Mainauer Deklaration: Klimawandel - die größte Aufgabe der Menschheit
Vom 28. Juni bis zum 3. Juli wurde die Insel Lindau im Bodensee zu einem der klügsten Orte der Welt. Zum 65. Mal kamen hier Nobelpreisträger aus Physik, Chemie und Medizin zusammen, um sich untereinander und mit jungen Forschern auszutauschen. In diesem Jahr sogar aus allen drei Disziplinen, was das Lindauer Treffen zum bislang teilnehmerstärksten machte.
Zum Abschluss der Veranstaltung unterzeichneten 36 der Laureaten eine gemeinsame Erklärung zum Klimawandel. Wenn die Menschheit nicht dem steigenden Rohstoffverbrauch entgegensteuere, so die Preisträger in ihrem Appell, "wird dies zu einer umfassenden menschlichen Tragödie führen". Würden die globalen Treibhausemissionen nicht drastisch gesenkt, stünde im kommenden Jahrhundert sehr wahrscheinlich eine Temperatursteigerung um mehr als zwei Grad Celsius bevor. "Untätigkeit würde bedeuten, dass wir künftige Generationen der Menschheit einem unzumutbaren Risiko aussetzen." Diese Fakten sind bekannt. Dass Nobelpreisträger gemeinsam zum Handeln gegen den Klimawandel auffordern, ist nicht neu. Was macht die Mainauer Deklaration also historisch? Ist es der gewählte Zeitpunkt?
Ein Appell mit Vorbildern
Die Mainauer Deklaration steht in der Tradition der Mainauer Kundgebung von 1955, die der deutsche Chemiker und Nobelpreisträger Otto Hahn anstieß und der sich – ebenfalls von der damaligen Tagung in Lindau ausgehend – mehr als 50 Nobelpreisträger anschlossen. Vor 60 Jahren warnten die profiliertesten Wissenschaftler der Welt vor den Gefahren durch Nuklearwaffen. Heute mahnen ihre Nachfolger die Staaten, einer "Bedrohung von ähnlichem Ausmaß" zu begegnen, der globalen Erwärmung.
Der Mainauer Kundgebung 1955 folgte zwei Jahre später die Göttinger Erklärung von westdeutschen Atomforschern, die eine deutlich größere Wirkung entfaltete und die sich folglich öfter in den Geschichtsbüchern findet. Es scheint selbst bei drängenden Fragen, die für das Fortbestehen der menschlichen Gesellschaft entscheidend sind, mehrere Anläufe zu brauchen, und die gemeinsame Stimme dutzender Nobelpreisträger allein garantiert nicht, dass Politiker reagieren. Auch die Mainauer Deklaration kann bereits auf einen Vorgänger zurückblicken, der nicht die erhoffte Strahlkraft erreichte.
Schon 2009 unterzeichnete eine sogar noch größere Zahl von Nobelpreisträgern – darunter auch solche für Frieden und Literatur, aber auch Unterstützer der Erklärung von heute – einen Appell mit ähnlicher Botschaft: das "St. James's Palace Memorandum". Sechs Monate vor dem Klimagipfel der Vereinten Nationen in Kopenhagen sollte es ein deutliches Signal an die Teilnehmer der Konferenz senden. Doch diese scheiterte – lediglich das oft genannte Zwei-Grad-Ziel wurde seinerzeit anerkannt. Seitdem ist es nicht gelungen, eine völkerrechtlich verbindliche Klimaschutzpolitik zu erreichen. Eine solche Regelung soll endlich auf der UN-Klimakonferenz im Dezember 2015 in Paris beschlossen werden. Das interdisziplinäre Lindauer Treffen lag also günstig für die Mainauer Deklaration.
Ein irrlichternder Preisträger
Zuvor hatten Besucher der Tagung bereits gehofft, dass einige der anwesenden Laureaten sich öffentlichkeitswirksam und bestimmt zu den Gefahren des Klimawandels äußern würden. Ein Anlass war ein Vortrag des Preisträgers Ivar Giaever, der zu dem Thema sprach, obwohl er davon nach eigener Aussage nichts versteht – aber sich ein wenig bei Google umgeschaut hätte. Das genügte ihm, um die Erderwärmung in Abrede zu stellen. Auch Nobelpreisträger irren. Es ist sogar ein gemeinsamer Charakterzug der Laureaten, bestehendes Wissen anzuzweifeln, denn das brachte ihnen schließlich ihre Auszeichnung – in der Rückschau ist es stets eine Erfolgsgeschichte. Doch dazu gehört auch, auf Basis aller verfügbaren Daten zu argumentieren. Wenn sie jedoch, wie Giaever, obendrein eine Bühne für nicht fundierte, widersprüchliche und widerlegbare Thesen erhalten, ist das gefährlich und erfordert eine Reaktion. Schließlich kann die Aura des Genialen um einen Nobelpreisträger dazu verführen, jede seiner Aussagen in Stein zu meißeln.
Im Verlauf der Konferenz und in Gesprächen mit anwesenden Wissenschaftlern äußerte sich zwar beispielsweise Physiknobelpreisträger Steven Chu, der von 2009 bis 2013 Energieminister der USA war, vernichtend zu Giaevers unhaltbarem Standpunkt, wie Teilnehmer etwa auf Twitter dokumentierten. Eine öffentliche und von zahlreichen Laureaten getragene Erklärung, wie sie nun mit der Mainauer Deklaration vorliegt, ist aber das wirksamere Mittel, um die Meinung der überwältigenden Mehrheit der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu verdeutlichen: Der Klimawandel ist real.
Schon wieder eine historische Erklärung
Dafür kommt die Mainauer Deklaration, so stark und notwendig ihre Motivation und Botschaft ist, in ihren Formulierungen noch erstaunlich zurückhaltend daher. Die unterzeichnenden Nobelpreisträger machen sich standesbewusst nicht die Aussagen des IPCC zu eigen, des Ausschusses der Vereinten Nationen, der sich mit Klimaveränderung befasst. Den Sachstandsbericht des Weltklimarats, "auch wenn er bei Weitem nicht perfekt ist", halten sie für überzeugend und alarmierend, "obwohl noch Ungewissheit über das genaue Ausmaß des Klimawandels herrscht". Sie tun dies "nicht als Experten auf dem Gebiet des Klimawandels", sondern als "vielfältige Gruppe von Wissenschaftlern, die Hochachtung vor der Integrität des wissenschaftlichen Prozesses haben".
Diese Einschränkungen sind methodisch sauber und spiegeln den auf Lindau überall spürbaren und stets beschworenen kritischen Geist wider, nach dem sich jede scheinbare Gewissheit neu vermessen und widerlegen lässt. Sie lassen jedoch vermissen, was die Laureaten den jungen Wissenschaftlern als eine weitere zentrale Eigenschaft nannten: Mut. Mut zu einem auch sprachlich entschiedeneren und prägnanteren Appell. Das sechs Jahre ältere St. James's Palace Memorandum war in dieser Hinsicht wesentlich konkreter und stärker.
Es ist zu hoffen, dass den Staaten der Welt die Dringlichkeit zu handeln heute mehr bewusst ist und sie zu mutigen Zugeständnissen zwingt. Angesichts der Tatsache, dass politisch bisher wenig passiert ist, obwohl die Beweise für einen von Menschen gemachten Klimawandel erdrückend sind, erfüllt die Mainauer Deklaration die Erwartungen, übertrifft sie jedoch nicht. Und sollte die Zurückhaltung das Ergebnis einer Suche nach einem kleinsten Nenner sein, überrascht umso mehr, dass nur etwa die Hälfte der teilnehmenden Wissenschaftler unterzeichnete. Mit Glück werden nachträglich noch weitere ihre Unterstützung bekunden, wie es auch bei den anderen Erklärungen der Fall war. Die Chancen darauf, als historisches Dokument mehr als eine Randnotiz im Kampf gegen den Klimawandel zu werden, hätten jedoch besser genutzt werden können.
Jedenfalls wird nicht die Mainauer Deklaration allein Politik und Gesellschaft aufrütteln. Sie durchlaufen offenbar einen Prozess, den die Nobelpreisträger nur allzu gut kennen: Es dauert Jahre, bis nach der ersten Entdeckung die neue Erkenntnis etablierte Strukturen durchbricht und sich als richtig erweist – Messung für Messung, bis alle Zweifler überzeugt sind. Wer aber beim Klimawandel gewinnen will, kann sich nicht leisten, auf die absolute Gewissheit zu warten, die Daten ohnehin nie hergeben. Hier geht es nicht um den mühsamen Weg zu einem Nobelpreis, sondern um die mutige Rettung des menschlichen Wohlstands.
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