Maritime Ausbreitung der Menschheit : Mit dem Wind gelang Besiedlung der Pazifikinseln
Das vielleicht letzte wirklich große nautische Abenteuer der Menschheit spielte im frühen Mittelalter im Pazifik: Nach und nach waren damals Seefahrer in hochseetüchtigen Kanus zu den letzten noch menschenleeren Siedlungsräumen gesegelt und hatten Niemandsländer von Neuseeland bis zur Osterinsel besiedelt. Umstritten ist dabei bis heute, wie hoch entwickelt das segeltechnische Rüstzeug dieser pazifischen Pioniere tatsächlich war. Nichts deutet etwa darauf hin, dass sie mit ihren Kanus bereits gut gegen den Wind vorankommen konnten – fortschrittliche, für einfaches Kreuzen nötige Takelungen etwa mit Lateinersegeln setzten sich vor Ort viel später durch. Wie bewältigten die Pazifikvölker dann aber derart enorme Strecken im Stillen Ozean? Vielleicht, vermuten Forscher, reichte den Seefahrern robustes Gerät und Rückenwind.
Darauf deuten zumindest die Modellierungen pazifischer Windsysteme aus vergangenen Jahrhunderten hin, die Forscher um Ian Goodwin von der Macquarie University in Sydney nun erstellt haben [1]. Dabei legten sie ihr Augenmerk auf die »mittelalterliche Klimaanomalie«, die zwischen 800 und 1300 nach der Zeitrechnung die vorherrschenden Windrichtungen im Stillen Ozean mehrfach völlig umgekehrt hatte. Tatsächlich resultierten daraus über viele Jahrzehnte hinweg stabile Routen, die auch mit vor dem Wind segelnden Kanus gut bereist werden konnten, meinen die Forscher. So seien etwa die zentralen Inselgruppen im Pazifik (von den Gesellschaftsinseln bis zum Gambier-Archipel) aus den Siedlungszentren um Samoa im späten 11. Jahrhundert gut erreichbar gewesen – und womöglich auch die Osterinsel, die noch weiter östlich liegt. Etwas später drehten die Windsysteme dann, wodurch vom Zentralpazifik aus Neuseeland zugänglich wurde.
Tatsächlich passen die frühesten archäologischen Nachweise menschlicher Besiedlung und die Hypothesen über die vermutliche Herkunft von Pioniersiedlern in mehreren Fällen gut zu den günstigen Windfenstern, die die Forscher aus Sydney nun eingegrenzt haben. Ein gutes Beispiel ist Neuseeland, das nach derzeitigem Stand des Wissens tatsächlich ab Mitte des 12. Jahrhunderts besiedelt wurde, wahrscheinlich durch verschiedene Seefahrer von den zentralpazifischen Gesellschafts- und südlichen Cook-Inseln. Diese gelten zumindest als nächste Verwandte und Ahnenvölker der neuseeländischen Maori. Das Klima könnte zudem ein Grund für die waghalsige Reise der Polynesier gewesen sein: Mit den Windsystemen hatten sich wohl auch die Bedingungen im Heimatland verschlechtert und womöglich für Nahrungsmittelknappheit gesorgt, vermuten die Forscher.
Mit welchen Kanus die Pazifiksegler unterwegs waren, ist zudem nach einem neuen Fund nun besser bekannt: Wahrscheinlich trugen hochseetüchtige Doppelrumpfkanus oder Auslegerboote mit einfachen Dreiecksegeln die ersten Siedler über den Pazifik. Die Rumpfkonstruktion solcher Kanus kannte man im Prinzip schon aus Überlieferungen; zudem war vor einigen Jahrzehnten auf den Gesellschaftsinseln ein sehr altes Exemplar gefundenen worden. Sehr ähnlich sieht diesem ein neuer Fund, den Forscher aktuell vorstellen: die recht gut erhaltene Rumpfpartie eines Hochseekanus, das auf der Südinsel von Neuseeland geborgen werden konnte [2].
Dieses Exemplar ist nach Kohlenstoffanalysen von Holz und Birkenrindenverschalung wohl um 1400 zuletzt zu Wasser gelassen worden – und war vorher womöglich schon einige Jahrzehnte in Gebrauch gewesen. Vielleicht gehörte es sogar der dritten oder vierten Siedlergeneration Neuseelands – Menschen, die gerade erst begannen, von Zentral-Polynesiern zu einheimischen Maori zu werden. Darauf deutet auch eine Verzierung am Kanurumpf: eine Meeresschildkröte. Sie ist typisches Symbol weiter im pazifischen Norden und in Polynesien, verschwand dann aber nach und nach aus der Bildsprache der Maori, die mit solchen Tieren in der neuen Heimat nur noch selten in Kontakt kamen.
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