Direkt zum Inhalt

Genetik: Ist Burnout erblich?

Burnout wird meist als Folge von Stress und anderen ­äußeren Faktoren aufgefasst. Doch auch die Gene entscheiden mit darüber, wer erkrankt und wer nicht.
Ein Mann reißt sich das Hemd auf

Ausgepowert, erschöpft, völlig am Ende – vermutlich kennen auch Sie jemanden, dem es schon einmal so ging. Jemanden, der krankgeschrieben war wegen Erschöpfung oder der in einer Burnout-Klinik langsam wieder auf die Beine kommen musste, um künftig im Alltag zu bestehen. Vielleicht sind Sie sogar selbst davon betroffen.

Dabei blieb das Burnout-Syndrom, nachdem es erstmals in den 1970er Jahren wissenschaftlich beschrieben wurde, in der Gesellschaft lange noch nahezu unbekannt. Erst Jahrzehnte später avancierte das Ausgebranntsein zum großen Thema, in den Medien ebenso wie im täglichen Umfeld. Offensichtlich spielt dafür die moderne Arbeitswelt mit befristeten Arbeitsverträgen, Zeitarbeit, hohen Anforderungen an Mobilität und permanenter Erreichbarkeit eine Rolle. Ebenso wirken sich veränderte Familienstrukturen aus: Alleinerziehende müssen ihren Alltag ohne Unterstützung von anderen Familienmitgliedern stemmen; Singles, deren tägliches Leben oftmals nicht von festen sozialen Strukturen gestützt wird, sind ebenfalls belastet. Dazu kommen gesellschaftliche Erwartun­gen wie die zunehmende Bedeutung von Leistung und finanziellen Statussymbolen, für die man meint, sich abrackern zu müssen.

Die Umwelt ist nicht alles

Trotzdem sind Umweltfaktoren nicht alles. Längst nicht jeder Arbeitnehmer, der unter stressigen Bedingungen schuftet, und auch nicht sämtliche Alleinerziehenden brennen aus. Könnte es auch an genetischen Faktoren liegen, wenn es zum Burnout kommt?

Bei den meisten psychischen Erkrankungen gilt die Bedeutung der Gene als erwiesen. Aus dem Vergleich von ein- und zweieiigen Zwillingen lassen sich beispielsweise Erblichkeitsschätzungen erstellen. Diese liegen etwa für eine Depression bei 0,7. Das bedeutet, dass das Auftreten einer Depression zu 70 Prozent genetisch bedingt ist und nur zu 30 Prozent von der Umwelt beeinflusst wird.

Im Vergleich zur Depressionsforschung stecken Untersuchungen zu den biologischen Grundlagen des Ausbrennens noch in den Kinderschuhen. Dies liegt vorrangig daran, dass das Burnout-Syndrom bis heute nicht offiziell als eigenständige Krankheit anerkannt ist. Burnout, so die vorherrschende Meinung, sei eine Vorstufe der Depression. Hält der Zustand nur lange genug an, müsste das Ausgebranntsein demnach zwangsläufig in eine Depression münden.

Tatsächlich überlappen sich die Symptome von Burnout und Depression sehr stark. So verspüren die Betroffenen beider Syndrome etwa eine innere Leere und können sich kaum dazu aufraffen, auch nur einen Einkaufszettel zu schreiben. Ebenso gilt Stress für Burnout wie auch für Depression als ursächlicher oder zumindest begünstigender Faktor. Aber steckt dahinter wirklich ein und dieselbe Erkrankung? Unsere Forschungsergebnisse sowie die einiger Kollegen lassen daran zweifeln.

Doppeltes Leid | Je mehr Methylgruppen an einem bestimmten Kandidatengen liegen, desto höher ist das Erkrankungsrisiko. Bei ge­sunden Kontrollpersonen ist das Gen wenig methyliert. Bei Patienten, die entweder nur unter Burnout oder nur unter Depression leiden, liegt ein mittlerer Methylierungsgrad vor. Am stärksten ist die Genblockade durch Methylgruppen bei Patienten, die sowohl ein Burnout als auch eine Depres­sion entwickelt haben.

2012 wies die Arbeitsgruppe von Pia Svedberg vom Karolinska-Institut in Stockholm in einer Zwillingsstudie mit über 20 000 Teilnehmern nach, dass auch Burnout eine erbliche Komponente besitzt. Demnach geht das Burnout-Syndrom zu rund einem Drittel auf das Konto der Gene – was deutlich niedriger ist als bei Depression. Welche genetischen Faktoren das Ausbrennen begünstigen oder aber davor schützen, ist eine Frage, der wir an der Universität Bonn in einem von der Daimler und Benz Stiftung geförderten Forschungsprojekt nachgehen.

Um nach Genen zu fahnden, die für das Auftreten ­einer bestimmten Krankheit mitverantwortlich sind, braucht man zunächst verlässliche Diagnosewerkzeuge. Nur so lässt sich eine Aussage darüber treffen, welche Genvarianten bevorzugt bei Betroffenen auftreten und welche bei Menschen, die anscheinend vor dem Ausbrennen gefeit sind. Es existiert zwar keine eigenständige Burnout-Diagnose, aber es gibt wissenschaftlich entwickelte und allgemein anerkannte Messinstru­mente, um das Burnout-Syndrom zu erfassen. Am weitesten verbreitet ist das Maslach Burnout Inventory (MBI): Per Selbstbericht im Fragebogen wird dabei die Stärke der Burnout-Belastung erhoben. Damit lässt sich nicht nur feststellen, ob eine Person betroffen ist, sondern auch, in welchem Ausmaß.

Kleine Änderung mit großer Wirkung

Als weitaus schwieriger erweist sich die Fahndung nach genetischen Besonderheiten, die mit der Anfälligkeit für das Burnout-Syndrom in Zusammenhang stehen. Wir suchen dabei nach so genannten Polymorphismen. So bezeichnet man häufig vorkommende Genvarianten, die bei mindestens einem Prozent der Bevölkerung ­auftreten. Meist werden diese durch den Austausch eines einzelnen Bausteins im betreffenden Erbgut­abschnitt verursacht.

Untersuchungen solcher Polymorphismen belegen, dass bereits ein einziger veränderter Buchstabe im DNA-Text weit reichende Folgen nach sich ziehen kann. So führt ein Polymorphismus beispiels­weise dazu, dass die Aktivität eines betroffenen Enzyms um ein Vielfaches reduziert oder die Konzentration eines bestimmten Rezeptors im Gehirn um mehr als ein Drittel gesenkt wird.

Technisch ist es heute ohne Weiteres möglich, für mehrere Millionen solcher Genvarianten simultan zu prüfen, welche davon ein Proband in seinem Erbgut trägt. Auf diese Weise könnte man im Rahmen einer so genannten genomweiten Assoziationsstudie für sämtliche bekannten Polymorphismen erkunden, ob sie etwa bei Burnout-Patienten häufiger vorkommen als bei gesunden Arbeitnehmern.

Allerdings: Solche Studien sind höchst fehler­anfällig. Es kann leicht passieren, dass die statistische Auswertung zu dem Schluss führt, eine spezielle Gen­variante verursache unmittelbar ein bestimmtes Merkmal oder ­eine Erkrankung, obwohl beides nur zufällig gemeinsam auftritt.

Unsere genetischen Befunde unterstreichen die Forderung nach einer eigenständigen ­Burnout-Diagnose – unab­hängig von depressiven Erkrankungen

Die sinnvolle Alternative zur genomweiten Fahndung ist daher, von bestimmten "Kandidatengenen" auszugehen. Dabei wählt man gezielt Erbfaktoren aus, die auf Grund bisheriger Forschungsergebnisse – etwa pharmakologischer Tests oder Tierversuche – interessant erscheinen. Für die Burnout-Forschung könnten das beispielsweise Gene sein, welche die so genannte Stressachse beeinflussen, eine hormonelle Aktivierungskette, die durch Stresssituationen ausgelöst wird. Da Burnout quasi per Definition mit Stress assoziiert ist, drängt sich diese Herangehensweise geradezu auf.

Bislang haben wir in unserem Bonner Burnout-Projekt mehr als 1600 Probanden untersucht. Die Studienteilnehmer waren zum einen Patienten, die sich wegen Burnout in stationärer Behandlung in psychosomati­schen Kliniken befanden. Zum anderen konnten wir zumeist nicht betroffene Mitarbeiter aus verschiedenen Unternehmen, die über das gesamte Bundesgebiet verteilt sind, als Kontrollgruppe rekrutieren. Jeder Teilnehmer füllte ein Fragebogenpaket aus, das neben Alter, Geschlecht, Lebensstil und Berufstätigkeit auch Per­sönlichkeitseigenschaften sowie die aktuelle Burnout-Belas­tung ermittelte. Um mögliche genetische Unterschiede zwischen Ausbrennen und Depression zu erkennen, prüften wir zudem bei unseren Probanden, ob sie depressive Symptome zeigen und wenn ja, in welchem Ausmaß.

Jeder Studienteilnehmer gab außerdem eine Blut­probe für unsere genetischen Untersuchungen ab. Dabei erwies sich ein Gen als besonders viel versprechend. Noch stehen weitere Forschungsarbeiten an, bevor wir den Namen des Erbfaktors nennen können. Doch so viel sei verraten: Unser Kandidatengen beeinflusst die Aktivität eines wichtigen Botenstoffsys­tems im Gehirn.

Wir identifizierten auf diesem Gen insgesamt neun Polymorphismen. Und bei acht davon ließ sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang mit dem Ausmaß der Burnout-Belastung nachweisen. Die Varianten traten im Genom von Betroffenen deutlich häufiger auf als im Erbgut gesunder Probanden.

Zudem entdeckten wir einen so genannten geneti­schen Haplotyp, der bei Burnout eine Rolle zu spielen scheint. Als Haplotyp bezeichnet man vereinfacht gesagt genetische Varianten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit gemeinsam vererbt werden, da sie auf der DNA sehr nahe beieinanderliegen. Auch diesen Haplotyp mit drei Polymorphismen fanden wir bei unseren Burnout-Patienten häufiger als in der Kontrollgruppe.

Blockierte Gene

Bei einer multifaktoriellen Erkrankung wie Burnout, also einer Krankheit, bei deren Entstehen verschiedene Ursachen zusammenwirken, kann man davon ausgehen, dass mehrere Erbfaktoren eine Rolle spielen. Unser Kandidatengen darf demnach keineswegs als das Burnout-Gen angesehen werden. Dennoch haben wir damit einen Erbfaktor identifiziert, der sehr wahrscheinlich die Entwicklung dieses Syndroms beeinflusst. Mehr noch: Die untersuchten Polymorphismen stehen zwar in Zusammenhang mit Burnout, nicht jedoch damit, wie stark depressive Symptome ausgeprägt sind. Damit unterstreichen unsere genetischen Befunde die Forderung nach einer eigenständigen Burnout­Diagnose – unabhängig von depressiven Erkrankungen.

Chemischer Schalter | Die genetische Information der DNA steckt in der Abfolge von vier verschiedenen Bausteinen, den Basen Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T). Das Ablesen dieser Information kann jedoch durch angelagerte Methylgruppen (CH3) blockiert werden; Cytosin reagiert dabei zu 5-Methyl-Cytosin. Damit bleibt die Basen­abfolge, also die Information an sich, unverändert, während die DNA chemisch modifiziert wurde. Man bezeichnet dies als epigeneti­sche Veränderung. Eine CH3-Gruppe kann sich aber nur an den DNA-Stellen anlagern, bei denen auf ein Cytosin ein Guanin folgt. Auf Grund der Kopplung der beiden Basen über eine Phosphodiester­bindung spricht man von einem CpG-Ort (Cytosin-phophatidyl-­Guanin). Eine starke Häufung dieser CpG-Orte bildet eine CpG-Insel.

Das Bonner Forschungsprojekt widmet sich aber nicht allein genetischen Varianten, die mit Burnout assoziiert sind. Wir wollen auch herausfinden, welchen Einfluss so genannte epigenetische Mechanismen haben. Darunter versteht man eine der eigentlichen Genetik übergeordnete Regulationsebene. Es handelt sich dabei um reversible Modifika­tionen der DNA, ohne dass die Basenabfolge selbst verändert ist. Die geläufigsten epigenetischen Veränderungen sind so genannte Methylierungen. Dabei wird eine Methylgruppe an die DNA geheftet, was die Genaktivität beeinflusst, also bestimmt, wie häufig das betreffende Gen abgelesen wird, um das entsprechende Genprodukt herzustellen. Die Faustregel lautet: Je mehr Methylgruppen ein Gen trägt, desto seltener wird es wahrscheinlich abgelesen. Eine geringe Methylierung deutet umgekehrt darauf hin, dass das Gen sehr aktiv ist.

Methylgruppen werden nicht beliebig an den DNA-Strang geheftet, sondern lediglich an Positionen, an ­denen nacheinander die Basen Cytosin (C) und Guanin (G) stehen. Fachlich spricht man von einem CpG-Ort. DNA-Abschnitte mit besonders vielen solcher CpG-Orte bezeichnet man als CpG-Inseln.

Ausgehend von unseren genetischen Ergebnissen machten wir uns daran, die beiden großen CpG-Inseln unseres Kandidatengens mit insgesamt rund 200 CpG-Orten unter die Lupe zu nehmen. Einer fiel uns dabei besonders ins Auge. Er befindet sich im so genannten Promotor, einer speziellen Stelle, an der sich entscheidet, ob das Gen abgelesen wird oder nicht. Wie unsere Tests ergaben, treten Methylierungen an dieser Position nicht nur im Zusammenhang mit Burnout, sondern auch mit depressiven Symptomen gehäuft auf. So zeigte die DNA aus Blutproben gesunder Studienteilnehmer nur 31 Prozent Methylierung. Bei Probanden mit Burnout waren es 43 Prozent, bei Personen mit reinen Depressionen 42 Prozent. Kamen Burnout und Depression allerdings zusammen, schnellte der Grad der Methy­lierung auf 73 Prozent hoch. Die geringere Modifikation in der Kontroll­gruppe weist darauf hin, dass das Kandidatengen bei Gesunden aktiver ist und daher häufiger abgelesen wird als bei den erkrankten Personen. Im gesunden Zustand entsteht daher vermutlich auch mehr des entsprechen­den Genprodukts.

Diese epigenetischen Befunde stehen keineswegs im Widerspruch zu den genetischen Ergebnissen unserer Untersuchungen. Ihnen ­zufolge existieren genetische Unterschiede zwischen Burnout und Depression, die möglicherweise sogar eine eigenständige Diagnose rechtfertigen. Das schließt aber die weit verbreitete Annahme nicht aus, dass der Zustand des Ausgebranntseins zu einer Depression führen kann, wenn er nur lange genug anhält.

Hier treffen Gene und Umwelt zusammen. Denn die epigenetischen Veränderungen der DNA werden unter anderem von Umweltfaktoren beeinflusst. Es liegt nahe, dass die Stressoren des täglichen Lebens eine zunehmende Methylierung nach sich ziehen und so die Aktivität des Kandidatengens drosseln. Setzt sich der psychi­sche Druck von außen weiter fort, obwohl ein Mensch bereits ausgebrannt ist, verstärkt sich der Effekt – der Betroffene wird schließlich schwer depressiv.

Die gute Nachricht lautet: Die Interaktion von Genen und Umwelt ist keine Einbahnstraße, epigenetische Veränderungen sind nicht in Stein oder besser: in die DNA gemeißelt. Geeignete Therapien, ein veränderter Lebensstil und weitere vorbeugende Maßnahmen können ebenfalls die Methylierung unserer Gene beein­flussen. So ist denkbar, dass sie die blockierenden ­Methylgruppen am Kandidatengen entfernen und dieses wieder anschalten – und damit das Risiko für ein Ausbrennen herabsetzen.

Dieser Artikel beruht auf einem am 13. Mai 2015 gehaltenen Vortrag des 19. Berliner Kolloqiums der Daimler und Benz Stiftung.
  • Quellen

Blom, V. et al.: Genetic Susceptibility to Burnout in a Swedish Twin Cohort. In: European Journal of Epidemiology 27, S. 225–231, 2012

Freudenberger, H. J.: Staff Burn-Out. In: Journal of Social Issues 30, S. 159–165, 1974

Jacobi, F. et al.: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). In: Der Nervenarzt 85, S. 77–87,2013

McGuffin, P. et al.: Toward Behavioral Genomics. In: Science 291, S. 1232–1249, 2001

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.