Entstehung des Mondes: Mond und Erde nach und vor der Kollision
Der Erdmond entstand, der gängigsten Theorie zufolge, einst nach einem heftigen Zusammenstoß der Protoerde mit einem unglücklich ihre Bahn kreuzenden, etwa marsgroßen Himmelskörper namens Theia: Als der Staub sich nach diesem Crash dann gelegt hatte, kreisten ein zu mehr als 80 Prozent aus Theia-Material bestehender Mond und die Erde umeinander, wie Modellrechnungen und Simulationen der vor rund 4,5 Milliarden Jahren möglichen Ereignisse nahelegen. Diese Rechnungen hatten für viele Astronomen aber seit Langem auch Schönheitsfehler. Denn Erde und Mond müssten dann eigentlich aus unterschiedlichem Gesteinsmaterial bestehen, weil vermutlich auch Theia und Protoerde unterschiedlich zusammengesetzt waren. Leider fand man bei einigen Untersuchungen von Apollo-Mondgesteinsproben aber weniger deutliche Unterschiede zwischen Erde und Mond als erwartet: Beide ähneln einander sehr, nicht aber dem Mars oder anderen Gesteinsbrocken des Sonnensystems. Was stimmt also nicht mit der Theorie?
Ein Team von Planetenkundlern glaubt nun, eine bessere Antwort geben zu können. Die Forscher meinen nach neuen, zehnfach genaueren Berechnungen des wilden Durcheinanders der Jugendphase des Sonnensystem, dass Theia doch eine Zusammensetzung wie die Protoerde hätte haben können. Folglich müssten der zu großen Teilen aus Theia bestehende Mond und die Erde gar nicht allzu unterschiedlich sein, und die Theorie wäre gerettet.
Dieser Ausweg war vorher allerdings für eher unwahrscheinlich gehalten worden: Man hatte vermutet, dass die Protoerde einfach viel häufiger Gelegenheit hatte, mit großen Brocken zu kollidieren, die deutlich näher an der Sonne entstanden und daher anders aufgebaut sind. Eine Annahme, die auf recht ungenauen Daten basierte, so nun die neue Studie. So kursierte sie bereits, bevor man im vergangenen Jahr zumindest subtile Unterschiede der Sauerstoff-Isotopenverhältnisse von Mond- und Erdgestein aufdecken konnte. Es reicht demnach schon, wenn sich Theia und Protoerde relativ ähnlich gewesen sind, kommentiert etwa die Planetologin Robin M. Canup vom Southwest Research Institute zur aktuellen Veröffentlichung.
Die These eines Zusammenstoßes von gesteinstechnisch (fast) identischen Kollisionsgegnern sei nun aber längst nicht wasserdicht, sondern höchstens etwas wahrscheinlicher, so die Expertin. Tatsächlich könnten auch Alternativhypothesen zutreffen, die die Ereignisse bei der Entstehung des Mondes anders beschreiben. So mag es etwa auch sein, dass sich nach der Entstehung von Erde und Mond die zunächst unterschiedlichen Isotopenverhältnisse durch einen noch unverstandenen Prozess ausgeglichen haben.
Recht sicher dürften aber auch spätere, nach dem Crash erfolgte Ereignisse die Zusammensetzung von Erd- und Mondgestein weiter verändert haben. Damit erklären sich Planetologen etwa die Erkenntnisse von zwei weiteren gerade veröffentlichten Studien, welche die Unterschiede der Wolfram-Isotopenzusammensetzung in Erd- und Mondgestein herausgearbeitet haben – und hier nun wieder deutliche Unterschiede finden.
Diese lassen sich aber vermutlich nicht nur dadurch erklären, dass Theia und Protoerde vor ihrer Kollision unterschiedlich waren. Denn gerade "siderophile", also mit Eisen assoziierende Elemente wie die untersuchten Wolframisotope gelten als Kandidaten, die nachträglich durch Asteroiden- und Planetesimalabstürze auf Erde und Mond gelangt sind.
So vermutet man, dass solche späteren Einschläge während der Zeit des Großen Bombardements (Late Heavy Bombardment) die oberen Schichten von Erde und Mond mit siderophilen Elementen angereichert haben, während alle ursprünglich aus dem Theia-Erdcrash stammenden Siderophilen im Eisenkern angereichert sind. Die heutigen Unterschiede der Wolframisotope im Mantel haben demnach wohl wenig mit der Zusammensetzung von Theia und Protoerde zu tun: Sie zeigen eher an, dass Erde und Mond später unterschiedlich stark vom Großen Bombardement betroffen waren und Nachschub – etwa an Wolfram – erhielten.
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