Infrastrukturparadies Dänemark: Radfahren wie eine Königin
Wer in Kopenhagen Fahrrad fährt, fühlt sich wie eine Königin: Wie ein roter Teppich liegen breite Radwege vor den Reifen, auf denen weder Fußgänger noch Autofahrer unterwegs sind, und auf den großen Straßen gibt es eine grüne Welle für Radfahrer. Und muss man doch einmal anhalten auf einem der Radwege, die in etwa die Breite deutscher Landstraßen haben, gibt es an einigen Stellen gar Geländer und Fußstützen, so dass Radfahrer sich nicht einmal aus dem Sattel erheben müssen. Verdrücken sie an einem dieser Haltepunkte etwa eine Banane, bietet sich ein kleiner Mülleimer in genau der richtigen Höhe an, der leicht zur Radspur hin geneigt ist, so dass der Radler die Bananenschale ganz ohne basketballerische Begabungen mühelos entsorgen kann.
Keine Frage: Es gibt kaum für Radfahrer geeignetere Großstädte als die dänische Hauptstadt. Und das sehen deren Einwohner offenbar ebenso. 56 Prozent aller Kopenhagener fahren täglich mit dem Rad. Nur 14 Prozent hingegen nutzen ihr Auto täglich. 30 Prozent aller Wege werden per Rad zurückgelegt, was zwar von einigen kleineren Städten geschlagen wird, bei den Großstädten mit mehr als 300 000 Einwohnern steht Kopenhagen allerdings an der Spitze. Im Gegensatz zu vielen deutschen Großstädten sieht man hier zur Berufsverkehrszeit nicht nur hauptsächlich junge Männer mit Warnwesten auf dem Rad, sondern auch Frauen im Blazer, Eltern mit kleinen Kindern im Anhänger, feine Herren im Anzug, Senioren, Frauen in Highheels und viele andere. Das Fahrrad ist hier als Verkehrsmittel selbstverständlich, alle nutzen es.
Zuerst Voraussetzungen schaffen
Das kommt allerdings nicht von ungefähr. "Wir haben das alles durchgerechnet, wir sind schließlich Dänen", sagt Mikael Colville-Andersen: "Es ist die Best-Practice-Infrastruktur für Großstädte." Der Filmemacher steht für die dänische Fahrradkultur wie kaum ein anderer und wurde zu einer Art Fahrradbotschafter, der Kopenhagens Idee in die Welt trägt. Unter anderem hat er das Wort "Copenhagenize" geprägt und einen gleichnamigen Webauftritt initiiert. "Kopenhagenisieren" meint so viel wie: Andere Städte können sich hier etwas abschauen. Colville-Andersen tourt durch die ganze Welt und versucht, Politiker, Bürgermeister und Kommunen vom Fahrrad zu überzeugen.
Darin hat er Übung: "Wir haben hier alle Skeptiker überzeugt." Niemand, nicht einmal Parteien vom rechten Rand, würde es wagen, öffentlich gegen die Fahrraddominanz zu sprechen. Schließlich überzeugen die Zahlen die so rechenfreudigen Dänen: Auf einem Radweg mit 2,5 Meter Breite können 5900 Menschen pro Stunde fahren (gemessen an einer festen Stelle, der Durchsatz also), auf einer Straße nur 1300 pro Stunde, rechnet Colville-Andersen vor. "Wir müssen viele Menschen bewegen und haben nicht viel Platz." Kopenhagen hat rund 800 000 Einwohner, der Ballungsraum 1,3 Millionen und eine Bevölkerungsdichte von 6862 Menschen pro Quadratkilometer (zum Vergleich: In Berlin sind es 3809).
Erfolgreiche Strategie: Autofahrer abschrecken
Allein angesichts dieser Zahlen scheint es naheliegend, den Fahrradfahrern grüne Wellen zu ermöglichen – und die Autofahrer warten zu lassen. Tatsächlich ist die Innenstadt von Kopenhagen für Autofahrer allein schon wegen ihrer vielen Einbahnstraßen wenig attraktiv: Ein logischer Schritt, mit dem umgekehrt das Radfahren attraktiver wird. Schließlich ist zentrales Argument der Radnutzer, dass es für sie schneller geht als mit dem Auto. "Wir sagen den Menschen nicht 'Radfahren ist gesund und gut für die Umwelt'", betont Colville-Andersen – denn das würde sie nicht überzeugen. Es ist einfach praktisch, punkt.
"Die Best-Practice-Infrastruktur für Großstädte"Mikael Colville-Andersen
Kurze Wege in der Stadt lassen sich mit dem Rad schneller zurücklegen, das ist das Hauptargument, das zieht. Nebenbei spart es enorme Kosten: "Wir haben 150 Millionen Euro in die Fahrradinfrastruktur investiert in den vergangenen zehn Jahren", rechnet der Radbotschafter vor, "das spart uns langfristig 230 Millionen Euro." Straßenbau ist teurer, Radfahrer werden zudem seltener krank und verursachen keine Umweltverschmutzung und keine schlechte Luft. Wenn Colville-Andersen davon spricht klingt es so, als gebe es keine andere Wahl. Und in der Tat sagt er mit Blick auf die deutschen Großstädte, die sich seiner Meinung nach viel zu langsam bewegen: "Es gibt keine Ausrede mehr!"
Schließlich sind alle von der gleichen Basis gestartet: "Jede Stadt in Europa war einst wie Kopenhagen", erklärt Colville-Andersen. Alle waren sie in den 1930er und 1940er Jahren – auch mangels Alternative – Fahrradstädte. In den 1950er und 1960er Jahren kam dann das Konzept der autozentrierten Stadt auf und vernichtete einen Großteil der Radinfrastruktur. Der einzige Unterschied zwischen Kopenhagen, Amsterdam und einigen anderen Radstädten im Vergleich zu deutschen Großstädten: "Bereits in den 1970er und 1980er Jahren fiel uns auf, dass das ein Fehler war."
Seither steuert Kopenhagen konsequent dagegen, zurück zur fahrradfreundlichen Stadt. Das ist kein Selbstläufer: Dahinter steckt viel Arbeit und vor allem eine konsequente Verkehrspolitik. Regelmäßig wird in einem Fahrradbericht und diversen Befragungen erhoben, welche Schwachstellen die Infrastruktur noch hat, und neue Ziele werden festgelegt, beispielsweise, die Sicherheit zu erhöhen, Gefahrenstellen an Kreuzungen zu entschärfen, für Radfahrer ungünstige Ampelschaltungen zu verändern und neue, breitere Radwege zu bauen und dafür Parkplätze abzubauen.
Heute gibt es rund 400 Kilometer Radwege, die durch Bordsteine sowohl von der Straße als auch vom Gehweg getrennt sind. Sie gelten als eine der sichersten Lösungen, weil die Radfahrer auf diese Weise physisch vom Verkehr getrennt sind. Zudem entstehen derzeit einige Radschnellwege, um auch die Pendler aus dem Umland zu bewegen, das Rad zu nutzen. Aktuell fahren 93 Prozent der radelnden Kopenhagener Strecken von bis zu sieben Kilometern. In Zukunft sollen mit den Schnellwegen auch längere Strecken attraktiv werden: Ziel des Projekts, an dem sich 20 Kommunen aus dem Umland beteiligen, ist ein Netz von 500 Kilometern dieser Schnellwege, die bei Schnee vorrangig geräumt werden und außerdem mit Luftpumpstationen und ähnlichem Service versorgt sein sollen. Pendler können ihr Rad aber ebenso gut mit in die Bahn nehmen. Dort sind nicht nur genügend Stellplätze vorhanden, sondern auch eigene Rampen an jedem Wagen, um das Einsteigen für Radler zu vereinfachen.
Kernproblem: Deutsche Verkehrsplaner
Das alles scheint auch auf die Stimmung zu schlagen: Experten sind davon überzeugt, dass die Radkultur auch die Atmosphäre in einer Stadt verändert und sie lebenswerter macht. Radfahrer kommunizieren miteinander, während Autofahrer voneinander abgeschottet sind. Das Stadtleben wird entschleunigt, die Menschen tauschen sich wieder mehr aus. 2010 fanden bereits 67 Prozent aller Kopenhagener – also auch der Autofahrer –, dass die Radkultur die Stadtatmosphäre verbessert hat. Die Stadt hat sich vorgenommen, diesen Wert bis 2025 auf 80 Prozent zu steigern.
"Es gibt keine Ausrede mehr"Mikael Colville-Andersen
Das Problem in Deutschland seien die Verkehrsplaner, die immer noch zu sehr das Auto als Maß aller Dinge sehen, sagt Mikael Colville-Andersen: "Sie versuchen, die Fahrräder dazwischenzuquetschen. Deshalb ist Radfahren in Deutschland wie ein Videospiel." Genau genommen wie ein schwieriges Videospiel mit tödlichen Gefahren, in dem es darum geht, Wege zu finden, die eigentlich nicht vorhanden sind, sich durch Engpässe zu drängeln und die Nerven zu behalten, wenn man knapp von rasenden Autos überholt wird. Kopenhagen dagegen ist für Radfahrer wie ein Videospiel für Anfänger. Vielleicht ein bisschen langweilig. Aber genau das macht den Reiz aus.
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