Artensterben: Mensch vernichtet mehr Arten als Klimawandel
Welche Rolle spielen Mensch und Klima, wenn Arten aussterben? Diese Frage ist nach wie vor hoch umstritten, nicht erst seit sich herausstellte, dass die großen Wirbeltiere Nordamerikas allesamt ungefähr zeitgleich mit der ersten Besiedelung des Kontinents und dem Ende der letzten Eiszeit ausstarben. Seither fragt man sich, wodurch genau Arten zu Grunde gehen – eine spannende Frage auch im Bezug auf den aktuellen und zukünftigen Klimawandel.
Eine paläontologische Arbeitsgruppe um Janet Franklin von der Arizona State University hat auf der Insel Great Abaco in den Bahamas eine Art Minilabor für diese Artverluste gefunden. Im Sawmill Sink, einer kreisrunden, mit Wasser gefüllten Doline, fand die Forscherin zusammen mit ihrem Team über 5000 Knochen. Ihre ursprünglichen Besitzer waren vermutlich die Beute von Greifvögeln, die in der Höhle nisteten, bevor der steigende Meeresspiegel sie von dort vertrieb.
Seit die Vögel die Kadaver – ein lokaler Querschnitt durch die Wirbeltierfauna des Pleistozäns – dort abluden, trugen sich auf Great Abaco zwei einschneidende Veränderungen für Fauna und Flora zu: Einerseits stieg am Ende der letzten Eiszeit der Meeresspiegel deutlich, als das Klima wärmer und feuchter wurde. Andererseits gelangten vor etwa 1000 Jahren erstmals Menschen auf die entlegene Inselgruppe. Wie die Forscherin berichtet, zeigen die Fossilien, dass beiden Ereignissen eine ganze Reihe Wirbeltiere zum Opfer fielen.
Franklins Team identifizierte die Überreste von 95 Wirbeltierarten in den Funden aus der gefluteten Grotte auf Great Abaco, der drittgrößten Insel der Bahamas. Sie existierten also bereits im Pleistozän auf der Insel, in jenem Zeitalter, das mit dem Ende des letzten Vereisungszyklus vor etwa 10 000 Jahren endete. Insgesamt 56 dieser Arten findet man noch heute auf dem Eiland, während 39 auf Nimmerwiedersehen verschwanden.
Allerdings geschah dies nicht bei allen gleichzeitig, wie Funde aus späteren Epochen der Inselgeschichte zeigen. Einige von ihnen sah man schon nach dem Ende der Eiszeit nie wieder, andere scheinen bis vor wenigen hundert Jahren noch auf der Insel gelebt zu haben. Der Anstieg des Meeresspiegels am Übergang vom Pleistozän zum Holozän jedenfalls hatte für die Inseln der Bahama-Bänke gravierende Folgen: Ihre Gesamtfläche verringerte sich um nahezu 90 Prozent auf heute etwa 13 000 Quadratkilometer. Das Wasser ließ Great Abaco sogar noch deutlicher schrumpfen: Die Insel nahm auf gerade einmal sieben Prozent ihrer einstigen Größe ab. Gleichzeitig änderte sich das Klima und damit die Vegetation: Laubwald verdrängte die bis dahin dominierenden Nadelgehölze.
Vermutlich im Zuge dieser Umstellung verschwanden 17 Vogelarten, zumindest tauchen sie schon in Fossilfunden des Holozäns nicht mehr auf. Die restlichen 22 Wirbeltierarten, die das Ende der Eiszeit überlebten, es aber nicht mehr in die Gegenwart schafften, erklären die Forscherin und ihr Team zu Opfern des Menschen.
Die mutmaßlich nach Ankunft des Menschen ausgestorbenen Arten sind deutlich vielfältiger. Während am Ende der Eiszeit lediglich Vögel mit einer Präferenz für die verschwundenen offenen Lebensräume ausstarben, verschwanden im Holozän neben Vögeln auch eine Schildkröte, ein Krokodil und vier Fledermausarten, die den drastischen Klimawandel vor 10 000 Jahren gemeistert hatten. Das ist eine schlechte Nachricht für viele der restlichen über 50 Wirbeltierarten auf der Insel, schließen die Wissenschaftler: Der menschengemachte Klimawandel könnte sie zwar verschonen, doch gegen den Menschen selbst und seinen fortdauernden Vernichtungsfeldzug dürfte ihre Anpassungsfähigkeit sie nur unzureichend wappnen.
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