den Kulturträgern der Linearbandkeramik fast völlig verdrängt. Diese strömten aus dem Nahen Osten, dem Kaukasus und Anatolien herbei und führten die Agrarwirtschaft ein. Offenbar ersetzen diese Menschen die Ureinwohner: Eine alternative Erklärung der Signaturveränderungen über die Zeitläufte hinweg – etwa durch ein Phänomen genetischer Drift, bei der kleine Populationen sich nach einem starken Bevölkerungsrückgang zufällig durchsetzen – werden durch die Analysen nicht bestätigt.
Ähnliche, wenn auch nicht ganz so ausgeprägte dynamische Populationsumwälzungen wie am Ende des Mesolithikums ereigneten sich im für Zentraleuropa typischen Sachsen-Anhalt auch später noch mindestens dreimal: Etwa beim Übergang von der frühen zur mittleren Jungsteinzeit vor gut 6000 bis 5000 Jahren, als die Jungsteinzeitler aus Zentraleuropa nach Skandinavien vordrangen und dafür mesolithische Jäger-und-Sammler-Gene wieder häufiger wurden. In der späten Jungsteinzeit und zu Beginn der Bronzezeit spielten sich europaweit weitere Wanderungsbewegungen ab: So drangen etwa die Schnurkeramiker von Osten kommend vor; zudem scheinen Kurgan-Menschen aus Sibirien und der Gegend des heutigen Kasachstans zugewandert zu sein. Unter den Kurgan werden seit Langem die Einwanderer vermutet, die die indoeuropäischen Sprachen mit sich gebracht haben; dies ist allerdings immer noch ebenso umstritten wie schwer zu belegen.
Fische, Früchte oder Getreide als Steinzeitnahrung?
Die letzte Umwälzung, die sich in den Gensignaturen zeigt, könnte mit dem Vordringen der Glockenbecherkultur aus dem Westen Europas vor etwa 4500 Jahren in Einklang zu bringen sein. Im Untersuchungsgebiet von Mittelelbe-Saale lebten die Nachfahren der Schnurkeramiker aus dem Osten und der Glockenbecher-Kulturträger aus dem Westen dann einige Jahrhunderte nebeneinander. Insgesamt ähnelt die genetische Signatur in der Bronzezeit schon der heutigen Verteilung der Mt-Gene in Europa, die die Forscher anhand von 500 zufällig ausgewählten Europäern zum Vergleich bestimmten. Die Ergebnisse bestärken insgesamt Zweifler an Hypothesen, nach denen bei der neolithischen Umwälzung vom Wildbeutertum zur Landwirtschaft die Ureinwohner Kulturtechniken von den Einwanderern übernommen haben ("demische Diffusion"). Stattdessen sind Einheimische nicht immer sofort, aber wohl doch nicht selten von Zuwanderern de facto verdrängt und ersetzt worden.
Eine zweite Studie von Forschern der Universität Mainz um Joachim Burger ergänzt die Beobachtungen am Beispiel älterer Gensignaturen, die schon vor dem Neolithikum in Europa präsent waren [2]. Sie analysierten die alten DNA-Spuren von Skeletten aus der Blätterhöhle in der Nähe von Hagen: Sie war im Mesolithikum und in der Jungsteinzeit offenbar als Bestattungsort benutzt worden. Dies ermöglichte den Forscher einen Vergleich der älteren und jüngeren Gen- und Isotopensignaturen. Dabei zeigt sich, dass Nachfahren der älteren lokalen Wildbeuterkulturen aus dem Mesolithikum und die modernen Farmer noch lange nach der Einführung der Landwirtschaft nebeneinanderher gelebt haben. Die Nachkommen der Jäger und Sammler blieben dabei ihrer Lebensweise treu: Sie ernährten sich, wie Isotopenanalysen zeigen, von Süßwasserfischen statt von Feldfrüchten. Unklar ist, wie eng der kulturelle Austausch zwischen den Gruppen blieb, die offenbar in getrennten Nischen existierten, sich aber manche Orte – wie die Blätterhöhle – als Grablege teilten.
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