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Psychologie: Die Schattenseite des Ruhms

Viele Pop- und Rockstars leben heftig und sterben jung. Das hängt aber nicht nur mit den Begleiterscheinungen des Berühmtseins zusammen, sondern auch damit, dass es oft ganz bestimmte Persönlichkeiten sind, die den Erfolg anziehen, sagen Psychologen.
Rockkonzert

Jimi Hendrix erstickte 1970 nach dem Konsum von Alkohol und Schlaftabletten an seinem Erbrochenen, Kurt Cobain erschoss sich 1994 im Heroinrausch, und Amy Winehouse starb 2011 nach jahrelangem Drogenmissbrauch an den Folgen einer Alkoholvergiftung. Was alle drei Musiker verbindet, sind großes Talent, Erfolg, ein Hang zum Exzess – und die Tatsache, dass sie mit gerade einmal 27 Jahren auf tragische Weise aus dem Leben schieden. Damit sind sie Teil des Mythos des »Klub 27«, laut dem Ausnahmemusiker gehäuft im Alter von 27 Jahren sterben. Dass dem eigentlich nicht so ist, wurde bereits wissenschaftlich bewiesen, unter anderem durch eine 2011 publizierte, deutsch-australische Studie, die das Sterberisiko von Pop- und Rockstars anhand der Lebensläufe von 1046 Musikgrößen überprüfte.

Fakt ist aber, dass die Lebenserwartung erfolgreicher Musiker deutlich niedriger ist als die ihrer nichtberühmten Mitmenschen und dass sie häufiger jung sterben. So zeigte die eingangs erwähnte Studie zwar keinen Risikogipfel für das 27. Lebensjahr, aber eine im Vergleich zur Normalbevölkerung doppelt bis dreifach so hohe Sterberate für das Alter von 20 bis Ende 30. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch Dianna Theadora Kenny, Psychologieprofessorin an der University of Sydney, die ermittelte, dass Stars im Schnitt 25 Jahre weniger leben als Normalbürger.

Junge Stars schlagen über die Stränge

Als Grund für die schlechteren Überlebenschancen der Musikgrößen gilt ihr spezieller Lebensstil. "Gerade wenn sie jünger sind, schlagen Stars oft ganz schön über die Stränge", sagt der Göttinger Psychologieprofessor Borwin Bandelow, der sich in seinem Buch »Celebrities: Vom schwierigen Glück, berühmt zu sein« die Biografien Prominenter vornahm und ihr Verhalten analysierte. Tatsächlich feiern sie oft eine Party nach der anderen, konsumieren Unmengen von Alkohol und Drogen und haben laufend Sex mit wechselnden Partnern. Darüber hinaus zeigen einige von ihnen (selbst)zerstörerische Tendenzen, indem sie etwa Hotelzimmer verwüsten, sich selbst oder andere verletzen.

Dieser »Rock-'n'-Roll-Way-of-Lif«" gipfelt bei mancher Berühmtheit im tragischen ungewollten oder, wie bei Kurt Cobain, sogar im gewollten Tod. Wie sehr dieser Lebensstil das Sterberisiko erhöht, zeigt eine 2012 publizierte Studie von Forschern der University of Liverpool, die das Phänomen der frühen Sterblichkeit von Popstars anhand der Lebens- und Sterbedaten von 1489 Musikern untersuchten: Von den 137 registrierten Todesfällen waren 42 auf Drogen- und Alkoholmissbrauch zurückzuführen. Und auch die übrigen könnten mit Ursachen wie Selbstmord (4), Gewalt (7), Unfällen (19) und Herzerkrankungen (21) durchaus Folge einer riskanten Lebensart sein.

Dazu, warum Stars den Exzess lieben, gibt es verschiedene Theorien. Die gängigste ist, dass Ruhm eine Belastung darstellt, die einige nicht verkraften. »Oberflächlich betrachtet ist Ruhm sehr positiv: Er bringt Anerkennung, erhöht den Selbstwert und beschert Glücksgefühle. Berühmt zu sein, hat aber auch Schattenseiten«, erklärt Harald Gündel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Ulm. So bedeute es etwa immensen Druck, ständig im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen und an einem Ideal gemessen zu werden, das man oft gar nicht selbst gewählt hat. »Gerade bei sehr ehrgeizigen und sensiblen Charakteren kann das Stress und Versagensängste auslösen.« Dazu kommen weitere mögliche Negativeffekte, wie das Zerbrechen von Freundschaften und ein dadurch bedingtes Einsamkeitsgefühl oder Spott und Niederlagen, die verletzen und zermürben. Das kann auf die Psyche schlagen und laut Gündel manchmal auch dazu führen, dass die Stars genau deshalb so maßlos leben, weil sie negative Gefühle betäuben und den Druck, der auf ihnen lastet, verringern wollen.

Auf Charakter und Psyche kommt es an

Dass der Ruhm samt seinen Begleiterscheinungen allein dafür sorgt, dass jemand heftig lebt und früh stirbt, halten Experten allerdings für fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass weitere Belastungsfaktoren hinzukommen müssen. Wohl mit am ausschlaggebendsten dafür, ob ein Star einen riskanten Lebensstil entwickelt oder nicht, sind sein Charakter und seine psychische Verfassung. »Jemand mit einer in sich ruhenden, gefestigten Persönlichkeitsstruktur, der einem stabilen und Halt gebenden Umfeld entstammt, hält den Belastungen des Ruhms besser stand als eine eher labile Persönlichkeit mit negativer psychosozialer Vorprägung«, sagt Gündel. Somit laufe er auch weniger Gefahr »durchzudrehen« und ungesundes Verhalten zu entwickeln.

Tatsächlich deuten manche Studien in diese Richtung. So scheint etwa ein Zusammenhang zwischen dem Risikoverhalten, dem jungen Sterbealter der Stars und »adverse childhood experiences« (ACE), also belastenden Erfahrungen im Kindesalter, zu bestehen. ACE, zu denen physische und sexuelle Gewalt oder Vernachlässigung gehören, senken die Stressresistenz und erhöhen den Hang zu riskantem Verhalten wie etwa Alkoholmissbrauch. Dass diese Erfahrungen den »Live-fast-die-young-Lifestyle« der Stars fördern können, hat die zuvor erwähnte Liverpooler Studie von 2012 gezeigt: Bei Analyse des Studienmaterials prüften die Forscher auch, inwieweit ACE Verhalten und Sterberisiko von Stars beeinflussen. Dabei stellten sie fest, dass fast die Hälfte derer, die an den Folgen von Betäubungsmittelmissbrauch oder Gewalt starben, mindestens einer belastenden Kindheitserfahrung ausgesetzt waren und dass von jenen, bei denen es mehrere waren, sogar vier von fünf Betroffen einen Risikotod starben.

»Meiner Meinung nach werden Menschen nicht trotz ihrer seelischen Narben und psychischen Auffälligkeiten berühmt, sondern wegen ihnen«
Borwin Bandelow

Neben Kindheitstraumata können laut Experten auch psychische Erkrankungen hinter dem exzessiv-riskanten Verhalten der Stars stecken. So etwa bipolare Störungen, Angsterkrankungen oder Depressionen. »Ganz besonders gut passt es jedoch zur Borderline-Störung«, sagt Bandelow. Dabei handelt es sich um eine Persönlichkeitsstörung, die sich durch mangelnde Impulskontrolle, Stimmungsschwankungen und ein gestörtes Selbstbild auszeichnet. Die Betroffenen zeigen unkontrolliertes Verhalten in potenziell selbstschädigenden Bereichen wie Alkohol- und Drogenkonsum und einen Hang zum Tabubruch. Sie haben häufig Wutausbrüche und neigen zur Selbstverletzung sowie zu Suizidgedanken und -handlungen. Dazu kommt ein narzisstischer Geltungsdrang und Angst vor dem Verlassenwerden, weshalb sie Zurückweisung und Niederlagen schlecht verkraften.

Viele Künstler zeigen Anzeichen einer Borderline-Erkrankung

»Bei der Analyse der Lebensläufe und Biografien zahlreicher Pop- und Rockstars habe ich festgestellt, dass kaum einer von ihnen psychisch ganz gesund ist und gerade von den großen Stars viele Anzeichen einer Borderline-Erkrankung zeigen«, erklärt Bandelow. Letzteres treffe etwa auf Amy Winehouse zu, die mit Betäubungsmittelmissbrauch, Magersucht und Selbstverletzung drei typische Symptome aufwies. Die »pathologische Seelenverwandtschaft« der Musikgrößen ist in seinen Augen ebenso wenig ein Zufall wie der Umstand, dass viele aus problematischen Verhältnissen stammen: »Meiner Meinung nach werden Menschen nicht trotz ihrer seelischen Narben und psychischen Auffälligkeiten berühmt, sondern wegen ihnen.«

Das lässt an die Theorie von »Genie und Wahnsinn« denken, die seit Jahrhunderten diskutiert wird. Oder an jene vom »schöpferischen Leiden«, laut der Seelenqual die Quelle von Kreativität und großer Kunst ist. »Es gibt hierzu keine mir bekannten verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Was ich aber für eine stimmige Theorie halte, ist, dass Menschen, die sehr sensibel und psychisch verletzlich sind oder viel durchgemacht haben, uns mit ihrer Musik besonders stark berühren«, erklärt Gündel. Grund sei, dass sie sehr intensive und echte Emotionen mit ihr transportierten.

Weitere Faktoren, die den Aufstieg der psychisch Labilen und Kranken in den Pop-Olymp begünstigen, sind die Faszination, die sie dank ihrer Exzentrik auf uns ausüben. Oder der Umstand, dass sie teils sehr hart für ihren Erfolg kämpfen. Letzteres kann, außer durch den Wunsch nach sozialem Aufstieg, auch krankheitsbedingt sein. Genau dies ist der Fall bei Borderlinern: »Sie tun wirklich alles, um Erfolg zu haben und geliebt und bewundert zu werden«, sagt Bandelow. So übten sie etwa rund um die Uhr oder veränderten ihr Aussehen extrem, um zu gefallen. Grund ist ihr narzisstischer Geltungsdrang, der sie nach Anerkennung gieren lässt, außerdem ein Defekt im Hormonsystem: »Borderliner leiden an einem Mangel des für die Freisetzung von Glücksgefühlen wichtigen Botenstoffs Endorphin.« Er lässt sie den Kick im Rausch und prickelnden Risiko suchen, treibt sie aber auch dazu, musikalisch immer 1000 Prozent zu geben, da »Applaus Koks für die Seele ist«.

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