Recycling: Urin - der Dünger der Zukunft?
Nur die wenigsten Menschen wissen den Wert ihrer Ausscheidungen zu schätzen. Besonders Urin ist ein wahrer Quell an Mineralstoffen: Kalzium, Magnesium, Kalium und vor allem Phosphor finden sich darin. Der Mineralstoff ist lebensnotwendig für Pflanze, Tier und Mensch. Unter anderem stabilisiert er die DNA und spielt eine Rolle im Energiehaushalt. Zum Wachsen brauchen Pflanzen Phosphor so nötig wie Wasser und Sonnenlicht. Weltweit streuen Landwirte denn auch tonnenweise Phosphordünger auf ihre Felder – nur so lässt sich ausreichend Nahrung produzieren. Doch seit Jahren mehren sich die Stimmen derer, die davor warnen, dass die Phosphorreserven schwinden.
Die Folgen wären fatal. Phosphorgestein wie Phosphorit bildete sich im Lauf von Jahrmillionen durch Ablagerungs- und Verwitterungsprozesse – es lässt sich weder künstlich herstellen noch in Dünger ersetzen. »Erdöl kann durch andere Energiequellen ersetzt werden. Zu Phosphor gibt es keine Alternative«, sagt Inga Krämer vom 2014 gegründeten Netzwerk »WissenschaftsCampus Phosphorforschung« in Rostock, wo fortan nach nachhaltigeren Wegen im Umgang mit Phosphor gesucht wird.
Wertvoller Urin
Das Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag ist schon einen Schritt weiter. Seit einigen Jahren tüfteln Mitarbeiter in Zürich und im südafrikanischen Durban an der Rückgewinnung des wertvollen Stoffes aus Urin. »Die Nährstoffe, die wir über das Essen zu uns nehmen, scheiden wir ja zum Teil wieder aus. Phosphat etwa liegt im Urin hochkonzentriert vor«, sagt Bastian Etter, Koordinator des Projekts VUNA in Durban. »VUNA« heißt in der Landesprache Zulu »Ernte« und trifft den Kern der Sache: Der aus Urin gewonnene Dünger soll erschwinglich sein und den Einheimischen bessere Ernten bescheren – nebenbei werden Gewässer geschont und der Phosphorkreislauf, soweit es geht, erhalten.
Denn der ist durch den Einfluss des Menschen aus dem Gleichgewicht geraten. Der natürliche Phosphorkreislauf verläuft in geologischen Zeiträumen: Die Böden setzen Phosphate nach und nach frei, über Flüsse gelangen sie ins Meer, wo sich nach mehreren Millionen Jahren wieder Phosphorlagerstätten bilden. Durch den Abbau von Rohphosphor – der fast ausschließlich zu Dünger verarbeitet wird – gelangt ein Vielfaches an Phosphor zusätzlich in die Umwelt. So streuen Landwirte weltweit etwa 15 Millionen Tonnen Phosphordünger pro Jahr auf ihre Felder. Zwar nehmen Pflanzen einen großen Teil davon auf, der Rest reichert sich aber im Boden an und gelangt durch Erosion in Flüsse und Meere. Zusätzlich tragen tierische und menschliche Fäkalien Phosphor in die Gewässer ein. Dort angekommen, lässt sich Phosphor kaum mehr recyceln, weswegen die Rückgewinnung schon früher im Kreislauf einsetzen muss.
Segensreiche Trockentoiletten
In der Gegend rund um Durban fängt dies beim Toilettengang an. Die Stadtverwaltung hat dort schon vor über zehn Jahren rund 90 000 Trockentoiletten installiert, in denen Urin und Kot voneinander getrennt gesammelt werden. Da die ländlichen Gebiete um Durban stark zersiedelt sind – auf jedem Hügel stehen einzelne Hütten –, sah die Stadtverwaltung von einem Anschluss an die Kanalisation ab. Seit 2010 sammeln Stadtangestellte den Urin ein und verarbeiten ihn in einer Testanlage zu Dünger. Aus 1000 Liter Urin lassen sich auf diese Weise rund zwei Kilogramm Phosphordünger gewinnen. Seit 2013 wird das Projekt mit 700 beteiligten Familien in größerem Maßstab erprobt.
Auch in Deutschland und der Schweiz arbeiten die Umweltministerien an einer Recyclingverordnung: Phosphor soll in Zukunft aus Abfall und Klärschlamm zurückgewonnen werden. Ein Muss für Europas Landwirtschaft, die zwingend auf den Import von Phosphor angewiesen ist. Denn zwei Drittel der bekannten Rohphosphatreserven lagern in Marokko und der Westsahara. Auch China und die USA haben nennenswerte Vorkommen, zugleich jedoch einen hohen Eigenbedarf. Somit kontrollieren eine Hand voll Länder den Zugang zu einer Ressource, die für die Nahrungsmittelsicherheit der ganzen Welt notwendig ist.
Starke Preissteigerungen
Was das bedeutet, haben Landwirte in den vergangenen Jahren schon zu spüren bekommen: »Kurzzeitig gab es Preissteigerungen von bis zu 800 Prozent«, sagt Krämer. Ein Rückgang der Nachfrage ist bei weiter wachsender Weltbevölkerung kaum zu erwarten. Im Gegenteil: Die landwirtschaftliche Produktion muss angekurbelt werden – ohne Phosphordünger gelingt das nicht.
Laut Krämer rechnen die meisten Wissenschaftler schon in 20 Jahren mit dem so genannten »Peak Phosphor«. Das ist der Zeitpunkt, an dem die maximale globale Phosphorproduktionsrate erreicht wäre. Von da an würde die Rate sinken und günstiger Phosphatdünger der Vergangenheit angehören. Wissenschaftler des United States Geological Survey (USGS) kommen hingegen zum Ergebnis, dass die Vorräte noch etwa 350 Jahre reichen. Exakte Berechnungen sind schwierig, denn Faktoren wie Nachfrage und Angebot, aber auch technische Entwicklungen und Politik müssen berücksichtigt werden. Sicher ist aber: Rohphosphat ist eine endliche Ressource.
Phosphorrecycling wäre nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus ökologischer Sicht sinnvoll: Während der Verbrauch an Phosphordünger in Europa in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist – auch weil die Äcker vielerorts überdüngt waren –, wird das Material in vielen anderen Ländern verschwenderisch eingesetzt. Die Phosphorkonzentration in Flüssen und Meeren steigt und damit die Gefahr der Eutrophierung: Der Nährstoffeintrag bringt Algen zum Blühen, sie sinken zu Boden und verwesen. Die daran beteiligten Bakterien entziehen dem Wasser Sauerstoff, Fische und andere Lebewesen sterben. Weltweit wurden inzwischen 400 dieser so genannten Todeszonen identifiziert. Dass auch hier zu Lande Handlungsbedarf besteht, zeigt die häufig auftretende Zyanobakterienblüte der Ostsee.
Weniger Schwermetalle
Oliver Krüger von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin sieht zudem noch ein weiteres Problem: »Rohphosphat ist häufig mit den Schwermetallen Kadmium und Uran verunreinigt. Die Schwermetalle sind auch im Dünger enthalten und gelangen so auf unsere Felder.« Für Kadmium existiert zwar in vielen Industrieländern ein Grenzwert, für Uran aber nicht. In einer Publikation des Umweltbundesamtes von 2012 steht: »Das Umweltbundesamt und das Bundesinstitut für Risikobewertung erkennen für die deutschen Verbraucher derzeit kein Risiko infolge einer Aufnahme von Uran mit der Nahrung.« Empfohlen wird aber die kurzfristige Kennzeichnungspflicht ab einem Urangehalt von 20 Mikrogramm pro Kilogramm Dünger und die mittelfristige Festlegung eines Urangrenzwertes, da Uran über die Äcker ins Trinkwasser gelangen könnte.
Recycelter Phosphor hätte den Vorteil, dass er im Vergleich erheblich weniger Uran und Kadmium enthält. Verfahren zur Rückgewinnung existieren mehrere: aus Klärschlamm, Klärschlammasche, Tierknochen. Noch sei aber keines großtechnisch umgesetzt worden, so Krüger. In Europa wird Phosphor schon seit den 1980er Jahren aus dem Abwasser entfernt und landet momentan noch im Klärschlamm, der unter bestimmten Vorgaben bereits auf die Felder aufgebracht werden darf. In Deutschland sind das allein 55 000 Tonnen pro Jahr. »Davon ließen sich bis zu 90 Prozent recyceln und damit der Einsatz von Rohphosphatdünger reduzieren«, sagt Krüger. Völlig unabhängig wird man vom Import aber nicht: Deutschlands Landwirte benötigen jährlich 140 000 Tonnen Phosphor für Mineraldünger.
Großsammelanlagen an Flughäfen?
Auch der aus Urin recycelte Phosphor ist »lastenfrei«: »Sofern Schwermetalle vom Körper aufgenommen werden, werden sie über den Kot ausgeschieden«, sagt Etter, der in der Urinwiederaufbereitung einen großen Vorteil sieht: »Anders als im Abwasser liegt Phosphor im Harn hochkonzentriert vor. Das macht die Rückgewinnung effizient.« Weswegen Etter auch in Europa Möglichkeiten für das Urinrecycling sieht: an Flughäfen, in großen Bürogebäuden oder aber an Autobahnraststätten, die nicht an die Kanalisation angeschlossen sind.
In den nächsten Jahren soll jedenfalls das Urinsammelnetz weiter ausgebaut werden. »Die Bevölkerung ist dem Projekt gegenüber durchaus positiv eingestellt«, sagt Etter. Allerdings hielte sich der Glaube, dass die Trockentoiletten Armenklos seien, weil die Regierung nicht für fließendes Wasser bezahlen wolle. »Dabei sind das die Klos der Zukunft«, sagt Etter, »wir jagen ein Drittel unseres täglichen Wasserverbrauchs – wohlgemerkt: Trinkwasser – durch die Klospülung. Das ist verrückt.«
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